Читать книгу Mysteriöse Museumsschätze - Reinhard Habeck - Страница 16
Am falschen Ort zur falschen Zeit
ОглавлениеGeologisches „Problematikum“
Wie kommt der versteinerte Abdruck einer Reifenspur in die geologische Schicht der Dinosaurierära? Erinnerungen an Familie Feuerstein? Mit diesem Rätsel werden Besucher des Thonetschlössls in Mödling bei Wien konfrontiert. Das historische Gebäude beherbergt einen Teil der Sammlung des städtischen Bezirksmuseums. In der geologischen Abteilung liegen in einer Vitrine Gesteinsbrocken aus der heimischen Kreidezeit, die irritieren. Sie zeigen regelmäßige, wabenähnliche Gittermuster, die verblüffend an Reifenspuren heutiger Mopeds oder Autos erinnern. Daneben ist ein Cartoon mit einem Motorrad abgebildet, mit dem Text: „Entstand diese Lebensspur damals auf ähnliche Weise?“
Was scherzhaft gemeint ist, erklärt aber nicht den Ursprung der Abdrücke. Geologen nennen diese Spuren Paleodictyon. 1850 wurden sie erstmals entdeckt und beschrieben. Als Erklärung wird angeboten, dass die versteinerten Strukturen durch unbekannte Urzeitorganismen, Aktivitäten einzelliger Spurenfossilien oder durch tatsächliche Skelettabdrücke von Körperfossilien entstanden sind. Ebenso werden chemische Umweltfaktoren ins Spiel gebracht. Eine natürliche Erklärung ist die vernünftigste, kurios sind die urzeitlichen „Reifenspuren“ allemal.
Welches Fossil der Urzeit hinterlässt „Reifenspuren“?
Ungeklärte urgeschichtliche und archäologische Funde, die völlig aus der Reihe tanzen, schaffen es immer wieder, die Gemüter der Gelehrtenwelt zu erhitzen. Die Fachwelt bezeichnet diese „regelwidrigen“ Entdeckungen als OOPArt, eine Abkürzung für Out-of-Place Artifact („Artefakte am falschen Platz“).
Der US-Kryptozoologe Ivan Terence Sanderson (1911 – 1973) prägte diesen Begriff für historische, archäologische und paläontologische Funde, die nicht ins vertraute Schema passen. Zu diesen Grenzfällen der Archäologie gehören handwerkliche Gegenstände wie Eisennägel, Schrauben, Gefäße, Schmuck oder menschliche Knochen, die angeblich bei ihrer Auffindung komplett von Gestein umschlossen waren. Aus dem Zeitalter der industriellen Kohlewirtschaft ab dem 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts liegen besonders viele Protokolle vor.
Eine OOPArt-Entdeckung führt in die USA ins Jahr 1880. Damals baute ein Ranger in den Bergen von Colorado Kohle ab. Das Material stammte aus einem Schacht, welcher 90 Meter in die Tiefe führte. Jeden Tag nahm er davon eine Fuhre mit nach Hause. Daheim stellte er fest, dass die Kohlestücke zu groß zum Verbrennen waren. Er zerkleinerte einige davon – und heraus fiel ein eiserner Fingerhut. Das Fragment wurde in der näheren Umgebung bald als „Evas Fingerhut“ berühmt, blieb aber nicht lange erhalten. Das Metall erwies sich als sehr bröckelig. Schließlich ging das Relikt verloren. Die Kohle, in dem der Gegenstand angeblich eingebettet war, war Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren entstanden.
Zweifel am Wahrheitsgehalt solcher Meldungen sind berechtigt. Schon deshalb, weil nur wenige Beweisstücke für Untersuchungen erhalten sind. Zu den bekanntesten Gegenständen aus der Galerie skurriler erdgeschichtlicher Funde zählt ein „fossiler Hammer“, der 1934 bei London in Texas entdeckt wurde. In der Literatur kennt man ihn als „The London Artifact“. Während einer Wanderung im Juni 1934 stieß die 32-jährige Emma Hahn mit ihrer Familie auf das eigentümliche Überbleibsel. Aus einem Felsbrocken ragte ein Stück Holz hervor. Neugierig begutachtete man das Mysterium und versuchte es freizulegen. Dann das Unbegreifliche: Das Holz entpuppte sich als Holzstiel eines Hammers! Staunen und ungläubiges Kopfschütteln überkam die arglosen Wanderer. So etwas konnte es doch nicht geben! Denn das Gestein, in dem der Hammer eingeschlossen war, musste ein Alter von vielen Millionen Jahren aufweisen. Eine urzeitliche Epoche, in der – unserem Weltbild zufolge – kein menschliches Leben existiert haben kann. Wer aber sollte sonst dieses Werkzeug angefertigt und liegen gelassen haben, wenn nicht ein Mensch? Heute wird der Hammer von militanten Verfechtern der Schöpfungslehre als Indiz gegen Darwins Evolutionslehre ins Feld geführt. Skeptiker hingegen halten es für viel wahrscheinlicher, dass ein Bergarbeiter im 19. Jahrhundert das Werkzeug verloren hat. Später sei es dann vom Sedimentgestein umschlossen worden.
