Читать книгу bye bye SPD - Reinhard Vieth - Страница 9
ОглавлениеGewerkschaften und SPD, ein Widerspruch?
Wenn man als altes „Schlachtross“ so zurückblickt, muss man in der Summe der Betrachtungen zu dem Ergebnis kommen, dass das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der SPD nie ganz frei von Spannungen war. Beide Organisationen sind auf der Basis von Bündnissen gewachsen, Bündnissen die aus der Knechtung der Arbeiter entstanden und in denen sich die Arbeiter, das Proletariat, zusammengeschlossen hatten, um sich aus unwürdigen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien. Der damalige Arbeiter war durchaus vergleichbar mit den heutigen Näherinnen in Kambodscha und Bangladesch. Auch die versuchen jetzt, sich zu befreien. Sie sind zu hunderten in eine miefende Produktionsstätte eingepfercht und es gibt keine geregelten Pausen und einen Toilettengang nur, wenn es der Vorarbeiter erlaubt. Genauso ähnlich sah es hier aus, stinkende, laute Fabrikhallen, in denen man sein eigenes Wort nicht verstand, und mit einem Hungerlohn wurden die Arbeiter, die damals auch keine Feierabend- oder Pausenregelungen hatten, regelrecht ausgebeutet. Aber letztendlich kann kein Produkt ohne die Arbeit, ohne die Hilfe von Arbeitnehmern entstehen oder verkauft werden. Und dies erkannten auch unsere Ur-Väter und so gründeten sie quasi die Ur-Gewerkschaften, nämlich Arbeitervereine. Die wurden natürlich von den Arbeitgebern und natürlich auch von der Staatsregierung argwöhnisch beobachtet wurden. Denn eine Union, eine Interessenvertretung vieler ist stärker, als der einzelne. Damals entstand der Spruch, der auch heute noch Geltung hat: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“
Den einzelnen Arbeitnehmer, den kann ich als Betriebsinhaber nochmal mit Druck und Erpressung zur Weiterarbeit verpflichten, aber wenn ein ganzes Band, das es damals auch schon gab, stehen bleibt und die Kollegen solidarisch zusammenstehen, dann steht die Produktion. Es gibt keinen Lohn, aber auch keinen Gewinn. Den Lohnausfall kompensiert eben die Gewerkschaft, denn dafür zahlt man Beiträge.
Das will ich mal versuchen, an der Herstellung eines Kugelschreibers deutlich zu machen. Nur einen Kugelschreiber für den eigenen Gebrauch herzustellen lohnt nicht, also habe ich die Idee einen besonderen Kugelschreiber herzustellen und weil er so besonders gut in der Hand liegt, will ich ihn in größerer Stückzahl produzieren. Gleichzeitig muss ich ihn aber auch für einen Preis verkaufen, der es mir ermöglicht, Rohstoffe einzukaufen, um weitere Kugelschreiber herstellen zu können. Ich muss aber auch jemanden haben, der diese Dinger verkauft und inzwischen muss mir auch jemand bei der Herstellung helfen. Keiner der beiden Gehilfen, macht das umsonst aber ich möchte für die Idee und die Entwicklung natürlich auch für mich etwas übrig haben. Also muss ich eine Kalkulation aufstellen um erkennen zu können, wie viele Kugelschreiber ich umsetzen muss, um die Kosten aufzufangen und eben auch einen kleinen Gewinn übrig zu haben. Nun wollen meine Mitarbeiter aber auch etwas verdienen, sie wollen Essen und Bekleidung kaufen, also muss ich sie ordentlich entlohnen. Nun merken sie aber, dass mehr übrig bleibt, als erwartet, also schließen sie sich zusammen und sagen, dass sie mehr Geld wollen, weil sie für spätere Zeiten etwas zurücklegen wollen. Eine Union ist gegründet. Als Arbeitgeber habe ich aber kein Geld und keine Lust, freiwillig für meine Arbeitnehmer etwas für deren Alterssicherung zurück zu legen. Aber meine Beschäftigten sagen, dass sie so wenig verdienen, dass sie nichts zurücklegen können. In dem Moment werden die Politiker auf den Plan gerufen und die machen ein Gesetz, das mich zwingt, einen Teil des Lohnes zurück zu halten, da noch etwas drauf zu legen und in eine Kasse einzuzahlen. Meine Beschäftigten werden mit diesem Gesetz ebenfalls verpflichtet, einen Teil ihres Gehaltes ebenfalls in diese Kasse einzuzahlen. Damit haben wir den Grundstein zur so genannten Sozialpolitik gelegt. Und los geht es richtig, wenn einer der Beschäftigten die Segnungen dieser Rücklage in Anspruch nehmen will. Dann prüft der Gesetzgeber, der dieses soziale Gesetz geschaffen hat, ob der Antragsteller die Ansprüche, die er an die Kasse richtet überhaupt hat. Kommt er zu dem Schluss, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch hat, nimmt der Konflikt zwischen Arbeitnehmer und Sozialgesetzgeber seinen Lauf. Der Arbeitnehmer geht zu seiner Gewerkschaft und die streitet nun seine Ansprüche auch in diesem Falle für ihn durch.
