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Die Schule der Nation

Zur Schule der Nation oder einfach zum Bund, so sagte man gemeinhin zum Wehrdienst bei der Bundeswehr, musste ich so oder so, denn es gab noch die allgemeine Wehrpflicht, zu der jeder junge Mann herangezogen wurde. Es sei denn er verweigerte aufgrund seines Glaubens oder anderer wichtiger Gründe den Wehrdienst. Aber da wurde dann eine Gewissensprüfung gemacht, die durchaus als kaum bezwingbar galt. Es gab kirchlich organisierte Lehrgänge, die Wehrdienstverweigerer auf die Verweigerung regelrecht vorbereiteten. Damals war die Autorität des Staates überhaupt nicht infrage zu stellen. Und mit diesem Nimbus wucherte der Staat geradezu, denn dem Staatswillen damals zu widersprechen war praktisch Ketzerei. Bürgerlicher Ungehorsam oder gar Demos gegen den Staat das war undenkbar.

Vor dem Hintergrund, dass wir gerade mal zwanzig Jahre das Hitlerregime, das ja total autoritär war, hinter uns gebracht hatten, war unsere noch junge Demokratie dennoch auch auf den gehorsamen Bürger und den väterlich gestrengen Staat ausgerichtet. Erst Willy Brandt prägte gerade zu dieser Zeit den Ausspruch: „Mehr Demokratie wagen.“ Allein der Satz stieß bei mir auf offene Ohren. Schon durch mein gewerkschaftliches Engagement war ich auch politisch schon ein bisschen eingenordet und Willy Brandt hatte mit seiner politischen Aussage Interesse geweckt.

Auch wenn ich, wie sollte es in einem Beamtenhaushalt anders sein, staatsgläubig erzogen wurde. Die Frage der Wehrpflichtverweigerung stellte sich nicht sehr ernsthaft, zumal der Ersatzdienst auch nicht gerade sehr zum Ausruhen gedacht war. Als Ersatzdienstleistender wurde man zu Sanitätsdienst oder verschiedenen anderen, eher unangenehmen, Diensten herangezogen. Es ging damals immer um die Frage: Gehst du zum Bund oder willst du Pisspötte schwenken.

Für mich hatte ich eigentlich immer den Weg des geringsten Aufwandes und des geringsten Widerspruchs gewählt. Weil sich mein soziales Interesse eher in die politische Richtung entwickelte, als im Kontakt mit anderen Menschen, stellte sich die Frage, ob ich Kranken die Bettpfanne unterschiebe sowieso nicht. Es ging für mich darum zur Bundeswehr ja aber wie.

Also fing ich an mich über die Bundeswehr zu informieren. Da gab es Wanderausstellungen, auf denen für die Bundeswehr geworben wurde und auch so gab es einiges an Informationen. Einige von den Broschüren, in denen die Bundeswehr in ihren besten Farben dargestellt wurde nahm ich mit. Aber das Problem war, wenn man die Broschüren dann gelesen hatte und etwas nachfragen wollte, war niemand da. Wen wollte man auch fragen, die Wanderausstellung war, wie der Name sagt, schon längst woanders wieder auf Wanderschaft. Also hörte man von Kumpels oder von denen, die einen kannten, der einen kennt, der das schon hinter sich hat. Auf diesen Suchpfaden jedenfalls wurde mir erklärt, dass ich bei den Heeresfliegern unwahrscheinlich viel marschieren müsse und sowieso kaum je ein Flugzeug von innen zu sehen bekäme. Außerdem müsste ich einen technischen Beruf haben. So als Ladenschwengel würde ich sowieso bloß Propellerputzer, weil ich zudem so schön lang sei und wunderbar an die Hubschrauberflügel heranreichen würde. Aber die Luftwaffenuniform gefiel mir sowieso besser, also warum nicht zur Luftwaffe? Aber auch da wurde mir gleich gesagt, dass ich, wenn ich fliegen wolle, einen technischen Beruf erlernt haben müsste, ansonsten würde ich auch dort damit rechnen können, als Propellerputzer oder im Nachschub eingesetzt zu werden. Und überhaupt müsse man damit rechnen, dass Truppenteile die in Landkasernen untergebracht sind, immer viel marschieren müssten. Und marschieren war ganz gewiss nicht mein Ding.

