Читать книгу Wenn Alpträume wahr werden ... - Reinhard Heilmann - Страница 15

Kapitel 12

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Der 15. Juli begann mit einem dunstigen Morgen, hinter dessen

feuchten Schleiern sich bereits die Hitze des Tages ahnen ließ.

Für die Beteiligten am Projekt Platon, im Polizeijargon richtiger

SOKO Platon, war es ein langer Freitagabend geworden

und Mertens und Wendehals waren die letzten gewesen, die die ‘Arbeitszentrale’ gegen 0:30 Uhr verlassen hatten.

Immerhin stand jetzt das Wochenende bevor, normalerweise.

Allerdings würde die Uhr der zu befürchtenden weiteren Abläufe auch vor einem Sonnabend keinen Halt machen und gnadenlos weiterticken. Und da auch zu befürchten stand, dass der Kern des noch Unüberschaubaren, die Wurzeln der Lösung dieses Falles irgendwo in Fern-Ost oder gar in den Staaten liegen würde und die Menschen dort in ihrer Arbeitswelt anderen Gesetzmäßigkeiten unterlagen, hatten die beiden Kommissare beschlossen, auch diesen Tag nach einem späten und ausgedehnten Frühstück der Aufklärung zu opfern und hatten sich anonym für einen Wochenend-Entspannungskurs der A-Sekte einschreiben lassen, für den es galt heute am Samstag um 14:00 Uhr zur Einführungsübung anzutreten.

*

Es erwartete die beiden ein riesiges unüberschaubares Gelände,

eine parkähnliche Anlage. Die Gebäude waren jahrhundertealte Herrenhäuser aus schweren Sandsteinquadern.

Tatsächlich: an dem rechten Flügel des circa dreieinhalb Meter hohen Doppeltores mit gotischem Spitzbogen hing die zweite Angel von sechsen nach unten. Die geschmiedeten Angeln wiesen die bourbonische Lilie in nach außen zeigenden Doppelbögen auf. Hier waren sie genau richtig, vor diesem Tor hatten irgendwann nachts die fotografierten Übergabeaktionen stattgefunden.

Es gab eine freundliche Begrüßung mit Vornamen und Handschlag, eine familiäre Atmosphäre. Das Zimmer allerdings, in dem die beiden untergebracht waren, stand in krassem diametralem Gegensatz zur Wuchtigkeit des Gebäudekomplexes.

War das Zimmer klein, war der Schrank noch kleiner und ganz klein das Bad, sodass sich Wendehals fragte, ob er da jemals

wieder herauskäme, einmal darin verkantet.

Und dass auf so wenig Raum so Vieles kaputt sein konnte!?

Die Spiegelkonsole im Bad hatte eine derart fatale Schräglage nach vorne unten, dass sie erst einmal mit einer mehrfach geknickten Zahnpastaverpackung abgestützt werden musste. Auch die Seifenschale zeigte die gleichen Symptome, ihr fiel ein zweimal geknickter Bierdeckel zum Opfer, der ohnehin bereits Generationen von gelben Rändern aufwies. Der Wasserhahn über dem winzigen Becken spritzte einem nur dann nicht auf die Hose, wenn man ihn zugedreht ließ. Mertens hing seine Lederjacke an einen überstehenden Bilderhaken, da nirgendwo eine andere Aufhängemöglichkeit entdeckt werden konnte. Der zweite Stuhl, der zum Sitzen am Tisch gedacht war, war in der hinteren Hälfte durchgebrochen. Der Rest war ohnehin zum Sitzen am Tisch ungeeignet, da die Sitzfläche viel zu hoch war; dafür eignete er sich als Schreibunterlage, da zudem der vierkufige Tisch irreparabel wackelte.

Da das Kopfteil des französischen Doppelbettes abgebrochen war, war das Bett ganz an die Wand gerückt worden, damit das Kopfteil nicht umfallen konnte. Der Effekt war allerdings auch, dass man im Bett, so nahe am Fenster, bei geöffnetem Fenster Halsstarre bekam. Und das bei den Außentemperaturen von mittlerweile leicht 30° C, bei denen eine Lüftung lebensnotwendig war.

Das Fenster lag praktischer Weise zudem direkt über dem Haupteingang, über dem eine riesige Lampe prangte, die die ganze Nacht über grelles Licht spendete.

Um das in etwa in Kauf nehmen zu können, existierte ein

Springrollo im Fenster: das war allerdings zu schmal und zu kurz für diese Fensteröffnung, sodass man im Dunkeln ohne Einschalten der ohnehin spärlichen Deckenbeleuchtung mühelos Zeitung lesen konnte.

