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Fünf gute Gründe, unabhängig zu lieben 1. Du brauchst niemanden
ОглавлениеWas ist so schön an der Liebe?
Vielleicht das: die tiefe Verbundenheit zu einem anderen Menschen, dem wir unser Herz öffnen, der uns versteht (oder es doch zumindest versucht), jemand, mit dem wir lachen und weinen können und mit dem es einfach Spaß macht, das Abenteuer Leben gemeinsam zu erfahren.
»Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei«, so steht es bereits in der Bibel. Ohne eine enge körperliche und seelische Verbindung zu einem anderen Menschen wären wir nicht auf dieser Welt. Denn wir wachsen nicht auf Bäumen heran, sondern im Leib einer Frau, unserer Mutter. Doch bereits ganz am Anfang unseres Lebens erfahren wir auch Trennung. Die unverbrüchlich scheinende Symbiose zwischen werdender Mutter und Embryo wird gekappt. Wir werden geboren, abgenabelt und sind plötzlich allein. Zum Glück nicht wirklich, sonst hätten wir nicht überlebt. Irgendein Erwachsener, unsere Mutter, unser Vater oder eine andere wohlmeinende Person, hat sich unser angenommen und uns mit allem versorgt, was lebensnotwendig war. Als Babys und als Kleinkinder konnten wir nicht für uns selbst sorgen. Das ist heute anders. Es sei denn, wir haben ein schwerwiegendes Handicap, das uns von der Pflege anderer abhängig macht. Doch das ist die Ausnahme. Grundsätzlich können wir als Erwachsene selbst unser Überleben sichern. Und wir können noch viel mehr tun, als nur zu überleben. Denn wer will schon bloß dahinvegetieren? Wir können wachsen, blühen und gedeihen, ebenso wie die Pflanzen, die in unserem Garten oder auf unserem Fensterbrett leben. Stimmen Licht, Luft und Nahrung, wird sich jede Pflanze zu ihrer besten Form entwickeln, so lange, bis ihre Lebenszeit irgendwann abgelaufen ist und sie zum Grundstoff für andere Lebewesen, die nach ihr kommen, wird.
Ebenso wie Menschen haben auch Pflanzen höchst unterschiedliche Bedürfnisse. Die einen gedeihen am besten bei voller Sonne rund ums Jahr. Doch es gibt auch LiebhaberInnen des Halbschattens und solche, die sich in finsteren Höhlen am wohlsten fühlen. Es gibt die, die viel Wasser benötigen, und solche, die daran zugrunde gehen. Es gibt die, die sich am besten in Gemeinschaft entwickeln, und ausgesprochene Solitäre, die am liebsten allein auf weiter Flur stehen.
Es gibt sogar Pflanzen, die nur so gedeihen können, indem sie andere geradezu aussaugen. Sie verleiben sich alles ein, was ihre Wirtspflanze zu bieten hat, bis zum bitteren Ende. Doch das ist nur meine menschliche Wertung. Die Natur hat auch dieses Verhalten hervorgebracht, und wer bin ich, das zu kritisieren?
Bevor du nun glauben könntest, versehentlich ein Buch über Pflanzenkunde aufgeschlagen zu haben, wenden wir uns wieder den Menschen zu. Auch wir fühlen uns in ganz unterschiedlichen Umgebungen wohl und brauchen ganz unterschiedliche Dinge, um prächtig zu gedeihen.
Sicher ist nur eines: Wir alle brauchen einander. Wir brauchen andere Menschen. Wir könnten nicht leben, ohne dass andere etwas für uns tun und wir – auf welche Weise auch immer – anderen nützlich sind.
Mir gefällt die Vorstellung, dass wir in einem Bett aufwachen, das jemand anders für uns getischlert hat, Laken zurückschlagen, die jemand anders für uns gewebt hat, Brot essen, das jemand anders für uns gebacken hat, Schuhe tragen, die jemand anders für uns geschustert hat, und so weiter und so fort. Sicher, einiges davon haben wir vielleicht selbst hergestellt, um es benutzen zu können. Doch in einer so arbeitsteiligen Gesellschaft wie der unsrigen ist das mittlerweile die Ausnahme.
Aber auch wir selbst tun täglich etwas für andere. Wir pflegen beispielsweise Kranke, fahren Menschen von A nach B, bieten verschiedenste Waren oder Dienstleistungen an, die das Leben schöner oder leichter machen sollen. Vielleicht schreiben wir Bücher, in die sich andere vertiefen können.
Wir Menschen brauchen einander, sogar dann, wenn wir ausgemachte EigenbrötlerInnen sind. Aber wir brauchen niemals eine ganz bestimmte Person, auch wenn uns das im Überschwang unserer Gefühle manchmal so erscheinen mag.
Wenn du schon einmal heftigen Liebeskummer erfahren hast – und wer hat das nicht? –, kann es hilfreich sein, sich daran zu erinnern, dass du bereits viele Jahre oder sogar Jahrzehnte gelebt hast ohne diesen einen speziellen Menschen. Dir erscheint jemand plötzlich unverzichtbar, den du lange Zeit nicht einmal kanntest. Es war dir möglich, ohne diese Person zu leben, und es wird dir auch wieder möglich sein.
Du kommst allein zurecht. Sehr gut sogar.
Manchen Menschen mögen solche Überlegungen unromantisch vorkommen. Aber es ist heilsam, sich diese Tatsache immer mal wieder vor Augen zu führen. Denn wenn du dir darüber klar bist, besteht keine Gefahr, dass du dich ausnutzen lässt und in Verhältnissen lebst, die dir nicht guttun. Du bist in der Lage, einen Schlussstrich zu ziehen, da, wo es nötig ist, und auch dann, wenn es wehtut. Denn du weißt: Wenn es wehtut, ist es keine Liebe. Das, was wehtut, ist vor allem Abhängigkeit.