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Der Norden

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Otto I. schick­te den Bi­schof Li­ut­prant von Cre­mo­na, einen be­gab­ten, tem­pe­ra­ment­vol­len Lan­go­bar­den, an den Hof von By­zanz, um für sei­nen Sohn um die Hand ei­ner grie­chi­schen Prin­zes­sin zu bit­ten. Als der Kai­ser Ni­ke­pho­ros sich bei Tisch über die Völ­le­rei der Bur­gun­der lus­tig mach­te, sag­te Li­ut­prant, schon ge­reizt durch ge­ring­schät­zi­ge Be­hand­lung: »Wir Lan­go­bar­den, Sach­sen, Fran­ken, Loth­rin­ger, Bay­ern, Schwa­ben und Bur­gun­der ver­ach­ten die Rö­mer so sehr, dass wir im Zorn für un­se­re Fein­de kein an­de­res Schimpf­wort ha­ben als Rö­mer.« Zwei­hun­dert Jah­re spä­ter wa­ren aus den Lan­go­bar­den Lom­bar­den ge­wor­den, und ihr ger­ma­ni­scher Ur­sprung glich den Ge­gen­satz zwi­schen Deut­schen und Ita­li­e­nern nicht mehr aus. Wohl aber be­stand im Nor­den noch lan­ge ein ger­ma­ni­sches Zu­sam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl. Wenn es auch eng­li­sche und schwe­di­sche, dä­ni­sche und nor­we­gi­sche Kö­nig­rei­che gab, die sich un­ter­ein­an­der be­krieg­ten, wenn auch die Sach­sen und Frie­sen sich be­wusst wa­ren, zum Rö­mi­schen Rei­che Deut­scher Na­ti­on zu ge­hö­ren, wenn sie auch ver­schie­de­ne Spra­chen re­de­ten und ver­schie­de­ne Zie­le ver­folg­ten, so fühl­ten sie sich doch als Nord­leu­te, ver­bun­den durch das nor­di­sche Meer, das ge­gen ihre Küs­ten flu­te­te, das ihre Schif­fe be­fuh­ren, das ihr ge­mein­sa­mes Schick­sal war. Oft scheint es so­gar, als fühl­ten die Sach­sen mehr Ver­wandt­schaft zu den An­gel­sach­sen, Dä­nen und an­de­ren Nord­leu­ten als zu den Schwa­ben und Bay­ern; selbst das be­deu­ten­de Mo­ment der Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit, das das Chris­ten­tum bil­det, kommt nicht im­mer ge­gen das ger­ma­ni­sche Ver­wandt­schafts­ge­fühl auf.

Cla­rum in­ter Ger­ma­nos Fri­siorum no­men. Berühmt ist un­ter den Deut­schen der Name der Frie­sen, sag­te Ta­ci­tus. Kaum er­scheint ihr Name in der Ge­schich­te, hat­ten sie schon Ta­ten ge­tan, die sie als Rä­cher ih­rer Frei­heit zeig­ten. We­der Her­ren noch Knech­te lit­ten sie un­ter sich. Jahr­hun­der­te hin­durch war ihre Chro­nik Kampf und Sieg über alle, die sie un­ter­wer­fen woll­ten. Vie­le Gra­fen von Hol­land, die die Frie­sen als ihre Un­ter­ta­nen be­trach­te­ten, fan­den in ih­ren Sümp­fen ihr Grab. Wie die Mö­wen, die sich krei­schend vor gie­ri­ger Lust in den Sturm wer­fen, wenn sie am Stran­de ge­hen, et­was von ge­müt­li­chen En­ten ha­ben, so sagt man von den Frie­sen, dass sie da­heim stumpf­sin­ni­ger Un­tä­tig­keit ver­fal­len; aber wenn eine Sturm­flut Deich oder Vieh be­droht, oder auf dem Mee­re, stür­men sie furcht­los in die Ge­fahr, rin­gen sie wie ein un­bän­di­ges Ele­ment mit den Ele­men­ten. Die­ser Frie­sen­stolz war al­len Nord­leu­ten bis zu ho­hem Gra­de ei­gen. Man hat be­merkt, dass die Spra­che der Frie­sen der eng­li­schen nä­her als der deut­schen ver­wandt ist, von der sie sich stär­ker als ein Dia­lekt un­ter­schei­det, und dass sie auch im Cha­rak­ter den Eng­län­dern glei­chen; al­lein auch den Sach­sen wa­ren sie so ähn­lich, dass es