Читать книгу Mysteriöse Museumsschätze - Reinhard Habeck - Страница 18
Der älteste Report
ОглавлениеDie Odyssee um den deklarierten „Salzburger Stahlwürfel“ ist eine tollkühne Geschichte. Sie ist es wert erzählt zu werden, weil sie uns vor Augen führt, wie leicht die Verzerrung alter Berichte, missverstandene Übersetzungen, falsche Ortsangaben, aber auch ausufernde Fantasie in die Sackgasse führen können. Es ist wie beim Kinderspiel „Stille Post“, bei dem die Nachricht einer Person ins Ohr des Nachbarn geflüstert wird. Dieser gibt dann das Halbverstandene auf die gleiche Weise an andere Teilnehmer weiter. Am Ende der Fahnenstange kommt etwas Irrwitziges heraus, das mit der ursprünglichen Information nur mehr wenig zu tun hat.
Protokoll zum „Salzburger Eisenwürfel“ aus dem Jahr 1886
Um die Spreu vom Weizen zu trennen, ist es wichtig, die Urquelle zu kennen. Sie führt zum Bauingenieur Dr. Adolf Gurlt, der sich als Geologe für das seltsame Eisenrelikt interessierte und dazu am 7. Juni 1886 vor der „Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde“ in Bonn referierte. Das Dokument zum Sitzungsbericht des Vereins befindet sich im Archiv der Universität Erlangen. Es ist der älteste Report zum kuriosen Eisenklotz und zugleich Quelle für alle weiteren Berichterstattungen. Das Protokoll ist relevant und hilft bei der Wahrheitsfindung.
„Dr. Gurlt legte einen merkwürdigen Eisenmeteorit, sogenannten Holosiderit, vor, welcher sich in tertiäre Braunkohle eingeschlossen vorfand. Derselbe ist Eigenthum des städtischen Museums Carolino-Augusteum in Salzburg und wurde an dasselbe von Herren Isidor Braun Söhne zu Schöndorf bei Vöcklabruck in Oberösterreich geschenkt. Er wurde um die Zeit von Allerheiligen 1885 in der Gussstahl- und Feilenfabrik dieser Firma von einem Arbeiter zufällig entdeckt, als derselbe einen Block fester Braunkohle, die aus dem Bergwerke zu Wolfsegg, der Wolfsegg-Traunthaler Bergwerksgesellschaft gehörig, stammte, der bequemeren Heizung wegen zerschlug.“
Weiters erfahren wir aus der Akte, dass der Eisenklotz mehreren Sachverständigen zur Begutachtung vorgelegt wurde. Doch deren Expertisen fielen unterschiedlich aus. Einige Gelehrte hielten den Fund für ein „Kunstprodukt“ aus „Meteoriteneisen“, das nachträglich durch Menschenhand bearbeitet wurde. Dafür spräche die „sehr regelmäßige Gestalt“ des Eisenstückes, heißt es. Andere Experten bezweifelten diesen Verdacht und stützten sich auf eine nähere Untersuchung, aus der angeblich deutlich hervorginge, „dass man es hier mit einem nicht bearbeiteten Eisenmeteorit oder einem Holosiderit zu thun hat, der keine steinartige Meteormasse enthält“.
Was besonders interessant ist: In dem Protokoll wird die Form des ominösen Gegenstandes erstmals als „Würfel“ beschrieben: „Der Holosiderit hat einen fast quadratischen Querschnitt und entspricht einem Würfel, an dem zwei gegenüberliegende Flächen, kissenartig, stark abgerundet sind, während die übrigen vier Flächen durch diese Abrundungen viel schmäler geworden und in der ganzen Länge mit einer tiefen Furche versehen sind. Sämmtliche Flächen und Furchen sind mit den für Meteoreisen so sehr charakteristischen Näpfchen oder Aussprengungen bedeckt, daher eine nachträgliche Bearbeitung durch Menschenhand ausgeschlossen ist.“
Irdisch oder außerirdisch? In dem Gutachten werden Größe, Gewicht und Beschaffenheit erstmals genannt, die die These stützen sollten, wonach das Relikt angeblich aus den Tiefen des Alls stamme. „Das Eisen ist mit einer dünnen Haut von magnetischem Eisenoxydoxydul überzogen, welche eine feine Runzelung zeigt. Der Holosiderit hat 67 mm grösste Höhe, 62 mm grösste Breite und 47 mm grösste Dicke; er wiegt 785 gr, hat 7,7566 specifisches Gewicht, die Härte des Stahls und enthält ausser chemisch gebundenem Kohlenstoff eine geringe Menge Nickel, ist aber bisher nicht quantitativ analysirt worden. Eine kleine Schliff-Fläche, welche mit Salpetersäure angeätzt wurde, lässt die bei Meteoreisen sonst gewöhnlichen Widmannstätten’schen Figuren nicht erkennen, wohl aber zwei verschiedene Metalllegierungen. Hierdurch, sowie durch seine kubische Spaltbarkeit, welche auch die Ursache der regelmäßigen Form ist, kommt er den berühmten Meteoreisen von Braunau in Böhmen und Santa Catarina in Brasilien sehr nahe.“
Wie aber sollte ein Meteorit in einer Kohlegrube gelandet sein? Der Bericht zu Adolf Gurlts Studie glaubt die Antwort zu kennen. Sie mutet für heutige Verhältnisse recht skurril an:
„Die Braunkohle, in welcher der Holosiderit gefunden wurde, wird zu Wolfsegg unterirdisch abgebaut; derselbe kann also nur während ihrer Bildung in der Tertiärzeit in dieselbe hineingefallen sein und somit gehört er zu einem der seltensten Funde von Meteoriten aus einer älteren geologischen Epoche.
Die langen Furchen auf den schmalen Flächen hatten besonders an eine nachträgliche künstliche Bearbeitung denken lassen; doch kommen solche rinnenartige Ausfurchtungen neben den Näpfchen bei den meisten Eisenmeteoriten vor. Die ganze äußere Erscheinung lässt sich durch die Annahme leicht erklären, dass der abgesprengte Eisenwürfel bei seinem Fluge durch die Atmosphäre, mit über 30 Kilometer Geschwindigkeit in der Sekunde, eine Rotation besaß, deren Axe rechtwinklig durch die Mitte seiner beiden Seitenflächen ging, daher diese nur an den Kanten abgesprengt wurde, während die ihn der Rotationsperipherie liegenden vier Flächen die tiefen Ausfurchtungen erhielten.“ War damit alles wissenschaftlich geklärt? Mitnichten. Ab diesem Bericht ging die Kontroverse um den „Eisenwürfel“ erst richtig los.