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Kapitel 9

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„Habe ich vorhin zu Hauptmann Chiang ‘Zufall’ gesagt?“ fragte sich Wendehals. Zufall war das nun sicher nicht, weder das eine, noch das andere; und Zufall war es auch nicht, dass gerade das und jenes passierte und nicht etwas anderes. Zufall war nun gerade überhaupt nicht das, was Wendehals’ Denkungsweise entsprach. Er war vielmehr ein Mann, der der Überzeugung war, dass alles was, wie, wo und in welchem Zusammenhang es passierte, eine überirdische Verbindung und Beziehung zueinander hatte und alles einem bestimmten Ziel diente, miteinander zusammenhing. Auch wenn wir uns diese Zusammenhänge nicht erklären konnten und rational auch keine Erklärung möglich war, gab es doch eine vorbestimmte Richtung,

eine Verknüpfung von Umständen und Geschehnissen, die zwar Varianten vorsahen, quasi wie an einer Kreuzung, an der man sich für die eine oder andere Richtung entscheiden musste. Aber selbst diese Entscheidung war bereits geprägt durch sphärische Einflüsse, durch Gefühle, durch Vorlieben, durch genetische Vorgaben, sei es durch chemische Abläufe im menschlichen Körper, die über gut und weniger gut entschieden, über positive oder negative Gefühle, sei es durch die Sichtweise jedes einzelnen, geprägt durch das jedem eigene individuelle Erleben. Für Zufälle blieb da nur ein sehr geringer Spielraum!

Aber das hieß für Wendehals auch gleichzeitig, dass dieser scheinbar undurchdringliche ‘Nebel’, der noch die klare Sicht zu den Geschehnissen und den Verknüpfungen verhinderte, über kurz oder lang aufreißen würde und sich ein Spielstein zu den anderen fügen würde, um schließlich ein komplettes Gesamtbild zu formen und Täter, Zusammenhänge, Ursprünge und Gedanken- und Handlungswege entschleiert würden.

Genau, das war es! Wendehals wusste jetzt, welche Strategie er anwenden musste, wie er es früher immer gemacht hatte und

ihm oft der Erfolg sicher war, auch wenn seine Kollegen damals wenigstens nicht immer einer Meinung mit ihm gewesen waren. Wendehals war noch jung im ‘Geschäft’, gerade von der Polizeischule gekommen, ein paar Kurse zusätzlich absolviert und eben noch ziemlich ‘grün’ hinter den Ohren; aber seine Strategie war bestechend und erfolgreich und das war nichts anderes als:

er hatte sich eine große Fläche gesucht, je größer, desto besser; eine freie Wand oder so etwas oder ein Bettuch, an die Wand genagelt und gespannt, was sich eben realisieren ließ. Auf diese Fläche hatte er dann Baustein für Baustein eines Falles anscheinend wahllos angebracht, niedergeschrieben oder durch Fotos belegt oder angeordnet; ein Sammelsurium aller bekannten Fakten.

Aus diesem Wirrwarr hatte er dann begonnen, Verbindungen zu den einzelnen Objekten zu suchen und Linien zu schaffen, die

auf den ersten Blick nicht zueinander gehörende Umstände in ein gemeinsames, anderes Licht rückten. Langsam, Stück für Stück kam so Sinn in das Bild und entstand aus kleinsten Elementen ein großes Ganzes.

Genau das war es, was Wendehals schon lange nicht mehr angewandt hatte, was ihm zwar offensichtlich in den vergangenen Jahren nicht mehr gefehlt hatte, weil vielleicht die Routine und Erfahrung bereits in seinem Kopf Bildstücke zu einem Überblick zusammenformten.

Aber hier schien es sich um einen besonders komplexen und verwirrenden Fall zu handeln, bei dem es leicht geschehen konnte, dass das eine oder andere Belegstück verlorenging oder einfach von anderem überdeckt wurde oder nicht in dem richtigen Zusammenhang gesehen wurde, wenn man es nicht einfach akribisch erst sammelte, alles auf einen Haufen warf, keines davon allerdings unachtsam beiseitelegte, auch wenn es noch so unbedeutend schien, dann alles auseinandersortierte und gleichwertig nebeneinander drapierte und so schließlich mit an

Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwann ein Gesamtbild entstehen würde. Mochten auch noch Teile fehlen oder ganze Sequenzen, der Rest, das, was sich bereits zusammenfügte, würde den richtigen Weg schon weisen.

„Sagen Sie mal, Mertens, haben Sie was dagegen, wenn wir die Bilder dort drüben einfach abhängen, den Aktenschrank etwas beiseite rücken und den Garderobenständer dort in die Ecke stellen, uns einen Eimer weiße Farbe besorgen und die Wand dort umstreichen?” fragte Wendehals seinen verdutzten Kollegen und fügte allerdings zu dessen besserem Verständnis gleich noch hinzu: „Ich habe da eine bestimmte Vorgehensweise, die mir am Anfang meiner Laufbahn sehr geholfen hat und ich möchte das ganz einfach wieder einmal anwenden, ich bin mir sicher, meine Strategie wird uns ein gutes Stück weiterbringen, was meinen Sie dazu?”