schwer ist, eine be­stimm­te Gren­ze zwi­schen Sach­sen und Frie­sen zu zie­hen. Wa­ren doch auch die Eng­län­der da­mals un­ver­misch­te Sach­sen, viel­leicht schon mit Frie­sen ver­schmol­ze­ne. Meeran­woh­ner wa­ren sie alle, als Kin­der des Mee­res ein­an­der ver­schwis­tert. Sach­sen und Frie­sen wa­ren viel eher Chris­ten ge­wor­den als die Skan­di­na­vier; aber wie die­se wa­ren jene durch die wil­de Tau­fe des Mee­res ge­feit, ein Ge­schlecht, das mit­ten im Un­ter­gang, wenn Erde und Ster­ne wan­ken, die Won­ne sei­ner Kraft am si­chers­ten fühl­te. Auf den ewig von Stür­men ums­aus­ten Dü­nen wuch­sen kei­ne Bäu­me, gab es kei­ne hei­li­gen Hai­ne; hei­lig war dort die Frei­heit. Noch jahr­hun­der­te­lang be­te­ten auf den frie­si­schen In­seln die Pfar­rer selbst um ge­seg­ne­ten Strand, näm­lich dass vie­le Schif­fe schei­ter­ten. Als die Blut­ra­che längst nicht mehr im Schwan­ge war, schlu­gen die An­ge­hö­ri­gen ei­nes Ge­tö­te­ten noch mit dem Schwert an die Kirch­hofs­pfor­te und an die Tür des Mör­ders und mur­mel­ten: Ra­che! Ra­che! Die Wei­sen, die beim frie­si­schen Fest­mahl zur Har­fe ge­sun­gen wur­den, wa­ren bald stür­misch, bald un­säg­lich süß und zwan­gen alt und jung zu tan­zen, tol­le, heid­nische Tän­ze, bis sie be­sin­nungs­los hin­fie­len. Die nor­di­schen Glau­bens­hel­den be­hiel­ten als Chris­ten ihre schwung­vol­le Faust. Bi­schof Ever­mod von Rat­ze­burg woll­te ein­mal einen vor­neh­men Dith­mar­schen, dem ein Ver­wand­ter er­schla­gen wor­den war, be­we­gen, von der Ra­che ab­zu­ste­hen. Ver­ge­bens pre­dig­te er ihm die Grund­sät­ze christ­li­cher Nächs­ten­lie­be, ver­ge­bens drang er mit Bit­ten und Fle­hen auf den Un­ver­söhn­li­chen ein, end­lich fiel er ihm zu Fü­ßen. Der Dith­mar­sche ver­schwur sich mit schreck­li­chen Ei­den, sich nie­mals mit dem Be­lei­di­ger zu ver­söh­nen. Da hol­te der Bi­schof aus und ver­setz­te dem Man­ne einen ge­wal­ti­gen Ba­cken­streich, wor­auf der Dith­mar­sche nach­gab und ver­zieh. Au­ßer­or­dent­lich stark und ver­we­gen war Dank­brand, der Sohn ei­nes säch­si­schen Gra­fen. Nach­dem er we­gen ei­nes schö­nen Mäd­chens mit ei­nem dä­ni­schen Gro­ßen in Streit ge­ra­ten war und ihn er­schla­gen hat­te, floh er nach Eng­land und wur­de dort Ka­plan des be­rühm­ten nor­we­gi­schen Kö­nigs Olaf Trygg­va­son, der so­eben mit der un­ge­stü­men Lei­den­schaft, die ihm ei­gen war, das Chris­ten­tum er­grif­fen hat­te. Olaf Trygg­va­son war ein Kö­nig nach dem Her­zen der Nord­leu­te: fröh­lich, präch­tig, glück­lich und gü­tig, im Zor­ne un­auf­halt­sam zer­stö­rend wie das Feu­er. Er be­gann so­fort die Hei­den zu be­keh­ren und schick­te den küh­nen Dank­brand zu die­sem Zwe­cke nach Is­land. Ei­ni­ge Hei­den, die sich der Tau­fe wi­der­setz­ten, schlug Dank­brand so­fort tot, ei­nem be­son­ders star­ken Hel­den er­bot er sich, die Über­le­gen­heit sei­nes Got­tes im Zwei­kampf zu be­wei­sen. Trotz man­cher auf die­se Art er­run­ge­nen Er­fol­ge hiel­ten es die er­staun­ten Is­län­der für rat­sam, den ge­fähr­li­chen Mis­sio­nar aus ih­rem Lan­de zu ver­ban­nen. So wa­ren die nor­di­schen Küs­ten­be­woh­ner: fun­kelnd vor Kraft und Über­mut und Grau­sam­keit wie das Meer, halb Kin­der, halb Rie­sen.

