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(2) Länge der Anhörungsfrist

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Für die Länge der dem Beschuldigten zu gewährenden Vorschlagsfrist verbieten sich freilich starre Regeln. Verschiedentlich geforderte starre Fristen von 3, 5 oder 10 Tagen[32], 1 Woche[33] oder 2 Wochen[34] können allenfalls als Richtwerte gelten.[35] Die Frist muss nach den Umständen des Einzelfalles bemessen werden. Die bei der Fristbestimmung zu berücksichtigende Interessenlage zwischen der einerseits möglichst frühen Verteidigung und andererseits der notwendigen Zeit, einen geeigneten Verteidiger zu finden, kann unterschiedlich ausfallen.[36] Unabhängig von der Länge der zu setzenden Frist gilt, dass es sich um keine Ausschlussfrist handelt. Benennt der Beschuldigte erst nach Fristablauf einen gewünschten Verteidiger seines Vertrauens, so ist dieser gleichwohl – ggf. unter Entpflichtung des dann nach Auswahl des Gerichts beigeordneten Rechtsanwalts – beizuordnen, denn allein der Fristablauf kann dem Beschuldigten das Benennungsrecht nicht nehmen.[37]

Bei der Bestimmung der Frist ist zunächst zu bedenken, dass der Beschuldigte dringend des Beistands eines Verteidigers bedarf. Zur Erreichung einer baldmöglichsten Freilassung sind oft umfangreiche und zeitraubende Bemühungen erforderlich. Dabei geht es zum einen um die (nochmalige) Beschaffung der Akten als Grundlage für die Verteidigung und die Besprechung mit dem Beschuldigten und Vorbereitung einer Haftbeschwerde oder einer mündlichen Haftprüfung. Zum anderen kann auch z.B. die Beibringung von Dokumenten über Wohnung, Arbeitsstelle etc. oder bei Aussicht auf eine Außervollzugsetzung gegen Kaution die Beschaffung der Sicherheit (z.B. durch Verhandlungen mit einer Bank über die Stellung einer Bankbürgschaft) erforderlich sein. Daneben können Gespräche mit Dritten notwendig werden, um z.B. Arbeitsplatz und Wohnung zu erhalten und dies durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen. Alle diese Aktivitäten dulden keinen Aufschub, brauchen aber Zeit und können nur von dem Verteidiger in der gebotenen Beschleunigung entfaltet werden. Ein Zuwarten mit der Verteidigerbestellung kann daher zu einer Verlängerung der Haft führen.

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Die Situation spitzt sich zu, wenn weitere Ermittlungshandlungen bevorstehen, die die Teilnahme eines Verteidigers erfordern. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn der dringende Tatverdacht auf die belastenden Angaben eines Zeugen in einer polizeilichen Vernehmung gestützt wird und die Staatsanwaltschaft (nach der Inhaftierung) eine richterliche Vernehmung des Zeugen beantragt. Da mit der Inhaftierung ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, d.h. das weitere (Ermittlungs-) Verfahren nicht ohne Verteidiger geführt werden darf, muss die Beiordnung so rechtzeitig erfolgen, dass der Verteidiger vom Vernehmungstermin benachrichtigt werden und vorher mit dem Beschuldigten die Verteidigung vorbereiten kann.[38] Ansonsten könnte es zu einem Verstoß gegen das Konfrontationsrecht nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK kommen. Unterbleibt die Beiordnung und kann der Belastungszeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden, etwa weil er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 52 beruft, läge eine Verletzung des Konfrontationsrechts nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK vor, da der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt hätte, Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Nur die vom Gesetz ohnehin angeordnete „unverzügliche“ Beiordnung eines Verteidigers kann in diesem Fall den Konventionsverstoß verhindern.

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Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die Beiordnung in der Regel für das gesamte Verfahren gilt. Insoweit hat sie für den Beschuldigten weitreichende Konsequenzen, da er mit diesem Verteidiger unter Umständen das gesamte Verfahren „durchstehen“ muss. Obwohl die frühere restriktive Rechtsprechung zur Rücknahme der Beiordnung und Auswechselung des Pflichtverteidigers inzwischen aufgeweicht ist[39], kann nicht darauf vertraut werden, dass ein späterer Pflichtverteidigerwechsel erfolgt (vgl. zur Rücknahme der Bestellung unten Rn. 325). Daraus folgt, dass dem Beschuldigten eine solche Frist eingeräumt werden muss, die es ihm ermöglicht, sich die Verteidigerwahl gründlich zu überlegen. Auch kann der Beschuldigte ein Interesse an einem vorherigen Anbahnungsgespräch mit dem vorzuschlagenden Verteidiger oder an der Beratung mit Vertrauten vor der Unterbreitung des Vorschlags haben.