Was blieb, war die Marine, und wollte ich nicht früher schon an Bord? Außerdem hatte die Marine mit Abstand die schickste Uniform. Also meldete ich mich freiwillig zur Marine. Zu der Zeit war die Volljährigkeit noch erst mit einundzwanzig Jahren erreicht, und da ich zum Zeitpunkt der Verpflichtung erst neunzehn Jahre alt war, mussten meine Eltern noch dafür unterschreiben, dass sie nichts gegen meine Verpflichtung bei der Bundeswehr hätten. Mein Vater war nicht sonderlich begeistert, aber er sagte, dass ich meinen Weg selbst finden müsse. So machte ich den Eignungstest damals in der Wiege der Marine, in Wilhelmshaven. Der Test bestand aus einem sportlichen, einem schulischen und einem psychologischen Teil. Man musste also körperliche Fitness genauso unter Beweis stellen, wie, dass man eins und eins zusammenzählen konnte. Und einen deutschen Hauptsatz musste man ebenfalls unfallfrei zu Papier bringen können. Diesen Test bestand ich und war stolz wie Oskar. Mensch ich war in einer Marinekaserne und ich sah Offiziere mit Kolbenringen (die Dienstgradstreifen am Sakko) und Mannschaften, wie sie von einem Unteroffizier geführt wurden.

Mittags konnten wir Prüflinge in der Kantine essen. Die Kantine diente offenbar auch zur allgemeinen Versorgung der Soldaten, denn dort wurden allerhand Dinge angeboten, die man normalerweise in gut sortierten Lebensmittelläden kaufen an. Darüber hinaus aber auch Dinge, die der Marinesoldat an Bord gebrauchen kann, wie zum Beispiel ein Schiffchen, das ist eine Kopfbedeckung, die man an Bord trägt, um nicht mit der weißen Tellermütze durch die Gegend zu rennen. So ein Teil kaufte ich mir. Wollte ich doch schon mal etwas Maritimes mit nach Hause nehmen. Unterwegs, wieder in der Bahn nach Hause, setzte ich dieses Schiffchen auf, ich wollte der Welt doch zeigen, dass ich ab jetzt schon fast dazu gehöre.

Lange dauerte es nicht mehr, die Bundesmarine wollte haben, was sich freiwillig anbot und eines schönen Tages kam der Einberufungsbefehl. Ab jetzt gab es Befehle, von jetzt an war ich de jure schon Soldat und hätte mich nur mit ganz triftigen Gründen und nur für eine auf die entschuldbare Situation bezogene Zeit abmelden können. Ich hatte mich am 01. Juni 1966 bis 16: 00 Uhr in Glückstadt, in Schleswig-Holstein, einzufinden. Mit Tränen auf beiden Seiten nahm ich am 01. Juni 1966, am Bahnhof von Hildesheim, Abschied von meinen Eltern, von meiner unbekümmerten Jugend und vom Zivilleben. Irgendwann, die Zeit weiß ich heute nicht mehr, traf mein Zug in Glückstadt ein. Dort auf dem Bahnsteig standen zwei oder drei Unteroffiziere, die den ganzen Bahnsteig zusammenbrüllten. Man sagte später, dass vor lauter Schreck und dem Brüllen gehorchend, auch ein junger Mann mit den Rekruten mitgefahren sei, der gar nicht dazu gehörte. Jedenfalls mussten wir in einen bereit stehenden Bus einsteigen, und einer der Unteroffiziere, die am Bahnhof so rumgebrüllt hatten, stieg mit ein. Als der Bus das Kasernentor passierte und die Schranke sich hinter uns schloss, war das so ein Moment, wo man innerlich abschloss. Dieser Moment wurde noch dadurch gekrönt, dass der begleitende Unteroffizier sagte: „So, meine Herren, damit hat sich für Sie das Zivilleben, das Lotterleben, das Sie geführt haben, erledigt, ab hier ist die Demokratie zu Ende, hier hat nur einer zu sagen und das ist Ihr Vorgesetzter.“