Meer­kö­nig im Nor­den zu wer­den, die ver­schie­de­nen, das frie­si­sche Meer be­gren­zen­den Län­der zu ei­nem Reich zu­sam­men­zu­fas­sen, war eine Lo­ckung für Ero­be­rer­her­zen. Dä­nen und Deut­sche ka­men da­bei haupt­säch­lich in Be­tracht, Dä­ne­mark und Deutsch­land ha­ben jahr­hun­der­te­lang um die Be­herr­schung der Nord- und Ost­see ge­run­gen, bald kämp­fend, bald sich ver­tra­gend. Der ers­te, der die Auf­ga­be mit großem Sinn er­fass­te, war der Kö­nig von Dä­ne­mark, Knut, der im Be­ginn des 11. Jahr­hun­derts Eng­land mit sei­nem Lan­de ver­ei­nig­te und mus­ter­haft re­gier­te. Sein An­se­hen war so über­zeu­gend, dass Kon­rad II., der da­ma­li­ge Kai­ser, es für das bes­te hielt, in Freund­schaft mit ihm aus­zu­kom­men, ihm das Land zwi­schen Ei­der und Schlei ab­trat, sei­nen Sohn Hein­rich mit Knuts Toch­ter ver­hei­ra­te­te. Auch Erz­bi­schof Un­wan von Bre­men, ein Nach­kom­me Wi­du­kinds und Vet­ter des Bi­schofs Mein­werk von Pa­der­born, dem er dar­in glich, dass er an­ge­stamm­ten Reich­tum sei­nem Bis­tum zu­gu­te kom­men ließ, un­ter­hielt mit Knut freund­schaft­li­che Be­zie­hun­gen. Er emp­fing ihn in Ham­burg, wo er gern Hof hielt, um ihn zu eh­ren, zu­gleich aber auch, ihm einen Ein­druck von sei­ner fürst­li­chen Macht zu ge­ben. Die Erz­bi­schö­fe von Ham­burg-Bre­men wa­ren die größ­ten Her­ren im deut­schen Nor­den, mäch­ti­ger als die Her­zö­ge von Sach­sen, die ei­fer­süch­tig sie zu schä­di­gen trach­te­ten. Es war des­halb na­tür­lich, dass ei­nem von ih­nen die Vi­si­on des Nor­di­schen Rei­ches auf­ging, wenn sie es auch nur in kirch­li­che Gren­zen ban­nen konn­ten.

Nach­dem Knut und Un­wan ge­stor­ben wa­ren, er­nann­te Hein­rich III. Adal­bert, einen Gra­fen von Go­seck, zum Erz­bi­schof von Bre­men. Ge­gen­über von Naum­burg sind noch Res­te sei­ner Stamm­burg er­hal­ten, die er und sei­ne Brü­der in ein Klos­ter ver­wan­del­ten. Von al­len Lei­den­schaf­ten, die die­sen un­ge­wöhn­li­chen, hoch­be­gab­ten Mann be­weg­ten, war Ruhm­be­gier­de die stärks­te. Man hät­te den­ken kön­nen, ihr wäre Ge­nü­ge ge­tan, als der Kai­ser, der ihn hoch­schätz­te, ihn zum Papst ma­chen woll­te; aber er lehn­te es ab, um ein Pa­tri­ar­chat im Nor­den zu er­rich­ten. So sehr hat­te der Nor­den sei­nen Sinn be­rückt. Al­ler­dings konn­te er im Nor­den un­ab­hän­gi­ger sein als ein vom Kai­ser er­nann­ter Bi­schof von Rom. Um die nor­di­schen An­ge­le­gen­hei­ten be­küm­mer­ten sich die Kai­ser we­nig: es war kei­ne Un­ter­stüt­zung, aber auch kei­ne Ein­mi­schung von ih­nen zu er­war­ten. Hier war al­les neu und fremd, Aben­teu­er, un­be­grenz­te Mög­lich­keit. Der Blick des jun­gen Man­nes, der in den tü­rin­gi­schen Wäl­dern ge­fan­gen ge­we­sen war, schweif­te ent­zückt über das bri­tan­ni­sche und das bal­ti­sche Meer, über nie ge­se­he­ne In­seln bis da­hin, wo in Dun­kel und Grau­en die Erde en­det. Die­se Län­der wa­ren zum Teil noch heid­nisch, zum Teil noch nicht im Chris­ten­tum be­fes­tigt; durch leb­haf­te Mis­si­ons­tä­tig­keit konn­te die Kir­che von Bre­men hof­fen, sie sich kirch­lich un­ter­zu­ord­nen, war sie doch mit Hin­blick auf die­se Auf­ga­be ge­grün­det, die nur durch un­glück­li­che Um­stän­de und durch die Nach­läs­sig­keit man­cher Bi­schö­fe nicht er­füllt war. Es war ein ähn­li­cher Ge­dan­ke, wie im Süd­os­ten des Rei­ches Bi­schof Pil­grim von Passau ihn ge­hegt hat­te.

