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Kindertage in Detmold

Damals waren die Sommer noch Sommer und die Winter noch Winter. Kaum war der Schnee gefallen standen wir mit dem Schlitten an der Tür eines Kumpels, um dann gemeinsam den Berg direkt auf der Straße herunter zu fahren. Ja auch das ging damals.

Bei der Gelegenheit fällt mir ein, ich war schon lange nicht mehr in Detmold. Aber wenn dieses Buch geschrieben ist, werde ich Detmold, werde ich meine alten Stätten mal wieder aufsuchen. Ja, ich wette, dass ich mich auch heute, 50 Jahre später auf Anhieb wieder zurecht finden werde. Ich weiß nicht mehr wie die Kreuzung heißt, aber es gibt da ein Palais an dem ein Bach vorbei fließt, da ist (zumindest war) auch eine Musikhochschule und die Straße mündet in eine Kreuzung an der immer noch die letzte Ampel hing. Ampel sagt man ja heute immer fälschlicherweise zu einer Lichtzeichenanlage, aber eigentlich war eine Ampel ein großer viereckiger, überdachter Kasten mit vier leicht schräg zur jeweiligen Fahrbahn geneigten Flächen. Und dieser Kasten hing in der Mitte über einer Kreuzung. Auf jeder der vier Flächen lief ein Zeiger. Stand der Zeiger senkrecht auf Rot, so war auch auf der gegenüber liegenden Seite rot. Für die einmündenden Straßen stand der Zeiger dann waagerecht auf Grün und die Fahrzeuge hatten freie Fahrt. Imposant, aber ungenau, denn es gab keine Gelbphase und dadurch würde es heute laufend krachen.

Jedenfalls lief man von dieser Kreuzung aus halb rechts, gegenüber in die Lange Straße die auf den Markt zu lief und dann im weiteren Verlauf kam man auf eine Eisenbahnbrücke zu. Auf der rechten Seite kam man an einem altehrwürdigen Versicherungsgebäude vorbei, das groß mit der Lippischen Rose geschmückt war. Aber egal, diese Straße führte auch am Markt vorbei. Linke Seite war der Markt, die Marktkirche und der Kirche gegenüber lag das Kaufhaus Sonntag. Ich habe mal eben gegoogelt, denn heute kann man sich ja schnell mal mit der modernen Technik einen Überblick verschaffen. Und bei der Gelegenheit habe ich den Straßennamen sehr gut zuordnen können. Ja, ich fand mich sehr gut wieder zurecht. Also Detmold – ich komme, aber ohne Mutprobe.

Kaufhaus Sonntag, meine erste und einzige (blöde) Mutprobe. Blöde, weil Mutproben immer blöde sind. Die Spielwarenabteilung war über eine alte, knarrende Holztreppe, oben im zweiten Stock zu erreichen. Irgendeinem Freund hatte ich dann berichtet, dass die im Kaufhaus Sonntag mit Siku und Wikinger Autos gut aufgestellt sind und dass ich mir unbedingt mal eine BMW-Isetta kaufen wollte. In natura ein interessantes Gefährt. Die Tür, hinter der zwei Personen und ein Kind Platz nehmen konnten, ging nach vorne auf. Das Lenkrad wurde hochgekippt und dann ging die Tür auf. So ein Ding wollte ich mir als Modell zulegen. Das hatte ich meinem wohlmeinenden Kumpel gesagt. Und der sagte dann, dass er bei Sonntag schon mal zwei oder drei Autos habe mitgehen lassen das sei gar nicht so schwer. Ein Wort gab das andere und schon war ich in der Pflicht – Mutprobe. Wäre ich allein da hoch gestiefelt wäre das wahrscheinlich gar nicht aufgefallen aber so schlichen zwei nervöse Buben immer um die Modellautos herum, das musste ja auffallen. Jedenfalls wurden wir beobachtet. In einem Moment, in dem ich mich unbeobachtet wähnte, griff ich zu, aber die Verkäuferin hatte das aus den Augenwinkeln gesehen und sagte: „Halt!“ So, jetzt aber schnell weg, die Treppe runter und die Verkäuferin hinter uns her, sie rief: „Haltet den Dieb.“ Oje, alles schoss mir durch den Kopf was würde mein Vater dazu sagen, sein Sohn ein Verbrecher! Vor allem: Das gibt einen fürchterlichen Hintern-voll. Aber umdrehen? Zurück? Zurückgeben? So viel war für mich klar ohne Jurist sein zu müssen, das wäre ein Schuldeingeständnis – Folge, Hintern-voll – Fazit: Flucht! Die Flucht gelang aber ich fühlte mich ganz sicher nicht als Held, denn nun konnte ich ja von Zeugen erkannt werden, meine Eltern angesprochen werden, tagelang plagte mich das schlechte Gewissen, tagelang traute ich mich nicht richtig aus dem Haus.

