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Menschenrechte Dem Syrienkrieg ganz nah

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Text: Julia Grass @grassgesagt

In Syrien herrscht Krieg, in Guantanamo wird gegen Menschenrechte verstoßen, in den USA ein Immigrant von der Grenzpolizei totgeprügelt. Es sind Schlagzeilen, wie wir sie täglich in den Zeitungen lesen, im Fernsehen sehen, von denen wir im Internet und in den sozialen Netzwerken bombardiert werden. Journalismus ist schnell und überall – doch digital vernetzt zu sein mit der ganzen Welt heißt längst nicht auch näher am Geschehen zu sein. „Der Krieg in Syrien ist weit weg, solange man ihn nicht selbst erlebt hat”, sagt John Pallott. Er ist gemeinsam mit Nonny de la Peña und ihrem Team der Emblematic Group einer der Pioniere auf dem Feld der “virtual reality”. Die “Emblematic Group” kreiert computergenerierte, interaktive Umgebungen, die uns das Geschehen auf der Welt näherbringen sollen.

Konkret funktioniert das durch das Aufsetzen einer Brille, die das Sichtfeld komplett umschließt und in die ein Bildschirm integriert ist, auf den die jeweilige virtuelle Umgebung gespielt wird. Der Brillenträger sieht diese Umgebung, kann sich in ihr bewegen, nach rechts oder links schauen, nach oben oder unten, in komplexen Programmen durch sie hindurchspazieren. Was man von einigen, wenigen Computerspielen bereits kennt, nutzen Pallott und de la Peña für non-fiktionale journalistische Berichterstattung, den sogenannten “immersiven Journalismus”.

In seinem Vortrag über diese Art des Journalismus stellt Pallott verschiedene Projekte vor, welche die “Emblematic Group“ bereits realisiert hat. Wie beispielsweise die Rekonstruktion des Fall des Anastasio Hernandez Rojas, einem mexikanischen Immigranten, der von der US-Grenzpolizei zu Tode geprügelt wurde. Eine Frau filmte die Tat damals mit ihrem Smartphone von einem Balkon. Auf Basis dieses Videos rekonstruierten Pallott und de la Peña eine virtuelle Umgebung. Menschen, denen sie die Brille aufsetzten, befanden sich in der Rolle jener Frau, standen auf dem Balkon, konnten hinunterschauen und die Tat beobachten. Wie sehr sich das Gehirn durch das Computerprogramm täuschen lässt, zeigten die Reaktionen der Brillenträger: viele wurden vorsichtig, wenn sie in der virtuellen Umgebung an die Balkonbrüstung kamen. „In Wirklichkeit aber gab es keinen Balkon, von dem sie hätten herunterfallen können”, sagt Pallott in seinem Vortrag. Ein anderes Szenario versetzt den Brillenträger in die Straßen Aleppos in Syrien. Ein Mädchen singt, dann explodiert eine Bombe, der Rauch hüllt alles ein, Menschen schreien. “Immersiver Journalismus“ vermittelt nicht nur Informationen, sondern hautnah auch Geräusche und Szenerien, die unter die Haut gehen. Viele Menschen, so berichtet Pallot, weinten, wenn sie durch die Brille ganz nah am Geschehen waren – wenn auch nur virtuell.

Zur Erstellung solcher virtueller Realitäten für die journalistische Berichterstattung müssen Aspekte aus Journalismus und Technik verbunden werden. Es müssen Interviews mit Augenzeugen geführt werden, Geräusche nachgeahmt, Videoaufnahmen ausgewertet, Fakten recherchiert und überprüft werden. Dieser “immersive Journalismus” braucht Zeit und Investitionen. Doch es sind Investitionen in die journalistische Zukunft, eine Zukunft, die näher ist, als die meisten denken. Denn noch sind “virtual reality“-Brillen große, klobige Geräte, kaum kompatibel mit dem Alltag. Doch die Entwicklung hin zu leichten, bequemen Brillen ist nur eine Frage der Zeit. Zwei bis drei Jahre gibt Pallott der Entwicklung noch. Dann, so glaubt er, werden die meisten von uns in der breiten Öffentlichkeit solche Brillen besitzen.

re:publica Reader 2015 – Sammelband

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