Vorhin, als ich daran zurückdachte, musste ich innerlich lachen. Abgesehen davon, dass man heute sowieso keinen Respekt mehr vor Uniformen hat, stellte ich mir meinen ältesten Enkel vor, wie der an meiner statt reagiert hätte. Der wäre auf den Schreihals zugegangen und hätte nur ganz deutlich gesagt: „ÄE! Nun mach hier mal nicht den Lauten.“ Allerdings würde heute auch niemand mehr schreien, aber damals, 1966, da hatte man noch vor allen und allem was Uniform trug Respekt. Wie gesagt es war eine andere Zeit und Willy Brandt hatte den Satz, der die innere Demokratie wirklich ins Rollen brachte, noch nicht gesagt – mehr Demokratie wagen. Und auch später, als dieser Satz gesagt war hatte er längst noch keinen Einfluss auf die soldatischen Untertanen.

Damals war der Zugschaffner eben auch als Uniformträger durchaus ebenfalls noch jemand der mal einen Reisenden, der sich nicht richtig benehmen konnte, zurechtwies. Heute machen Zugschaffner damit von sich reden, dass sie Kinder aus dem Zug weisen, wenn die zufällig ihre Schülerkarte vergessen haben. Die Zeiten ändern sich und wenn nicht einmal mehr ein uniformierter Polizist Beachtung findet, dürfte sich das Thema Uniform über kurz oder lang sowieso erledigt haben.

Ich war nun also Marinesoldat. Wir Frischlinge, die jungen Rekruten, mussten gleich vor dem Kasernengebäude das erste Mal Antreten. Wir hatten noch keine Uniform, aber wir sollten gleich erfahren, wo der Weg lang geht. Der Kompaniechef, ein junger Oberleutnant, erklärte uns neben dem weiteren Procedere, wie das Leben in der Kaserne läuft, wann wir die Uniform bekommen und so weiter, dass wir erst wieder an Land kommen, wenn wir grüßen können – ja so paradox war der Sprachgebrauch – wir waren ja bei der Marine und alles was umschlossener Raum war, war an Bord, auch wenn es unverrückbar an Land stand. Fenster waren Bulleys, Türen waren Schotten und wenn man die Kaserne verlassen wollte, beantragte man Landgang und vergaß man im Beisein eines Ausbilders mal die maritimen Ausdrücke dann musste man gleich zehn Liegestütze machen. Ja, und wenn man dann Landgang beantragte, wurde erst einmal geschaut, ob die kleine, weiße Fliege, die den Marinehalstuchknoten ziert, auch richtig gebügelt war, ob man ein Taschentuch dabei hatte; ja, manche Ausbilder gingen sogar soweit, die Sauberkeit der Fingernägel zu prüfen. Allerdings muss ich gestehen, dass das bei manchem Zeitgenossen auch nötig war, so bekamen manche Kameraden das erste Mal mit, was eigentlich Körperkultur ist.

