Читать книгу Wenn Alpträume wahr werden ... - Reinhard Heilmann - Страница 10

Kapitel 7

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Auch wenn Kapitän Crevette gemeint hatte, es besser wissen zu können, konnte keiner der Beteiligten oder darin Verwickelten mit dem Inhalt der Styroporkisten irgendetwas anfangen oder versuchen, den Inhalt auf eigene Faust zu ‘versilbern‘. Das bißchen milchigtrübe Flüssigkeit in den Gläschen, die in einer Aluminiumröhre, umgeben von etwa zwei Zentimetern eines weißlichengrauen Pulvers steckte, war für die wenigen Neugierigen, die einmal einen Blick in die Kiste riskiert hatten, ohnehin nur Ablenkungsmanöver, so vermuteten sie jedenfalls. Diese zähe Flüssigkeit sollte irgendeine chemische Substanz vortäuschen, um von diesem Pulver, das, meinten sie, sei der eigentlich wichtige Verpackungsinhalt, abzulenken.

Den wirklichen Wert dieser Pakete kannten nur wenige Einzelpersonen. Die anderen, die Nichteingeweihten, und auch das war Teil der Verwirrstrategie, konnten den Wert des Inhaltes auch nur schätzen. Da sie davon ausgingen, dass es sich um eine Art Droge handelte, die zur Weiterverarbeitung in Speziallabors behandelt werden musste, waren Anhaltspunkte lediglich Gewicht und Volumen. Auch Kapitän Crevette hätte mit dem Inhalt nichts anfangen können, denn ohne Wissen über den weiteren Versandweg, den letzten Empfänger und die Methode zur ‘Weiterbehandlung’ war diese sonst so kostbare Fracht wertlos.

Es war auch nicht Kapitän Crevette, der etwas in dieser Richtung

unternommen hatte.

Ein kleiner dunkler südländischer Typ mit Schnurrbart war es, der ihn eines Tages am Pier ansprach und ihn in ein Gespräch verwickelte.

Das war Anfang Juni gewesen, kurz nachdem Crevette seinen zweiten Kuriertransport mit diesen vermeintlichen Drogen hinter sich gebracht hatte.

Später bei einem Glas Roten bei Néné, verplapperte sich Crevette oder war es nach dem vierten Pernod?, jedenfalls rutschte ihm so ‘raus und sicherlich war auch ein bisschen Angabe dabei, dass er für diese Extra-Touren so mal eben Zehntausend erhalten würde.

Der kleine Dunkle hatte nicht nachgegeben und sich in sein Opfer regelrecht verbissen; er wusste worum es ging. Er hatte sich Crevette gezielt ausgesucht und ihn bereits seit dem 30. Mai beobachtet, dem Tag, an dem Crevette die zweite Sendung erhielt. Nicht nur aus Zufall war der kleine Dunkle hier, sein Nachname fing mit P. an.

Wer war P. und was hatte er mit all’ dem zu tun?

P. war seit Mitte April als Observant für Daniel Herrmann Wong tätig gewesen!

Er hatte sich im Laufe seiner Beobachtungen so manches zusammengereimt und sich auch tatsächlich eines nachts in das Gebäude, vor dem die auf den Fotos offensichtlich festgehaltenen Übergaben stattgefunden hatten, Zugang verschafft. Ihm gelang es, eine steckengelassene Codekarte aus einem Identifizierungsleser zu entwenden und eines dieser ominösen Glasröhrchen mit der trübmilchigen Flüssigkeit in den Aluminiumröhrchen an sich zu bringen.

Dottore Marconi, ein alter Schulfreund von P., den er daraufhin gebeten hatte, die Inhaltsstoffe zu analysieren, hatte keinerlei Schwierigkeiten gehabt festzustellen, dass ein Teil der Proben, die P. ihm nach Mailand geschickt hatte, eine Alge war, genauer

gesagt der pulverisierte Panzer einer Alge der Gattung Diatomée, das war relativ leicht zu analysieren gewesen. Die andere Substanz konnte Marconi chemisch nicht analysieren, dazu reichte seine Laboreinrichtung nicht aus. Die darauffolgende Bestimmung unterm Elektronenmikroskop etwas später allerdings war so ungeheuerlich und so wahnsinnig und unglaublich ...

Eine Bombe für P. als er den entsprechenden Bericht seines Freundes las.

All‘ das bestätigte seine Vermutung, dass dieses Pulver allein nicht den ganzen Aufwand rechtfertigte, dazu waren die Mengen viel zu gering, was P. aus seinen früheren Erfahrungen während seiner damaligen Laufbahn gut genug einschätzen konnte. Als er später durch Crevette noch erfuhr, wie viel allein der für den Transport bekam, war dies eine weitere Bestätigung für seine inzwischen angestellten Recherchen. Auch wenn P. damit immer noch nicht ganz auf der richtigen Spur war, immerhin stimmte die Richtung.

