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hh) Beiordnung des vom Beschuldigten benannten Verteidigers
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Benennt der Beschuldigte einen Verteidiger, so hat der Haftrichter diesen unverzüglich zu informieren und beizuordnen, wenn keine wichtigen Gründe entgegenstehen. Der Beschuldigte hat grundsätzlich einen Anspruch auf Beiordnung des gewünschten Verteidigers,[45] das Gericht hat gem. § 142 Abs. 1 S. 2 nur zu prüfen, ob der Beiordnung ein „wichtiger Grund“, etwa eine Interessenkollision entgegensteht. Nach Streichung des bisherigen § 142 Abs. 1 S. 1 (Auswahl des Verteidigers aus der Zahl der im Gerichtsbezirk zugelassenen Rechtsanwälte) wird dem Beschuldigten daher auch ein von ihm benannter auswärtiger Verteidiger beizuordnen sein.
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Eine sofortige Beiordnung, ggf. sogar noch in der Vorführungsverhandlung, birgt jedoch auch Probleme. Wenn der Beschuldigte z.B. den von ihm vorgeschlagenen Verteidiger „nur“ aus einer vorgelegten Verteidigerliste auswählt, aber nicht aus vorangegangener Zusammenarbeit kennt und „ins Blaue hinein“ einen Verteidiger vorschlägt, so kann der benannte Verteidiger für den Deliktsbereich, der Gegenstand des Haftbefehls ist, wenig kompetent sein, was dem Beschuldigten nicht bekannt ist (z.B. ein versierter Verteidiger in Steuerstrafsachen für ein kompliziertes Betäubungsmittel- oder Sexualstrafverfahren). Auch kann der Beschuldigte „in seiner Not“ den für die Familie bisher z.B. in Zivilsachen tätigen, in Strafsachen aber unerfahrenen Anwalt benennen, was sich erst bei einem Gespräch zwischen Beschuldigtem und Anwalt herausstellen kann. (zur Rücknahme der Bestellung siehe unten Rn. 325).
Diese Probleme können jedenfalls teilweise dadurch gelöst werden, dass der Haftrichter unabhängig von der Anhörung des Verteidigers vor der Beiordnung dem Beschuldigten ein Telefongespräch mit dem in Aussicht genommenen Verteidiger ermöglicht. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass durch die Beiordnung etwas zusammengeführt wird, was nicht zusammen passt.[46]
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Möglich, wenn auch erheblich zeitaufwändiger wäre es, wenn der Haftrichter dem vorgeschlagenen Verteidiger mit Zustimmung des Beschuldigten einen Besuchsschein für ein Anbahnungsgespräch ausstellt und den Verteidiger bittet, nach umgehender Unterredung mit dem Beschuldigten einen Beiordnungsvorschlag zu unterbreiten. In dem Anbahnungsgespräch wird sich sehr schnell klären, ob Beschuldigter und Anwalt vertrauensvoll zusammenarbeiten können oder nicht. Im letzteren Fall wird der Verteidiger in der Lage sein, dem Beschuldigten einen kompetenten Kollegen als Alternative zu benennen, der dann dem Haftrichter unverzüglich als neuer Vorschlag des Beschuldigten unterbreitet werden kann. Die Durchführung eines Anbahnungsgesprächs vor der Beiordnung wird umso mehr geboten sein, je schwerer der gegen den Beschuldigten erhobene Tatvorwurf wiegt (z.B. Kapitaldelikte), je höher die Straferwartung ist oder je spezieller die Materie ist, die Gegenstand des Tatvorwurfs ist (z.B. KWKG, Organisationsdelikte, Steuerdelikte).
Die Gewährung eines Anbahnungsgesprächs steht natürlich unter dem Vorbehalt, dass keine sofortige Beiordnung etwa im Hinblick auf weitere Ermittlungshandlungen, bei denen der Verteidiger ein Anwesenheits- oder Mitwirkungsrecht hat, bevorstehen (siehe dazu Rn. 99).
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Unabhängig davon, ob der Beschuldigte vor der Beiordnung telefonischen oder persönlichen Kontakt zu dem gewünschten Verteidiger hat, muss das Gericht vor der Beiordnung den in Aussicht genommenen Verteidiger kontaktieren, um möglicherweise bestehende tatsächliche oder rechtliche Hinderungsgründe gegen die Übernahme der Verteidigung abzuklären. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beiordnung des Verteidigers auf Vorschlag des Beschuldigten oder nach Auswahl durch das Haftgericht erfolgt. Denn gerade wenn die Pflichtverteidigerbeiordnung dem Beschuldigten im Falle seiner Inhaftierung eine effektive Beistandsleistung gewährleisten und nicht nur auf dem Papier stehen soll, muss sichergestellt sein, dass der Verteidiger in der Lage ist, den Beschuldigten sofort zu kontaktieren und die erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen. Bedenkt man, dass ein Verteidiger nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO erst dann für seine Vertretung sorgen muss, wenn er sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will, der Verteidiger erkrankt oder arbeitsüberlastet sein kann, so dass er ein arbeitsintensives Haftmandat mit dem Erfordernis des sofortigen Tätigwerdens nicht übernehmen kann, dass der Übernahme der Verteidigungstätigkeit das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 S. 1) oder sogar der Straftatbestand des Parteiverrats (§ 356 Abs. 1 StGB) entgegenstehen kann, zeigen schon diese Beispiele, dass der Beiordnungsentscheidung des Gerichts eine Kontaktaufnahme zu dem vom Beschuldigten gewünschten oder vom Gericht ins Auge gefassten Verteidiger vorauszugehen hat. Zu einer Anhörung des Verteidigers vor seiner Bestellung ist das Gericht ohnehin nach § 28 Abs. 1 VwVfG verpflichtet[47], wenn man zutreffenderweise die Beiordnungsentscheidung des Gerichts zwar dem Beschuldigten gegenüber als Akt der Rechtsprechung, dem Rechtsanwalt gegenüber jedoch als einen auf der Grundlage von § 49 BRAO in seine Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG) eingreifenden Justizverwaltungsakt qualifiziert[48].