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Verzweiflung
Die Augen flogen über die Zeilen. Gleichzeitig rötete sich sein Gesicht. Kopfschüttelnd hielt er das Papier in den Händen. Hans Luther hätte die beiden Briefbögen am liebsten zerknüllt und in die nächste Ecke geworfen. Er fing an zu zittern. Nicht aus Angst. Der temperamentvolle Mann hätte am liebsten vor Wut losgeschrieen. Steif stand er vor der Schwelle zur Küche. Das Papier in den Händen horchte er auf. Das Prasseln des Küchenfeuers drang an sein Ohr. Da hinein, ins Feuer gehörten solche Gedanken. Fast wäre es passiert, doch im letzten Augenblick hielt er inne. Diese Zeilen gingen nicht alleine ihn etwas an. Als er seine Margarethe nicht in der Küche antraf, stürmte er zur Türe und schrie in den Garten hinaus. Dort war sie, um Kräuter zu holen.
»Ein Brief von Martin, wie schön. Aber was hast du?«, fragte Margarethe. Hans Luther konnte seinen Unmut nicht verbergen. »Freust du dich nicht? Oder sind es keine guten Nachrichten?«
»Lies das, dann wirst du meine Fassungslosigkeit verstehen!« Margarethe Luthers Augen flogen über die Zeilen. War zuerst noch Neugierde in ihrem Blick, so wich diese einer unaussprechlichen Fassungslosigkeit. Sie konnte kaum glauben, was sie da las:
Liebe, verehrte Eltern,
ich muss Ihnen heute etwas sehr Wichtiges mitteilen. Als ich vor einigen Tagen nach meinem Besuch bei Ihnen wieder nach Erfurt ging, wäre ich fast nicht angekommen. Unterwegs kam ein furchtbares Unwetter auf. Es kam so plötzlich, dass ich die Orientierung verloren hatte. Kaum konnte ich die eigene Hand vor Augen erkennen. Ich rutschte im vom Regen aufgeweichten Boden aus, ein unerbittlicher Sturm rang mich nieder und ich lag im Kot. Es donnerte und blitzte um mich herum, dass ich befürchten musste, meine letzte Stunde habe geschlagen….
»Gewitter, Sturm, Blitz. Was soll das alles? Und dieses Gelübde an die Heilige Anna? Glaubst du, dass Martin das ernst …?«
»Ja, das befürchte ich. Wenn er das so meint, wie wir es hier lesen, dann ist er von allen guten Geistern verlassen. Alles, alles wird er fortwerfen. Jahrelanges Studieren, all die Aufwendungen, all das Geld … Wofür habe ich all die Jahre geschuftet?«
Margarethe Luther ließ sich auf einer an der Wand stehenden Truhe nieder und las mit zitternden Lippen weiter:
… ich konnte es kaum glauben, dann endlich dieser Hölle entronnen zu sein. Natürlich erinnerte ich mich immer wieder an mein Versprechen, das ich der Heiligen Anna gegeben hatte. Mir wurde klar, dass ich mein Versprechen einlösen muss. Daher ist es ist mein fester Wille, bei den Augustinern um Einlass zu bitten.
»… mein fester Wille …, um Einlass zu bitten. Um Einlass zu bitten.« Ein drittes Mal wiederholte die blass gewordene Mutter den Satz. »… um Einlass zu bitten. Ich kann es nicht glauben. Wie haben wir uns doch so über Martin, unseren begabten, gescheiten Sohn gefreut. Und jetzt so etwas …, so etwas … ich finde keine Worte.«
Mit zusammengekniffenem Mund stand Hans unter der niederen Tür, während seine Frau ihn nur noch aus leeren Augen anstarrte. Es war ihr bewusst, was ein Klostereintritt, noch dazu bei einem der strengsten Orden, bedeutet. Nicht nur, dass alle Träume von Enkelkindern und der Karriere als Advokat wie Staub zerrieselten. Zudem würden sie Martin jahrelang nicht sehen dürfen. Wäre es eine Tochter gewesen, die man gut versorgt wüsste, wäre es sogar ein Trost, aber ein Sohn mit solchen Begabungen und allen beruflichen Möglichkeiten. Es war nicht zu begreifen!
