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Kapitel 10

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Am gleichen Vormittag noch, vielleicht zwei Stunden später, entdeckten die Kollegen von der Spurensicherung in der Wohnung in Groß Einmaleins noch einige kleine Hinweise und stellten den Rechner mitsamt Peripheriegeräten sicher.

Die kleinen Hinweise, in der Tat die kleineren, allerdings überhaupt nicht unwesentliche Teile des großen Gesamtbildes, waren eine Bahn-Fahrkarte für die Fahrt nach Solothurn in der Schweiz, die auf der Rückseite entwertet war und die im Innenfach eines Kulturbeutels steckte und eine Hallwag-Karte der Schweiz im Maßstab 1:300000 und schließlich ein einziger Fingerabdruck, der aus dem Rahmen fiel, also nicht von Wong stammte, denn auch sonst waren nach Auswertung aller Fingerabdrücke in der Wohnung keine anderen identifiziert worden. Bis auf diesen einen, der fein säuberlich auf dem Druckhebel des Wasserkastens der Toilettenspülung in Wong’s Bad abgebildet war. Die Rechner liefen auf Hochtouren, trotzdem würde es wahrscheinlich erst am kommenden Morgen ein konkretes Suchergebnis der internationalen Auswertungen geben.

Und dann kam auch noch eine gute Portion Glück dazu: eine erfreuliche Nachricht, die die Aktivitäten einen erheblichen Schritt weiterbrachte, war das Ergebnis der Informationensuche im Rechner des Herrn Wong, denn wer auch immer da etwas gelöscht und aus dem Arbeitsspeicher entfernt hatte, hatte dummerweise oder glücklicherweise vergessen, das Gelöschte zusätzlich noch aus dem ‘Papierkorb’ zu entfernen, einer Sicherheitsablage, die bei der verwendeten Programmkonfiguration zusätzlich bestätigt werden musste, um die Daten ein für alle mal zu vernichten, jedenfalls für Otto Normalverbraucher.

Es war also sehr einfach, aus dem ‘Papierkorb’ alles wieder hochzufahren und in eine Datei abzulegen und einen wunderschönen Ausdruck davon herzustellen, nämlich von dem Tagesbericht des Herrn Wong, von dem bislang nur ein Schnipsel so sechskommaacht mal siebenkommazwo Zentimeter Kantenlänge mit einer diagonalen Abrisskante existierte.

Der komplette Bericht, den Wendehals jetzt in Händen hielt, lautete:

Tagesbericht

Hubert Claus-Ferdinand Graf von Sommertal und zu Hamster-Hausen ist der Kopf der A-Sekte und hat über einen Strohmann sein Land und seine Gebäude oberhalb von Sommertal der Sekte für fünfzigtausend DM monatliche Pacht für die Zeit von zehn Jahren überlassen. Damit ist über eine zusätzliche Bankauskunft bei der Hannoverschen Privatbank Gebrüder Holbein nachgewiesen, dass die Besitzungen des Grafen gleichzeitig als Geldwäsche-Anlage Verwendung fanden.

Über Querverbindungen zum Hause Holbein und den Brüdern Immanuel-Siegfried und Carsten-Ingo konnte ich belegen, dass der Graf mindestens mit deren Wissen noch an einer ganzen Reihe anderer dubioser Geschäfte beteiligt ist und dass das Bankhaus Holbein über Scheinfirmen Transaktionen auch im fern-östlichen Raum tätigt. Mein Amtskollege Hauptmann S. C. Chiang vom Police-Department Hongkong Kowloon hat inzwischen die Verbindungen der Holbeins bis nach China nachweisen können, dort bis ins einschlägige Rauschgiftmilieu der Brüder Kwang.