Die Ergebnisse seiner Nachforschungen über internationale

Veröffentlichungen zu legalen und illegalen ‘Produktionen’ dieser ‘Substanzen’, zu den Vertriebswegen und den ‘Techniken’ waren langwierig gewesen und nicht einfach, doch immerhin so beeindruckend, dass P. schließlich in etwa den Marktwert kannte: zwischen zehntausend und fünfundzwanzigtausend Euro je nach Qualität und Ausgangssubstanz für den Inhalt nur eines einzigen Röhrchens! Abhängig von der Nachfrage war teilweise noch erheblich mehr zu erzielen!

Alle diese Informationen hatte P. allerdings nur bruchstückhaft an seinen Auftraggeber Daniel Herrmann Wong weitergegeben, denn

irgendwann hatte P. im Laufe seiner Ermittlungen beschlossen, dieses Geschäft “ein wenig“ auf sich selbst zu verlagern.

Er hatte sich ausgerechnet, dass allein eine einzige Sendung beim

Weiterverkauf soviel einbringen müsste, dass es sich lohnen würde, eine andere Identität anzunehmen, sich einer gesichts-chirurgischen Operation zu unterziehen, um danach vermeintlich unbescholten und unerkannt ein feines Leben in Luxus und Bequemlichkeit irgendwo an einem schönen Plätzchen dieser Erde zu genießen.

P. hatte sich hierfür in Ruhe einen Plan zurechtgelegt und war dann auf's Geratewohl einem der nächtlichen Kuriere gefolgt: dem Peugeot-Boxer.

Bedauerlicherweise konnte er den Versandweg und damit Crevettes ‘Marie-Louise’ von Zeebrugge aus nicht weiter folgen,

darauf war er nicht vorbereitet. Ein Boot zu stehlen, um dem Kutter zu folgen, wäre zu auffällig und zu riskant gewesen. Für eine Charter hatte er nicht genügend Kleingeld einstecken. Aber er würde nicht locker lassen, irgendwie würde er bekommen, was er wollte, denn die Fülle der inzwischen von ihm gesammelten Informationen war Grund genug, sich eine entsprechende Strategie zurechtzulegen und einen Plan auszuarbeiten. Dieser Plan musste so angelegt sein, dass P. hinterher auch gleichzeitig der Rücken freigehalten würde; denn eine Organisation wie die, die dahinter stecken musste und international, weltweit agierte, ein gut organisiertes Netz aufgebaut zu haben schien, würde es sich nicht einfach gefallen lassen, wenn ihr Ware im Werte von leicht einer halben Million Euro einfach so "abhanden kommen würde".

Aber wie konnte P. an die eigentlichen Drahtzieher, die Hintermänner gelangen oder sollte er einen ganz anderen Weg gehen? Denjenigen das anzubieten, das er ihnen kurz zuvor gestohlen hatte und sie damit erpressen zu wollen, da es sich bei der "Ware" und deren Verkauf nicht nur hierzulande um höchst illegale Geschäfte handelte, könnte schneller sein Todesurteil bedeuten, als er sich ausmalen konnte. P. musste sich also eine exzellente Rückendeckung verschaffen, es gab einfach zu viele unvorhersehbare Fehler, die er vermeintlich machen würde, als dass er sich einem derart großen Risiko aussetzen dürfte.

Wie aber sollte er vorgehen?

Die Leute inserieren ja nicht gerade in der Zeitung!

P. kam eine Idee: das internationale Datennetz, zugänglich über jeden Rechner mit direkter Telefonanbindung, worüber sämtliche verfügbaren Informationen sowohl abgerufen, als auch teilweise in unmittelbarer Kommunikation verarbeitet werden konnten! Genau das Medium, über das man weltweit kommunizieren konnte und, wenn man wollte, auch noch anonym blieb. Über das man anbieten konnte, was man wollte, ohne belangt werden zu können, ob Kinder-Pornos, Drogen, Bauanleitungen für Atombomben, nicht zugelassene Medikamente ... Ein bekanntes Cafè in Hannover, wo entsprechend vernetzte Rechner zur Benutzung für jedermann gegen Entgelt bereitstanden, wie anderswo gegen Münzeinwurf frei bedienbare Geräte, würde ihm dem potentiellen Abnehmer schon näher bringen. Und das war dann auch tatsächlich der Weg, der P. zu dem Abnehmer führte, den er für diese brisante Ware brauchte.

Allerdings bot P., zwar recht detailliert und von den Mengen her exakt, dennoch etwas anderes an, als er später liefern würde. Den Unterschied, denn im Grunde war es ja g l e i c h, würde man erst sehr viel später merken, wenn es dann sowieso zu spät und nicht mehr rückgängig zu machen war. Aber auch das wusste P. ja nicht, er war in gutem Glauben, eine “saubere” einwandfreie Ware zu liefern.

Nach dreimaligem Wechsel des Kommunikationsstandortes, von dem aus P. seine Aufrufe und Angebote im System inserierte, kam dann endlich die von ihm vorgeschlagene Antwort: eine Anzeige in der überregionalen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstagsausgabe, unter der Rubrik ‘Veranstaltungen’ mit der verschlüsselten Angabe eines Treffpunktes und eines Angebotes, beides freibleibend, versteht sich. P. hatte laut codiertem Text, dessen Verschlüsselung anhand eines beim BND üblichen Systems er selber vorgeschlagen hatte, in der Absicht, hierdurch gleichzeitig zu testen, ob der ‘richtige’ Kunde auch ‘groß’ genug war, Einfluss und Möglichkeiten für den Zugang zu dazu benötigten geheimen Unterlagen zu bewerkstelligen, eine Probe seiner Ware an einer Raststätte im Harz deponiert.

