Читать книгу Durchs Feuer hindurch - Richard Böck - Страница 10
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Abschied
Die Stimmung hätte kaum besser sein können. Musik und Tanz spornten die kleine Schar junger Frauen und Männer an. Gelächter und Klatschen erfüllten immer wieder den Raum. Auch Martin war dabei. Was heißt dabei? Er war der Gastgeber. Zu einem Fest hatte er alle seine Kommilitonen geladen. Ein ausgelassenes Zusammensein mit seinen Freunden und Bekannten.
Es war ein Raum, der den Studierenden für Geburtstagsfeiern und andere Anlässe vorbehalten war. In einer kurzen Pause, als die Musiker ihren Durst stillten, ergriff Rupert, ein von Martin geschätzter Kommilitone, die Gelegenheit und hob sein Glas. Auf dem Podest der Musiker stehend prostete er den Anwesenden zu: »Ich hebe das Glas zu Ehren unseres Gastgebers, der uns heute so spendabel eingeladen hat. Will er etwa heiraten oder hat er geerbt? Lass uns an deiner Freude teilhaben …« Alle johlten und freuten sich darauf, den Grund für die fröhliche Feier zu erfahren. Martin spürte, dass er sich nun erklären musste. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden, die so gar nicht zu der heiteren Feier passten. »Wie werden sie enttäuscht sein, wenn ich … Aber ich muss ihnen reinen Wein einschenken!«
Martin war ein fröhlicher Geselle und liebte es, mit seinen Freunden und Bekannten zu singen und zu musizieren. Die erhitzten, fröhlichen und vom Wein schon etwas glänzenden Gesichter blickten nun neugierig und erwartungsvoll Martin an. Keiner konnte wissen, wie innerlich zerrissen er sich in diesem Moment fühlte. Einerseits war er erleichtert, endlich seine Entscheidung gefällt zu haben, andererseits machten es ihm die Anwesenden nicht leicht, sich zu seinem Entschluss zu bekennen. Aus Verlegenheit nahm er eine in seiner Nähe liegende Laute zur Hand, schlug einmal kurz die Saiten an. Doch dann legte er das Instrument wieder zur Seite.
Gerade als er sich überwunden hatte und zu einer Erklärung ausholen wollte, fiel ihm Rupert noch einmal ins Wort: »Martin, wir wollen dir für diese Einladung danken. Aber sag, mit was haben wir das verdient? Geburtstag hast du heute nicht. Auch heiratest du nicht, noch nicht … oder?« Gelächter erfüllte denn Raum. »Na, sag schon, welchem glücklichen Umstand haben wir diesen schönen und lustigen Abend zu verdanken? Ich hoffe, du lässt den Klingelbeutel nicht rumgehen und übernimmst selbst die ganze Zeche! …«
Martin, der sich inzwischen zu seinem Freund aufs Podest begeben hatte, hob beide Hände: »Meine lieben Freunde«, begann er tapfer und mit fester Stimme, »ihr braucht keine Angst zu haben. Bezahlen kann ich all das mit Leichtigkeit. Ich habe heute alle meine Bücher verkauft.«
Erstauntes Raunen erfüllte den Raum. Die Gesichter voller Fragezeichen. Keiner musste lange überlegen, um welche Bücher es sich handelte. Jeder Student hatte Studienbücher, die einen nicht geringen Wert darstellten.
Die vor Minuten noch lachenden Gesichter starrten nun fragend und staunend zu Martin. Die gerade noch standen, ließen sich, soweit möglich, auf einem Platz nieder. »Einer, der seine Bücher verkauft, der …«
Rupert legte seine Hand auf Martins rechte Schulter: »Mein Freund, du bist einer der besten Studenten. Willst du deine Studien denn …?« Er verstummte, als Martin noch einmal mit einem Handzeichen um Ruhe bat. Mit ruhiger Stimme und nun ganz gefasst erklärte er: »Ihr werdet mich heute das letzte Mal sehen. Dies ist mein Abschiedsfest.«
Absolute Stille. Keiner brachte ein Wort hervor. Alle starrten Martin an und hofften, es wäre einer seiner Scherze. Aber keinem war zum Lachen zumute. Die Spannung ließ die Luft vibrieren. Sie war kaum auszuhalten. Aber die erlösenden Worte »Das war ein Scherz!« kamen nicht. Man sah Martin an, dass er es ernst meinte mit dem, was er gesagt hatte, und dass das noch nicht alles war.
Martins Entschluss stand fest. Nach Tagen des inneren Kampfes war er bereit, endlich diesen Schritt tun zu können. Mit ernster und fester Stimme verkündete er: »Heute seht ihr mich zum letzten Mal. Das ist mein Abschied. Ich gehe ins Kloster! Gleich morgen gehe ich hin. Das heißt, liebe Freunde, ich werde um Einlass bitten. Es ist mein fester Wille. Ich will mein Leben Gott weihen. Was schaut ihr so erstaunt, so fragend? Bin ich der erste Mensch, der sich entscheidet, sein Leben in einem Kloster verbringen zu wollen? …«
Erstaunt und ergriffen hingen die Freunde an seinen Lippen. Die vorhin noch scherzten und lachten, hatten das Gefühl, sie wären in einen Eisbach gestürzt. Schlagartig wurde ihnen klar, was geschehen war und was geschehen werde. Je länger Martin seine Entscheidung darlegte, desto klarer und entschiedener kamen die Worte aus seinem Mund. Während sich bei den Freunden Beklemmung und Trauer ausbreitete, spürte Martin, wie sich in ihm Freude wie ein Feuer entfachte, das größer und größer wurde. Aus der nüchternen Entscheidung, sein Versprechen Gott gegenüber einzuhalten, wurde jetzt herzliche Begeisterung.