Aus ei­ge­ner An­schau­ung hat­te Adal­bert kei­ne Kennt­nis der nor­di­schen Län­der; aber er sam­mel­te so viel Nach­rich­ten über sie wie mög­lich. Mit den Sla­wen, die Meck­len­burg und Pom­mern be­wohn­ten, gab es Be­zie­hun­gen, denn an der Mün­dung der Oder lag Jum­ne, die reichs­te Han­dels­stadt der Welt, wo kost­ba­re Er­zeug­nis­se fer­ner Län­der ge­tauscht wur­den. Es war be­kannt, dass man von dort zu Lan­de nach Grie­chen­land ge­lan­gen konn­te, wenn auch die­ser Weg we­gen der un­be­re­chen­ba­ren Sin­nes­art der an­woh­nen­den Völ­ker ver­mie­den wur­de. Wei­ter­hin nach Os­ten warf das Meer den gold­gel­ben Bern­stein ans Ufer, mit dem die Frau­en des Sü­dens sich schmück­ten, und noch wei­ter oben lag das selt­sa­me Land der Ama­zo­nen, von de­nen man sag­te, dass sie durch ein Was­ser, das dort flie­ße, schwan­ger wür­den, an­de­re mein­ten durch vor­über­rei­sen­de Kauf­leu­te, die sie ge­fan­gen­näh­men und nach dem Ge­brauch wie­der vers­tie­ßen. Sie er­zeug­ten Mäd­chen von wun­der­ba­rer Schön­heit und Söh­ne mit Hun­de­köp­fen. Zur­zeit des Erz­bi­schofs Ale­brand, der vor Adal­bert re­gier­te, ta­ten sich ei­ni­ge vor­neh­me Frie­sen zu­sam­men, um zu er­kun­den, ob es wahr sei, dass man von der Mün­dung der We­ser aus im­mer nord­wärts fah­rend zum gren­zen­lo­sen Welt­meer kom­me. Nach­dem sie sich eid­lich mit­ein­an­der ver­bun­den hat­ten, fuh­ren sie ab, ru­der­ten an Dä­ne­mark, Schott­land und Is­land vor­über und ge­rie­ten plötz­lich in den Ne­bel des wel­ten­den­den Mee­res. Dort riss sie ein Stru­del mit, der ih­rer Mei­nung nach da­durch ent­stan­den sei, dass dort alle Strö­mun­gen Ur­sprung und Aus­mün­dung hät­ten, ver­schlang ei­ni­ge Schif­fe und spie an­de­re wie­der aus. Sie kehr­ten nach Bre­men zu­rück und er­zähl­ten dem Erz­bi­schof ihre Er­leb­nis­se. Bei Is­land, sag­ten sie, sei das Eis des Ozeans schwarz und so tro­cken vor Al­ter, dass es an­ge­zün­det bren­ne. Si­che­re­re Nach­rich­ten gab es über die skan­di­na­vi­schen Län­der. Nicht nur dass schon der hei­li­ge Ans­gar am Mälar­see ge­we­sen war, Adal­bert stand in freund­schaft­li­cher Be­zie­hung zum schwe­di­schen Kö­nig Sven Es­thrit­son, in des­sen Ge­dächt­nis die Ge­schich­te der nor­di­schen Völ­ker wie in ei­nem Bu­che ge­bor­gen war. Man kann­te Fü­nen mit der großen Stadt Oden­se, See­land mit Rös­kil­de, dem dä­ni­schen Kö­nigs­sitz, Scho­nen mit Lund, die frucht­bars­te dä­ni­sche Land­schaft, wo es schon 300 Kir­chen gab. Schwe­den schil­der­te der Kö­nig als ein eben­falls an Vieh, Früch­ten und Ho­nig rei­ches Land, dem auch viel Wa­ren aus der Frem­de zu­ge­führt wür­den; herr­lich sei der gol­de­ne Tem­pel von Upp­sa­la, wo alle neun Jah­re, zur­zeit der Früh­lings-Tag­und­nacht­glei­che alle schwe­di­schen Völ­ker zu­sam­men­kämen und ein Fest fei­er­ten. Nor­we­gen da­ge­gen sei rau, un­ge­heu­er kalt, un­frucht­bar, arm. Das Volk lebe von Vieh­zucht, nur an Milch und Wol­le sei es reich. Er er­zähl­te von den schwar­zen Füch­sen und Ha­sen, wei­ßen Mar­dern und Bä­ren, die es oben im Nor­den gäbe, und von den Fin­nen, die auf Schnee­schu­hen die Ure, Büf­fel und El­che über­flü­gel­ten, die sie jag­ten. Alle Nord­leu­te, aber ganz be­son­ders die Fin­nen, kann­ten noch die al­ten Zau­ber; so wuss­ten sie durch ge­mur­mel­te Sprü­che die Wal­fi­sche in ihre Ge­walt zu brin­gen. Je mehr man nach Nor­den kam, de­sto mehr war heid­nische Zau­be­rei im Schwan­ge.

