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Viralität Licht aus, wenn die Eltern Sex haben

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Text: Silvia Perdoni @S_Perdoni

Um das Naturell von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zu beschreiben, ziehen Medien oft Attribute wie spröde oder drahtig heran. Die 63-Jährige tritt pragmatisch auf, burschikos. Ende des vergangenen Jahres - da war Hendricks schon rund ein Jahr im Amt - wussten in einer Umfrage 80 Prozent der Befragten nichts mit ihrem Namen anzufangen. Und wenn es ein Attribut gibt, mit dem die Politikerin sicher noch nie belegt wurde, dann ist es: hip.

Auch an ihrem Umweltministerium klebt nicht gerade der Ruf eines coolen Berlin-Mitte-Startups. Wie schafft es da eine Klimaschutz-Kampagne eben dieses Ministeriums zum viralen Hit zu mutieren? Diese Frage versucht Hendricks, die als erste Bundesministerin auf der re:publica sprach, am Dienstag zu beantworten. Zusammen mit ihrem Pressesprecher und den Werbeverantwortlichen der Kampagne „Zusammen ist es Klimaschutz“ schildert sie rund eine Stunde lang ihre Erfahrungen mit der unkonventionellen Werbung und beantwortet die Fragen von Bloggern.

Mit denen hatte nämlich alles begonnen. Bei einer Konferenz des Umweltministeriums, zu der auch Journalisten geladen waren, debattierten im November 2014 szenebekannte Blogger über Umwelt- und Klimaschutz. In Kurzclips erklärten sie im Anschluss, warum sie über Nachhaltigkeit schreiben. Es folgten Wandprojektionen im öffentlichen Raum, eine Socken-Verschenk-Aktion am Berliner Alexanderplatz, ein Twitter-Interview und vor allem: drei neckische Web-Spots mit einem Appell zum Klimaschutz. Besonders für Aufsehen sorgte die Szene eines jungen Mädchens, das seine Eltern nachts beim Sex im Wohnzimmer erwischt. Die Moral von der Geschichte: Licht aus! Das schützt vor traumatisierenden Anblicken und das Klima gleich mit.

Über 3,5 Millionen mal riefen Nutzer die Clips unter dem Hashtag #ziek bei Youtube auf. Allein die peinliche Elternszene erreichte über zwei Millionen Klicks. Sex sells, also? „Ich glaube eher, dass Überraschung sells“, sagt Julia Mussgnug von der zuständigen Kreativagentur. „Es war neu und überraschend, dass ein Ministerium so lustige Werbung macht.“ Sogar die Kanzlerin habe sie darauf angesprochen, pflichtet Hendricks bei.

Die Ministerin kannte die Videos vor der Veröffentlichung nicht, hatte aber die Drehbücher gelesen. Nur an einer Stelle bat sie darum, etwas zu ändern: „Im Zombie-Clip sollte Blut an die Fensterscheiben spritzen. Das war mir zu viel.“ Untote fressen in der Szene einen rasenmähenden Spießbürger, dessen Frau im Haus das gekippte Fenster schließt, weil seine Schreie sie beim Flötespielen stören.

Einen Shitstorm, zum Beispiel aufgrund stumpfer Werbe-Plattitüden, befürchtete Hendricks nicht. „Aber ich hatte Anfeindungen“, räumt sie ein. „Im Wesentlichen wegen der Eltern-Sexszene.“ Kinos zeigten den Spot später nicht mehr in der Kinderfilm-Zeit vor 18 Uhr. Dass auch der Mediendienst Meedia die Kampagne “peinlich” nannte und die Reaktionen auf Twitter sehr gemischt ausfielen, erwähnt die Ministerin nicht. Any publicity is good publicity, scheint die Devise dem Sprichwort gemäß zu lauten.

Ob sie auch die Fortsetzung der Kampagne - denn ja, die Werbe-Offensive soll weiter gehen - im Internet plant, lässt Hendricks offen. Das Netz biete sehr gute Möglichkeiten der schnellen Multiplikation, vor allem, um die Zielgruppe zwischen 20 und 30 Jahren zu erreichen. Sprecher Michael Schroeren sieht das ähnlich: „Jeder dieser Blogger beschäftigt sich auf irgendeine Weise mit Klimaschutz, es sind Beispiele. Und ohne Beispiele kommt man nicht voran im Klimaschutz.”

re:publica Reader 2015 – Sammelband

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