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Kapitel 3

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Der Erzähler unterbrach, nahm einen großen Schluck des inzwischen kalt gewordenen Kaffees und schaute sein Gegenüber erwartungsvoll an: „Na, mein Lieber, was meinst Du, was dahinter steckt?”

„Sehr eigenartig”, gab der zur Antwort, „da bin ich nun aber mal richtig gespannt, ich tippe auf Rauschgiftmafia in großem Stil

und Du sagst, das beruht alles auf Wahrheit?”

„Ich habe die Ermittlungen zum Teil selber vorgenommen, wie Du bemerkt hast und im übrigen mich über den Fortgang dieses Falles ständig auf dem laufenden halten lassen; aber weiter im Text”, mit diesen Worten nahm der Vorlesende sein Manuskript wieder auf und fuhr fort:

Tatsächlich fand Kommissar Wendehals, der am frühen Nachmittag in Groß-Einmaleins eintraf, auch noch einen fünften und einen sechsten und schließlich einen siebten Hinweis:

den Erkennungsdienst hatte man erst einmal zurückgepfiffen, weil Wendehals sich einen eigenen unverfälschten Eindruck verschaffen wollte. Das war den Kollegen ganz recht, denn eine

Einbruchsserie der vergangenen Nacht hatte allen mehr Arbeit beschert als man sich gewünscht hatte.

Mertens, eher untersetzt und zu Fettansatz neigend, vielleicht Einssiebzig groß, aber durchaus nicht schwächlich oder weich,

mit einem runden Kopf auf den Schultern und pfiffigen wachsamen Augen über der knolligen roten Nase, begrüßte den Kollegen aus Osnabrück mit einem kräftigen Händedruck, den Wendehals erwiderte. Gegen Wendehals freilich wirkte Mertens eher klein und unsportlich, gegen diesen Vierschröter von Einsachtundachtzig und dazu passenden Schultern, einem gesunden Quadratschädel und unter dem bereits schütter werdenden Haar und unter dichten buschigen Augenbrauen ein paar tiefdunkle beinahe stechende Augen, denen nichts zu entgehen schien. Eine fast zart wirkende kleine Nase und ein verspielt wirkender, leicht geschwungener Mund schienen ein Missklang in dem Arrangement des übrigen Gesichtes und doch war es gerade dieser Kontrast mit dem alles einrahmenden Zweiwochenbart, wohl gepflegt und auf eine Länge von circa fünf Millimetern gestutzt, der dem Ganzen eine interessante Ausstrahlung gab.

Sympathisch und umgänglich, aber knallhart in der Profession, urteilte Mertens, und unnachsichtig in der Aufdeckung dunkler Geheimnisse.

Das fünfte Indiz waren drei achtstellige Telefonnummern mit der Vorwahl 00852 für Hongkong. Diese Nummern waren nicht nur irgendwo vermerkt, sondern seltsamerweise im nicht herstellerbedingt aufklappbaren Stiel einer Zahnbürste, die unbenutzt und gelangweilt in einem Zahnputzglas lehnte, was jedoch normalerweise und allein noch kein Grund gewesen wäre, hier nach irgendwelchen Informationen zu suchen, es sei denn,

es handelte sich dabei um eine ausgesprochene Kinderzahnbürste. Eine Kinderzahnbürste hier in dieser Wohnung

schien Kommissar Wendehals irgendwie unpassend, deshalb hatte er sie in die Hand genommen, eigentlich nur so, und dabei, wer weiß warum auch immer, war sie ihm entglitten und auf den Fliesenboden des Badezimmers gefallen.

Ein bisschen Glück gehörte eben auch dazu.

Und den sechsten Hinweis entdeckten Wendehals und Mertens in dem banalsten Versteck, das nicht einmal mehr Kinder benutzen: beim Einschalten der Deckenbeleuchtung im Wohnzimmer, nachdem es bereits 23:00 Uhr geworden war und die Schreibtischleuchte trotz des mondhellen Sommerabends einfach nicht mehr genug hergab: es war lediglich ein dunkler störender Schatten zwischen den widerspiegelnden Kristallen des billigen Kaufhauslüsters. Vielleicht war gerade das zu dieser Jahreszeit, in der erst sehr spät das Licht eingeschaltet wurde, das Geniale an dem Versteck, jedenfalls hatten andere es nicht gefunden, weil sie wahrscheinlich sowieso nicht das Licht eingeschaltet hatten, wenn sie schon, aber davon ging Wendehals eher nicht aus, in der Dunkelheit hier nach etwas gesucht hatten.