Den Cha­rak­ter der Nord­leu­te stell­te man an Adal­berts Hofe nach al­lem, was man da­von sah und hör­te, sehr hoch. Sie be­sa­ßen die von den Deut­schen so ge­schätz­ten Ei­gen­schaf­ten der Tap­fer­keit und des Stol­zes; sie lie­ßen sich lie­ber tö­ten als züch­ti­gen; von ei­nem zum Tode Ver­ur­teil­ten er­for­der­te der An­stand, un­be­küm­mert fröh­lich zu er­schei­nen. Sie ver­ach­te­ten Gold und Sil­ber, Pelz­werk und fei­ne Stof­fe, und ihre Gast­frei­heit war un­be­grenzt. Es mach­te tie­fen Ein­druck, dass in man­chen Ge­gen­den Schwe­dens und Nor­we­gens die vor­nehms­ten Män­ner Vieh­hir­ten wa­ren wie die Erz­vä­ter der Bi­bel, dass die Schwe­den noch kei­ne Städ­te hat­ten und ihr Le­ben in Ar­mut und hei­li­ger Ein­falt zu­brach­ten. Sie wa­ren so lie­be­vol­ler Ge­sin­nung, dass sie al­les ge­mein­sam be­sa­ßen, und zwar nicht nur die Ein­hei­mi­schen un­ter­ein­an­der, son­dern die Frem­den in­be­grif­fen. Dies, sag­te man, sei nicht eine Fol­ge des Chris­ten­tums, son­dern ihre Na­tur sei christ­lich, ohne dass sie von Chris­ti Leh­re et­was wüss­ten. Die ge­bil­de­ten Deut­schen be­trach­te­ten die Nord­leu­te ge­rührt wie etwa Ta­ci­tus die Ger­ma­nen.

So­wohl in Dä­ne­mark wie in Schwe­den gab es schon christ­li­che Kir­chen und Gläu­bi­ge, über­haupt ließ sich das Volk dort oben gern von Chris­tus und sei­nen Ta­ten er­zäh­len; aber die deut­schen Chris­ten wa­ren es, so er­fuhr man, die die Aus­brei­tung des Chris­ten­tums er­schwer­ten. Ihr Bei­spiel schreck­te ab, da sie das, was sie lehr­ten, nicht durch ihr Le­ben ver­wirk­lich­ten. Be­son­ders die Hab­gier, mit der sie Steu­ern auf­leg­ten, und die Här­te der Ein­for­de­rung der­sel­ben er­reg­ten Un­wil­len; bei­des wur­de dem Her­zog Bern­hard von Sach­sen vor­ge­wor­fen, der oh­ne­hin Adal­berts Feind war. Auch der Sla­wen Frei­ge­big­keit und Gast­frei­heit hob sich preis­wür­dig ab von der christ­li­chen Hab­gier. Die Aner­ken­nung schö­ner und ed­ler Ei­gen­schaf­ten der Hei­den führ­te nicht etwa zur Her­ab­set­zung des Chris­ten­tums, son­dern zu dem ver­stärk­ten Wun­sche, die­se Hei­den zu Chris­ten zu ma­chen, da­mit sie das ein­zi­ge er­wür­ben, was ih­nen fehl­te. Denn erst als Chris­ten wa­ren sie Glie­der des Rei­ches, tra­ten sie ein in den got­t­er­füll­ten Raum des Him­mels und der Erde, des Le­bens in der Ewig­keit. Es war ein Zau­ber, der die Men­schen ver­klär­te, auch wenn er ihr In­ne­res nicht ver­wan­del­te.