Apropos Körperkultur, morgens, nach dem Wecken ging man erst einmal unter die Dusche oder man machte eine ordentliche Wäsche. Aber es gab durchaus Kameraden, die ungewaschen in ihre Uniform stiegen. Da solche Leute aber auch nachhaltig ein Stubenklima verschlechtern, man lag ja immerhin in einem Sechsbettzimmer, wurden diese Kameraden mit geeigneten Mitteln zur Körperpflege angehalten. Wir hatten auf unserer Bude keinen solchen Stinker, aber in unserer Kompanie war irgendwann Nächtens mal Lärm, da hatten andere Kameraden so einem, der die Körperpflege wohl arg vernachlässigte, den „heiligen Geist“ gebracht. Auch etwas, was es heute nicht mehr gibt weil es Körperverletzung ist, und wenn heute ein Vorgesetzter so etwas zulässt, steht er wegen der Duldung der Misshandlung von Schutzbefohlenen unversehens vor dem Kadi. Der heilige Geist funktionierte in aller Regel so, dass so ein Kamerad, der durch mangelnde Körperpflege auffällt, einen Sack oder in Ermangelung dessen, seine Schlafanzugsjacke über den Kopf gezogen bekommt, damit er hinterher nicht sagen kann, wer ihn zur Dusche veranlasst hat. Einige seiner Stubenkameraden verabredeten sich dann und mitten in der Nacht ging´s dann los. Der Kamerad wurde aus seiner Koje gezogen und unter die Dusche getragen; unter die kalte Dusche versteht sich. Manche Kameraden haben es in der Tat übertrieben, denn die rieben dem Delinquenten den Hintern mit Schuhcreme ein, damit er auch wusste, dass er sich gründlich reinigen musste. Ja, es gab da schon verschiedene Facetten, die es wirklich nötig machten diesem Treiben ein Ende zu bereiten und es unter Strafe zu stellen.

Wenn ich daran denke, dass ich zur Marine gegangen war, um mich eigentlich vor dem Marschieren drücken zu wollen, dann merkte ich spätestens jetzt, dass das ein Reinfall war. Angefangen hat alles mit einem fünf Kilometermarsch, um Glücksstadt herum, und später kam dann der „Härtemarsch“ das waren dann 30 Kilometer. Alle fünf Kilometer stand ein SanKa, (Sanitätsfahrzeug) um die Fußkranken einzusammeln. Blasen hat man sich gelaufen, um bloß keine Schwäche zu zeigen und sich dann hänseln zu lassen. Auch eine Kampfbahn gehörte zum Ausbildungsrepertoire, da lernten wir rüber zu gehen, was genau so ablief, wie man es im Fernsehen sieht. Man robbt unter Stacheldraht durch Pfützen, balanciert auf einem Balken, läuft springend durch Autoreifen, klettert über eine Brettermauer, obwohl man leicht darum herum hätte gehen können und schließlich hangelt man sich an Tampen (Tauen) über einen Graben wie Tarzan nur mit dem Unterschied, der hatte nur einen Lendenschurz um, wir mussten das mit Rucksack und Knarre machen.

Ach ja dann war da noch das Wache gehen, am Bootsschuppen, an der Elbe. Kurz vor Ende der Grundausbildung war ich mal wieder mit Wache am Bootshafen dran dummerweise regnete es, und ich rutschte auf diesem schmalen, matschigen Weg aus, dabei fiel mir die Braut des Soldaten, das Gewehr auf das Handgelenk. Die Folge davon war, dass ich mir das Handgelenk gebrochen hatte und damit war ich Außendienst und Sport befreit. Ich musste also nicht mehr über die Kampfbahn und konnte auch nicht am Rudern teilnehmen. Also ärztlich verordnete Ruhe dachte ich. Schattenseite war, dass ich zur Kombüse (Küche) abgeteilt wurde. Ich durfte also Kartoffeln schälen, während meine Kameraden bei herrlichem Wetter auf der Elbe pullten (ruderten). Aber auch das ging zu Ende und wir wurden zur weiteren fachbezogenen Ausbildung in die verschiedenen Ausbildungsbereiche kommandiert. Aufgrund meiner Vorausbildung sollte ich Versorger werden also Nachschubgehilfe. Zu dem Zweck wurde ich nach List auf Sylt, zur Versorgungsschule versetzt. Auf der Versorgungsschule wurden die Smutjes (Köche, man sagt: Schmuts), die Sanis (Sanitäter) und die Bürohengste, also die, die für den Spieß die Büroarbeiten machen, ausgebildet.

