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jj) Verwertungsverbote bei unterbliebener rechtzeitiger Beiordnung
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§ 140 Abs. 1 Nr. 4 normiert den Fall notwendiger Verteidigung ab Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft. Dies bedeutet, dass die Teilnahme eines Verteidigers am weiteren Ermittlungsverfahren unmittelbar nach dem Vollzug der Haft erforderlich ist. Dem Verteidiger stehen somit u.a. das Anwesenheits- und Benachrichtigungsrecht zu bei allen richterlichen und staatsanwaltlichen Beschuldigtenvernehmungen nach §§ 168c Abs. 1 und 5, 163a Abs. 3, bei allen richterlichen Zeugenvernehmungen nach § 168c Abs. 1, 5, 168e, bei kommissarischen Vernehmungen gem. § 224 sowie das Mitwirkungsrecht i.S.d. § 255a[76] zu.
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Ist nach Anordnung des Vollzuges der Untersuchungshaft die rechtzeitige Beiordnung vor diesen Vernehmungen unterblieben, so unterliegen diese einem Verwertungsverbot. § 140 Abs. 1 Nr. 4 normiert den Fall notwendiger Verteidigung ab Vollzug der Untersuchungshaft, § 141 Abs. 3 S. 4 schreibt die „unverzügliche“ Beiordnung nach Inhaftierung vor. Stehen Ermittlungshandlungen bevor, an denen der Verteidiger ein Teilnahmerecht hat, so ist der Verteidiger vor Durchführung der Ermittlungshandlungen beizuordnen. Die Staatsanwaltschaft, der die Inhaftierung und die damit erforderliche Pflichtverteidigerbeiordnung bekannt ist, hat etwa im Zusammenhang mit dem Antrag auf eine richterliche Zeugenvernehmung auf die rechtzeitige Beiordnung vor der Vernehmung zu dringen.[77] Die Existenz der Strafverteidigernotdienste, die Angabe von Handynummern für eine Erreichbarkeit außerhalb der Bürozeiten und an Wochenenden auf der Liste der Verteidiger, die bereit sind, Pflichtverteidigungen zu übernehmen und die Tatsache, dass zahlreiche Verteidiger auf ihrem Briefkopf eine Notfallnummer für die Erreichbarkeit außerhalb der Bürozeiten angegeben haben, lassen es ausgeschlossen erscheinen, dass auch innerhalb kürzester Frist kein beizuordnender Verteidiger gefunden und so dem Gesetzesbefehl der unverzüglichen Beiordnung Rechnung getragen werden kann. Da der Verteidiger bei den oben beschriebenen Ermittlungshandlungen nur ein Teilnahmerecht hat, insoweit also keine Teilnahmepflicht besteht, kommt es allein auf die Benachrichtigung des beigeordneten Verteidigers an, die im Hinblick auf Handy und E-Mail keinerlei Schwierigkeiten bereitet.
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Da somit immer die Möglichkeit besteht, auch kurzfristig die Verteidigerbeiordnung vorzunehmen, steht die gesetzeswidrige Unterlassung der rechtzeitigen Beiordnung dem Fall gleich, in dem der Verteidiger, der sich bereits gemeldet hat, vom Termin der Ermittlungshandlung nach § 168c Abs. 5 nicht benachrichtigt wird. Dabei macht es wie bei § 168c Abs. 5 keinen Unterschied, ob die Beiordnung versehentlich, absichtlich oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist.[78] Daraus folgt wie bei Verletzung der Benachrichtigungspflicht nach § 168c Abs. 5 auch bei der unterbliebenen rechtzeitigen Pflichtverteidigerbeiordnung ein Verwertungsverbot für die Ermittlungsergebnisse, die unter Verletzung der Benachrichtigungspflicht gewonnen wurden.[79]
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Die Rechtsprechung zur Antragspflicht der Staatsanwaltschaft auf Verteidigerbeiordnung nach § 141 Abs. 3 a.F.[80] bzw. im Falle des (noch) nicht inhaftierten Beschuldigten[81] bei bevorstehenden richterlichen Zeugenvernehmungen und zur Kompensation der Unterlassung der Beiordnung im Wege der Beweiswürdigung, die ein Verwertungsverbot verneint, kann für die Frage des Verwertungsverbots bei unterbliebener rechtzeitiger Verteidigerbestellung nach §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 S. 4 nicht herangezogen werden. .
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Denn diese Rechtsprechung knüpft, soweit sie lediglich eine Beweiswürdigungslösung annimmt, an die mögliche Verletzung des Konfrontationsrechts nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK infolge der unterbliebenen Verteidigerbeiordnung an. So liegt der Fall aber bei Unterlassung der rechtzeitigen Pflichtverteidigerbeiordnung ab Vollzug der Untersuchungshaft nicht. Hier geht es nicht um eine Verletzung des Fragerechts, sondern darum, dass dem Beschuldigten der gesetzlich vorgeschriebene unverzügliche Verteidigerbeistand jedenfalls während entscheidender Ermittlungshandlungen ohne sachliche Rechtfertigung vorenthalten wird. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der notwendigen Verteidigung ab Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft ausdrücklich Belange der Wahrheitsermittlung hinter die Verteidigungsinteressen des in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten zurückgestellt. Aus diesen Gründen kann die zum Teil divergierende Rechtsprechung und die sich daraus ergebende unsichere Rechtslage zum alten Recht für die Frage des Verwertungsverbots nicht herangezogen werden. Die Missachtung des Gesetzesbefehls zur unverzüglichen Beiordnung muss daher dem Fall gleichgestellt werden, in dem der Pflicht zur Benachrichtigung des Verteidigers nach § 168c Abs. 5 nicht nachgekommen wurde.