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Eine vorherige Besprechung mit einem Verteidiger in einem Anbahnungsgespräch setzt voraus, dass er aus der Haft einen Rechtsanwalt mit der Bitte um Besuch kontaktiert. Dies dauert – selbst wenn der Beschuldigte schon direkt am Tage seiner Inhaftierung einen bestimmten Verteidiger in Aussicht nehmen kann, was regelmäßig nicht der Fall sein dürfte – auf dem Postweg mindestens 2 Tage. Ferner ist davon auszugehen, dass der angeschriebene Verteidiger nicht am Tage des Eingangs der Besuchsbitte den Inhaftierten aufsuchen kann (Besuchserlaubnis für Anbahnungsgespräch!). Insoweit sind mindestens 2 weitere Tage in Ansatz zu bringen. Insgesamt wären bis zur Durchführung des Erstgesprächs mindestens 5 Arbeitstage erforderlich.[40] Dieser Zeitraum verlängert sich noch, wenn sich der Beschuldigte mit Freunden oder Familienangehörigen über die Verteidigerwahl beraten will, wobei in diesen Fällen ein Besuch nur dann möglich ist, wenn der Kontakt des Inhaftierten zu den Angehörigen schnellstmöglich hergestellt, diesen unverzüglich die Besuchserlaubnis erteilt und ein Besuchstermin zugewiesen wird.

Insgesamt streitet das Interesse des Beschuldigten an ausreichender Zeit zur Auswahl des Verteidigers mit der Notwendigkeit einer unverzüglichen Beiordnung, damit sofort die erforderlichen Schritte zur Beendigung der Inhaftierung unternommen werden können.

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Die Frage der Länge der zu gewährenden Vorschlagsfrist und des Zeitpunkts der Beiordnung ist bei der Pflichtverteidigerbeiordnung nach Erlass des Haftbefehls und Anordnung des Vollzuges nach vorläufiger Festnahme anders zu beurteilen als bei der Festnahme aufgrund eines bestehenden Haftbefehls. In letzterem Fall liegen die Beiordnungsvoraussetzungen mit der Festnahme bereits vor, da die Untersuchungshaft vollzogen wird. Dem Beschuldigten ist daher spätestens in der Vorführungsverhandlung und vor seiner Vernehmung der Verteidiger zu bestellen (vgl. dazu Rn. 334, 341 ff.). Dies ist deswegen geboten, da Ermittlungshandlungen anstehen, an denen ein Verteidiger ein Anwesenheitsrecht hat, nämlich die Vernehmung des Beschuldigten, § 168c Abs. 1. Anders ist die Situation bei Erlass des Haftbefehls nach vorläufiger Festnahme. In diesem Fall ist die richterliche Vernehmung des Beschuldigten bereits erfolgt, so dass jedenfalls im Hinblick darauf kein unmittelbarer Handlungsbedarf mehr besteht. Die Frist kann daher an den Verteidigungsinteressen des Beschuldigten ausgerichtet werden.

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Wie lange die Frist zu bemessen ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Sie hängt von den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der oben geschilderten für und gegen eine sofortige Beiordnung sprechenden Gesichtspunkte ab.

Beabsichtigt die Staatsanwaltschaft, kurze Zeit nach der Inhaftierung eine richterliche Zeugenvernehmung zu beantragen, wird, sofern die Zeugenvernehmung keinen Aufschub gebietet, die Frist sehr kurz zu bemessen sein. Sie ist so zu bemessen, dass eine Beiordnung noch rechtzeitig vor der beabsichtigten Zeugenvernehmung erfolgen kann und der Verteidiger noch Gelegenheit hat, die bevorstehendende Vernehmung mit dem Mandanten zu besprechen. Ggf. muss die Frist auf die Dauer der Vorführungsverhandlung beschränkt sein. Die Gewährung einer längeren Vorschlagsfrist muss in diesem Fall hinter dem Erfordernis sofortiger Beiordnung im Hinblick auf die für das gesamte Verfahren weichenstellende Ermittlungshandlung zurückstehen. Benennt der Beschuldigte einen Verteidiger, ist dieser nach vorheriger (telefonischer) Verständigung durch den Haftrichter beizuordnen.

Benennt der Beschuldigte keinen Verteidiger, wird der Haftrichter einen von ihm ausgewählten Verteidiger zur Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten bei der richterlichen Zeugenvernehmung rechtzeitig vor der Vernehmung beizuordnen haben.

