Читать книгу bye bye SPD - Reinhard Vieth - Страница 11

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Erste politische Berührungen

Ich stamme aus einem ziemlich konservativen Beamtenhaushalt und eigentlich hatte ich als Kind immer irgendwelchen Blödsinn vor. Damals spielten wir Kinder noch auf der Straße. Ja, mitten auf der Straße spielten wir Fußball und Hüpfspiele und wenn mal ein Auto kam riefen die anderen Kinder: „Auto!“ Das ließ man dann passieren und spielte einfach weiter. Detmold, die Stadt in der ich aufwuchs war Gerichtssitz und auch Sitz der Bezirksregierung, in der mein Vater das Geld für unser Brot verdiente.

Es war die Zeit in der Papa Heuss unser Bundespräsident war. Der war weit weg, in Bonn, wo auch Konrad Adenauer der damalige Bundeskanzler regierte. Dort spielte das politische Leben dieser Republik. Und das war das, was man in der Schule lernte, aber ansonsten war das Leben unpolitisch. Bisweilen, wenn mal ein Wahlkampf anstand hörte man zuhause schon mal wo die Richtung hin ging, aber die Unterschiede konnte ich als Kind natürlich nicht erkennen. Da ich aber zuhause nur immer hörte, dass die Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können und dass sie auch sonst nur vorhaben den Leuten, die Geld haben, das abzunehmen, war Willy Brandt für mich erst einmal der Vertreter einer Partei die alles wegnehmen wollte.

Jedoch erinnere ich mich, dass die SPD immer so kleine rote Gummibällchen verteilte und die waren wunderbar zum Spielen geeignet aufgrund ihrer schönen roten Farbe fand man sie einfach immer wieder. Ich wuchs heran und eines schönen Tages hatten wir wieder einmal Wahlkampf. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister der Stadt Berlin, sollte in Detmold, wo ich damals aufwuchs, auf dem Marktplatz eine Rede halten. Der Regierende Bürgermeister von Berlin war immer eine Größe, wegen der exponierten Stellung Berlins in der Bundespolitik. Jedes Kind wusste, die Hauptstadt der Bundesrepublik ist Bonn – aber wir arbeiten an der Wiedervereinigung und dann soll Berlin wieder Hauptstadt werden. Berlin hatte also einen herausgehobenen Status und der Regierende Bürgermeister von Berlin kam in der Rangfolge gleich hinter dem Bundespräsidenten, dem Kanzler und seinen Ministern. Berlin war ja eine eingeschlossene Stadt, eingeschlossen von den bösen Kommunisten, die nur auf den günstigen Moment warteten auch den Westen unterjochen zu können.

Und nun sollte jener Willy Brandt nach Detmold in die Provinz kommen. Auch wenn mein Vater Kriegsteilnehmer war, so war er dennoch ganz sicher kein Mitläufer der Nazis. Aber Willy Brandt war für ihn ein Niemand. Einer der sich während des Krieges aus dem Staub gemacht hatte und nun das große Wort führen wollte. Dass Brandt vor den Nazis fliehen musste, um nicht in einem KZ zu landen oder weil er sonst von den Nazischergen verfolgt und umgebracht worden wäre, das unterstelle ich mal, hatte mein Vater sicher nicht geahnt oder gewusst, denn eigentlich war mein Vater ein durchaus objektiv denkender Mensch der keineswegs irgendwelchen Gedanken an die unselige Nazizeit nachhing. Im privatesten Kreise der Familie, der Familien allgemein damals, mochte man nicht so gern über das Tun dieses fürchterlichen Naziregimes sprechen oder gar nachdenken, man verdrängte es einfach.

Viele Menschen waren noch von den Erlebnissen des Krieges traumatisiert, aber es gab keine Psychotherapeuten, es gab für solche seelischen Nöte keine Hilfe, da mussten die Menschen allein durch. Wir hatten nie darüber gesprochen, was mein Vater alles erlebt hatte. Er war als hundert Prozent Schwerkriegsbeschädigter aus dem Krieg heimgekommen (ihm fehlte ein Bein, zwei Finger der rechten Hand und er hatte Granatsplitter im Rücken) mit diesen schweren Kriegserinnerungen, davon gehe ich aus, wird er sicher das ein oder andere Trauma erlebt haben.

Insofern ist es auch im Rückblick für mich verständlich, dass diese Thematik weitestgehend ausgespart wurde, zumal damals die Erziehung noch nicht so offen und frei war wie heute. Wie sollte man Heranwachsenden die Probleme einer ganzen Generation erklären? Lief man nicht Gefahr, dass so etwas auch leicht als ein persönliches Schuldeingeständnis ausgelegt werden könnte und Schuld war man ja nicht. Die Zeit und die Weitsicht in der Erziehung, wie auch der persönliche Umgang mit diesen ganzen schrecklichen Ereignissen musste, wie schon gesagt, jeder für sich verarbeiten.

