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Finding Europe Wir laufen Gefahr abzustumpfen
ОглавлениеText: Melanie Reinsch @M_Reinsch
Fast täglich erreichen uns Nachrichten von ertrunkenen Flüchtlingen, von gekenterten Booten im Mittelmeer. Eine der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen vor der lybischen Küste liegt gerade mal zwei Wochen zurück: Rund 800 Flüchtlinge überlebten die Fahrt über das Mittelmeer nicht.
In den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge 1780 Flüchtlinge ums Leben. Das Thema ist aktueller denn je und daher auch für die re:publica Anlass, gleich nach der Eröffnungsveranstaltung über Migrationspolitik und Willkommenskultur zu diskutieren und der Frage nachzugehen, was der Staat tut - und was er eben nicht tut.
„Wir gewöhnen uns an solche Nachrichten, das beunruhigt mich“, sagt Vassilis Tsianos von der Uni Hamburg. Tsianos engagiert sich im Bereich Grenzforschung. Obwohl er die Situation am Mittelmeer als eine der größten humanitären Katastrophen einschätzt, erkennt er doch eine Entwicklung in der Politik. „Das europäische Parlament verlangt jetzt Lösungen, man sieht ein Aufwachen eines europäischen Gewissens, da ist Potential vorhanden.“ Trotzdem müsse im Sommer mit weiteren Katastrophen gerechnet werden, glaubt er. Die Lage bleibt brisant.
Ferda Atamann, Politikwissenschaftlerin und Journalistin erkennt ebenfalls die Gefahr eines „Abstumpfungsprozesses“. Sie glaubt, dass das Thema in vier Wochen wieder vom Tisch sein kann, wenn der öffentliche Druck nicht groß genug ist. Sie ärgert sich vor allem die Diskussion um die Schlepperbanden, die Vizekanzler Siegmar Gabriel (SPD) bekämpfen will. Ihr Prognose: „Das Thema wird wichtiger werden, es wird weiterhin Widerstand geben und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es mehr Tote geben wird. Da kommt noch einiges auf uns zu.“
Mohamad Al Ashrafani kam vor elf Monaten aus Syrien über den Libanon und die Türkei nach Deutschland. Auch er stößt hier in Deutschland an seine Grenzen, vor allem bei den Behörden. In Syrien hat er als Zahntechniker gearbeitet, nun absolviert er im Juni ein zweites Praktikum in einem Zahnlabor, lernt Deutsch und versucht in Berlin Arbeit zu bekommen. „Vor allem die Wohnungssuche gestaltet sich als schwierig“, sagt er. Und auch beim Asylantrag gibt es Probleme: Obwohl Asylanträge von Flüchtlingen aus Syrien und anderen extrem unsicheren Ländern schneller bearbeitet werden sollen, wartet Al Ashrafani schon seit acht Monaten auf eine Anhörung. Zu lang.
Genau solchen Menschen hilft Katharina Mühlbeyer. Sie arbeitet bei „Moabit hilft! Willkommensinitiative für Geflüchtete in Berlin-Moabit“, eine ehrenamtliche Kontakt- und Lotsengruppe für Flüchtlinge aus Syrien. Sie hilft Migranten durch das Behördenwirrwarr zu finden, unterstützt bei Arztterminen und setzt sich für die Rechte der Flüchtlinge ein. „Viele wissen über ihre Rechte nicht Bescheid. Die Behörden versagen, Menschen werden obdachlos, sie erhalten keine Grundversorgung, obwohl es einen Anspruch auf medizinischen Versorgung und sogar auf Taschengeld gibt.“