Der Schrank in einer Nische, die durch den Dusch-Waschbecken-

WC-Schlauch bedingt war, verdrehte sich verdächtig nach einer Seite, sodass Mertens sicherheitshalber ein Sitzkissen als Keil umfunktionierte. Abgesehen davon, dass der Teppichvorleger vor dem Bett beim Betreten die Angewohnheit zeigte, sich am Bettkasten emporzuschieben und abgesehen von den zwei nicht-funktionierenden Lampen im Bad, die dritte musste für die anderen mitarbeiten, gab es genügend Toilettenpapier und den Hinweis, keine Binden in die Toilette zu werfen. Und da für die Nachtbeleuchtung zusätzlich durch einen mehrere Zentimeter dicken Spalt in der Tür zum Flur, der ebenfalls gleißend hell erleuchtet war, gesorgt war, brauchten sich die beiden bei in Frage kommenden nächtlichen Toilettenbesuchen über die Orientierung keine Gedanken zu machen.

Man schien hier trotz der stolzen ‘Schnupperpreise’ keinen größeren Wert auf lästiges Inventar zu legen, mehr nach dem Motto eines Managerseminars: früh Aufstehen, körperliche Entschlackung durch Holzhacken, frisches Quellwasser aus dem Brunnen, je härter die spartanischen Strohlager, desto effektiver, weil weniger abgelenkt die geistige Arbeit, danach ein karges, aber frugales Frühstück ...

Da sich das Kofferauspacken aufgrund des desolaten Zustandes des Schrankes erübrigt hatte, fanden sich Wendehals und Mertens pünktlich um 14:00 Uhr zur Begrüßung ein. Es gab eine Tasse grünen bitteren Tees zum Anstoßen, eine motivierende Ansprache des ‘Anstaltsleiters’ und nach dem gegenseitigen Vorstellen und Vornamennennen, und was man so beruflich mache - Mertens und Wendehals gaben sich als Verlagsvertreter aus - und was man sich von dem Wochenende verspreche, trennten sich die einundzwanzig Teilnehmer in die ihnen zugewiesenen Gruppen, in denen jeweils zu siebt eine erste mentale Lektion absolviert werden sollte. Während die eine Gruppe mit den Grundübungen

in Yoga begann, erlitt die zweite Gruppe die ersten Ganzkörpermassagen und die dritte Gruppe entspannte sich bei Hinduklängen, Räucherölen und rauchigen Dufthölzern.

Sobald Wendehals und Mertens, die es so gedreht hatten, dass sie gemeinsam in einer Gruppe waren, den ersten Entspannungsabschnitt hinter sich hatten, blieben bis zum Abendessen etwa zwei Stunden, Zeit, die für die Erkundung des eigenen Ich und der Transzendenz in andere Daseinsformen unter Zuhilfenahme von entspannenden Kassettenrecorderklängen genutzt werden sollten.

Wendehals und Mertens hatten jedoch etwas andere Pläne...

Sie fanden dann auch relativ schnell den Kellerabgang in die Untergeschosse, da sich ihr Quartier bereits im Haupthaus befand. Dort unten gab es Vorratsräume, eine hauseigene Wäscherei, Lagerräume für altes Mobiliar, das wohl noch maroder sein musste, als das, was in den Zimmern noch Verwendung fand.

Eine altmodische, überdimensionale Grudenheizung, die täglich einmal beschickt werden musste, wahlweise mit Holz, Kohle oder anderen Festbrennstoffen; Lagerraum für riesige Brikettberge;

einen Saunaraum mit angrenzenden Duschen und einen Ruheraum, der über Lichtschächte nach oben mit der Außenwelt verbunden war. Alles war in Neonlicht getaucht von Leuchtstoffröhrenleistenreihen, die überall an den Decken verliefen.

Auch eine intensive Suche in den hier wenigstens zur Zeit menschenleeren Räumen nach einem weiteren Abgang in das von dem Informanten P. beschriebene und von Chiang aus Hongkong zitierte Kelleruntergeschoss verlief anfangs ergebnislos.

Mertens und Wendehals tasteten schließlich die Wände ab, um nach irgendwelchen geheimen Mechanismen zu suchen, die durch

Verschieben oder Dagegendrücken Wände wie von Geisterhand bewegen oder verschwinden ließen. Erfolglos.