„Abgesehen davon, dass dies mein Dienstzimmer ist und ich sicherlich werde bestimmen können, wie die Wände hier gestrichen sind, wenn nicht gerade rosa oder lila, im übrigen hat mir dieses Polizeigrünpastell sowieso noch nie gefallen, denke ich, wird dagegen nichts einzuwenden sein. Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Kollege, die Schreibtische hier müssen nicht ‘raus, oder? Und die Schreibmaschinentische? Und was meinen Sie, wird das Waschbecken stören und sollen wir die Tür zum Nebenraum zumauern, oder können Sie damit leben?” erwiderte Mertens mit einem fragenden Schmunzeln.

„Ganz so schlimm wird es nicht werden. Passen Sie auf, hier dieses Blatt, ich werde ihnen erklären, was ich vorhabe”, und Wendehals skizzierte auf einem weißen DIN A-4 Blatt, was er meinte. „Im Moment bestehen unsere Fakten und Daten aus Aufzeichnungen in unseren Notizbüchern und aus den mittlerweile fünf Blatt dort auf der Notiztafel, die ja immerhin schon einen größeren Überblick gestattet. Aber das Umblättern, das ewige

Suchen nach Verbindungen, Parallelen und Kausalitäten. Hier, überall dorthin, wohin ich jetzt Sternchen zeichne, kommen Fakten, Informationen, Fotos, Daten, einfach alles, was wir in diesem Fall bereits zusammengetragen haben und was wir noch ermitteln werden und das auf die vergleichsweise riesige Fläche, sodass wir endlich alles mit einem Blick erfassen können. Scheinbar wahllos, ohne System. Sobald wir sämtliche Fakten irgendwie in das Schema, das noch keines ist ..., kommen Sie mit, Herr Kollege oder bin ich Ihnen zu schnell?” - Doch ohne auf eine Antwort zu warten fuhr Wendehals fort: „Ich meine natürlich die Wand, nicht dieses mickrige Blatt Papier! Dort die Wand, die komplette Wand”, und Wendehals ging zwei Schritt zu der Wand, die er meinte und holte weit aus mit beiden Armen und fächerförmig beschrieb er die Fläche, „vielleicht so zweimeterzwanzig auf sechs Meter wird vollgekleistert mit unseren bisherigen Informationen. Durch die anscheinende Fülle von Informationen, die unübersichtlich und verwirrend zusammengefügt zu sein scheinen, aber eben nur auf den ersten Blick, wird sich, das kann ich Ihnen versprechen, wird sich allmählich und Glied für Glied ein Gesamtbild herauskristallisieren.

Gerade durch diese optisch verwirrende Vielfalt, die aber auch nicht den geringsten Hinweis auslassen darf, wird unser Unterbewusstsein uns zur Hilfe kommen und wird das, was wir im Grunde schon längst wissen, was uns nur noch nicht bewusst geworden ist, weil unser Datenspeicher da oben”, und tippte sich dabei an den Kopf, „mit so vielen Informationen überfordert ist, dass oft kleinste Krümel auf der Oberfläche, die die Krümel eines gesamten Kuchens sind, übersehen und ins Unterbewusstsein verdrängt werden.

Die Tatsache, dass unseren Sinnen nichts verlorengeht, wir einzig den Weg finden müssen, diese Informationen, die von anderen überlagert werden, auch abzurufen, also den richtigen Modus zu finden, diese Daten wieder auf den Bildschirm zu spielen, um sie

weiter verarbeiten zu können: das ist das ganze Geheimnis!”

„Hört sich genial an”, meinte Mertens und sah seinen Kollegen

bewundernd an, „Sie meinen, wir schreiben dann einfach alles irgendwohin oder kleben die Fotos an oder Zettel oder sonstwas und versuchen dann eine Gemeinsamkeit herauszufinden?”

„So ungefähr”, gab Wendehals zurück, „wir müssen natürlich eine Möglichkeit finden, sämtliche Einzelinformationen einfach entfernen und anders umordnen zu können, dass heißt mit anderen Worten, wir werden Zettel oder Fotos oder Zettel mit Daten und Informationen oder Symbole oder andere Informationsträger verwenden, die wir einfach umbauen können, also mit Zwecken an die Wand heften oder ähnlich... Ich hatte da mal eine tolle Gelegenheit mit Magneten zu arbeiten, als wir in einer Notunterkunft während Renovierungsarbeiten der Diensträume untergebracht waren, in einer Notbaracke, deren Wände aus Metall waren. Aber wir müssen hier natürlich nicht soweit gehen und die Wände mit Metallplatten auskleiden”, grinste Wendehals und war sichtlich mit seiner Idee zufrieden.

Wenn Alpträume wahr werden ...

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