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Kapitel 2

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Nachdem die Leiche ‘menschenwürdig’ wiederhergestellt worden war und der Gerichtsmediziner auch das Loch im Kopf, im Schläfenbereich, mit viel Geschick und plastisch-chirurgischem Können verschlossen hatte, identifizierte der Wirt schließlich bei der ‘Gegenüberstellung’, wie paradox, die in der Zinkwanne liegende Person als den Gast Daniel Herrmann Wong.

Papiere wurden bei dem Toten nicht gefunden und auch die Durchsuchung des Zimmers, in dem die zu identifizierende Person seit zehn Tagen gewohnt hatte, jedenfalls zwischen irgendwann nach zwanzig Uhr und sechs Uhr morgens geschlafen hatte, ergaben keine sicheren Hinweise auf Namen, Herkunft, Alter und andere Angaben, die sich in einem ordentlich geführten Polizeiprotokoll wiederzufinden haben.

Die Kleidung des Toten, so stellten Assistent Völkl und das

kriminaltechnische Labor fest, stammten aus Hongkong und Amsterdam; man erhoffte sich weitere Hinweise von einem Paar maßgefertigter Schuhe, die man im Zimmer des Toten im Gasthaus fein säuberlich geputzt und poliert nebeneinander stehend gefunden hatte, die von einem Hersteller aus Pirmasens stammten.

Jens Wendehals, Leiter der SOKO, ging dieser Spur nach und bat die Kollegen in Pirmasens um Amtshilfe und um Recherchen bei dem Hersteller der Schuhe. Der Schuhmachermeister, ein gewisser Zwickel, der Name erscheint für die weitere Aufklärung allerdings nicht wesentlich, konnte sich sogar noch sehr gut an den Kunden erinnern, besser gesagt an dessen ungewöhnlich hohen Spann. Das Paar Schuhe für 220,-- Euro aus feinem Boxcalf-Leder, zwiegenähte Rahmennähte, dafür noch recht preiswert, wurde nach Fertigstellung vier Tage nach der Bestellung vom Käufer nicht persönlich abgeholt, erinnerte sich Herr Zwickel, sondern wurde, nachdem bereits bei Bestellung der volle Kaufpreis gezahlt worden war, an eine Adresse in der Nähe von Göttingen geschickt.

Die ordentliche Ablage des Schuhmachermeisters förderte dann auch die exakte Anschrift zu Tage, mit dem Vermerk des Absendedatums: 13. Juni.

In Groß-Einmaleins in der Nähe von Göttingen, im Rubikon-Weg Nr. 11, fand der mit der Recherche beauftragte Kripo-Beamte Harald Mertens aus Göttingen ein sauber poliertes Messingschild an der Wohnung im ersten Stock, mit der Gravur: D. H. Wong.

Mitbewohner erkannten auf dem Foto, das von dem Toten gemacht worden war, den Mieter Wong wieder.

Auch hier wurde der lebende Wong als bescheiden, zurückhaltend und unauffällig bezeichnet. Frau Engel, die Mieterin der Wohnung im Erdgeschoss, verstieg sich gar in reinste Lobeshymnen auf die Lautlosigkeit und Sauberkeit des Mitbewohners, der nie vergaß,

abends die Haustür abzuschließen in diesem ehrenwerten Haus, nicht wie so andere im Hause - man wolle ja nichts sagen, aber die kennt man ja, allein schon die langen Haare und diese Gesundheitslatschen ...

Herr Wong ließ auch nie die Mülltonnendeckel offen, schwärmte Frau Engel, und stellte sich mit seinem Wagen ordentlich in die mit weißen Streifen markierte Parklücke, im Gegensatz zu anderen, die kreuz und quer einparkten, ohne darauf zu achten, ob Frau Engel mit ihrem Kleinwagen genügend Platz hatte, ein- oder auszusteigen ...

In der Wohnung, nach Öffnung durch den etwas feisten Hausmeister, der um diese Zeit, es war gerade Zehn, schon nach Bier und Korn roch, - ein feines Haus - eine Ordnung wie vorbereitet für eine Besichtigung:

kein Geschirr stand herum, kein Kleidungsstück, das nicht an seinen Platz im Schrank oder in der Schublade geräumt war, nicht einmal der Papierkorb unter dem nachgebauten Kapitänsschreibtisch aus Mahagoni wies ein Papierplätzchen aus dem Locher auf, der oben auf dem Schreibtisch stand, wohl geordnet neben Schreibtischlampe, Klammerer aus Acryl und Federschale. Kommissar Mertens hob das eine oder andere Teil an und legte einen sauberen Platz frei, auf dem es jeweils gestanden hatte, drumherum eine dünne Staubschicht, die, so war seine Erfahrung, von zehn bis vierzehn Tagen nicht staubgewischt stammen könnte, je nachdem, wieviel Bewegung im Raum gewesen war und wieviel Staub zusätzlich durch Fenster und Türen hereingewirbelt war.

