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Das Problem

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So wie es mir mit zwanzig ging, geht es sehr vielen Menschen auch noch im höheren Alter. Wenn sie sich verlieben und die geliebte Person ihre Zuneigung erwidert, schweben sie im siebten Himmel. Doch der siebte Himmel ist kein Ort zum Leben. Spätestens bei der ersten Meinungsverschiedenheit findet sich das Traumpaar auf dem Boden der Tatsachen wieder.

Wie kann es sein, dass der über alles geliebte Mensch nicht das will, was ich will?

Warum findet er nicht das schön, was ich schön finde?

Heißt das, dass er mich gar nicht richtig liebt?

Und wie soll ich (weiter)leben, wenn ich ihm offensichtlich gleichgültig bin?

Wenn wir lieben, gehen wir eine Bindung ein. Uns ist nicht mehr egal, was die Person, in die wir uns verlieben, denkt, fühlt und tut. Ganz im Gegenteil. All das ist uns auf einmal superwichtig. Wir möchten Harmonie und Gleichklang erleben, gleichzeitig soll alles neu und aufregend sein. Wir denken nicht mehr nur an uns selbst, sondern ebenso an diesen anderen besonderen Menschen und an uns beide als Paar. Das alles ist eine bewegende und wunderbare Erfahrung. Doch gleichzeitig machen wir uns damit verletzlich. Es reicht aus, wenn der Lieblingsmensch bedrückt wirkt, um unser Mitgefühl zu wecken. Ist er ärgerlich, fragen wir uns, ob wir etwas falsch gemacht haben oder was wir tun können, um seine Laune zu verbessern. Unsere Antennen sind auf Empfang geschaltet und nehmen sowohl Verbindendes als auch Trennendes sehr sensibel wahr. Wir fühlen uns nicht mehr nur für unsere Emotionen, sondern auch für die des oder der anderen ein Stück verantwortlich. Es ist eine Verbindung entstanden, die nicht mehr ohne Weiteres gekappt werden kann.

Als Scheidungsanwältin habe ich einmal eine Mandantin vertreten, die mit einem Mann verheiratet war, der schwerer Alkoholiker war (Alkoholabhängigkeit des Ehemannes ist übrigens einer der Hauptgründe, warum Frauen sich trennen). Aus der ursprünglich tiefen Zuneigung war ein quälendes Hin und Her aus Vorwürfen, Versprechungen und neuerlichen Abstürzen geworden. Meine Mandantin konnte nicht mehr. Sie hatte sich entschlossen, auszuziehen und die Scheidung zu beantragen. Einige Wochen später rief sie mich an und berichtete, dass ihr Mann verstorben war. Es war kein Suizid, jedenfalls kein offensichtlicher. Der Körper des Mannes zeigte weder Zeichen von Gewaltanwendung, noch hatte er tödliche Medikamente geschluckt. Er hatte aber offenbar seinen Lebenswillen verloren und notwendige Medikamente nicht mehr eingenommen. Bei seinem vorgeschädigten Körper reichte das aus, um den Tod herbeizuführen.

Das ist sicherlich ein drastischer Fall, der nicht alle Tage vorkommt. Doch halt, ist das wirklich so? Wie viele Menschen erkranken oder erleiden schwere Unfälle nicht zufällig, sondern weil sie nicht mehr wissen, wie sie weiterleben sollen?

Gerade bei langjährigen älteren Paaren hört man immer wieder den Wunsch, als Erste/-r zu sterben, um die Trauer um den Verlust des anderen nicht erleiden zu müssen. Mascha Kaleko hat das in die berührenden Worte gefasst: »Den eigenen Tod, den stirbt man nur. Doch mit dem Tod der anderen muss man leben.«

Ich liebe dich, aber ich brauche dich nicht

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