Читать книгу Durchs Feuer hindurch - Richard Böck - Страница 7
Оглавление1.
Todesangst
Der Überfall kam aus dem Nichts. Innerhalb weniger Minuten stand der junge Mann diesem Ungeheuer aus Blitz und Donner gegenüber. Vor ihm hatte sich eine Wand aus Regen aufgebaut, die so dicht war, dass es ihm unmöglich war, irgendetwas um sich herum zu erkennen. Von allen Seiten prasselte es auf ihn herab. Er konnte kaum noch die Hand vor seinen Augen erkennen, geschweige denn den noch vorhin klar sichtbaren Weg. Das Donnerkrachen, die Blitze, dieser heftige Sturm aus Regen und Dreck, der vom Ackerboden aufgewirbelt wurde – alles schien zu seinem Feind geworden zu sein. Nirgends ein Schutz. Keine Hütte, keine Scheune, kein Unterstand. Was hätte es auch genutzt? Er hätte ihn doch nicht sehen und finden können. Dabei wollte er doch nur vom Besuch der Eltern in Mansfeld zurück nach Erfurt. Und nun war er bis Stotternheim gelangt und hatte das Gefühl, am Ende der Welt und am Anfang der Hölle zu stehen.
Das Schlimmste an allem war aber diese Angst, die wieder von ihm Besitz ergriffen hatte. Das Donnergrollen schien ihn anzuschreien, ihn zu bedrohen. Die Angst vor dem Tod war wieder da. Es waren erst ein paar Wochen her, als Martin sich mit einem Studentendegen so heftig verletzt hatte, dass er fürchtete, verbluten zu müssen. Das Blut konnte erst spät gestillt werden. Die Todesangst, die ihn damals ergriffen hatte, war jetzt wieder da – mit voller Wucht. Die Angst, von einem Blitz erschlagen zu werden! Martin hielt die rechte Hand über die Stirn, um den heftigsten Regen abzuhalten und vielleicht doch irgendetwas erkennen zu können. Plötzlich wurde es einen kurzen Augenblick gleißend hell. Das Splittern von Holz drang an sein Ohr. Spätestens jetzt war ihm klar, dass er in allergrößter Lebensgefahr schwebte. Ein Blitz musste in unmittelbarer Nähe in einen Baum eingeschlagen haben. Daher die plötzliche Helligkeit. Wie oft hatte er gehört, dass Bauern mitten auf dem Feld vom Blitz erschlagen worden sind. Nahm man diese Augenzeugenberichte ernst, mussten diese armen Menschen grausam zugerichtet worden sein. Und auf freiem Feld hatten sie keine Chance, dieser Gefahr zu entkommen. Genauso war auch Martin gerade ohne jeglichen Schutz und ohne eine Chance. Doch etwas in ihm ließ ihn noch kämpfen. Die Augen mit aller Kraft aufgerissen versuchte er, einen Weg zu finden. Doch war auch dies vergeblich. Das Unwetter verschleierte jede Kontur, jeden klaren Umriss und hüllte alles in ein bedrohliches Dunkel. Er konnte keinen Weg oder irgendetwas sehen, das ihm geholfen hätte, ins nächste Dorf zu fliehen.
Hilfesuchend und verzweifelt drehte er sich nach allen Seiten um. Doch nichts war zu erkennen. Er hörte nur heftiges Donnergrollen und dann wurde es schlagartig hell als würden tausend Sonnen glühen. Weitere Blitzschläge. In seinem Gesicht vermischte sich das Regenwasser mit seinen Tränen. Er versuchte weiterzugehen, doch er blieb im Matsch stecken und stolperte, der heftige Sturm riss ihn um. Sein rechter Fuß steckte im nassen Ackerboden fest. Martins Kraft ließ nach. Der Sog, der sich um seinen Fuß gebildet hatte, wirkte so lebendig, dass Martin glaubte, ein Höllentier halte ihn fest und wolle in die Tiefe ziehen. Fast fürchtete er, aufgeben zu müssen. Doch ein letzter Versuch hatte Erfolg und er spürte, wie sein Fuß endlich frei war. Nur sein Schuh war stecken geblieben. Mit den Händen tastete er danach im nassen Morast. Vergeblich.
Die Verzweiflung steigerte sich wie auch die Angst um sein Leben. Noch nie hatte er solche Panik erlebt. Als er ausrutschte und in den Matsch fiel, dachte er daran, aufzugeben, sich dem Schicksal auszuliefern, als er plötzlich etwas hörte. Was war das? Nein, kein Mensch, niemand war in seiner Nähe. Die Worte kamen aus seinem eigenen Mund. In seiner Todesnot hatte er angefangen, zu beten. Ein kurzes Gebet: »Heilige Anna, hilf, ich will ein Mönch werden! Heilige Anna, hilf mir. Wenn ich das überlebe, gebe ich alles auf und werde Mönch! Wirklich. Hilf mir, Anna!«
Doch es änderte sich nichts. Donner grollten, Blitze schlugen links und rechts von ihm ein und der Sturm drückte ihn auf den Boden. Die Kälte kroch in den letzten Winkel seines Körpers. Martin lag im Schlamm und wartete auf ein Wunder. Doch wie zum Hohn knallten die Blitze wie Feuerkeile vom Himmel. Keine Rettung war in Sicht. Der Himmel war wie die Nacht tiefschwarz und bedrohlich. Weiterhin knallten dicke, schwere Tropfen mit einer für Martin unerklärlichen Wucht auf die Erde herab, als ob alles erschlagen werden sollte. War so die Sintflut gewesen, von der die Bibel erzählt? Oder war dies die neue Sintflut, die ihn und die ganze Menschheit vernichten wollte? Obwohl Martin flehentlich gebetet hatte, spürte er keine Hoffnung und sah keine Möglichkeit der Rettung aus dieser grauenhaften nassen Hölle. Wie zum Trotz betete er weiter: »Wenn es einen gnädigen Gott gibt, dann muss, dann muss etwas geschehen, dann muss er mir helfen …«