Einen ähnlichen Fall hatte der Osnabrücker Kommissar schon einmal vor etwa drei Jahren, bei dem die Wohnung eines zu Identifizierenden so gründlich durchkämmt worden war, dass sogar die Küchenabfälle, der Inhalt von Kosmetik- und Papierabfalleimern in Plastiktüten geschüttet und später im einzelnen durchsucht worden waren. Auch damals hatte die Wohnung beinahe unbewohnt ausgesehen, wie für den neuen Mieter nach Endreinigung des Vormieters vorbereitet.

Klar, dass die intensive persönliche Note in so einer möbliert angemieteten Wohnung fehlte, aber dennoch, alles war zu ordentlich, zu un-persönlich.

Der selbe Eindruck hier:

Wong war starker Raucher, wo also waren Aschenbecher, Kippen und Zigarettenschachteln, Feuerzeuge und andere Utensilien?

Nichts davon war da.

Und dann dieses Versteck in dem Lüster:

eine kleine schwarze Filmdose, in der Filme aufbewahrt wurden, die noch nicht belichtet waren. Die Dose war mit Tesaband oberhalb der Halterung einer fehlenden Glühbirne fixiert worden.

Wendehals fand eine Trittleiter neben dem Kühlschrank in der Küche und schnitt mit seinem Taschenmesser das Klebeband an der Filmdose durch. Vorsichtig öffnete er den hellgrauen Kunststoffdeckel.

Der Inhalt war eher banal, auf den ersten Blick: ein weißgraues Pulver, mit dem die Dose vollständig gefüllt war, darin eingebettet fand sich ein kleines Glasröhrchen mit einer milchigtrüben, offenbar eingetrockneten Substanz, wie aus den Trockenrändern, die oberhalb der Substanz am Glas hängengeblieben waren, geschlossen werden konnte; die Laboranalyse würde später den Beweis erbringen, dass es sich tatsächlich ursprünglich um eine dickzähe Flüssigkeit gehandelt hatte.

Am Rande steckte ein kleiner Zettel, der zweimal gefaltet war.

Auf dem auseinandergefalteten Zettel war zu lesen:

Replikation - Plasmidvektoren - codierende Sequenzen

Woher hatte D. H. Wong dieses ‘Etwas’? Was wollte er damit?

Waren das Beweismittel? In welchem Zusammenhang standen sie mit seinem gewaltsamen Ableben? - „Ist das Cocain, war Wong drogenabhängig?” - „Wohl kaum,” meinte Kommissar Wendehals, „warum hätte er dann auch noch diesen Zettel zu seinen Suchtrationen stecken sollen, das sieht eher so aus, als hätte er ein Beweismittel gesichert und vor unbefugtem Zugriff verstecken wollen. Aber in welchem Zusammenhang? Wir müssen sukzessive vorgehen, Herr Kollege, Schritt für Schritt, wo wir stehen, was wir bis jetzt an Fakten haben. Ich denke, nur so kommen wir weiter.

Gehen wir chronologisch vor.“

„Lassen Sie uns rekapitulieren, wie der heutige Stand unserer Ermittlungen ist, den Rest kennen Sie ja“, war Mertens‘ Vorschlag.

„Wir wissen von dem Aufenthalt des Toten seit dem 9. Juni, jedenfalls lässt sich vorerst bis zu diesem Datum seine Spur zurückverfolgen.

An diesem 9. Juni hatte Wong handgefertigte Schuhe in Pirmasens gekauft. Was machte er dort? Was ausgerechnet in Pirmasens?

Ich denke, hier müssen wir auch ansetzen oder über die Telefonnummern in Hongkong, wir werden sehen.

Wong hatte diese möblierte Wohnung in der Nähe von Göttingen über eine Immobilienfirma am 1. April für ein halbes Jahr mit Option auf Verlängerung gemietet. Wir haben diese Angaben über den Verwalter des Hausbesitzers erfahren.

Seit dem 9. Juni fehlen uns Angaben zu Wong’s Aufenthaltsort,

abgesehen davon, dass er diese Wohnung angemietet hatte.