Ein anderer bizarrer Fund, der die Geschichte überdauert hat, ist ein Eisenbecher, der, so wird behauptet, 1912 in Arkansas beim Aufschlagen eines Kohlebrockens zum Vorschein kam. Es gibt dazu eine eidesstattliche Erklärung, aus der hervorgeht, dass der Behälter bei seiner Entdeckung in einen Klumpen Kohlegestein eingebettet war. In dem beglaubigten Dokument vom 27. November 1948, das von Finder Frank Kennard aus Sulphur Springs im US-Bundesstaat Arkansas stammt, wird der ungewöhnliche Vorfall bezeugt: „Während ich 1912 für die Municipal Electric Plant (Anm.: Städtisches Elektrizitätswerk) in Thomas, Oklahoma, arbeitete, stieß ich auf einen soliden Brocken aus Kohle, der zu groß war, um ihn weiter zu verwenden. Ich brach ihn mit einem Vorschlaghammer auseinander. Dabei fiel dieser eiserne Topf aus dem Inneren des Brockens und hinterließ seinen Formabdruck in einem Stück aus Kohle. Jim Stull (Anm.: ein Angestellter der Firma) war Augenzeuge in dem Moment, als das Gestein aufgebrochen wurde, und sah ebenfalls den Topf herausfallen. Ich versuchte, den Ursprung der Kohle herauszufinden, und stellte fest, dass sie aus der Oklahoma Mine in Wilburton stammt. Sign. Frank Kennard.“ (C. E. Baugh, „Dinosaur“)
Der Eisenbecher und der Hammer sind Musterbeispiele für kuriose Unikate. Sie waren 2001 in der vom Kulturmanager Klaus Dona realisierten und von mir mitinitiierten Ausstellung „Unsolved Mysteries – Die Welt des Unerklärlichen“ im Wiener Schottenstift zu sehen. Hier wurden Hunderte archäologische Rätselfunde aus aller Welt erstmals im Original präsentiert und zur Diskussion gestellt. 2004 wanderte die Schau weiter in die Schweiz nach Interlaken in den „Jungfrau-Park“, der damals noch „Mystery-Park“ hieß.
Ein großes Sammelsurium solcher OOPArt hortet der US-amerikanische Kreationist Carl Baugh in seinem 1984 gegründeten „Creation Evidence Museum“ in Texas. Vordergründig wohl aus religiöser Überzeugung. Neben dem „fossilen Hammer“, dem „eisernen Becher“ und der Kopie der eidesstattlichen Urkunde des Finders gibt es dort noch jede Menge weitere „Evolutionsfallen“ zu sehen, die am gesunden Menschenverstand zweifeln lassen. Ein versteinerter Schuhabdruck mit einem zertretenen Urzeitkrebs aus dem Erdmittelalter gehört genauso dazu wie ein menschlicher Riesenfinger und Steinplatten mit Hand- und Fußabdrücken, die angeblich aus der Saurierepoche stammen.
Wenn die Fundstücke echt sind und immer wahrheitsgetreu berichtet wurde, die erdgeschichtlichen Zeittafeln stimmen und die Relikte tatsächlich so alt sind wie das Gestein, in dem sie aufgefunden wurden, haben wir ein Problem. Dann wären sie nämlich Abermillionen Jahre vor dem Auftauchen der ersten nachweisbaren menschlichen Vorfahren entstanden. Wie kann das sein? Könnten die Hinterlassenschaften von einer unbekannten Hochkultur stammen, die lange vor unserer Zeit existierte? Damit wäre unser vertrautes Weltbild auf den Kopf gestellt. Geologen und Paläontologen sind skeptisch. Sie halten eine neuzeitliche Herkunft vieler Spielarten von OOPArt für wahrscheinlicher. Aber wie können Objekte innerhalb von nur wenigen Jahrhunderten oder gar Jahrzehnten von Gesteinsmassen völlig umschlossen werden? Eine Theorie der Geowissenschaft besagt, dass ein chemisch-geologischer Prozess der Natur damit zu tun hat, der als Konkretion bezeichnet wird. Wenn mineralreiches Wasser verdampft, hinterlässt es feinkörnige Rückstände, die rasch anwachsen können, bis sie einen Gegenstand umschließen. Ein natürlicher Vorgang, der keine Millionen Jahre überbrücken muss, versichern Geologen.
Das Dilemma bei der wissenschaftlichen Überprüfung: Es gibt keine Vergleichsanalysen der Gesteinsarten am Fundort, in denen die entdeckten Artefakte wie behauptet eingeschlossen waren. Gleiches gilt für fehlende Kohlebrocken mit den hinterlassenen Formabdrücken der fraglichen Gegenstände. Wir müssen dennoch nicht gleich an Schwindel und Scherze denken, aber eine Unsicherheit schwingt bei der Beurteilung archäologischer „Verrücktheiten“ immer mit: die überlieferten Fundumstände. Wie zuverlässig sind sie? Und: Ziehen wir aus den vorhandenen Daten immer die folgerichtigen Schlüsse?