In ei­nem Punk­te nur fand man die Nord­leu­te zu ta­deln, in der Maß­lo­sig­keit näm­lich, mit der sie sich sinn­li­chen Genüs­sen hin­ga­ben. Sie be­rausch­ten sich im Trunk und in der Lie­be, und we­der das Trin­ken noch die Frau­en woll­ten sie sich neh­men las­sen. Kö­nig Sven wur­de vom Vol­ke we­gen der großen Zahl sei­ner na­tür­li­chen Kin­der Kö­nig Va­ter ge­nannt. Die Men­ge der Be­zie­hun­gen hin­der­te nicht, dass sie ei­ner ein­zel­nen Frau mit be­harr­li­cher Lei­den­schaft an­hin­gen. Sven hat­te nach dem Tode sei­nes Vor­gän­gers auf dem schwe­di­schen Thro­ne des­sen Wit­we Gun­hild ge­hei­ra­tet, die nach der An­sicht der Kir­che in ei­nem ver­bo­te­nen Gra­de mit ihm ver­wandt war. Da die dä­ni­schen Bi­schö­fe ihn bei Adal­bert des­we­gen an­klag­ten und Adal­bert, in die­sem Punk­te un­er­bitt­lich, ihm riet, sich von sei­ner Frau zu schei­den, wei­ger­te er sich, muss­te schließ­lich aber doch nach­ge­ben. Adal­bert hat­te Mühe, den Er­bit­ter­ten zu ver­söh­nen. Die Frau, die er dann hei­ra­te­te, wur­de von sei­ner Ge­lieb­ten ver­gif­tet. Adal­bert, der selbst, au­gen­schein­lich mehr in­fol­ge na­tür­li­cher Ver­an­la­gung als aus As­ke­se, keusch war, ver­ach­te­te die, wel­che ihre sinn­li­chen Ge­lüs­te nicht be­herr­schen konn­ten. Da­von ab­ge­se­hen moch­te er sich dem Aus­schwei­fen­den und Fan­tas­ti­schen der nor­di­schen Men­schen ver­wandt füh­len. Mön­chi­sche Dür­re war ihm fremd; es war, als bre­che die ver­hal­te­ne Sinn­lich­keit mit dop­pel­tem Über­schwang aus sei­nem Geis­te her­vor. Er war ein Ver­schwen­der, der nur in der Fül­le at­men konn­te. Nach ei­nem großen Bran­de bau­te er den Dom von Bre­men nach dem Mus­ter des Doms von Be­ne­vent fremd­ar­tig und über alle Ge­wohn­heit präch­tig. Er lieb­te das Alte Te­sta­ment, wo der Herr sich in sei­ner Ma­je­stät of­fen­bart. Ob­wohl er an gu­ten Ta­gen ohne Ge­sel­lig­keit nicht le­ben konn­te, emp­fand er leicht Ver­ach­tung für die Men­schen. Frei­ge­big­keit, sag­te er, sei ein Merk­mal des Adels; das Über­wie­gen von Klein­lich­keit, Dumm­heit und Hab­gier an den Men­schen er­reg­te sei­nen Hohn. Sei­ne Plä­ne wa­ren Vi­sio­nen, die auf die Wirk­lich­keit we­nig Rück­sicht nah­men; das galt be­son­ders von sei­nem größ­ten, sei­nem ei­gent­li­chen Plan, den ge­heim­nis­vol­len, ur­ge­wal­ti­gen Nor­den zu sei­ner Di­öze­se zu ma­chen. Eine Zeit lang schi­en es, als soll­te die­ser mäch­ti­ge Traum, der dem deut­schen Ein­fluss ein neu­es, aus­ge­dehn­tes Ge­biet er­öff­ne­te, Ge­stalt ge­win­nen, als der deut­sche Bru­no von Toul den Hei­li­gen Stuhl in­ne­hat­te. Sei­ne Re­gie­rung war zu kurz, als dass ein so we­nig vor­be­rei­te­tes Un­ter­neh­men vom Papst hät­te an Hand ge­nom­men wer­den kön­nen. Das nor­di­sche Pa­tri­ar­chat soll­te nach Adal­berts Mei­nung zwölf Bi­stü­mer um­fas­sen, von de­nen noch kei­nes vor­han­den war. Die Be­keh­rung mach­te kei­ne nen­nens­wer­ten Fort­schrit­te. Es ge­hör­te zu Adal­berts Plä­nen, dass er selbst den Nor­den be­rei­sen und den Hei­den pre­di­gen wür­de; aber als Kö­nig Sven ihm riet, die Auf­ga­be ei­nem Ein­hei­mi­schen zu über­las­sen, der der Spra­che mäch­tig sei, ließ er sich leicht über­re­den. Als ein großer Träu­mer ba­de­te er sei­ne Stirn in Ruhm, ohne dar­an zu den­ken, dass der vor­ge­fühl­te Glanz durch Ar­beit und müh­se­li­ge Tage in die Wirk­lich­keit ge­lei­tet wer­den müs­se. Al­ler­dings nahm der Kö­nigs­dienst sei­ne Kraft und Zeit sehr in An­spruch: er be­glei­te­te Hein­rich III. auf al­len sei­nen Heer­fahr­ten und stand in den An­fän­gen Hein­richs IV. eine Zeit lang an der Spit­ze der Reichs­re­gie­rung. Wenn er den un­ge­nü­gen­den Mit­teln, die ihm zur Ver­fü­gung stan­den, schuld gab, dass er sei­ne Ge­dan­ken nicht ver­wirk­li­chen kön­ne, hat­te er nicht ganz un­recht; er sag­te ein­mal, es fehl­ten ihm zum herr­li­chen Aus­bau sei­ner Kir­che nichts als Geist­li­che und Stei­ne.