Ob und inwieweit die A-Sekte in Sommertal auch in diese Geschäfte über die weltweite Verzweigung der Sekte verwickelt ist, kann ich heute noch nicht sicher nachweisen; fest steht bislang, dass auffallend häufig gerade nächtliche Besucher in den unterschiedlichsten Fahrzeugen kommen und gehen, wie mich mein Observant P. vor Ort informierte, der sich seit dem 20. Juni nicht mehr gemeldet hat und dessen letzten Bericht und Fotos ich am 22. erhalten habe; seit dem 23. Juni habe ich die Überwachung selber übernommen und kann danach aus eigener Beobachtung folgendes bestätigen: die Fahrzeuge zeigen neben deutschen auch verschiedene europäische Nationalitätskennzeichen, die ich unten im einzelnen aufliste;

von den Fahrern und Fahrerinnen konnte ich nur einige wenige Aufnahmen machen, da es meist zu gefährlich für mich war, mich den Objekten noch weiter zu nähern und die Lichtverhältnisse denkbar schlecht waren. Beim Aus- und Einladen wurden stets kleinere Pakete in offensichtlich identischen Größen übergeben. Aus der Art des Tragens schließe ich, dass der Paketinhalt maximal vier bis fünf Kilo wog. Die Paketgröße schätze ich mit etwa dreißig mal dreißig Zentimetern, vielleicht etwas kleiner.

Auffallend war, dass sich alle untereinander zu kennen schienen und sich manche mit Umarmung begrüßten. Die Verpackung war sehr ähnlich den Styropor-Umverpackungen für gekühlte, verderbliche Ware: weiße Behälter mit einem abnehmbaren Deckel; das kann ich trotz der Entfernung, aus der ich meine Beobachtungen machte, sicher sagen, weil einem der Abholer beim Einladen ein Behälter weggerutscht und dabei der Deckel auf den Boden gefallen war.

Ich erwarte ein dringendes Fax von meinem Kollegen aus Hongkong, in dem er mir weitere Ermittlungsergebnisse vom dortigen Schauplatz mitteilen wird; wie er mir bereits am Telefon sagte, seien sie dort ein ganzes Stück weitergekommen und wüssten nun, worum es sich im einzelnen handelte und könnten die Falle bald zuschnappen lassen und die ganze Bande hochgehen lassen; Interpol sei inzwischen auch verständigt worden, meinte Chiang in dem Telefonat und auch die deutsche Polizei werde eingeschaltet werden. Deshalb hier nichts weiteres, Details dazu folgen.

Gestern erhielt ich per Post ein Paket von einem Rechtsanwalt Grün, der mir in einem kurzen Anschreiben mitteilte, dass er den Inhalt des Paketes ungeöffnet auf Anweisung seines Mandanten Herrn P. (mein Observant, der seit dem 20. Juni verschwunden ist) an mich zu übersenden hätte, falls sich sein Mandant über einen Zeitraum von 14 Tagen nicht bei ihm gemeldet haben sollte.

Da die letzte Kontaktaufnahme zwischen Herrn P. und Rechtsanwalt Grün am 20. Juni stattgefunden habe, habe Herr Grün entsprechend den Anweisungen am 4. Juli das Paket

an mich als Adressaten auf den Weg gebracht.

In dem Paket fand ich neben einer Filmdose mit einem Glasröhrchen, das eine trübe milchige Flüssigkeit enthält, eine

Codekarte. Herr P. schrieb dazu lediglich:

Bin in Eile, falls mir etwas zustoßen sollte, werden Sie dieses Paket erhalten. Habe beides aus dem Labor der A-Sekte in Sommertal entwendet, bin wahrscheinlich per Videoüberwachung entdeckt worden; packe schnell das Notwendigste zusammen und haue ab, melde mich; der Paket-Kurier klingelt auch schon.

Gruß P.”

Ich werde heute Nacht dem “Labor” einen Besuch abstatten, mal sehen, ob diese Codekarte von P. tatsächlich funktioniert und welche Türen sich mir öffnen.

Die Kennzeichen der bisher beobachteten Fahrzeuge:

am 19. April 00:20 Uhr schwarzer VW-Passat NF-372-317 aus NL 1

am 23. April 01:15 Uhr Mercedes LT, dunkelgrün, WRZ-23-156 aus PL 2

am 27. April 23:55 Uhr Peugeot-Boxer, silber-metallic, XRV 23 765 aus GB 3

am 07. Mai 23:55 Uhr weinroter Ford Sierra, BS-12-146 mit CH 5

am 09. Mai 23:45 Uhr Audi A6, beige, SB-MT 600 (Raum Saarbrücken) 4

am 17. Mai 00:30 Uhr schwarzer VW-Passat NF-372-317 aus NL 1

am 28. Mai 01:25 Uhr Mercedes LT, dunkelgrün, WRZ-23-156 aus PL 2

am 29. Mai 01:00 Uhr Peugeot-Boxer, silber-metallic, XRV 23 765 aus GB 3

am 05. Juni 00:05 Uhr Audi A6, beige, SB-MT 600 (Raum Saarbrücken) 4

am 07. Juni 23:15 Uhr weinroter Ford Sierra, BS-12-146 mit CH 5

am 20. Juni 00:25 Uhr schwarzer VW-Passat NF-372-317 aus NL 1

<ab hier eigene Beobachtungen>

am 23. Juni 00:05 Uhr dunkelgrüner Jaguar OS-AB 127 (Osnabrück)