Sylt, wenn man sich heute den Namen auf der Zunge zergehen lässt, dann hat man nicht mehr vor Augen, dass da oben in List mal eine große Bundeswehreinheit stationiert war. Heute soll aus der Marineschule ein Internat für die Kinder der Besserverdiener werden. Würde ich ein Buch über meine Zeit bei der Bundesmarine schreiben, müsste ich allein dem Thema „Erlebnisse während der Dienstzeit auf Sylt“ ein ganzes Kapitel widmen, aber hier passt es nicht so ganz, vielleicht findet sich später eine Gelegenheit nochmal darauf zurück zu kommen. Jedenfalls wurde ich dort oben gut ausgebildet, um für den Nachschub mit Material für die Flotte zu sorgen. Nach Abschluss der Ausbildung wurde ich zu den Marinefliegern abkommandiert, zum Flugplatz Jagel, bei Schleswig. Fliegen durften bei der Marine nur Offiziere, also wieder einmal, gar keine Chance. Ich war bei der Marine an Land, noch deutlicher, bei der fliegenden Marine angekommen. Ja, auch die Marine hatte außer Hubschraubern, die meistens zur Seenotrettung eingesetzt wurden und den paar U-Boot-Jägern, große mit Technik vollgestopfte Maschinen, die sehr oft nicht einsatzfähig waren, auch richtige Jagd- und Aufklärungsflugzeuge, damals den Starfighter und später den Tornado. Dadurch, dass es immer mal wieder NATO-interne Vergleiche und Wettkämpfe gab, wussten wir, dass unsere Marineflieger im Vergleich mit anderen fliegenden Einheiten nicht schlecht abschnitten. Also war ich im Grunde da angekommen, wo ich eigentlich nicht hin wollte an Land und bei den Propellerputzern. Aber das war durch die Fachlichkeit der Marine besser, ich war im Nachschub tätig. Aber ab und zu marschieren musste ich trotzdem. Einmal im Jahr wurde auch bei der Marine marschiert.

Am Wochenende fuhr ich mit der Bahn über die Rendsburger Hochbrücke nach Hause, nach Hildesheim und jedes Mal, wenn ich auf der anderen Seite der Brücke ankam dachte ich, dass die Brücke jetzt eigentlich in sich zusammenstürzen könnte, aber sie steht heute noch und das ist gut so, denn inzwischen spielt sich mein Leben seit über vierzig Jahren diesseits der Brücke ab und oft genug fahre ich mittlerweile über die Brücke in der Hoffnung, dass sie auf der Heimreise immer noch steht. So ändern sich die Zeiten.

Damals war das Leben in der Kaserne recht langweilig. Wir waren in Doppelstuben, also keine 6-Mannzimmer mehr, untergebracht und unsere Buden befanden sich in kleinen Holzbaracken, auf dem Flugplatz. Man konnte fast zu Fuß nach Schleswig laufen, was aber ganz selten jemand tat. Wie schon gesagt, Schleswig war die nächst gelegene Stadt, wo auch am Wochenende etwas los war. Anfangs fuhr ich am Wochenende meistens nach Hildesheim, aber da man als junger Soldat nicht viel Sold erhielt, wurde auch das weniger und dann blieb man eben auch mal in Schleswig.

Die Unterkünfte des Geschwaders waren auf zwei Orte verteilt. Die Schlafstätten einiger Staffeln lagen in Kropp und der kleinere Teil in Jagel, wo auch der Flugplatz war. Wache mussten wir hier nicht gehen, dafür gab es zwei Wachdienste, ein ziviles Wachunternehmen, bei dem meistens ältere Landwirte als Nebenerwerb Streife gingen und die graue Wache, das sind Angestellte der Bundeswehr gewesen, die im 24-Stundendienst liefen. Längst hatte nach 1989, nach der Umstrukturierung der Bundeswehr, auch hier der Arbeitsplatzabbau um sich gegriffen. Heutzutage gehen nur noch zivile Wachen und auch die in erheblich reduziertem Umfang.

