Читать книгу bye bye SPD - Reinhard Vieth - Страница 7

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Die Geschichte des Versagens ist lang

Es ist immer der Mensch, der hinter einem Fehler steht. Aber ob das heute als Fehler betrachtete Verhalten oder Tun wirklich ein Fehler war, stellt sich immer erst in der Geschichte, hinterher heraus. Wie bereits in der Einführung angedeutet, verließen in der Ära Helmut Schmidt viele Genossen die Partei. Die Friedensbewegung und das aufbrechende Öko-Bewusstsein ließ viele Parteimitglieder mit dem damaligen Kurs der SPD hadern. Die Grünen wurden gegründet. Mit Helmut Schmidt ging die SPD schon auf eine andere, eine konservativere Schiene. Nicht neoliberal, aber die SPD öffnete sich der sozial-liberalen Richtung und war daher auch von liberal-Konservativen Wählern wählbar. Damit will ich keineswegs am Denkmal Helmut Schmidts kratzen, aber jedem Sozialdemokraten war bewusst, dass jetzt ein anderer Wind durch das alte Gemäuer der sozialen Demokratie pfiff.

Aber ihre Unschuld verlor die SPD endgültig unter dem Kanzler Gerhard Schröder, als unter seiner Kanzlerschaft, im Jahre 2002 die Hartz-IV-Gesetze verabschiedet wurden. Damals hatte ich in einem Leserbrief gefragt: SPD quo vadis? SPD, welchen Weg gehst du? Denn mit diesen Gesetzen wurden deutlich härtere Einschnitte in das soziale Netz vorgenommen, als je zuvor unter irgendeinem seiner Vorgänger. Bei jedem anderen Kanzler, insbesondere einem CDU-Kanzler, wäre ein Sturm der Entrüstung durchs Land gegangen, wenn der die sozialen Einschnitte vorgenommen hätte, wie sie unter Schröder vorgenommen wurden.

Keine Frage, die Sozialhilfe der 90er Jahre war als soziales Netz zu einer „Hängematte“ mutiert, in die sich nicht nur mehr der klassische Sozialhilfeempfänger in der dritten Generation, sondern mehr und mehr, auch Intellektuelle mit akademischem Abschluss und Menschen wie du und ich, die eigentlich gut im Beruf etabliert waren, die sich aber mit dem Anspruch fallen ließen „warum arbeiten, wenn man versorgt wird.“ Diese Art der Sozialhilfe musste in Form und Inhalt anders organisiert werden. Das ist allerdings kein Widerspruch zum bedingungslosen Grundeinkommen. Denn es wird immer Menschen geben, die sich am Rande, mit dem Minimum einrichten. Aber eine humanitäre Industriegesellschaft muss in der Lage sein, diese Menschen aufzufangen und ihr Leben und Überleben abzusichern. Aber das ist eine andere Geschichte, denn welche Probleme unsere kapitalistisch ausgerichtete, schnelllebige Gesellschaft mit sich bringt und welche menschlichen Opfer sie fordert kann hier nicht beleuchtet werden.

Aber die Unbeweglichkeit der Vorgängerregierung unter Helmut Kohl zwang im Grunde der SPD das Diktat des Handelns auf. Der Kanzler der Einheit hatte irgendwann, in den 92er Jahren gesagt, dass wir, dass die Menschen unserer Republik, durch ein Tal der Tränen werden gehen müssen. Aber er hat nach Kohlscher Art diese Frage ausgesessen und damit eigentlich das Tal als solches noch vertieft. Schon er hätte Maßnahmen ergreifen müssen, die Wohlstandsabfederung aufzufangen. Er hat in maßloser Selbstüberschätzung, weil er auch niemanden aus seiner eigenen Partei neben sich duldete, quasi billigend in Kauf genommen, dass in 1998 ein frisch – fromm – fröhlicher sozialdemokratischer Kanzler die Regierungsgeschäfte übernahm.

Die Regierung unter Kohl hatte derart abgewirtschaftet, dass sich sogar Leute abwandten, die sonst als treue Vasallen der CDU galten. Aber nun, da sich nichts mehr bewegte, quasi eine Politik des Stillstandes herrschte, musste die Wahl eine Wende bringen, und sie brachte eine Wende. Wie gesagt, Gerhard Schröder kam und ließ sich vom Fluidum eines volksnahen Kanzlers umwehen. Unvergessen sein Auftritt bei der Familiensendung „Wetten dass….“ Mit Thomas Gottschalk. Gerhard Schröder ließ sich feiern und feierte kräftig mit, bis er merkte, dass in der Bundeskasse gar nicht so viel Geld war, wie er auszugeben gedachte. Nun mussten Einschnitte gemacht werden. Eine Troika aus Gewerkschaftern, Wirtschaftsvertretern, den Kirchen und Politikern bekam die Aufgabe Wege aus der Bezahlgesellschaft zu finden. Allen voran ein ehemaliger VW-Personalmanager, Peter Hartz. Unter seiner Leitung fand die Troika den Weg zu Einsparungen im sozialen Netzwerk. Das Arbeitslosengeld wurde anders bezeichnet und aufgeteilt, die Arbeitslosenhilfe wurde umgestaltet und die Hartz IV-Gesetze wurden alsbald verabschiedet. Bis heute sind diese Gesetze umstritten. Denn vieles musste und muss auch heute noch, erst aufwändig vor den Sozialgerichten erstritten werden. Außerdem hätte man die Grundlagen längst auch wieder novellieren müssen, das heißt der Zeit anpassen müssen.