So viel zur Umgebung der Marktkirche in Detmold und zum Randgeschehen, vor meiner ersten politischen Aktion. Aber bei dieser politischen Aktion war es im Gegensatz zu der Mutprobe so, dass wir dort oben nicht erkannt werden konnten. Innerlich war mir schon damals der Willy Brandt eigentlich sympathisch er war doch im Grunde die Verkörperung des Widerspruchs zu meinen Eltern, also was hatte ich gegen ihn. Denn gerade an den Eltern übt man sich als Kind meistens im Widerspruch. Nur, damals war der Widerspruch eines Kindes in erster Linie Ungehorsam, also bestrafungswürdig und Ohrfeigen oder Stockschläge waren auch bei uns durchaus übliche Erziehungsmittel.

Meine Mutter zum Beispiel aus heutiger Sicht betrachtet, war sie damals durchaus noch nicht so ganz in der Demokratie angekommen. Und Menschen mit einer anderen Hautfarbe waren ja Menschen vor denen man sich in Acht nehmen oder fürchten musste. Immer wieder berichtete sie von meiner Tante und einem schwarzen US-Soldaten, vor dem sie und ihre Schwester, wohl gewaltige Angst hatten. Und gerade weil meine Mutter nicht zu überhörende Vorurteile gegen Menschen mit schwarzer Hautfarbe hatte, hatte ich mich damals vor der Tischlerfachschule in Detmold aufgebaut. Ich wusste, dass dort auch aus Afrika stammende, schwarze Studenten eine Ausbildung machten. Also dachte ich, dass ich meiner Mutter einmal zeigen wollte, dass das genau solche Menschen waren wie du und ich. Also stellte ich mich vor der Tischlerfachschule auf und wartete. Als dann ein ziemlich dunkelhäutiger Mann heraus kam ging ich auf ihn zu und lud ihn zu uns zum Kaffee ein. Ich weiß es noch wie heute, der Mann hieß Eguno und kam von der Elfenbeinküste. Ja und dann ging ich nach Hause und dort erzählte ich meiner Mutter, dass wir demnächst internationalen Besuch zum Kaffeetrinken erwarten. Es kam wie es kommen musste, für diese Art der Völkerverständigung kassierte ich erst einmal einen Satz warme Ohren und später als mein Vater vom Dienst nach Hause kam erhielt ich noch eine Lesung über das familiäre Miteinander Über- und Unterordnung und wer schließlich Einladungen auszusprechen hat.

In der Schule gab es das alte Schema, Unterricht wie man ihn aus dem mittlerweile Kultfilm „Die Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann kennt. Der Lehrer betritt den Raum, die Schüler springen auf und rufen im Chor: „Guten Morgen Herr Meier/Frau Müller!“. „Setzen!“ Und dann ging der Frontalunterricht los. Mathematik, Deutsch, Erdkunde, Religion und alles ein reines auswendig lernen. Heute gibt es ja wenigstens schon Arbeitsgruppen, Referate und Diskussionen zwischen Lehrer und Schülern, die durchaus auch schon konträr sein dürfen.

Damals kam der Lehrer gleich hinter dem Pastor, dem Apotheker und dem Hausarzt. Auch das durfte ich am eigenen Leibe erfahren, der Lehrer hatte immer Recht. Einer meiner Lehrer, sogar mein damaliger Klassenlehrer, Herr Bonhoeffer. Ein Neffe von Dietrich Bonhoeffer, der als Pastor der evangelisch-lutherischen Kirche dadurch Ruhm erlangte, dass er sich im kirchlichen Widerspruch gegen die „Deutschen Christen“ befand. Diese Abspaltung von den normalen evangelischen Christen war eine von den Nazis ins leben gerufene christliche Haltung, die sich nach nationalsozialistischer Weltsicht aufgestellt hatte. Und weil Dietrich Bonhoeffer auch in anderer Hinsicht gegen die Nazis in den Widerstad ging, wurde er für seine Haltung von den Nazis umgebracht. Sein Neffe war jedenfalls mein Lehrer und der war aus heutiger Sicht, als Pädagoge eine totale Null. Er mochte mich nicht und ich ihn nicht.