am 26. Juni 01:05 Uhr Mercedes LT, dunkelgrün, WRZ-23-156 aus PL 2

am 29. Juni 00:10 Uhr Peugeot-Boxer, silber-metallic, XRV 23 765 aus GB 3

am 03. Juli 00:15 Uhr Audi A6, beige, SB-MT 600 (Raum Saarbrücken) 4

Gleiche Ziffern, gleiche Fahrzeuge

Ende des Tagesberichtes

Außenstelle in Sommertal, den 5. Juli 2006

Hauptmann Daniel Herrmann Wong

„Das ist ja Wahnsinn”, entfuhr es Kommissar Wendehals spontan, „dann fehlt uns ja quasi nur noch die Betriebsanleitung, wie wir diese ganzen schrägen Vögel identifizieren können, dann scheint sich ja dieses ganze Geheimnis schneller auflösen zu lassen, als ich befürchtet hatte. Is’ ja irre!”

„Wie auf dem silbernen Tablett serviert und gleich mit Hintermännern, Querverbindungen und allem, was wir so benötigen, um die kommenden Wochen nicht langweilig werden zu lassen”, meinte Mertens und wieherte fröhlich.

„Es scheint, als wenn wir in Europa mal ein wenig herumkommen sollten, wenn ich mir so die Kennzeichen der Fahrzeuge betrachte, wie ist es, Herr Kollege, ein bisschen Sonderurlaub gefällig?” uzte Mertens und kramte in einem der Rollschränke, aus dem er schließlich eine Kartensammlung, einen Europa-Atlas und verschiedene Michelin-Führer hervorholte. „Das wird einen Haufen Spesen geben”, lachte jetzt auch Wendehals, „und wieder einen Haufen Ärger mit der Buchhaltung!”

*

Ganz so einfach, wie Wendehals und Mertens es sich dachten, sollte es dann allerdings doch nicht werden. Die beiden wussten noch garnicht, dass sie erst die Spitze des Eisbergs gesehen hatten und die Fakten, wie sie sich offenbarten, nur oberflächlich betrachtet ein einheitliches Bild ergaben.

Zu viele Fragen waren noch nicht einmal gestellt worden und zu viele Zusammenhänge waren noch nicht einmal im Ansatz hergestellt worden.

Hinzu kam das Versäumnis, dass keinem der beiden Kriminalisten der Gedanke gekommen war, sich mit noch näher liegenderen Fragen zu beschäftigen, zum Beispiel mit den Begriffen Replikation, Plasmidvektoren und codierenden Sequenzen, die auf dem Zettel in der Filmdose gestanden hatten, die im Lüster in der Wohnung des D. H. Wong versteckt worden war.

Was verbarg sich dahinter? Irgendwie waren diese Begriffe als so fremdartig und aus einer scheinbar anderen Welt erst einmal im Unterbewusstsein abgelegt worden, als ahnten die kleinen grauen Zellen bereits die geballte Gewalt, die unaussprechliche Ohnmacht, und scheuten sich zwar nicht davor, die ganze Ungeheuerlichkeit, die dahinter stecken konnte, zu registrieren, aber im Moment einfach nicht zuzulassen.

Aber nach Wendehals’ Ordnungs-System an der großen weißen Wand war es ja nur eine Frage der Zeit, wann die Fakten das Unterbewusstsein besiegen und unweigerlich eine Antwort auf diese Fragen fordern würden. Das war das Gute an dieser ‘Schnipseljagd’, nichts konnte verlorengehen und so konnten es sich die beiden tatsächlich, zumindest vorübergehend, leisten, ein wichtiges Detail einfach zu vernachlässigen.

Wenn Alpträume wahr werden ...

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