Mertens stutzte plötzlich, und irgendetwas in seinem Kopf sagte ihm, dass da etwas war, was so ohne weiteres keine einfache Erklärung fand und so, wie er es sah, störte und unlogisch war: er schaute sich noch einmal um, genau so, wie er es Sekunden zuvor getan hatte, um wieder dieselbe Reaktion seines Unterbewusstseins anzuregen und da erschien es wieder in seinem Gesichtsfeld, nachdem er sich noch einmal um die eigene Achse gedreht hatte:

Mertens blickte auf den Boden, der in hellgrau-weißem Carrara

gefliest war, mit Randfliesen in dunkelgrauen Farbtönen gehalten, sodass sich durch den dunkleren Stein quasi eine Wegbegrenzung ergab, jedenfalls optisch, denn der gesamte Fußboden war gefliest und rechts und links vom dunkleren Grau folgte wieder der beinahe weiße Farbton. Dieser `Weg‘ nun endete unvermittelt und grundlos sozusagen vor dem Saunabereich und zwar, und das war das Merkwürdige, was das Unterbewusstsein von Mertens viel eher bemerkt hatte, als Mertens bewusst wahrnahm, nicht

v o r dem Eingang zur Sauna, sondern gut einen Meter daneben, also direkt vor der senkrecht in Nut und Feder holzverschalten Außenwand!

„Schaun’ Sie mal her”, wandte sich Mertens an Wendehals, „ist das nicht merkwürdig? Gut, vielleicht waren die Räumlichkeiten bei Verlegung des Fußbodens anders als heute, sodass die Erklärung sehr einfach ist. Man hätte dann später eben dort die Sauna aufgestellt, wo es früher in einen anderen, vielleicht abgemauerten Raum ging.”

„Oder der Weg führt auch heute noch weiter!” zweifelte Wendehals, „das ist ja phantastisch, wäre ich nicht so schnell drüber gestolpert”, lobte er seinen Kollegen.

„Dann müsste aber die Sauna irgendwie verschiebbar oder aufklappbar sein oder weiß ich wie zu entfernen; immerhin ein

Drumm von so etwa acht Metern Länge und drinnen ganz schön geräumig, vielleicht fünf Meter tief, Platz für eine ganze Menge von Schwitzbegierigen nach der Anzahl der Pritschen zu urteilen”, gab Mertens zu bedenken.

„Mal sehen, lassen Sie uns mal so tun, als wenn es hier tatsächlich weiterginge. Wir müssen nach irgendetwas suchen, was mit gewisser Leichtigkeit diese Sauna bewegen kann, einen Gabelstapler würden die sicherlich nicht immer benutzen müssen, um da ein und ausgehen zu können, wenn überhaupt ...?” und Kommissar Wendehals fing an, systematisch die Nuten der Kiefernverschalung abzutasten, während Mertens den Boden absuchte, um vielleicht dort, zwischen Bodenoberkante und Saunaunterkante einen Hinweis auf Gleitspuren, Riefen oder ähnliches zu finden. Und richtig, gerade wollte er Wendehals freudig zurufen, dass da etwas zu spüren sei, als Stimmen die Kellertreppe von hinten am Abgang herunterkamen.

Rasch machten die beiden ein paar Sätze über den Flur und versteckten sich in der Möbelrumpelkammer, die wenigstens unbeleuchtet war und verbargen sich lautlos im Schatten alter muffiger Kanapees.

Die Stimmen kamen näher, zwei Männerstimmen, die sich darüber unterhielten, dass die Sauna hier unten überhaupt auch noch weg müsste, damit auch nicht die kleinste Spur blieb,

Kabel, Rohre und Leitungen seien ja inzwischen aufs beste vermauert und verputzt. „Lassen Sie uns mal reingehen”, sagte ein untersetzter Mann mit Vollbart und dicker Hornbrille,

„ich habe da eine Idee, wie man auch diesen Teil so verändern könnte, dass man hinterher nichts mehr sieht und uns trotzdem die Option für später mal bleibt, wenn sich die Unruhe wieder gelegt hat, diese wertvollen Räume wieder verwenden zu können. Ich sage immer: man weiß ja nie!” - Und der Angesprochene,

Dr. C., der Anstaltsleiter, der die Einführungsrede des Wochenendseminars gehalten hatte, stimmte dem anderen zu, der hier offensichtlich der eigentliche Chef war. Beide trugen weiße Ärztekittel und Dr. C. nahm aus seiner rechten Kitteltasche, was Mertens und Wendehals aus ihrem Versteck wunderbar beobachten konnten, ohne selber gesehen zu werden, eine Fernbedienung so in der Art eines Garagentoröffners mittels Laser- oder Kurzwellenstrahlen und das Sesam öffnete sich: beinahe lautlos, lediglich wenige leise Kratzer drangen bis an die Ohren der beiden Kriminalisten, schob sich die Sauna wie von Geisterhand in einem Bogen nach links weg und, garnicht mehr verwunderlich, ging der Marmorweg weiter und führte nach etwa sechs Metern zu einem Geländer, das zu einer Treppe gehörte, die in ein zweites Untergeschoss führte.