Und weil sich am Schulsystem bis heute nicht viel geändert hat, weil immer noch Frontalunterricht und Lehrer – Schüler immer noch eine große Distanz wahren, gibt es auch heute noch Aversionen. Das übrigens hat mir vorhin mein Enkel auch von seinem Mathe-Lehrer berichtet. Da schmunzelte ich in mich hinein und dachte an die Dinosaurier. Mein damaliger Lehrer, Herr Bonhoeffer, bestellte einmal meine Mutter ein und sagte ihr, dass ich wohl nicht der fleißigste Schüler sei. Darauf wurde Bonhoeffer zur weiteren Erörterung zu einem Gespräch mit meinen Eltern, zu uns nach Hause eingeladen. Ich wusste dass er kommen sollte. Gebannt wartete ich am Fenster um sein Eintreffen mitzubekommen. Was für ein Typ er war, mag man daraus erkennen, dass er damals schon, Ende der 50er Jahre ein Karmann-Ghia-Cabrio fuhr. Das war damals ein Auto für Angeber und Playboys.

Durch die Raumanordnung unserer Wohnung konnte ich genau mitbekommen, was meine Eltern für Bücklinge vor diesem arroganten Lehrer machten. Ich bekam genau mit, was ich für unwahr und übertrieben hielt, aber er war der Lehrer, er hatte recht. Nach seinem Besuch bekam ich erstmal die Leviten gelesen, alle Beteuerungen, dass einiges von dem, was er gesagt hatte übertrieben war und von mir ganz anders gesehen wurde, halfen nicht. Das ist für ein Kind ein Schlag in die Magengrube, wenn es sich belogen oder betrogen fühlt und wenn dann die Personen seines engsten Vertrauens nicht zu ihm halten sondern den Lehrer noch hofieren, dann fühlt man sich regelrecht verraten.

In meiner schulischen Entwicklung wurde ich dadurch nicht gerade voran gebracht. Dennoch gab es in meinem schulischen Leben auch Lichtblicke. Zu erwähnen sind dabei unbedingt zwei Lehrer, Herr Mahlmann und Dr. Hartmann. Beide waren Lehrer, die forderten, die aber auch belohnten und die auf die Kinder eingingen. Mahlmann ging immer wie ein britischer Offizier mit seinem Lineal, dass er unter der rechten Achsel eingeklemmt hatte, durch die Klasse. Wenn jetzt ein Schüler irgendwie nicht aufpasste oder gar Blödsinn machte, dann schlug er einmal kurz neben dem Schüler auf den Tisch, und wenn der Schüler mal wirklich penetrant Unsinn machte, dann haute er damit auch schon mal auf die Finger. Aber bei ihm hatte ich keine Probleme, bei mir musste er nicht einmal auf den Tisch hauen.

Aber zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass der disziplinare Gebrauch des Lineals nicht täglich zum Unterrichtsablauf gehörte, aber man wusste, dass man sich in Acht nehmen musste. Bei Dr. Hartmann weiß ich nicht, der hatte mich genauer erkannt, der sagte einmal zu meiner Mutter, dass es Schade sei, dass ich erst so spät unter seine Fittiche kam, man hätte aus mir mehr heraus holen können. Das mag aus heutiger Sicht richtig sein, denn Schule ist immer auch das gegenseitige Vertrauen zwischen Schüler und Lehrer und es gab zu der Zeit nur zwei Lehrer zu denen ich großes Vertrauen hatte, zu eben diesen beiden besagten Lehrern. Aber verlorene Chancen kann man nur selten wieder einholen. Auch damals schon hätte es zwar die Möglichkeit des zweiten Bildungsweges gegeben, aber da lagen relativ viele Hindernisse im Wege, Prüfungen und Eignungstests und außerdem standen für mich andere Dinge im Vordergrund, denn ich wollte raus, raus aus diesem täglichen Einerlei, nicht ewig nur Schule, Elternhaus. Ich wollte den Mief des Kleinbürgertums hinter mir lassen.

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