Sicher, man hatte davon gehört, dass hunderttausende Juden umgebracht wurden und man wusste, dass Schwule im KZ landeten und auch dass Sinti und Roma verfolgt wurden, aber abgesehen davon, unterstelle ich, dass wirklich nur wenige dieser Generation genauere Zahlen der Tötungsmaschinerie der Nazis kannten. Dass aber daneben auch Sozialdemokraten in ständiger Gefahr lebten, das hatte mein Vater, wie viele andere auch, wahrscheinlich irgendwie verdrängt oder auch wirklich nicht gewusst. Es gab damals kein Internet, nicht mal Fernsehen. So wie heute bei uns im Wohnzimmer oder gar in mehreren Wohnbereichen die Welt zu Gast ist, das war unvorstellbar. Man wusste nur eines, die Nazi-Schergen lauerten überall.

Gerade meinen Vater habe ich schon früh als einen politisch sehr interessierten und kritischen Menschen kennengelernt. Er war im Grunde ein liberaler Freigeist. Letztendlich hatte er mich durch aufmerksam machen und hinlenken ohne zu doktrinieren, auf die politischen Geschehnisse aufmerksam gemacht. Auch weil ich viel aufnahm, wenn er sich mit anderen Leuten, Freunden und Kollegen unterhielt. Oft hat er dann auch durchaus mir seine Meinung zu politischen Ereignissen gesagt. Allerdings schlug, wie schon angedeutet, sein Herz nicht gerade für Willy Brandt. Und meine Nachfrage, wenn eine Wahl anstand, was er denn gewählt habe, beantwortete er immer mit dem Hinweis auf das Wahlgeheimnis.

Bei uns in Detmold wollte nun Willy Brandt zur Nation sprechen. Ja, für mich war Detmold Nabel der Welt. Also musste ich etwas tun. Ich kam zu meiner ersten politischen Aktion. Der Vater eines Kumpels von mir war Küster der Marktkirche. Über ihn besorgten wir uns den Schlüssel für den Glockenturm, auf den wir dann etwa eine halbe Stunde vor der Kundgebung stiegen. Von dort hatte man eine herrliche Aussicht, insbesondere über den Marktplatz. Und nun erwarteten wir Willy Brandt in Detmold, unserer kleinen Beamtenstadt am Rande des Teutoburger Waldes. Aber wir hatten einen Logenplatz. Mit erheblicher Verspätung, wie sollte es auch anders sein, für solche unsicheren Kandidaten, kam Willy Brandt. Dass auch damals schon durchaus auch mal Pannen oder verkehrsbedingte Störungen auftraten wurde natürlich nicht zur Entlastung eines Gegners angeführt sondern man suchte so etwas eben negativ anzulasten. Also nachdem Willy erst das wartende Publikum beruhigt hatte, fingen wir von oben, vom Turm zu pfeifen an.

Was war das für eine Zeit? Es mag das Jahr 1957 gewesen sein; ich muss also 11 Jahre alt gewesen sein. Aber ich war schon politisch durchaus interessiert, weil ich eben, wie gesagt, von meinem Vater am Rande immer ein bisschen das politische Tagesgeschehen mitbekam. Man war zwar politisch anderer Meinung, aber als Kind rennt man ja zunächst mit der Meinung der Eltern los, weil man sich noch gar keine eigene Meinung bilden kann. Es fehlte einfach die Kritikfähigkeit.

Zum Heute hat sich viel geändert, denn heute geht ohne die Einbindung der Kinder in irgendwelche Entscheidungen gar nichts. Es geht teilweise gar so weit, dass man sich als autoritär erzogener, heute älterer Mensch, manchmal fragt, ob es nicht manchmal schon zu weit geht weil man den Eindruck gewinnen kann, dass die Kinder die Macht schon übernommen haben. Als Kinder gingen wir zur Schule und hatten unsere Schularbeiten zu machen. Am nächsten Tag wurde überprüft ob wir unsere Schularbeiten gemacht hatten. Es war also ein rundum autoritär geprägtes Leben. Ob das so richtig war darüber streiten sich heute noch die Gelehrten, denn Pisa-Studien gab es noch nicht und insofern fehlen belegbare Zahlen.

Ich jedenfalls weine diesem alten System keine Träne nach, auch, wenn es heute oft zeitraubend und aufwändig ist, in Diskussionen etwas zu erklären, so ist es doch völlig in Ordnung, und diese Zeit nehme ich mir gern. Wir stehen im Heute und es hat sich wahnsinnig viel geändert und die jungen Leute müssen sich diesen Veränderungen in Windeseile anpassen, sonst werden sie von der Entwicklung überrollt. Für mich gibt es an dieser Stelle zwei Möglichkeiten: Entweder vergleiche ich das Gestern mit dem Heute und versuche eine Bewertung oder ich versuche einen Rückblick. Da mir die wissenschaftlichen Voraussetzungen für einen Vergleich fehlen, werde ich den Rückblick in die alte Zeit wagen.

bye bye SPD

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