„Wenn erst einmal die letzten drei Sendungen hier ‘raus sind, gibt es überhaupt keinen Beweis mehr für die Laborarbeiten, ich hoffe, ihre Organisation klappt auch weiterhin so perfekt und die letzten Kuriere übernehmen morgen Nacht”, meinte der Untersetzte mit Hornbrille und die beiden Männer verschwanden die Treppe hinunter und beinahe lautlos schob sich die Sauna wieder an ihren alten Platz.

Es hatte nur wenige Sekunden gedauert und alles war wieder so,

als wenn nichts gewesen wäre.

„Haben Sie das gehört, Mertens, wir haben ein Mordsglück, da unten lagert offensichtlich noch etwas von dem Zeug, das morgen Nacht abgeholt werden soll. Was meinen sie, werden wir morgen Nacht wohl tun? Jedenfalls sicher kein Auge zu”, frohlockte Kommissar Wendehals und boxte dem Mann neben sich gegen den Oberarm. Wenn Kommissar Wendehals gut drauf war und irgendjemand war gerade in erreichbarer Nähe, konnte es passieren, dass der dann so einen Knuff abbekam, recht schmerzhaft, wenn genau der außen liegende Bizeps getroffen wurde, doch Kommissar Mertens wusste das nicht und konnte entsprechend nicht rechtzeitig ausweichen.

„Autsch”, war die reflexartige Reaktion und während er sich den schmerzenden Muskel rieb, reagierte Mertens allerdings nicht unfreundlich: „Sie haben aber eine ‘liebenswürdige’ Art, aber Sie haben recht, das ist unsere Chance.”

Die beiden schlichen sich wieder vorsichtig aus dem Keller und hatten sich bereits eine Ausrede verabredet, die sie jedem auftischen würden, der sie danach fragen würde, was sie im Keller zu suchen hätten: die Sauna! Sie hatten gedacht die Sauna wäre in Betrieb und wollten mal ein Stündchen schwitzen, deshalb auch die sichtbar in der Armbeuge mitgetragenen Handtücher, die sie sich übrigens aus der Sauna ‘geborgt’ hatten.

*

Die Übungen und mentalen Exerzitien taten recht gut, fanden die beiden und waren tatsächlich entspannend und öffneten ganz neue Welten zum eigenen Ich und zum gedanklichen Umgang mit der Umwelt. Möglich auch, dass das rein vegetarische Essen, der reichlich genossene grüne Tee und die Schaffung einer angenehmen Grundstimmung durch die überall zu hörenden altindischen Klänge und der Duft der Räucherstäbchen ihren Beitrag zur seelischen und körperlichen Reinigung leisteten, jedenfalls war auch das Essen sehr schmackhaft und die abends servierten Tofu-Bouletten waren geschmacklich und im Biß den bekannten Rindfleischhackklößen zum Verwechseln ähnlich.

Neben den ‚Pflichtveranstaltungen‘ blieb den beiden genügend Zeit, sich in Muße und guter Stimmung einen genauen ‘Schlachtplan’ zurechtzulegen, um bestens auf alles vorbereitet zu sein.

Die Gelegenheit, womöglich an den Stoff zu kommen, der

wahrscheinlich der Grund für alle die Vorsichtsmaßnahmen und Heimlichkeiten war, für die Menschenleben, die auf seiner Strecke blieben, auch für die Ermordung Wongs und für das Verschwinden von P., durfte nicht ‘versaut’ werden.

Wendehals war aus diesem Grunde auch am nächsten Vormittag zwischen zwei Übungen in den Ort hinunter gefahren und hatte dort unverfänglich von einer Telefonzelle aus mit einem Osnabrücker Kollegen gesprochen, den er freilich an diesem

Sonntagmorgen zu Hause anklingeln musste.