Die Staatsanwaltschaft, der die Notwendigkeit der Verteidigerbeiordnung mit der Inhaftierung bekannt ist, wird auf die rechtzeitige Beiordnung vor der von ihr beantragten richterlichen Zeugenvernehmung zu dringen haben. Denn die Staatsanwaltschaft ist als Herrin des Ermittlungsverfahrens verpflichtet, für die Einhaltung der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren Sorge zu tragen.[41]

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Es sind auch Fälle denkbar, in denen der Haftrichter den Haftbefehl zwar erlassen und den Vollzug der Haft angeordnet hat, aber auch nach seiner Auffassung Umstände vorliegen, die eine Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls in einem nahen Haftprüfungstermin nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn Wohn- und Arbeitsverhältnisse noch abschließend zu klären sind und mit der Klärung die Haftgründe entfallen können. Gleiches gilt auch bei einer in Aussicht genommenen Einlassung des Beschuldigten, die den dringenden Tatverdacht oder die Haftgründe ins Wanken bringen könnte. Auch in dieser Situation ist eine umgehende Beiordnung erforderlich, damit die erforderlichen Verteidigungsaktivitäten sofort entfaltet werden können. In diesen Fällen könnte es angebracht sein, den Beschuldigten zu befragen, ob ihm eine kurze Überlegungsfrist für die Benennung eines Verteidigers eingeräumt werden soll oder ob er eine sofortige Beiordnung eines vom Haftrichter zu benennenden Verteidigers wünscht. Wünscht der Beschuldigte eine Überlegungsfrist, ist ihm diese einzuräumen. Dies gebietet der Respekt vor der Autonomie und der Dispositionsfreiheit des Beschuldigten, der mit dem Verlangen nach einer Überlegungsfrist in die mögliche Verlängerung seiner Inhaftierung einwilligt. Der Beschuldigte kann gerade im Hinblick auf die für das gesamte Verfahren geltende Verteidigerbeiordnung ein Interesse daran haben, einen Verteidiger vorzuschlagen, von dem er meint, mit diesem im weiteren Verfahren zusammenarbeiten zu können.

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Andererseits darf auch nicht übersehen werden, dass der Beschuldigte während des Laufs der Anhörungsfrist -dem Zweck der Neuregelung einer möglichst schnellen anwaltlichen Betreuung zuwiderlaufend – verteidigungslos gestellt ist. Dementsprechend wird man, um einerseits dem Unverzüglichkeitsgebot noch Rechnung zu tragen und andererseits dem Beschuldigten die notwendige Zeit zur Suche des passenden Verteidigers einzuräumen eine regelmäßige Höchstfrist von 2 Wochen annehmen können. Aber auch eine solche 2-Wochen-Frist kann keine starre Obergrenze sein, etwa dann, wenn der Beschuldigte sich in einem ersten Anbahnungsgespräch mit dem zunächst gewünschten Verteidiger nicht einig werden konnte und sonstige Gründe eine sofortige Beiordnung nicht erfordern.

Im Ergebnis wird man aber von einer regelmäßigen Höchstfrist von 2 Wochen auszugehen haben, die nach den Umständen des Falles entsprechend verkürzt, ggf. aber auch verlängert werden kann. Wird die Frist angesichts der erörterten Umstände verkürzt oder entfällt sie (ausnahmsweise) ganz, so ist dem Beschuldigten, der innerhalb der kurzen Frist entweder gar keine oder nur eine „Verlegenheitswahl“ getroffen hat, ggf. im weiteren Verfahren ein vereinfachter Verteidigerwechsel zu ermöglichen (siehe dazu unten Rn. 325 ff.).

Verzichtet der Beschuldigte im Rahmen der Vorführung auf sein Recht auf Benennung eines Verteidigers oder äußert er, er kenne keinen Verteidiger, so ist im dennoch eine Überlegungsfrist zu gewähren, wenn fraglich ist, ob er sich der Bedeutung, Tragweite und Bindungswirkung seiner Erklärung bewusst war.[42]

Hat der Beschuldigte seine Wahl getroffen, hat der Haftrichter die Beiordnung des benannten Verteidigers nach dessen Anhörung ebenfalls unter Beachtung des Unverzüglichkeitsgebotes vorzunehmen.[43] Er darf dann auch nicht mehr zunächst den Ablauf einer eventuell gesetzten Benennungsfrist abwarten. Er muss alle zumutbaren Anstrengungen für eine umgehende Beiordnung unternehmen, in der Regel wird er sich sofort telefonisch mit diesem in Verbindung setzen müssen, um zu klären, ob dieser bereit und in der Lage ist, die Verteidigung zu übernehmen.[44]

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