Ja, reduzierter Umfang und da schlägt in mir wieder das Herz des Gewerkschafters durch. Ein Paradoxon, denn gerade nachdem die Bundeswehr nach der Wiedervereinigung umstrukturiert wurde, wurden Arbeitsplätze abgebaut. Der breiten Öffentlichkeit ist bis heute weitestgehend unbekannt, wie viele Arbeitsplätze allein der Bund still und leise abgebaut hat. Der Bund als Arbeitgeber hat allein zwischen 1991 und 2008 den Personalbestand (nicht nur bei der Bundeswehr, sondern allgemein) um etwa ein Drittel abgebaut und das ging alles still und heimlich. andere Behörden sind diesem Beispiel gefolgt. So hat der gesamte Öffentliche Dienst fast zwei Drittel aller Arbeitsplätze abgebaut. Die Reduzierung der Bundeswehr, die Privatisierung des Post- und Fernmeldewesens, die Privatisierung der kommunalen Krankenhäuser. Wobei die Privatisierung der kommunalen Krankenhäuser der größte Schwachsinn der Geschichte war, weil man damit dem Gewinnstreben der Gesundheitsindustrie Tür und Tor geöffnet hat.

Aber allein dieses Thema würde mittlerweile ein Buch füllen. Wenn man aber die Anzahl der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst mit vielen anderen Ländern der westlichen Welt vergleicht, sind die Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst der Bundesrepublik, Bund, Gemeinden eingerechnet, inzwischen auf dem letzten Platz angelangt. Selbst Amerika hat im Verhältnis mehr Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, als wir. Auch Schweden und Frankreich – wobei Frankreich eigentlich eine zentralistisch geführte Verwaltung hat, dennoch hat auch die französische Republik wesentlich mehr Beschäftigte im öffentlichen Bereich, als die Bundesrepublik Deutschland.

Ja, auch dieser Rückblick gehört zur Bundeswehr, zur Geschichte der Bundeswehr und zur Beleuchtung des Hintergrundes, wie es einmal war, als wir damals noch eine Friedens- und Verteidigungsarmee waren. Aber nun zurück zum Flugplatz. Wir, die wir in Jagel untergebracht waren, orientierten uns mehrheitlich nach Schleswig und so blieb es nicht aus, dass ich gemeinsam mit anderen Kameraden nach Schleswig hinein fuhr. Praktischerweise hatte die Fahrbereitschaft der Bundeswehr eine Busroutine eingerichtet. Der Flugplatz wurde in zwei Schichten betrieben, dadurch wurde die Nachtschicht der Soldaten, die verheiratet waren und in Schleswig wohnten, mit bundeswehreigenen Bussen nach Schleswig gebracht und wenn es gerade gut passte, konnte man kostenlos damit aus Schleswig wieder direkt in die Unterkunft nach Jagel fahren. Der Schichtbetrieb war allerdings auch ein Aktivitätenkiller. Wenn man Nachtschicht hatte, konnte man auch bis mittags in der Ducht oder in der Koje (Bett, Ducht ist die Ruderbank) liegen. Ansonsten war morgens um 06: 00 Uhr Wecken.

In sicherlich fast allen Bundeswehrunterkünften gab es auf den Fluren Lautsprecher, weil Personen ans Telefon gerufen wurden (Handy gab es noch nicht) oder weil Besuch für sie da war, einfach eine organisatorische Frage. Bei Heer und Luftwaffe funktionierte das so, das der wachhabende Unteroffizier sich ans Mikrofon stellte und einmal oder wer weiß, wie oft, mit der Trillerpfeife ins Mikrophon pfiff und die Kompanie oder die Staffel weckte. Bei der Marine war man traditionsbewusster, egal ob an Bord, an Land, in welcher Einrichtung der Marine auch immer, geweckt wurde morgens mit der Bootsmannsmaatenpfeife, die ich heute übrigens immer noch als Relikt aus meiner Marinezeit habe. Der diensthabende Maat oder Obermaat (Unteroffiziersdienstgrade der Marine) ging, wenn er gut gelaunt war, fünf Minuten vor Sechs Uhr durch die Flure und pfiff leise und sagte dann einen Spruch auf, um die Kameraden schon mal auf das gleich erfolgende Wecken einzustimmen. Das ging so, leiser Pfiff: “Die eine Hand am Sack, die andere Hand am Socken, Seemann schlaf weiter, das war das Locken“. Aber dann, fünf Minuten später, dann brach der Sturm los, dann ging er wieder durch die Flure und pfiff, was das Zeug hergab, und auch dann kam ein nicht jugendfreier Spruch, den man sicher auch in Damengesellschaft nicht erzählen würde: „Seemann mach die Socken klar, die Waschfrau von Laboe ist da (oder zeigt von achtern klar), auf jedem Schiff, das dampft und segelt, ist einer, der die Waschfrau vögelt - Rise, Rise (Reise, Reise) aufstehen!!!“