Sie brauchten unbedingt Rückendeckung respektive musste vorbereitet sein, dass die Kuriere, wann immer sie kommen würden und wie viele es auch sein mochten, unbedingt und völlig unauffällig vom Zeitpunkt ihrer Abfahrt vom Schloss an, wenn nötig rund um die Uhr beschattet wurden und Mertens und Wendehals über diese Beschattung dann ständig auf dem laufenden gehalten wurden. Kommissar Wendehals verabredete mit seinem Kollegen, dass sämtliche vorläufigen Informationen

solange auf Wendehals’ Mobiltelefon, das er in seinem Fahrzeug auf dem Parkplatz des Schlosses versteckt hatte, gesprochen werden sollten, bis er Zeit hätte, sich den Stand der Observierungen abzuhören. Zur Observierung der Verdächtigen würden fünf Zivilbeamte - zur Sicherheit zwei mehr, als für die “letzten drei Sendungen“, wie die beiden Männer unten im Keller erwähnt hatten - jeweils in unauffälligen Zivilfahrzeugen bereitstehen und zwar auf Anraten von Wendehals bereits ab etwa 23:00 Uhr abends, um ab dem Zeitpunkt, ab dem es nicht mehr dunkler wurde in dieser Nacht für den Fall der Fälle bereitzustehen. Eine harte Arbeit und Geduld, der sich allerdings die Kommissare Wendehals und Mertens auch unterziehen würden, da sie spätestens bereits ab neun Uhr abends ihre Posten im Keller beziehen würden, während die anderen Sektenmitglieder und Wochenendseminarbesucher bereits auf ihren Zimmern sein würden und hoffentlich nicht zu viele in einer nicht gerade mondhellen Nacht in den Anlagen umhergeisterten und bei geistreichen mental-lastigen Gesprächen kein Ende finden konnten.

Da auch die Anstaltsleiter damit rechnen mussten, dass sich doch einige der Bewohner auch um elf Uhr abends noch irgendwo draußen herumdrückten, zumal erst in den Abendstunden die drückende Hitze nachließ und die Nachtstunden die erträglichste Zeit des ‘Tages’ wurde, musste man im Grunde nicht vor Mitternacht mit irgendwelchen Transaktionen rechnen; aber dennoch, vielleicht wurde das Ganze ja so geschickt getarnt,

dass es noch viel früher über die Bühne ging.

Wendehals und Mertens waren bestens ausgerüstet, soweit es die Vorbereitungen zuließen. Sie hatten sich über leichte Kleidung, über die unter den Hosenbeinen gut verborgenen Sockenhalter mit den integrierten Holstern und den darin steckenden kleinen, aber nicht minder wirkungsvollen Taurus 445 Titanium im Kal. 44 Spezial mit nur 570 Gramm Gewicht, ihre typisch ‘alt-deutschen’, gestreiften Herren-Bademäntel in Dreiviertellänge angezogen und waren mit Handtüchern ‚bewaffnet‘ in den Keller hinabgestiegen.

Zu der ebenfalls durch die Bademäntel gut verborgenen Sonderausrüstung zählten auch die in einer Sicherungsschlaufe am Gürtel an der Seite hängenden extrem lichtstarken nur 18cm-langen und mit Xenonbirnen bestückten Starklichtlampen,

Mehrzweckmesser in Gürtelfutterals, Ersatzpatronen-Etuis und ein Notfallpiepser, der im Falle ihrer Bewegungsunfähigkeit nach einer Zeitverzögerung von dreißig Sekunden ein ständiges Funksignal abgab, das von den Kollegen bis zu einer Entfernung von fünfzehn Kilometern auf einer gesicherten Frequenz abgehört und bis zum Sendeort zurückverfolgt werden könnte.

Sollten sie zufällig entdeckt werden, konnte jedenfalls so ohne weiteres keiner auf den Gedanken kommen, dass die beiden irgendetwas anderes wollten, als ein oder zwei Saunagänge zu genießen.

Die lautlosen Turnschuhe passten ideal zu dieser Ausstaffierung.

*

Die Zeit verging endlos. Auf den Uhren an Wendehals’ und Mertens’ Handgelenken vertickten die Sekundenzeiger, deren fluoreszierende Enden über die ebenfalls reflektierenden Fünfminutensegmente huschten, unendlich langsam und trotz der einigermaßen passablen Stellung, in der es sich die beiden hinter den Kanapees wie am Vortage, diesmal allerdings auf durchgelegenen Matratzenteilen bequem gemacht hatten, schlief immer mal wieder das eine oder andere Beinglied ein oder mussten die Arme umgelagert werden oder vorsichtig und möglichst geräuscharm die versteiften Muskeln massiert werden.