Mit dieser einfach gestrickten Darstellung will ich versuchen rüber zu bringen, dass die Gewerkschaft also nicht nur der verkürzte Bogen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sondern auch seine Vertretung in allen Belangen um die Arbeit herum ist, weil die Gewerkschaft nur das Wohl ihrer Mitglieder im Auge hat, während eine politische Partei oder auch eine Partei mit sozialem Anspruch - das spreche ich auch den anderen demokratischen Parteien die im Bundestag vertreten sind nicht ab - das gesamtgesellschaftliche Wohl zu beachten hat.
Der Konflikt zwischen der Sozialdemokratischen Politik und den Gewerkschaften spiegelt sich besonders deutlich im Mannheimer Abkommen von 1906 wider. Die vor 150 Jahren entstandenen Arbeitervereine verstanden sich als eine soziale Bewegung zur Einforderung der Arbeitnehmerrechte. So wollten die einen nur ihre Rechte für besseren Lohn, Arbeitsschutz und Pausenregelungen durchsetzen und die anderen wollten den Staat zwingen Krankheitsabsicherungen und Rentenabsicherungen zu schaffen. Insbesondere der politische Flügel der Arbeiter- und der Sozialbewegung sagte: „Partei und Gewerkschaften sind eins.“ Aber die Gewerkschaften wollten sich schon damals nicht von der Sozialdemokratie vereinnahmen lassen und daraus folgte das Mannheimer Abkommen, das formal die Gleichberechtigung beider Organisationen nebeneinander vereinbarte.
Dieses Abkommen bildete für Jahrzehnte die Basis für das besondere Verhältnis, das bei aufbrechenden Konflikten immer vom Willen zur Gemeinsamkeit geprägt wurde. Das habe ich so inhaltlich einer Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung entnommen, die ich vor einiger Zeit besucht habe. Dort fühlte ich mich dazu animiert versuchen zu wollen, die Geschichte der beiden manchmal widerstrebenden Lager darzustellen. Deutlich zu machen, weshalb die SPD einen Kurs fährt, der praktisch in ewigen Schlangenlinien verläuft. Die SPD sieht sich, wenn sie die Mehrheiten auf ihrer Seite hat, genauso staatstragend, wie die anderen Parteien.
Ein Beispiel dafür mag der letzte sozialdemokratische Kanzler, Gerhard Schröder geben, der einen inneren Kampf mit Oskar Lafontaine austrug, der dann im Rücktritt und sogar Austritt Oskar Lafontaines aus der SPD nach sich zog. Nach seinem Rücktritt kritisierte Lafontaine den Kurswechsel des Kanzlers hin zu einer arbeitnehmer- feindlichen Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik an vielen Einzelbeispielen. Ein Beispiel, das bis heute nachhaltig in Erinnerung steht ist die Abschmelzung der Rentenbezüge.
Das hat zur Folge, dass die einst immer zweitstärkste politische Kraft unserer Republik, inzwischen keine große Rolle mehr spielt. Man kann vom Arbeitnehmerflügel der CDU, der CDA inzwischen schon fast mehr erwarten, als von den Sozialdemokraten. Möglicherweise muss man auch, wenn man sich neben der Gewerkschaftspolitik auch für die Sozial- oder Gesellschaftspolitik interessiert, einen Weg suchen, der nicht zwangsläufig zur SPD führt, denn die SPD versucht vielleicht eine sozial orientierte Politik zu steuern, aber reine Arbeitnehmerpolitik macht sie schon lange nicht mehr.
Auch wenn sich die der ehemalige Vorsitzende Siegmar Gabriel dieser Gemeinsamkeit erinnert hat und darum öffentlich erklärt, dass sich die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften nicht mehr auseinanderdividieren lassen wollen, so sieht die Praxis im Inneren der Partei ganz anders aus. An einem kürzlich erlebten Beispiel will ich aufzeigen, wie die SPD tickt. Aber dass der folgende Fall kein Einzelfall ist, das wurde mir bei anderer Gelegenheit von einigen Gewerkschaftssekretären berichtet, die in den tariflichen Auseinandersetzungen mehrfach vor Ort mit Akteuren der Politik zu tun hatten.
Schon hier in meiner Heimatstadt, im kleinen Stadtrat der Stadt Schleswig wird diese Erklärung des Parteivorsitzenden durch aktives Gegentun konterkariert. Da wird speziell in der SPD-Fraktion um jedes Zehntel einer Stelle gefeilscht. Der Kämmerer wollte für eine seiner Abteilung zusätzlich zugedachten Aufgabe, eine halbe Stelle mehr haben. Alle anderen Ratsfraktionen hatten das als zwangsläufig hingenommen. Ich hatte mich zuvor extra in der Fachabteilung meiner ehemaligen Behörde schlau gemacht und trat dafür ein, diese halbe Stelle als notwendig schaffen zu wollen, denn zur Erhebung einer angedachten Zusatzsteuer sind zahlreiche Vorarbeiten zu leisten. Aber meine Fraktion wollte ihm nach langer Debatte, ob überhaupt eine Stelle geschaffen werden müsste, nur eine 0,2 Stelle genehmigen. So kann sozialdemokratische Politik vor Ort nicht glaubhaft rüber gebracht werden. So wird es ein gegenseitiges Verständnis zwischen Arbeitnehmern und SPD nicht geben, da helfen selbst die idealsten Beschwörungen eines fernen Vorsitzenden gar nichts.