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Kapitel 4

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Während Kommissar Wendehals und sein Kollege Mertens genüsslich eine Tasse brühenden Kaffees schlürften und dazu in frisch aufgebackene Baguette mit Schinken und hauchdünn geschnittenem Emmentaler bissen, mit ihren Gedanken doch schon wieder beim Fall waren und Wendehals die Chronologie des bisher Bekannten auf einem Notizblock rechts neben der Kaffeeuntertasse anfertigte ...

... wechselte in dreihundertundvierzig Kilometer Entfernung-Luftlinie in einem kleinen Ort namens Volendam in der Nähe von Edam am holländischen Ijsselmeer, garnicht weit von Amsterdam, ein Paket, etwa dreißig mal fünfundzwanzig mal zwanzig Zentimeter groß, eine Styroporkiste, den Besitzer, als Grete Oostburg einem ihr unbekannten Fischer die kleine Kiste übergab.

Die Frau, die einem schwarzen Passat mit Kennzeichen NF-372-317 entstiegen war, eine schlanke Brünette von vielleicht fünfundzwanzig, vielleicht hübsch, aber durch einen harten Zug um den Mund eher als bösartig und ‘mit Vorsicht zu genießen’ einzustufen, eine instinktmäßige Einschätzung, die auch die Gedanken des Fischers eher auf diesen Wesenszug als auf anderes Äußeres lenkten, fragte: „Kennen Sie Edam?”

Worauf der Fischer antwortete: „Ich habe dort in meiner Jugend gearbeitet!”

Auf dieses ‘Kennenlernen’ holte die Brünette ein Codiergerät aus Ihrer Umhängetasche, ein Gerät ähnlich einem Scheckkartenlesegerät, nur handgroß, tippte eine sechzehnstellige Nummer ein und hielt dem Fischer das Gerät hin mit der Aufforderung, seine Code-Karte einzustecken.

Der Fischer kramte umständlich unter seinem Takelhemd in der Brusttasche der Latzhose und förderte eine Codekarte in einer Plastikhülle hervor; mit den Worten: „Die Hülle ‘is wohl wegen

des Fischgeruchs, der den Magnetstreifen sonst wegätzt” und einem kehligen Lachen steckte der Fischer die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz. Ein grünes Licht links oberhalb des Tastwahlblocks blinkte und ein auf und abschwellender Summton ertönte für fünf Sekunden. Der Codierer spuckte die Karte wieder aus.

„OK.” stellte die Frau fest und übergab dem Fischer das Paket.

„Den nächsten Termin erfährst Du rechtzeitig”, meinte sie dann noch und stieg auch schon in ihr Fahrzeug.

Ohne Gruß fuhr sie davon ...

während gleichzeitig ...

... im sechshundertundzwanzig Kilometer Luftlinie von Volendam entfernten polnischen Swinouj´scie am Baltischen Meer Igor Petrescu, ein ehemaliger rumänischer Geheimagent,

der sein neues Tätigkeitsfeld nach Polen, genauer gesagt in den Stettiner Raum verlegt hatte, von wo aus die Grenzübergänge in das neue große Deutschland so herrlich bequem zu benutzen waren, eine etwas andere Variante abfragte: „Warst Du schon einmal auf Bornholm?” war seine Frage an einen stämmigen untersetzten Polen, einen der Wenigen, die noch hauptberuflich dem Krabbenfang nachgingen und dessen richtige Antwort lautete: „Letzten Sommer erst mit meiner Tante Else und den Kindern”, woraufhin auch hier die Prozedur mit dem Codiergerät folgte, grünes Licht, Summton und Übergabe der weißen Kiste.

Der Pole warf die Leinen an Bord, sprang selber hinterher und legte sofort ab. Igor Petrescu setzte sich in seinen dunkelgrünen Mercedes LT mit Warschauer Kennzeichen, wendete und fuhr die Mole entlang davon ...

... und zufällig beinahe zeitgleich in Zeebrugge, einem kleinen Seebad mit Vorhafen, während des zweiten Weltkrieges als deutscher U-Boot-Stützpunkt Seebrügge bekannt, mit Tiefwasserhafen, Fischerei-, Krabben- und Fährhafen nach Harwich, malerisch an der belgischen Kanalküste gelegen, konnte man folgendes beobachten, eine allerdings eher völlig harmlose und unverfängliche Szene, die deswegen auch niemandem aufgefallen war: ein silber-metallicfarbener Peugeot-Boxer mit britischem Kennzeichen fährt an den Stapel Fangboxen, die zum Abtransport ins Kühlhaus bereitgestellt worden waren, wo sie als Tagesfang der ‘Marie-Claude’ verbucht werden würden. Aus dem Wagen steigt ein schlanker Mann mit strohblondem Haar und einem kinnfreien Backenbart, der Name sagt uns nichts weiter, stellt hinten auf der Ladefläche nach Öffnen der beiden Laderaumtüren eine kleine weiße Kiste aus Styropor bereit und ruft zum Fischkutter hinunter, der dreikommafünf Meter tiefer Relingoberkante zu Molenpflaster liegt, in dessen gedrungenen Schornstein man leicht hätte reinspucken können: „Kapitän Crevette, sind sie an Bord?” Woraufhin eine Antwort zurückkommt: „Was denken Sie? Kommen Sie ruhig ‘runter!”