Es vergingen tatsächlich drei Stunden, bis sich gegen Mitternacht auf der Treppe etwas regte.

Ohne Quietschen öffnete sich oben die Tür und jemand tappte die Treppe herunter. Dann laute Schritte auf den Marmorplatten, deren Rhythmus Wendehals zu kennen glaubte. Die Schritte verhielten einen Moment vor dem Durchgang zum Möbellager, Wendehals und Mertens hielten den Atem an.

Nach Sekunden dann entfernten sich die Schritte etwas weiter und hielten dann wieder inne. Jetzt hörten sie einen feinen Piepston, nur einmal kurz, den sie am Vortage während der Unterhaltung der beiden Männer wohl nicht mitbekommen hatten. Dr. C. hatte die Fernbedienung gedrückt und die Sauna schwenkte geräuschlos bei Seite, bis auf die leisen Kratzer.

Die Sauna schwenkte nicht wieder in ihre Ausgangsstellung zurück, nachdem Dr. C. den Gang weiter und in den zweiten Keller hinunter verschwunden war. Mertens und Wendehals verständigten sich kurz durch Nicken und Mertens huschte aus

dem Versteck, leise ebenfalls den Weg entlang und die Treppe hinunter. Für diesen Fall hatten die beiden zuvor bereits abgesprochen, wie sie sich verhalten würden, Mertens würde dem oder den Besuchern folgen, während Wendehals weiterhin in Beobachtungsposition blieb.

Es waren Eisenstufen, die deswegen, glücklicherweise, nicht knarrten.

Unten am Ende der Treppe öffnete sich ein ebenso großer Flur wie oben und zweigten ebenso viele Räume ab, wie im oberen Kellergeschoss, allerdings keiner der Räume wurde durch eine Tür vom Flur abgetrennt. Die Wände waren sämtlichst weiß gefliest; außer ein paar Tischen und Holzstühlen, stand nichts herum, was auf die Funktion der Räume hätte schließen können. Mertens versteckte sich in einer Nische im zweiten Raum nach dem Kellerabgang und konnte schräg gegenüber in den Raum blicken, in dem Dr. C. verschwunden war. Während sich Dr. C. dort mit irgendetwas beschäftigte, Klappern zu hören war und sirrende Geräusche, sah sich Mertens in dem Raum aus seiner Nische heraus um. Nichts, leer. Ihm fiel lediglich auf, dass die Verfliesung noch nicht alt sein konnte, überall lag noch der Geruch von Fugenmörtel in der Luft, von Zementmischung und Farbe. Am Boden in seiner Ecke entdeckte Mertens ein kleines Häuflein zusammengefegten Staubes. Mit einem Behelfsspachtel aus der Pappklappe seiner Zigarettenpackung schabte Mertens einiges davon in einen kleinen Plastikbeutel, den er in die Bademanteltasche steckte. Mehr war hier offensichtlich nicht zu holen, dachte er sich, vielleicht gibt ja dieser Staub ein wenig mehr Erkenntnis. Aus dem, was so am Boden herumlag, auch noch nach gründlichem Fegen, war immer noch genügend Information unter dem Elektronenmikroskop oder in der gas-chromatograhischen Bestimmung herauszufinden, dachte sich Mertens. Er erinnerte sich an einen Fall, in dem in einer Zimmerecke zurückgebliebene Staubpartikel und winzige

Faserreste, die offensichtlich beim gründlichen Wischen des Fußbodens unabsichtlich in eine sichere Ecke transportiert worden waren, dazu beitrugen, ein Kapitalverbrechen zu entdecken und den Täter zu entlarven.

Das Klappern wurde lauter, Dr. C. kam um die Ecke des Raumes, in dem er verschwunden war. Auf einer Sackkarre die Dr. C. vor sich herschob, waren drei weiße Styroporbehälter mit Gummispinnen verzurrt. Er fuhr mit der Sackkarre in Richtung Treppe.

Erst als Dr. C. das Licht löschte und nur noch eine Lampe über dem oberen Treppenabsatz leuchtete, konnte Mertens es wagen, sein dunkles Versteck zu verlassen. Er durfte keinesfalls riskieren, hier unten eingeschlossen zu werden, nach der abgestandenen Luft dort zu urteilen, war die Luftzufuhr das Geringste, womit man sich hier beschäftigt hatte. Und wenn die Sauna sich erst wieder vor den Kellerabgang geschoben hatte, war es mit Sicherheit auch akustisch nicht mehr möglich, sich zu verständigen.