Ein­mal je­doch be­geg­ne­te Adal­bert ei­nem Eben­bür­ti­gen, wenn auch im Cha­rak­ter ganz von ihm Ver­schie­de­nen, in dem Sla­wen Gott­schalk. Ein Obo­tri­ten­fürst war so weit für das Chris­ten­tum ge­won­nen wor­den, dass er sei­nen Sohn dem Mi­chaels­klos­ter in Lü­ne­burg zur Er­zie­hung übergab, wo er den Na­men Gott­schalk an­nahm. Als dem Jüng­ling die Kun­de zu­kam, dass sein Va­ter von den Sach­sen er­mor­det wor­den sei, floh er aus dem Klos­ter, um Ra­che zu neh­men. Tau­send Sach­sen soll­ten fal­len für einen Wen­den. Nach mör­de­ri­schem Wü­ten un­ter den Fein­den wur­de er von Her­zog Bern­hard von Sach­sen ge­fan­gen­ge­nom­men, der aus Ach­tung vor der Tap­fer­keit des Geg­ners ihm die Frei­heit schenk­te un­ter der Be­din­gung, dass er das Land ver­las­se. Gott­schalk ging nach Dä­ne­mark, be­freun­de­te sich mit Kö­nig Knut und be­glei­te­te ihn nach Eng­land. Dort wur­de er vom Chris­ten­tum, das er als Kna­be wie an­de­re Schul­auf­ga­ben ge­lernt hat­te, im In­ners­ten er­grif­fen und wünsch­te nun, sei­nem Vol­ke die­sen Glau­ben mit­zu­tei­len. Er kehr­te zu­rück, setz­te sich mit Adal­bert ins Ein­ver­neh­men und ent­warf mit ihm den Plan ei­nes Be­keh­rungs­ver­su­ches un­ter den Wen­den. Was Adal­bert an­griff, be­kam einen großen, schwung­vol­len Um­riss: ein christ­li­ches Wen­den­reich soll­te ge­bil­det wer­den, an des­sen Spit­ze Gott­schalk ste­hen soll­te un­ter dem Schut­ze des Erz­bi­schofs. Als ein­ge­bo­re­ner Fürst, der Spra­che kun­dig und von der Kraft des auf­rich­ti­gen Glau­bens durch­drun­gen, er­ziel­te Gott­schalk be­deu­ten­de Er­fol­ge; es konn­te ein Bis­tum Al­den­burg den Bi­stü­mern Meck­len­burg und Rat­ze­burg hin­zu­ge­fügt wer­den. Adal­berts Freund Sven Es­thrit­son trat in die Ver­bin­dung ein, in­dem er Gott­schalk sei­ne Toch­ter Si­grid zur Frau gab. Bre­mens be­herr­schen­der Ein­fluss über das be­nach­bar­te Sla­wen­land schi­en ge­si­chert zu sein.

Da ver­riet ein furcht­ba­rer Auf­stand, zu dem der Sturz Adal­berts im Jah­re 1066 das Zei­chen gab, dass der Hass der Wen­den ge­gen die Chris­ten und ih­ren Gott nicht er­lo­schen sei: Gott­schalk wur­de er­schla­gen, eben­so die Bi­schö­fe von Meck­len­burg und Rat­ze­burg; wie Op­fer­tie­re wur­den sie den heid­nischen Göt­tern ge­schlach­tet.