Und während der Schlanke mit dem strohblonden Haar die in die Kaimauer eingelassenen rostigen glitschigen Stufen, die gerade mal nicht sechs Stunden unter der Wasserlinie liegen, hinunterklettert, geht etwas schief.

Denn entgegen der Planung und Absprache erscheint oben auf der Mole ein weiterer Mann, nimmt die Kiste von der Ladefläche, stellt sie in eine der bereits zum Abtransport aufgestapelten Fischkisten, wühlt rasch etwas gestoßenes Eis darüber, mit dem die Seezungen bereits abgedeckt sind, geht einen Schritt beiseite, nimmt die Deichsel des Elektrohubwagens auf, drückt den Hubhebel auf “Auf”, hubt die gesamte Palette etwa einen halben Meter über Pflasterhöhe, schiebt den Regler mit dem rechten Daumen auf “Vorwärts” und verschwindet mit dem ganzen Zeug in nicht übermäßiger Eile hinter einer der automatischen Schleusentore des angrenzenden Kühlhauses.

Inzwischen ist der schlanke Strohblonde unten auf der ‘Marie-

Claude’ angekommen, nicht ohne Schlick und Rostspuren an den Knien seiner hellgrauen Seidenhose davongetragen zu haben und kleine Partikel einer seltenen Muschel, die eigenartigerweise nur um den Hafenbereich hier vorkommt und die sich in eine Schlinge des dünngewebten Stoffes der Hose verhakt haben, und betritt das Steuerhaus des kleinen Kutters. Unten rechts im Steuerhaus ist eine aufgeklappte Luke und sieht man einen Niedergang, der in den Maschinenraum, in die Koch- und Schlafkajüte und in den Vorratsraum mit den Kühlaggregaten hinunter führt.

Von unten kommt der Ruf: „Wenn’s ihnen nichts ausmacht, ich muss die Maschine noch durchsehen, vielleicht können wir das Geschäftliche hier abwickeln.” Der Strohblonde folgt dem Ruf nach unten und beschmiert sich beim Abstützen am Boden, während er schon halb in der Bodenluke auf dem Niedergang verschwunden ist, den Ärmel seines weinroten Sakkos und seine rechte Hand mit Maschinenfett, einer Sorte, die nur noch selten verlangt wird und im Grunde auch garnicht mehr bevorratet wird bei Schiffsausrüstern und -werkstätten; eine ekelhaft hartnäckige und klebrige Schmiere mit enorm hoher Viskosität, die sich der schlanke Strohblonde gleich mit einem Putzlumpen abwischen will. Er kommt nicht dazu.

Sobald er den über der Bilge eingezogenen Holzboden betritt, trifft ihn ein stumpfer Gegenstand in dem durch die Notwendigkeit der gebeugten Haltung während des Abstieges ungeschützten Nackenbereich und verursacht ein Knacken, wie das Zerbrechen eines spröden Holzstückes beim D'rauftreten.

Der schlanke Strohblonde hat das alles nicht einmal gespürt.

*

Die Netzgewichte, die an ihm hingen und die den Auftrieb seines

Körpers verhindern sollten, die jedoch für die starke Strömung an diesem Küstenstrich als nicht schwer genug berücksichtigt worden waren, sind es später nicht gewesen, die die Spur der Leiche auch nach einigen Gezeiten noch unzweideutig zurückverfolgen ließen, nicht nur zu einem passenden Belegnagel ...

... und eine Stunde später nur an diesem 13. Juli taucht in Laufen, dem Bezirkshauptort im Kanton Bern an der Strecke nach Solothurn, ein weinroter Ford Sierra mit Kennzeichen Basel-Stadt auf, besser gesagt durchquert den Ort in angemessener Geschwindigkeit, zeitweise entlang der Birs, deren Rauschen der Stromschnellen der Fahrer laut durch das elektrisch heruntergelassene Seitenfenster hört und biegt am Ortsrand in eine Nebenstraße ab, die schließlich in einem überwucherten Feldweg endet. Der Weg führt entlang von vom Rost zerfressenen Schienengleisen, die dermaßen zugewachsen sind, dass anzunehmen ist, hier seien seit Jahrzehnten keine Schienenfahrzeuge mehr verkehrt und erreicht sein Ziel, eine lange stillgelegte Ziegelei.