Dr. C. war mittlerweile am Treppenaufgang angekommen, wechselte die Stellung und zog jetzt im Rückwärtsgehen die Sackkarre hinter sich her; er schaute sich häufig um dabei, wohl, um nicht zu Stolpern, sodass Mertens sich in einem geeigneten Moment einige Meter vorschleichen konnte, ohne entdeckt zu werden.

Dr. C. verschwand über den oberen Treppenabsatz auf dem Weg in den anderen Keller. Schnell nahm Mertens zwei Stufen auf einmal und zögerte nur kurz oben am Absatz, sah aber nur den ihm nun wieder zugekehrten Rücken von Dr. C., der die Sackkarre weiter auf dem Weg von der Treppe wegschob.

Mertens kauerte hinter der weggeschobenen Sauna zwischen der und der anschließenden Wand sich ein nicht einsehbares Schattendreieck gebildet hatte.

Etwa drei Meter weiter vorne blieb Dr. C. stehen, kramte in seiner

Kitteltasche und zog die Fernbedienung hervor.

Ohne hinzusehen, hielt er sie kurz schräg nach hinten, der Piepston ertönte und die Fernbedienung verschwand wieder im Kittel, während Dr. C. die Sackkarre bereits weiter zum Ausgang schob.

Nur einen Sekundenbruchteil zu spät reagiert und Mertens wäre in seinem ‘Verlies’ eingeschlossen geblieben, ohne dass Wendehals eine Chance gehabt hätte, ihn ohne einen passenden Frequenzgeber daraus zu befreien.

So aber gelang es Mertens gerade noch rechtzeitig hinter der Sauna hervor zu springen und sich mit zwei Sätzen in das dunkle Möbellager zu retten, bevor das Ungetüm in seine Ausgangsstellung zurückgeschwenkt war.

Dr. C. schien nichts bemerkt zu haben und schuftete bereits die Sackkarre wieder rückwärts die zweite Kellertreppe hinauf.

„Mann, war das knapp”, keuchte Mertens leise außer Atem.

„Irgendetwas Interessantes da unten?” fragte Wendehals seinen unsanft neben ihm gelandeten Kollegen.

„Nööh, nichts Besonderes“, japste der noch nach Luft schnappende Mertens, „überhaupt alles leergeräumt da unten und offensichtlich alles erst vor Kurzem neu verfliest und gereinigt. Ein bisschen Staub konnte ich vom Boden einsammeln, mal sehen, was das Labor dazu sagt. Ansonsten leider nichts. Aber für nichts schafft sich niemand so ein raffiniertes Versteck an und tarnt einen zweiten Keller nicht so geschickt und aufwendig. Zumindest war da mal was ganz Wichtiges. Woll’n hoffen, dass in dem Staubbeutel mehr drin ist, als ich mir ausmalen kann.”

„Also, dann nach oben, nicht, dass wir die Übergabe verpassen, die Kollegen wissen sonst garnicht, wem sie eventuell folgen sollen”. Mit diesen Worten hasteten die beiden so leise es ging den Flur entlang und die Kellertreppe nach oben.

Oben war niemand zu sehen, auch Dr. C. war nicht da, nur die Sackkarre. Die Sackkarre stand so da, mit den drei Paketen

darauf, wie Dr. C. sie hier offenbar abgestellt hatte.

Leider blieb keine Zeit, sich den Inhalt der Pakete mal näher anzusehen, da um die Hausecke herum Stimmen zu hören waren.

Wendehals und Mertens verkrümelten sich schleunigst über den Kiesweg hinweg hinter einen dichten Haselnussstrauch direkt gegenüber dem Eingang, vor dem die Sackkarre abgestellt war.

Dr. C. und der andere mit der Hornbrille und dem Vollbart erschienen an der Hausecke.

„Haben Sie eben nicht auch Schritte auf dem Kies gehört?” fragte der mit der Hornbrille Dr. C.

„Ja, es klang zumindest so, vielleicht auch ein Hase oder Kaninchen, von denen hier viel zu viele rumhoppeln, hier ist jedenfalls niemand und um diese Zeit ...? - Die Einzigen, die sich demnächst hier 'rumtreiben werden, sind hoffentlich bald die Kuriere, damit das Zeug endlich auf den Weg kommt.”