Man hatte viele Sprüche und man hörte sie ja, und wenn man dann selbst mit Wache dran war, dann wiederholte man diese Sprüche. Oder einer war noch: „Kommt hoch, ihr faulen Leiber, die Pier steht voller nackter Weiber. Der UvD (Unteroffizier vom Dienst) der hat gelogen, sie waren alle angezogen, Rise, Rise, aufstehen!!!!“ Und dann war es üblicherweise so, dass fünf Minuten später der UvD durch die Buden ging und nachschaute, ob auch wirklich alle aufgestanden waren. Wer dann mehrere Male durch Liegenbleiben auffiel, der konnte gleich sicher sein, als Gehilfe des UvD die Nachtwache, als MvD (Matrose vom Dienst) übernehmen zu dürfen.

Auch als Versorger, also Nachschub, musste man an der Nachtschicht teilnehmen. Wir Versorger hatten das Materiallager zu führen und dazu gehörte auch die Werkzeugausgabe. Die Soldaten, die als Flugzeugmechaniker ihren Dienst taten, holten im Materiallager ihr Werkzeug und gaben dafür Werkzeugmarken ab. Darüber wurde genau Buch geführt, denn wenn tatsächlich mal einer einen Schraubenzieher in einer Maschine vergessen hatte, dann konnte das schon zu einem verheerenden Unfall oder gar zum Absturz der Maschine führen. Und wenn man Nachtschicht hatte, konnte man die Woche getrost abschreiben, dann war mit Freizeit nicht viel zu holen. Man ging nach Dienst, irgendwann zwischen 23: 00 und 01: 00 Uhr in die Koje. Doch zuvor hängte man einen Zettel an die Tür, dass man Nachtschicht hatte, um dann länger schlafen zu können. Gut man wurde zwar durch das Gepfeife wach, aber in jungen Jahren konnte man auch trefflich wieder einschlafen. Aber wenn man Schicht hatte, war auch nicht viel mit Freizeit. Und bei normaler Schicht war es eigentlich auch so, dass man allein kaum Lust hatte, nach Feierabend nach Schleswig rein zu fahren. Aber mit mehreren Kameraden und einem Ziel vor Augen war das etwas anderes und so lernte ich nach und nach eine hübsche kleine Stadt kennen, die durchaus ihre Reize hat und die mir auch heute noch, nach vielen Jahren immer nochmal neue Ecken zeigt. Mit einem Kameraden fuhr ich dann auch mal am Wochenende per Bahn nach Husum, aber wo man sich nicht auskennt, da ist auch nichts los, also trampten wir per Daumen wieder zurück, nach Jagel. An einem schönen Wochenendtag, war Peermarkt (Pferdemarkt – Kirmes oder Jahrmarkt) in Schleswig und ich ging mit dem Kameraden, mit dem ich in Husum gewesen war, durch die Buden und Karussellreihen. Am Autoscooter kreuzte sie meinen Weg, meine spätere Ehefrau. Ein stolzes, hübsches Mädchen. Ich glaube, es funkte auf beiden Seiten auf den ersten Blick. Ab jetzt hatte ich ein Ziel, wenn ich nach Feierabend nach Schleswig fuhr. Wir lernten uns näher kennen, gingen spazieren, tanzen und nahmen gemeinsam an Veranstaltungen teil.

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