Alles ganz unverfänglich und keine Möglichkeit, die Ware bis zu P. zurückzuverfolgen.

Der Kunde war zufrieden und bot einen Betrag an, der bei P. auch die letzten Skrupel überwinden half. Den Termin konnte P. allerdings noch nicht zusagen, er rechnete mit Lieferung in den kommenden acht Wochen.

Die Inszenierung konnte beginnen und P. traf bereits konkrete Vorkehrungen für sein Abtauchen nach dem Coup. Er legte eine so raffinierte falsche Fährte, dass später der Eindruck entstand, er sei durch seinen Observationsauftrag irgendwie in Druck geraten und musste schnellstens von der Bildfläche verschwinden. Als vermeintlichen ‘Beweis‘ verzichtete er gern auf eines der Glasröhrchen, das dazu beitragen sollte, den Verdacht garnicht erst auf ihn zu lenken.

Mit dem 20. Juni brach P. seine Observation angeblich ab, beobachtete jedoch seitdem aus einer anderen Position die regelmäßigen Transporte und wartete nur noch auf den Peugeot-Boxer, den Kurier, der die Sendung für Kapitän Crevette dabeihatte, denn mit dem hatte er inzwischen eine Vereinbarung getroffen.

*

Am 29. Juni war es endlich soweit.

P. hatte Crevette gegenüber dann so getan, als wenn irgendein Unbekannter die Ware aus dem Schließfach übernehmen und Crevette bezahlen würde, er, P. sei nur Mittelsmann. Einerlei auch, ob Crevette ihn später über irgendwelche Interpolunterlagen identifizieren könnte, vielleicht möglich über P.’s früheren Rang eines Colonello der italienischen Carabinieri, allerdings würde ihn nach der geplanten Gesichts-Operation eh’ niemand mehr wiedererkennen.

Leid tat es ihm schon ein wenig um Kapitän Crevette, den er so hintergehen musste und P. hatte wenigstens die Absicht gehabt, Crevette später ein paar Euro ‘Entschädigung’ aus anonymer Quelle zukommen zu lassen. Als Ersatz für die ‘Blüten‘, die er ihm andrehte. Aber das erübrigte sich später dann ja.

P. hatte sich durch gezielte Fehlinformationen und durch das Legen falscher Fährten so gut getarnt und seine Identität geschützt, dass er später beinahe der einzige irgendwie Beteiligte war, auf dessen Verbindung zu diesem Fall, außer über die Observation, überhaupt kein Schatten fiel; er war seit dem 20. Juni einfach verschollen.

Im Grunde hatte er ja auch nur die Vertriebswege ein wenig durcheinander gebracht ...

*

„Eine Pause?” fragte der Vorleser sein Gegenüber, „oder willst Du gleich wissen, wie es weitergeht?”

„Das ist ja eine haarsträubende Geschichte”, sagte der Mann, der tief zurückgerutscht in dem großen Sessel saß und zweifelnd den Kopf schüttelte: „Wenn ich das alles richtig verstanden habe, ging es da um irgendeine ominöse Substanz; um was, weiß ich immer

noch nicht, die offenbar in den Labors der A-Sekte hergestellt wurde, die dann über verschiedene Kanäle weiter versandt wurde. Wohin, weiß ich auch noch nicht! Von den Kurieren hat sich offenbar einer verselbständigt, der selber noch mehr Geld damit machen wollte. Und dann ist da dieser Beobachter, dieser ominöse P., der verschiedene Übergaben beobachtet hat und seinerseits wohl den Kurier über`s Ohr hauen wollte, Genaues weiß ich allerdings auch noch nicht und in diesem ganzen Durcheinander mussten bisher auch noch fünf Menschen ihr Leben lassen, wegen, für oder aufgrund dieser Substanz oder aufgrund ihres Wissens darum.

Was ist denn mit diesem Wong, was hatte der damit zu tun und wieso ermittelt hier bei uns jemand aus Hongkong?”

„Wart’s ab, demnächst erfährst Du mehr, wenn Wendehals und Mertens diesen Chiang kontaktiert haben und das Ergebnis der Spurensicherung in Wong’s Wohnung wird auch noch einige Überraschungen bringen. Und dieser P. war, wie sich später zeigen wird, auch nur ein Mosaiksteinchen im großen Muster, der unfreiwillig half, einen kleinen Teil der Zusammenhänge aufzuhellen. Dazu später mehr. Also machen wir weiter?“, fragte der Mann, der irgendwie schon immer von Anfang an in das alles involviert war, setzte das Einverständnis seines Gegenübers voraus, blätterte auf eine neue Seite und fuhr fort ...

Wenn Alpträume wahr werden ...

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