Es war still geworden, so still, dass man die berühmte Nähnadel gehört hätte, wäre sie zu Boden gefallen. Niemand sagte etwas. Die Freunde Martins saßen und standen da, mit offenem Mund, andere sahen verwirrt zu Boden. Sie hatten sich auf einen fröhlichen Abend eingestellt. Die Neugier, warum und wozu sie eingeladen waren, gab dem Abend eine besondere Note. Man hatte mit allem gerechnet – mit Hochzeit, mit Erbe. Doch nicht mit einem Abschied. Mit einem Abschied vom Studium. Mit einem Abschied von den Freunden. Mit einem Abschied ins Kloster. Damit hatte niemand gerechnet.
Ins Kloster? Abbruch seines Studiums. Abbruch einer großen Zukunft. Verzicht auf eine Karriere. Verzicht auf Ehe und Familie. Dafür ein karges Leben in Armut, Demut, Gehorsam und Keuschheit. Der Orden der Augustiner Eremiten galt als einer der strengsten.
Es war allgemein bekannt, wie viele Tage innerhalb dieser dicken Mauern gefastet wurde. Daran dachten sie, nachdem sie kurz zuvor noch fröhlich gezecht hatten. Das war so bizarr. Das war eine andere Welt. So allmählich wurde allen die Konsequenz seiner Entscheidung bewusst. Kein Müßiggang mehr. Sondern in aller Herrgottsfrühe aufstehen. Kein lockeres Studentenleben mehr, sondern strenges Gebet und viel Fasten. Die dicken Klostermauern trennten von den Verlockungen der Welt – und auch von Eltern, Verwandten und Freunden. Und was würde mit seiner Verlobten, der Bärbel, geschehen?
Franz standen die Tränen in den Augen. Wer sollte ihm nun mit den Mitschriften helfen? Die Stimmung schwankte zwischen Trauer und Mitleid, zwischen Entsetzen und Vorwurf. Wie konnte er ihnen das nur antun? Und das auf einem so schönen Fest? Aber auch das passte zu Martin. Klare Worte. Zu dem stehen, was man erkannt hat. Davonschleichen war nicht seine Sache. Daher verstanden sie, dass dieser Abschied für Martin wichtig war. Und er wollte, dass seine Freunde ihn verstanden. Zumindest wussten, warum er sie verlassen musste. Auch wenn diese Ankündigung sie alle völlig unvorbereitet traf.
Nachdem Martin erzählt hatte, was er vorhatte, war die Zeit stehen geblieben. Die Luft wurde zu einer Wand. Zu einer zähen Masse, einer Mauer, die man anfassen konnte. Keiner wusste, was jetzt zu tun ist, keiner traute sich, zu fragen. Die Musik war verstummt. Gläser und Becher standen wie angeklebt auf den Tischen. Der Raum, der noch vor einigen Minuten in Bewegung war, von Musik, Tanz und Gelächter vibrierte, war zu einem Dornröschenschloss geworden. Eingefroren. Gerade als Martin die Stille aufbrechen wollte, fiel eine Laute um und gab einen klagenden Ton von sich. Ein Ton, der die Stimmung der Freunde wiedergab. Dieser Klang ließ die Gesellschaft aus ihrer Betäubung erwachen und rückte das Ganze noch einmal ins Bewusstsein. Nie mehr sollten sie ihren Freund zu Gesicht bekommen. Auch wenn sie sein Vorhaben gehört und die Sache verstanden hatten; begreifen konnte es keiner. Ein brillanter Student, dem eine große Zukunft als Advokat in Aussicht gestellt war, war bereit, sich in die Grabesstille eines Klosters zu begeben! Das machte alle sprachlos. Aber Martin wollte ihnen den Abend nicht verderben, weshalb er den Musikern ein Zeichen zum Weiterspielen gab. Er klatschte in die Hände, nahm das nächste in seiner Nähe stehende Mädchen an die Hand und begann, mit ihr zu tanzen.
Zögernd, aber als Gäste verpflichtet, die Feier nicht abzubrechen oder im schlimmeren Fall zum Umstürzen zu bringen, begannen einige Pärchen ihren unterbrochenen Tanz wieder aufzunehmen.
Langsam und zäh, wie eine von vielen Händen angeschobene Maschine, kam das Fest noch einmal ins Rollen. Mit Widerwillen fand die Musik zu ihrem Takt zurück. Der Wein tat seines dazu, dass im Laufe des Abends die Abschiedsrede Martins etwas verdrängte werden konnte. Es wurde wieder getanzt, gelacht und getrunken. Doch keiner konnte wirklich vergessen, was Martin ihnen an diesem Abend so unmissverständlich mitgeteilt hatte.
Später, als sich die Freunde herzlich verabschiedeten, versuchten einige, Martin umzustimmen. Doch sein Entschluss stand fest.