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Nachforschungen über die ukrainische Hungertragödie

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Die ukrainische Getreidebeschaffungs-Kampagne vom Winter 1932/33, an der er als 20-jähriger Aktivist mitbeteiligt war und in deren Folge Millionen von Menschen verhungerten, gehört zu den Erlebnissen im Leben Lew Kopelews, die ihn in späteren Jahren schwer beschäftigt und tief gequält haben. Den späteren Nachforschungen über die Gründe für diese Katastrophe und dem Nachdenken über seine damalige Haltung zu jenen Ereignissen hat er im Memoirenband „Und schuf mir einen Götzen“ ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „Der Weg in die Hungerkatastrophe“ gewidmet.60 Er stellte ihm den schwer lastenden alttestamentarischen Bibelvers aus Jeremias 31,19 voran:

„Ich bin zu Schanden geworden und stehe schamrot da;

denn ich muss büßen, die Schande meiner Jugend.“

Kopelew erinnert daran, dass bei der Niederschrift seiner Erinnerungen in den 1960er- und 70er-Jahren das Thema der ukrainischen Hungerkatastrophe in der sowjetischen Öffentlichkeit immer noch verboten war. Um sein Gedächtnis zu überprüfen und zu ergänzen, vertiefte er sich im Lesesaal der Moskauer Lenin-Bibliothek in die Lektüre vergilbter sowjetischer Zeitungen und anderer Publikationen aus jener Zeit. Der Zugang zu solchen Materialien aus den Tiefen der Bibliotheksarchive war damals wohl nur möglich dank Kopelews Mitgliedschaft im Schriftstellerverband. Bei der Lektüre dieser Zeitungen mit endlosen offiziellen Resolutionen, Reden von Parteifunktionären, Berichten von Dorfkorrespondenten stieß er auch auf unzählige Artikel „wie ich sie früher schrieb oder hätte schreiben können“.

Im November 1932, kurz vor dem Einsatz in der Getreidebeschaffungs-Kampagne, wurde Kopelew zu einer Konferenz der Zeitschrift „Der Arbeiter- und Bauernkorrespondent“ in Moskau abkommandiert. So kamen er und seine Frau Nadja (sie nahm „Urlaub auf eigene Rechnung“) als 20-Jährige zum ersten Mal in die sowjetische Hauptstadt. Sie besuchten das Lenin-Mausoleum am Roten Platz, die Tretjakow-Galerie, das Revolutionsmuseum, Tolstois Stadt-Haus – „feierlich erregt wie Pilger, die sich ihren Heiligtümern nähern“. In jenen Tagen, erinnert sich Kopelew weiter, glaubte das junge verliebte Paar „felsenfest, unsere Heimat sei das beste Land auf Erden und unser Leben groß und sinnvoll“.

Dass dieser Staat gleichzeitig mit der Zwangskollektivierung und dem gnadenlosen Kampf gegen die sogenannte Kulaken-Klasse den Kern der Bauernschaft liquidierte und in der Ukraine Millionen von Menschen in den Hungertod trieb, davon merkten sie damals so gut wie nichts. „Die Werke von Marx, Engels, Lenin waren unsere Heilige Schrift, Stalin der unfehlbare hohe Priester.“

Lew Kopelew

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