Beinahe im gleichen Moment hielt knirschend ein beigefarbener AUDI vor dem Haupteingang des Schlosses. Ein drahtiger Mann, Mitte Vierzig, schätzte Wendehals, entstieg dem Wagen auf der Fahrerseite und schaute kurz in ihre Richtung, allerdings halb beschattet durch die große Bogenlampe über dem Tor. Kein Bart, keine Brille, allerdings auffallend lange Koteletten, die am Ende im Mundwinkelbereich spitz ausliefen, der würde in der Kartei leicht zu finden sein, dachte sich Wendehals.

Der Mann trug einen dunklen Blouson und gefährlich spitze dunkle Cowboystiefel unter einer schneeweißen Hose. Das Haar war wellig nach hinten gekämmt.

Der Mann ging auf die beiden vor dem Eingang zu und begrüßte sie mit Handschlag, Dr. C. umarmte ihn kurz. Der Mann sprach

Dr. C. in breitem saarländischen Dialekt an: „Herr Dr. C., wie vereinbart zur Stelle, diesmal ja unerwartet, ich hatte nicht damit gerechnet, überhaupt noch eingesetzt zu werden, denn sie sagten ja anfangs, dass sie maximal drei Sendungen für mich hätten,

jeweils im Abstand von etwa vier Wochen. Aber ich beklage mich natürlich nicht, mir soll’s recht sein, das Geld kommt mir gerade gelegen.”

„Is’ schon gut, reden wir nicht lange herum, dieses eine mal brauchen wir Dich noch! Du kennst die Prozedur, also der Code?”

„Unterwegs hatten wir schwere Wärmegewitter, ich musste zwei mal rechts ‘ranfahren und abwarten”, worauf Dr. C. erwiderte „Das ist nicht ungewöhnlich in dieser Jahreszeit”, und mit dem Scheckkartenlesegerät in seiner linken Hand die Code-Karte nahm, die ihm der Mann mit dem saarländischen Akzent hinreichte, eine sechszehnstellige Nummer eintippte und die Karte in das Gerät einführte.

„Damit ist die Karte jetzt wieder aktiviert und nur mit dieser Nummer identifizierbar”, sagte Dr. C., ein Piepston folgte, ein grünes Licht leuchtete kurz auf und der Vorgang war beendet.

„Gut, meinte Dr. C. und dann ab damit, hier, gleich die oberste Kiste ist für dich bestimmt. Und: wie üblich, keine Abstecher und so weiter, direkt zum Adressaten!”

„Schon klar,” antwortete der Drahtige mit den langen spitz auslaufenden Koteletten, entfernte die Gummispinne von dem Stapel Kisten, nahm die oberste Kiste, ging zu seinem Fahrzeug, öffnete die Beifahrertür, legte die Kiste auf den Boden vor dem Beifahrersitz, schob den Sitz mittels des Rastenhebels etwas nach vorne, ging ums Auto herum, setzte sich hinter das Steuer, grüßte noch einmal durchs Beifahrerseitenfenster, startete den Motor, gab Gas, rauschte den Kiesweg um das Rondell herum entlang und verschwand in Richtung Parkausfahrt. Wendehals notierte sich rasch das Kennzeichen: SB - MT 600, während

Dr. C. und der mit der Hornbrille im Schlosseingang verschwanden.

Kommissar Wendehals drehte sich in seiner Hockstellung hinter dem Busch herum, sodass das beleuchtete Eingabefeld des handtellergroßen Mobiltelefons durch seinen Rücken gedeckt

wurde, während er mit in Windeseile über die Tasten fliegenden Fingern eine schriftliche Kurzmitteilung an den Kollegen durchgab, der bereits seit zehn Minuten auf Bereitschaft geschaltet war: Kennzeichen, Fahrzeugtyp und Farbe, Anzahl der Insassen.

Anschließend wählte er sofort die Nummer des nächsten Beschatters, der draußen vor dem Gelände irgendwo auf seinen Einsatz wartete, und schaltete auf Bereitschaft; dadurch war absolut sichergestellt, dass weder ein Klingeln noch Stimmen aus dem Gerät den Standort der beiden Kommissare zufällig verraten konnten und es war selbstverständlich, dass er die Ziffern- bzw. Buchstabeneingabe auf stumm geschaltet hatte, da die ansonsten ertönenden Piepszeichen, die bei jeder Tastenbetätigung ertönten, ganz sicher ihr Versteck verraten hätten.

Wenn Alpträume wahr werden ...

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