Adal­bert sang wie das Stand­bild der Sage einen Hym­nus des Le­bens, wenn die Son­ne des Glücks ihn be­rühr­te; dem Un­glück ge­gen­über hat­te er kei­ne Wi­der­stands­kraft. Um dem Bi­schof von Würz­burg gleich­zu­kom­men, der fast alle Graf­schaf­ten in sei­ner Di­öze­se und zu­gleich die Her­zogs­ge­walt be­saß, hat­te er mög­lichst vie­le Graf­schafts­rech­te auf­ge­kauft und den um­woh­nen­den Adel zu Va­sal­len ge­macht und war da­durch in Schul­den ge­ra­ten. Sei­ne kö­nig­li­chen Le­bens­ge­wohn­hei­ten auf­zu­ge­ben, war ihm un­mög­lich, lie­ber ver­kauf­te er die Kir­chen­schät­ze und gab da­durch sei­nen zahl­rei­chen Fein­den An­lass, ihn der Ket­ze­rei und Zau­be­rei zu be­schul­di­gen. Als es ih­nen ge­lun­gen war, ihn von Hofe zu ver­drän­gen, und er schutz­los den Über­grif­fen der Her­zö­ge von Sach­sen preis­ge­ge­ben war, flüch­te­te er aus der häss­li­chen Wirk­lich­keit tiefer in sei­nen Traum, der all­mäh­lich fast Wahn wur­de. Um die Ein­zel­hei­ten der Ver­wal­tung hat­te er sich nie küm­mern mö­gen, die Fol­ge war, dass er von al­len Sei­ten be­tro­gen wur­de. Sei­ne jä­hen Zorn­aus­brü­che, wenn er es er­fuhr, wur­den ver­lacht oder mach­ten ihn ver­hasst. Wenn er auch nach drei Jah­ren in sei­ne Wür­de wie­der ein­ge­setzt wur­de und Be­wei­se kö­nig­li­cher Gunst in Fül­le da­von­trug, so ver­moch­te er doch we­der sein Erz­bis­tum noch sei­ne ver­wil­der­te See­le neu zu ord­nen. Um ihn her­um brö­ckel­te al­les ab. An­statt dem Ver­fall ernst­lich zu weh­ren, raff­te er ge­walt­sam zu­sam­men, so viel er konn­te, und wenn er von nutz­lo­sem Auf­trieb er­mü­det war, wieg­te er sich mit Mu­sik und Mär­chen in Schlaf.

Adal­berts groß­ar­ti­ge Ge­dan­ken in Be­zug auf ein nor­di­sches Pa­tri­ar­chat fan­den nach sei­nem Tode, als mit Gre­gor VII. eine dem deut­schen Rei­che feind­li­che Stim­mung zur Herr­schaft ge­kom­men war, kein Ver­ständ­nis mehr in Rom. Nun emp­fing Kö­nig Sven schmeich­le­ri­sche Brie­fe vom Papst mit Auf­mun­te­run­gen, die nor­di­schen Rei­che durch Grün­dung ei­nes ei­ge­nen Erz­bis­tums von den Deut­schen zu be­frei­en. Sven je­doch, dem die Ab­hän­gig­keit von Rom nicht lo­cken­der er­schei­nen moch­te als die vom Kai­ser, ant­wor­te­te nicht. Er starb fünf Jah­re nach Adal­bert. Sein Nach­fol­ger ver­hielt sich ge­gen­über wei­te­ren Be­mü­hun­gen Gre­gors, eine schwe­di­sche Na­tio­nal­kir­che zu grün­den, eben­so­we­nig zu­gäng­lich, erst Pa­scha­lis II. er­hob im Jah­re 1104 das Bis­tum Lund zum Erz­bis­tum und über­trug ihm die Lei­tung des gan­zen skan­di­na­vi­schen Nor­dens. Ei­ni­ge Jahr­zehn­te spä­ter trat in Erz­bi­schof Es­kil ein Mann auf, der den neu­en An­spruch ener­gisch ins Werk setz­te. So war denn im Nor­den eben­so wie im Süd­os­ten der deut­schen Kir­che der Ein­fluss ab­ge­schnit­ten, den sie an­fangs auf die heid­nischen Völ­ker aus­ge­übt hat­te, und Skan­di­na­vi­en wie Un­garn und Po­len un­mit­tel­bar dem Papst un­ter­wor­fen. Tat­säch­li­che Herr­schaft über die um­woh­nen­den Völ­ker aus­zuü­ben, hat­ten die Deut­schen nicht Kräf­te und Mit­tel ge­nug, und über­all be­geg­ne­ten ih­nen her­vor­ra­gen­de Män­ner, die ih­nen die Kraft des frem­den Volks­tums ent­ge­gen­setz­ten. In­ner­halb die­ser Wech­sel­wir­kung aber hat­te das deut­sche Volk, das Trä­ger des Wel­treichs­ge­dan­kens war, doch noch ein so großes Über­ge­wicht, dass es An­grif­fe nicht zu fürch­ten brauch­te und mit dem Glanz sei­nes ruhm­rei­chen Na­mens weit­hin wir­ken konn­te. Den sla­wi­schen Nach­barn ent­riss es so­gar in lan­gen, schwe­ren Kämp­fen so große Ge­bie­te, dass da­mit fast ein neu­es Reich dem al­ten hin­zu­wuchs.

Deutsche Geschichte

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