Der Fahrer, Berthold Maurer, eher ein Beamter vom Typ Baudezernat, mit leichtem Fettansatz, schmuddeliger Ausstrahlung und altmodisch pomadisierten, streng nach hinten gelegten dunklen Haarsträhnen, trägt in krassem Kontrast zu seiner körperlichen Erscheinung einen Jeans-Anzug mit echten Wetzstellen an Knien und Gesäß.

Er spricht flachen Aargauer Dialekt als er nach einem Mann namens Karl ruft: „Zeig Disch, Karl, oder meinscht ich trampel hier in dem Müll ‘rum und such’ nach Dir!” - Es kommt Bewegung auf, irgendwo quietscht eine Tür oder ein Tor, Bretter kleppern aneinander als würde jemand darüber staksen und unsicher seinen Weg suchen, ein Turmfalke fliegt mit Geschimpfe davon, Karl tritt auf: ein Bart wie Wilhelm Tell, jedenfalls so, wie er auf Laienbühnen in den Gasthöfen dargestellt wird, mit tiefem Rauschebart. Dazu einen passenden verfilzten, grünen

Lodenumhang, einen tief ins Gesicht gezogenen Flößerhut. Fehlt nur die Tabakpfeife. Anstelle des als Gehkrücke getarnten Knüppels trägt Karl lässig in der linken Armbeuge eine garnicht so alt und verwunschen aussehende Benelli M-3 Super mit Röhrenmagazin für sechs Patronen Kal. 12/76 Magnum, umschaltbar auf Schnellfeuerfunktion.

„Du weißt wie das hier ist, Berthold, ich meine mit dem Viehzeug, da muss ich mich schon vorsehen”, antwortet Karl jetzt und man nimmt es ihm ohne Demonstration ab, dass die Waffe geladen und schussbereit ist und er damit umgehen kann.

„Wieviel ist es diesmal?”, fragt Karl und begleitet Berthold zurück zum Ford.

„Ich glaub zwanzig”, brummelt Berthold, „und wenn man bedenkt, jedes gut Zwanzigtausend im Kurs!”

„Laß uns die Prozedur durchziehen, Du weißt das is’ Pflicht”, meint Karl und Berthold Maurer ist das lieb und er meint es auch so, wenn er antwortet:

„Bei dem Teufelszeug is’ es mir auch lieber, ich geh’ auf Nummer sischer, wer weiß, vielleicht bist Du ja auch so einer und bist garnicht der, der ...!”

„Also Dein Stichwort, stammel hier nicht ‘rum?” -

„Fährst Du dies Jahr wieder über Weihnachten nach Grindelwald?” lautet der festgelegte Code und Karl antwortet:

„In diesem Jahr werde ich Zermatt ausprobieren.” - Karl nimmt den Codekartenleser aus einer Innentasche seines Lodenumhanges, gibt seinen sechszehnstelligen Code ein und Berthold steckt seine Karte ein; grünes Licht, Summton. Alles in Ordnung.

Mit einem ‘Salü’ trennen sich die beiden, Berthold fährt rückwärts die Einfahrt hinaus, wendet mit etwas rutschigen Reifen auf dem kiesigen Untergrund und braust den Feldweg zurück.

“Komischer Kauz“, denkt er noch, als er bereits auf die Hauptstrasse einbiegt. “Na egal“, sinniert er großkotzig weiter, “für die Kohle würd’ ich auch mit noch ganz anderen Leuten

Geschäfte machen.“ Dabei ist Berthold, wie alle anderen, bis auf Karl, nur ein kleiner Kurier, der nichts anderes macht, als Anweisungen zu befolgen und Aufträge auszuführen.

Dass Berthold im nächsten Moment durch einen dunklen Maserati überholt wird, an dessen Steuer ein glatt-rasierter adretter Mittdreißiger im Geschäftsanzug sitzt, fällt Berthold ebensowenig auf, wie er im Rückspiegel gesehen hatte, dass dieser Wagen aus eben dem Feldweg in die Umgehungsstraße einbog, aus dem Berthold vor wenigen Momenten selber gekommen war.

*

Diese Begebenheiten, jedenfalls die geplanten und abgesprochenen, wiederholten sich jetzt zum dritten Mal in diesem Jahr, so wie geschildert oder so ähnlich, jeweils im Abstand von etwa immer ziemlich genau vier Wochen. Das war durch die ‘Produktion’ begründet, die hinter allem stand, die Organisation, die durch den notwendigen Nachschub bestimmt wurde.

Insgesamt waren seit dem ersten dieser ominösen Transporte mittlerweile vier Jahre vergangen und streng limitiert pro Jahr nicht mehr als zehn solcher Kuriersendungen. Jeder Kurier wurde maximal drei mal eingesetzt, was er selbstverständlich nicht wusste, ebenso nicht die, die die Ware weitertransportierten. Damit war ausgeschlossen, dass diese Helfershelfer Einblick bis in das letzte Glied der Kette bekamen, denn selbst die ‘Endabnehmer’ waren noch nicht die eigentlichen ‘Verbraucher’.

Wenn Alpträume wahr werden ...

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