Andererseits muss man zur Ehrenrettung der Politik sagen, dass diese Einschnitte notwendig und hoch Zeit wurden, denn auch und gerade an der Basis war erkennbar, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte. Die soziale Hängematte war zu engmaschig geworden. Über mein berufliches Umfeld habe ich im Zusammenhang mit der Sozialhilfe einiges erlebt, was ihren Sinn und Inhalt sehr in Frage stellte. Ich begann meinen Beruf in der Kommunalverwaltung mit dem hehren Anspruch, den Menschen helfen zu wollen und die Menschen als Gleiche unter Gleichen zu sehen, doch meine Kollegin, die seit einigen Jahren schon das Sozialamt führte, sagte mir, dass ich „beschissen und belogen“ würde, wenn ich daneben stände. Das glaubte ich nicht, das vertrug sich nicht mit meinem Weltbild. Später habe ich ihr Abbitte geleistet. Ich habe erlebt, wie eine Lehrerin, die aus einem nicht unvermögenden Hause stammte, ihren Beruf aufgegeben hat, um mit ihrem „neuen“ Lebensgefährten zu leben; Leben, ohne sich das Leben durch Arbeit kaputt machen zu lassen. Der Lebensgefährte war ein abgebrochener Studiosus, der zwei Kinder mit in die Verbindung brachte. Sie lebten im als Ferienhaus erbauten Bungalow der Eltern der Frau. Der Vater dieser Frau lebte in einem Pflegeheim und war somit nicht zu Unterhaltsverpflichtungen heranzuziehen, weil sein Einkommen für die Leistungen der Pflegeeinrichtung verbraucht wurde.

Hier endlich einmal einen Punkt zu setzen und um Leistungsempfänger, wie die Lehrerin, wieder dazu bringen zu wollen, ihr Leben durch eigene Erwerbstätigkeit wieder in den Griff zu bekommen und damit die Gesellschaft zu entlasten, war das Ziel der „Schröder-Agenda“. Aber leider, wie so oft, wenn die Politik etwas steuernd in die Hand nehmen will, ging dieses Ansinnen schief. Man versuchte wieder einmal, um allen und allem gerecht zu werden, die Eier legende Wollmilchsau zu erfinden. Die Menschen sollten abgesichert sein, sollten aber auch dazu angehalten werden, Arbeit zu suchen.

Leider ist es in unserer Republik inzwischen jedoch so, dass jede kleine Gesetzesänderung auf ihre Lücken untersucht wird und dass diese Lücken, wenn so welche vorhanden sind, schamlos ausgenutzt werden. Mit der HartzIV-Gesetzgebung wurde nämlich auch die Tür zu prekären Beschäftigungsverhältnissen geöffnet. Wenn jetzt jemand außerhalb der Schwarzarbeit, die zu dieser Zeit ebenfalls ihre Blütezeit hatte, in einem Billiglohnjob eine Anstellung fand, wurde sehr schnell von der Arbeitgeberseite erkannt, solche Arbeitnehmer zum Amt, zum Aufstocken schicken zu können. Die Folge war, dass die Unternehmen sich immer weiter aus der Pflicht zogen und ihren Gewinn über Billiglohnjobs maximierten, die vom Staat letztendlich bezuschusst wurden. Das hatte aber auch zur Folge, dass wir weiter auf dem Weltmarkt Exportmeister waren, weil wir dadurch zu einem Billiglohnland mutierten. Auf die Folgen, die sich aus diesem Tun bis heute für Europa, insbesondere für die Länder ergaben, die unter den Euro-Rettungsschirm flüchten mussten, will ich hier gar nicht eingehen, weil das zu weit aus dem eigentlichen Thema heraus führen würde. Trotzdem sei so viel gesagt, dass wir im Grunde Arbeit subventioniert, also billiger gemacht haben und damit billiger als andere europäische Länder sein konnten.

Diese ganzen Einschnitte, die bis heute nachwirken wurden als eben die HartzIV-Gesetzgebung und als die Agenda 2010 bekannt. Man kann diese Ära und auch die Gesetzgebung in dieser Sache nicht in Gänze verteufeln, denn man kann heute sagen, dass die Agenda 2010 tatsächlich etwas gebracht hat. Dennoch bleibt die Frage nach dem gerechten Ausgleich - und darum hätte die Politik mit diesem Instrument arbeiten müssen - es ständig neuen Gegebenheiten und Herausforderungen anpassen müssen, aber stattdessen haben sich zu viele Menschen, aber auch zu viele Arbeitgeber auf Hartz IV eingerichtet. Und weil die Regierung Schröder neben der vermeintlichen Goodness Hartz IV gleich auch noch eine Steuersenkung für Mehrverdiener verabschiedete, schrumpften durch diese Umverteilung auch die Einnahmen des Staatshaushaltes und so mussten die Kosten zu Lasten anderer sozialer Ausgaben aufgefangen werden. Aber das wäre ein anderes Thema, ein anderes Buch. Insofern denke ich an meinen alten Deutschlehrer, der würde in diesem Fall sagen: „Reinhard, setzen, du gehst am Thema vorbei.“

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