Der Zeitraum schien mit der Anwesenheit des Toten in dem Gasthaus in Sommertal übereinzustimmen und es war davon auszugehen, dass in dessen Abwesenheit niemand sonst diese Wohnung betreten hatte, wenn da nicht... Kriminalhauptkommissar Mertens, dem Leiter der hiesigen

Mordkommission, dem der vorläufige Amtshilfefall ‘Wong’ übertragen worden war, weil es sonst momentan sehr ruhig war und gerade nichts anderes anlag, fiel es erst auf, als er die Wohnung schon wieder verließ und mit dem vom Hausmeister überlassenen Schlüssel abschließen wollte: der Riegel ließ sich garnicht schließen, nur der Schnapper funktionierte, der auch bei einfachem Zuziehen einrastete. Als zweites entdeckte Kommissar Mertens jetzt bei genauerem Hinsehen einen kleinen Kratzer rechts neben dem Schlüsselloch auf der Deckplatte, die mit Blindschrauben zur Sicherung gegen Abschrauben und anschließendes Herausdrehen des Schlosszylinders den dahinter liegenden Bereich schützte. Was Mertens an diesem kleinen Kratzer auf der sonst blitzblank polierten Messingplatte störte, war nicht nur die offensichtliche Penibilität des dazugehörenden Mieters, Herrn D.H. Wongs: bei noch näherem Hinsehen staunte Herr Mertens über die Tiefe des Kratzers, der nicht lang war, aber doch so tief ins Metall gerieft, dass dies kein einfacher Kratzer war, der durch Abrutschen des Schlüssels oder durch versehentliches Danebenstecken passieren konnte. Hier war ein Werkzeug abgerutscht, mit dem unter sehr großem Kraftaufwand am Schloss hantiert worden war.

Die Kollegen vom Erkennungsdienst mussten ‘ran, hier gab es mehr zu tun und zu entdecken, als Mertens meinte auf den ersten Blick festgestellt haben zu können.

Die Information übers bequeme Handtelefon war schnell weitergegeben, noch am Vormittag würden die Herren mit den staubfreien Anzügen und den Latex-Handschuhen hier erscheinen und, D.H. Wong würde sich in seiner Kühlkammer im Keller des gerichtsmedizinischen Institutes umdrehen, wenn er das wüsste: nichts würde mehr so sein wie vorher.

Mertens wollte die Zeit bis zum Eintreffen der Kollegen nutzen

und sich noch einmal gründlicher umschauen und auch er zog jetzt doch sicherheitshalber die durchsichtigen innen mit Talkum bemehlten Handschuhe an und zog sich Latexgaloschen mit Gummizug über seine Straßenschuhe, um nicht noch mehr mögliche Spuren zu legen, die sich als dann doch nur von ihm verursacht, herausstellen würden.

"Jetzt nochmal ganz anders an die Sache herangehen, so tun, als sei dies kein einfacher Routinefall mit Amtshilfe, sondern eine Herausforderung an meine bei den Kollegen bereits verschriene

Gewissenhaftigkeit und erbarmungslose Spürnase", redete sich Mertens ein.

Und es dauerte keine halbe Stunde, da hatte er bereits ein drittes und ein viertes Indiz gefunden, Dinge, die ihm auffielen, weil sie nicht in das ansonsten akkurate Gesamtbild passen wollten: einen Papierschnitzel von sechskommaacht mal achtkommazwo Zentimetern Kantenlängen mit einer diagonalen Abrisskante, die aus dem Schnitzel ein Dreieck gemacht hatte.

Möglich, dass die Kanten auf 21 auf der einen und 29.7 Zentimeter auf der anderen Seite verlängert vorzustellen waren und möglich, dass es sich dann um ein Blatt aus dem Vorrat des Stapels unter dem Drucker handelte, jedenfalls schienen Gewicht, chlorfrei-hochgeweißter Dreischicht-Zellstoff in Sandwich-Qualität, wie sie nur hochwertige Papiere aufwiesen und Alterungsbeständigkeit übereinzustimmen. Für das Labor ein Leichtes, hier letztendliche Klarheit und Identität zu bestimmen.

