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Allein

Sarah saß allein in ihrem Zimmer im Personalhaus an der Plattenstraße. Das hässliche Wohnhochhaus hieß früher Schwesternhaus. Da aber mit der Zeit auch einige Krankenpfleger in die unteren Stockwerke einziehen durften, änderte man den Namen. Die Lage war hervorragend, in unmittelbarer Nähe zum Universitätsspital. Nur fünf Minuten Arbeitsweg. Ein kleines Zimmer ohne eigene Küche und Bad – es war eine Übergangslösung. Mehr ließ der bescheidene Lohn nicht zu. Nach der Lehre, darauf freute sich Sarah schon sehr, würde sie eine eigene Wohnung suchen.

Das jetzige Zimmer war spartanisch eingerichtet und enthielt praktisch nur das Nötigste. Der einzige Luxusgegenstand war der Radiowecker. Etwas romantisches Flair verbreiteten ein herzförmiges rotes Kissen auf dem Bett und ein Engelskopf auf dem Nachttischchen. An den Wänden hingen einige Poster, Landschafs- und Tierbilder. Das kleine Büchergestell hatte noch Platz für einen kleinen Pokal, den Sarah vor Jahren beim Turnwettkampf gewonnen hatte. Und überall standen Eulen in allen Größen. Sarah sammelte Eulen.

Lange Zeit schaute sie nur zum Fenster hinaus. Die Aussicht vom achten Stockwerk auf Zürich war immer wieder aufs Neue faszinierend. Sarah sah auf die Kuppeln der Universität und der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule). Ihr Blick schweifte weiter über die Türme von Großmünster, Fraumünster, St. Peter und schließlich bis zum Uetliberg, der im Dunkeln lag und nur dank des beleuchteten Turmes auszumachen war.

Hätte sie doch mit ihren Kolleginnen ins Kino gehen sollen? Sie war müde und fühlte sich auch nicht in der Stimmung, um am Abend noch auszugehen. Zudem interessierte sie der Film ‚Cotton Club‘ nicht besonders.

Sie nahm ihr Buch zur Hand, ‚Ungeduld des Herzens‘ von Stefan Zweig, und versuchte zu lesen. Nach drei Seiten klappte sie den Buchdeckel missmutig wieder zu; sie konnte sich nicht auf den Inhalt konzentrieren. Unentschlossen ging sie im Zimmer auf und ab und horchte. Eine Türe, wahrscheinlich direkt nebenan, schnappte ins Schloss. Danach war es kurz ruhig, abgesehen vom dumpfen Straßenlärm, an den sich Sarah bereits gewöhnt hatte. Auf dem Gang vernahm sie nun ein kurzes, mehrstimmiges Kichern, die Zimmernachbarinnen trafen sich wohl in der Gemeinschaftsküche. Eben noch hatte Sarah ihnen erklärt, dass sie sich nicht am Spaghetti-Essen beteiligen werde. Als Grund hatte Sarah Kopfschmerzen vorgeschoben. Im Gegensatz zu Fabienne, die gelegentlich unter Migräne litt, kannte Sarah kaum Kopfschmerzen.

An diesem Abend verspürte sie wohl einen leichten Druck hinter der Stirn, der sie normalerweise nicht am Essen hindern würde. Doch Appetit hatte sie heute wirklich nicht.

Das Kichern dauerte an. Sarah hingegen war gar nicht nach Lachen zumute. Sie nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte die Nummer von Fabienne. Niemand meldete sich.

Schließlich versuchte sie es mit etwas Ablenkung und schaltete das Radio an. Auf keinem Sender lief passende Musik.

Als die Stimmen aus der Küche endlich verstummten, beschloss sie, eine Dusche zu nehmen und legte sich danach zum Schlafen hin. Lange Zeit wälzte sie sich unruhig im Bett hin und her.

Die Rückseite der Wahrheit

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