Hans Luther hatte sich ein wenig gefasst. Er ließ sich nun neben Margarethe auf die Truhe nieder. Wie lange hatte er nicht mehr nach ihrer Hand gegriffen. Ein wenig zuckte sie zusammen, als sie den Druck seiner von harter Arbeit schwieligen Hand spürte. Zugleich tat es ihr gut. Seine Frau, immer noch die Papierbögen haltend, legte nun ihre linke Hand auf seine ineinander gepressten Finger. »Wie doch Probleme zusammenschweißen können«, dachte sie im Stillen: »Du musst mit ihm reden. Vielleicht hat er dies in der Aufregung, in einer ersten Gefühlswallung nach diesem schrecklichen Erlebnis geschrieben. Jedermann kann sich vorstellen, welche Todesangst einen Menschen ergreifen kann, der in solch ein Unwetter gerät. Wir können nur hoffen, dass er doch noch zur Besinnung kommt.«
»Aber du kennst ihn doch«, unterbrach Hans seine Frau. »Du weißt, dass er einen sturen Schädel hat. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist kaum mit ihm zu reden! Dann …«
»Dann? Was dann?«, antwortete Margarethe. Ihre Stimme war kaum zu hören, so hatte es ihr den Hals zugeschnürt. »Was, wenn ich ihn nie mehr zu Gesicht bekomme?« Sie erhob sich und fing an, nervös im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ins Kloster, ins Kloster. Manche Eltern sind stolz auf ein Kind, das diesen Weg wählt. Aber unser Martin ist dafür doch nicht geschaffen. Das sind andere, stillere und in sich gekehrte junge Menschen. Er hätte doch als Jurist so viel erreichen können. Was will Martin denn als Mönch schon ausrichten? Die Klostermauern sperren ihn aus von allen weltlichen Freuden. Das wird der Bärbel das Herz brechen. Und es bricht mir das Herz, wenn ich nur daran denke, dass er in einer kahlen und kalten Zelle sitzt. Ganz allein und der Welt entrückt.«
Dann blieb Margarethe erschrocken vor Hans stehen. Er sah seiner Frau an, dass ihr gerade etwas eingefallen sein muss. »Was hast du?« Sie nahm ihr Gesicht in beide Hände: »Hans, was ist mit der Jungfer Bärbel? Er ist ihr versprochen. Du hast doch dafür gekämpft. Wie lange hast du auf ihren Vater eingeredet. Und als er endlich sein Einverständnis gegeben hatte, da waren die jungen Leute so glücklich. Von Heirat und Kindern hatten sie geträumt. Daran musst du Martin erinnern. Sprich mit ihm!«
»Was habe ich monatelang auf Bärbels Vater eingeredet. Eingeredet habe ich auf ihn wie auf einen tauben Esel. Ja! Und zuletzt konnte ich ihn überreden«, schrie er vor sich hin. Erneut seiner Frau zugewandt polterte er: »Ich werde ihn nicht nur darauf ansprechen. Das kannst du mir glauben. Es gibt noch etwas anderes. Vielleicht ist dies meine Chance, ihn bei seiner Ehre zu packen. Es gibt ein Gebot. Du weißt, was ich meine? Der Gehorsam den Eltern gegenüber. Er wird mir Rede und Antwort stehen müssen! Aber was nützt denn unser Gerede jetzt und hier?!« Hans Luther begab sich zur Tür, riss sie auf und rief beim Hinausgehen: »Ich werde morgen in aller Frühe zu ihm fahren!«
Kreidebleich und das Gesicht zur Maske erstarrt saß Margarethe immer noch auf der Truhe in der inzwischen dunklen Küche. Obwohl ihr Mann es nicht mehr hören konnte, da er unterwegs in den Stall war, um die Kutsche für morgen herzurichten, kamen einer Beschwörung gleich die Worte aus ihrem Mund: »Wenn du ihn nur abhalten kannst, diesen Weg zu gehen. Möge unser Herrgott Vernunft auf ihn kommen lassen. Möge er ihn an das Gebot den Eltern gegenüber erinnern! Möge sich der Himmel über ihm öffnen und ihn warnen, möge, möge, ach möge …« Ihr versagte die Stimme. Tränen liefen Margarethe über die Wangen.