Die lesbaren Buchstaben in 10er Schriftgrad, sehr ähnlich ‘Times New Roman’ auf diesem Papierrest, waren mit einem oberen Abstand von einskommafünf und einem linken Seitenabstand von zwei Zentimetern geschrieben worden und lauteten:

Tagesbericht

Hubert Claus-Ferdinand Graf vo

Kopf der A-Sekte und hat üb

seine Gebäude oberhalb

DM monatliche Pacht

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Hannoverschen

Die Besitzung

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Das war das ganze Fragment.

Und diesen Schnipsel hatte Mertens im Papierzufuhrschacht des Einzelblatteinzuges des Canon BJ-330 gefunden, wo ihn die Person, die, vermutete Mertens, den frischen Ausdruck auf der Auswurfablage entdeckt, entfernt und sofort an Ort und Stelle in Fetzen zerrissen hatte, übersehen haben musste; ein kleiner Schnipsel, der aus dem offenbar in Eile zerfetzten Schnipselpaket unbemerkt dorthin geflattert war.

Als vierten Hinweis fand Mertens einen braunen C5-Umschlag. Dieser Umschlag war mit Leukoplastband an die Unterseite der Sandschale eines Vogelkäfigs geklebt; der Vogelkäfig war leer und geradezu antiseptisch sauber; hier hatte noch niemals ein Vogel von der Stange gekäckert. Und gerade das hatte Mertens’ Aufmerksamkeit und Neugierde erregt.

Der Piepmatz, der auf der Stange saß und nach Betätigen eines Kontaktschiebers fröhlich trillerte, war stubenrein.

In dem Umschlag befanden sich Fotos, Nacht-Aufnahmen von, wie es den Anschein machte, irgendwelchen Übergabeaktionen.

Verschiedene Fahrzeuge waren auf den Fotos zu sehen. Die

Personen darauf nicht sehr deutlich oder durch Schattenwurf großer Bogenlaternen, die an altem Mauerwerk in vielleicht fünf Metern Höhe angebracht waren, unkenntlich. Aber wenigstens deutlich lesbar die Kennzeichen der Fahrzeuge. Die Szenen auf den Bildern ähnelten sich: immer gab irgendeiner irgendeinem ein weißes Paket, nicht größer als vielleicht dreißig oder vierzig Zentimeter und vielleicht zwanzig Zentimeter hoch. Auf einigen Bildern umarmten sich die Personen und bis auf eine Ausnahme waren nur Männer abgelichtet.

Der Hintergrund waren große Sandsteinquader irgendeines älteren Gebäudes, ein großer Torbogen mit gotischem Spitzbogen, ein einseitig geöffnetes zweiflügeliges Tor von leicht dreieinhalb Metern Höhe mit schweren Angeln, von denen die zweite von unten vom rechten Torflügel aus der Waagerechten verrutscht war und leicht nach unten geneigt. Die Angeln waren markant in nach außen auslaufende Bourbonen-Lilien-Doppelbogen geschmiedet.

Auf der Rückseite der Fotos waren jeweils Datum, Uhrzeit und Kfz-Kennzeichen vermerkt. Es waren dreizehn Fotos.

Mertens war sich sicher, dass die Kollegen von der Spurensicherung auch noch fünftens und sechstens finden würden. Man musste auch Arbeitsspeicher und Festplatte des Computers abfragen. Fest stand, dass hier etwas Ungewöhnliches am laufen war, entweder handelte es sich bei D. H. Wong um einen Erpresser, um einen privaten Schnüffler oder um einen verdeckten Ermittler. Die Sache entwickelte sich brisanter, als Mertens noch bei Übernahme des Hilfe-Ersuchens am Morgen gemutmaßt hatte.

Das musste sich sein Kollege aus Osnabrück selber anschauen, hier war etwas zu vermasseln, wenn man nicht in die richtige Richtung ermittelte und warum sollte Mertens dafür geradestehen.

Sein zweiter Anruf galt der Nummer in Osnabrück, die oben in

rot auf dem graubraunen Aktendeckel prangte, “sofort zu verständigen” stand dahinter vermerkt.

Wendehals war gleich selber ‘dran: „Bitte nichts weiter unternehmen, ich komme gleich selber 'rüber zu euch”, sprudelte er hastig hervor, „kann ein paar Stunden dauern bei dem Verkehr, könnt ihr mir ein Zimmer reservieren, die Nacht werde ich wohl ‘dranhängen müssen und vielen Dank, Herr Kollege, saubere Arbeit!”

Wenn Alpträume wahr werden ...

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