Sicher ist nur, dass er in der Zeit vom 25. Juni bis zum 5. Juli ein Zimmer im Gasthof in Sommertal angemietet hatte und dort auch regelmäßig gesehen wurde. Und sicher ist sein gewaltsamer Tod am 6. Juli.“

„Wenn wir diesen Schnipsel Papier nehmen”, wandte sich Kommissar Wendehals an Mertens, "und davon ausgehen, dass es sich um eine Art Untersuchungs- oder Observationsbericht handelte, wäre es von höchster Priorität zu wissen, was in diesem Bericht noch stand. Vielleicht finden Ihre Kollegen vom Erkennungsdienst irgendwelche Informationen dazu auf der Festplatte des Rechners oder vielleicht können sie gelöschte oder überdeckte Informationen wieder aktivieren!”

„Lassen Sie mich rechnen”, unterbrach ihn Kommissar Mertens, "zu Hongkong haben wir derzeit acht Stunden Zeitunterschied, das heißt in etwa einer Stunde können wir versuchen heraus-zufinden, wer hinter den geheimnisvollen Telefonnummern aus der Zahnbürste steckt. Und wir können feststellen, wer sich im einzelnen hinter den dreizehn Autokennzeichen verbirgt.

Ich schlage vor, wir brechen hier erst einmal ab, besorgen uns an der Autobahntankstelle was zu essen und fahren zu mir. Nach ein paar Mützen Schlaf, wenn Sie mit einer durchgelegenen Besucherklappcouch zufrieden sind, können wir vom Kommissariat aus alles Weitere unternehmen und die Kollegen können dann hier morgen alles auf den Kopf stellen.“

„Prima Idee“, entgegnete Wendehals, drehte sich um, nahm seinen Sakko von der Sessellehne und sah nur für einen Sekundenbruchteil in seinem rechten Augenwinkel etwas Blitzen.

Es war weniger ein Blitzen als eine Reflexion und die kam von irgendeiner Unregelmäßigkeit in der wild-gemusterten Tapete hinter der Wohnzimmertür, die direkt gegenüber der Balkontür in den Raum führte. Wendehals hatte zufällig in einem bestimmten Winkel gebeugt gestanden, sodass diese Widerspiegelung ihm überhaupt auffallen konnte, besser: sein Unterbewusstsein in der Lage war, ‘Etwas’ zu registrieren, was im Grunde viel zu kurz gewesen war, als dass die Augen es hätten aufnehmen können. Und dennoch: eine kurze Reflexion hatte genügt, auch wenn die einem Unbefangenen, nicht ‘kriminell’ Veranlagten und Vorbelasteten, wie Wendehals, garnicht aufgefallen wäre.

Wendehals ging zu der Stelle, die den Lichtschein der Deckenlampe widergespiegelt hatte. Er entdeckte auf der Tapete ein Stück transparentes Klebeband, das so schlechte Reflexionseigenschaften hatte, dass es wirklich purer Zufall gewesen war, diesen Klebestreifen zu entdecken.

Bei näherer Untersuchung fühlten Wendehals und Mertens links von dem Klebestreifen, der etwa acht Zentimeter lang und einen Zentimeter breit war, eine kaum merkliche Ausbeulung der Tapete.

Wendehals riss vorsichtig den Klebestreifen ab, der sich recht

einfach von der rauen Oberfläche der Tapete trennte.

Aus der jetzt an dieser Stelle etwas aufklaffenden Tapete zog Wendehals zu seinem nicht geringen Staunen eine Code-Karte in einer dünnen Plastikschutzhülle hervor.

Mertens war verblüfft. Ein phantastisches Versteck, aber doch nicht gut genug!

Die Karte war bis auf eine sechzehnstellige Nummer, die in die Mitte der Karte, die Scheckkartengröße hatte, eingedruckt war und bis auf drei Großbuchstaben mit einem Punkt hinter jedem

und einer zu vermutenden Titelbezeichnung Dr. A. B. C., unbedruckt.

Wendehals und Mertens beschlossen, ihr Glück nicht weiter zu strapazieren; falls es hier noch weitere solcher raffinierten Verstecke geben sollte, würden die Kollegen vom Erkennungsdienst sie am nächsten Tag finden; die Wohnung musste jedenfalls äußerst sorgfältig durchsucht werden.

Für heute hatten die beiden hier genügend Material zusammenbekommen, sodass sie erst einmal mit dessen detaillierter Auswertung beginnen mussten. Hinter dem Ganzen hier steckte, da waren sich beide jetzt sicher, nicht nur ein ganz normaler Mord, sondern viel mehr und, wer weiß, vielleicht hingen auch die übrigen Morde in der letzten Zeit in der Nähe des kleinen Örtchens Sommertal alle irgendwie zusammen ...

Wenn Alpträume wahr werden ...

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