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Berufung
Verwunderlich mag es nur für Martin gewesen sein, als ihm eines Tages durch die Klosterleitung mitgeteilt wurde, dass er zur Ausbildung in den Priesterstand ausersehen worden war.
Als man dem jungen Luther diesen Plan mitteilte, fühlte er zwei Seelen in seiner Brust. Einerseits erschrak er: »Wie soll ich Priester sein, wenn ich in ständigen Zweifeln lebe. Ich kann ja selbst die Vergebung durch Gott nicht annehmen, wie soll ich dann anderen die Vergebung zusprechen können?«
Andererseits gab es für ihn keine größere Anerkennung als diese Berufung. So begann für Martin sogleich die Ausbildung und am 3. April 1507, schon knapp zwei Jahre nach seinem Klostereintritt, die Weihe zum Priester.
Sein Seelsorger, der Generalvikar Johann von Staupitz, hatte ihm zu dieser Ausbildung Mut zugesprochen. Denn er hoffte, dass Martin mit der Herausforderung innerlich wachsen würde, indem er als Priester anderen Mut zusprechen lernen würde, ihnen die Beichte abnehmen und dadurch von sich und seinen unendlichen Grübeleien wegkommen würde. Für Martin war damit aber der Kampf um die Reinheit vor seinem Gott nicht zu Ende. Die Ernsthaftigkeit, mit der er sich nun dieser Ausbildung widmete, war von Bitterkeit begleitet. Jeder nicht gerade demütige Gedanke beunruhigte ihn. Unaufhörlich erforschte er sich, hörte in sich und durchleuchtete sein Innerstes. Jedes kleinste Stäublein auf seiner Seele erschien ihm als Verfehlung.
Später hatte er das Papsttum und die Kirche für seinen Seelenzustand verantwortlich gemacht. Er erzählte den Jüngeren, die das Klosterleben nur vom Hörensagen her kannten, wie man im Kloster einer Art Marter unterworfen war.
Jedes kleinste Vergehen wurde zur Sünde, ein versehentliches Stottern im Gebet, ein unbeabsichtigtes Anfassen des Kelches und der Hostienschale ebenfalls. Von den großen Kirchenlehrern wurde gedroht, dass jeder, der nur eine Silbe im Chorgesang ausließe, dafür beim Jüngsten Gericht Rechenschaft ablegen müsse. Während die einen dies ignorierten, die anderen darüber sogar noch innerlich lächeln konnten, sah Luther unablässig den zornigen Gott vor sich, den zornigen Christus, den Richter, der das Verdammungsurteil aussprach über all diese Verfehlungen, über all diese Sünden. Das quälte ihn von früh bis spät. Hilfe erhoffte er sich von seinem Seelsorger von Staupitz, dem er jammernd vortrug: »O meine Sünde, Sünde, Sünde!« Der Generalvikar sah ihn nachdenklich an und antwortete: »Martin, du hast gar keine Sünde begangen! Eine echte Sünde ist: seine Eltern ermorden, öffentlich lästern, Gott verachten, Ehebruch. Du musst dich nicht mit solchem Humpelwerk und Puppensünden belasten und aus jeglichem Furz eine Sünde machen!«
Dem vornehmen, aus adliger Familie stammenden von Staupitz platzte gerade die berühmte Hutschnur. Daher wurde der sonst so zurückhaltende Beichtvater deutlicher, weil er mit seinem Latein nun auch am Ende war und sah, wie sich sein Schützling quälte. Der liebevolle und feinfühlige Johann von Staupitz war der beste Seelsorger für Martin. Aber auch er stieß bei ihm an seine Grenzen.
Martin meinte, nicht richtig gehört zu haben: »Priester soll ich werden! Gerade ich.« Eines hatte der Beichtvater zumindest schon erreicht. Statt ständig nur um seine Sündhaftigkeit und Unvollkommenheit zu kreisen, musste sich Martin damit einer absolut neuen Herausforderung stellen. Auch das gehörte zum Gehorsam eines Klosterbruders, dass er eine Berufung – ohne zu murren! – annimmt. Und diese Berufung kam für den jungen Mann wie aus dem Nichts.
Anfangs hatte sich Martin innerlich dagegen gewehrt. Doch was blieb ihm übrig, wenn er im Kloster bleiben wollte? Was Gehorsam ist, das hatte er bereits gelernt. So unterwarf er sich und widmete sich seiner neuen Aufgabe und Ausbildung. Auch wenn er immer noch an seiner Unvollkommenheit und dem Anspruch Gottes litt, so musste er jetzt seine Kraft und Energie in neue Bahnen lenken. Er hatte nun weniger Zeit für Selbstvorwürfe, Zweifel und Selbstanklagen. Seine Kraft brauchte er jetzt zur Vorbereitung auf sein hohes kirchliches Amt, das des Priesters, des Mittlers zwischen Gott und den Menschen. Die Ausbildung bestand im Wesentlichen aus dem Auswendiglernen des komplizierten Messerituals. Dieses musste korrekt ausgeführt werden. Das Ritual regelte die Handhabung der heiligen Geräte, legte fest, an welchen Stellen Kreuze zu schlagen sind und wie viele. Weiter musste er lernen, wie oft er sich zu verbeugen hatte. Jede Geste, jedes Wort war von höchster Wichtigkeit, damit im Vollzug der heiligen Wandlung Brot und Wein zu Leib und Blut Christi werden.
Martin lernte voller Fleiß und Sorgfalt. Im Frühjahr 1507 empfing der Klosterbruder Martin Luther die Priesterweihe. Und bereits kurz darauf, am 2. Mai, feierte er in der Augustinerkirche vom »Schwarzen Kloster« seine erste Messe; er war bei seiner Primiz gerade 23 Jahre alt. Seinen Vater und ebenso die Mutter hatte er schon jahrelang nicht mehr gesehen. Doch an diesem Tag, zu dem auch alte Freunde und ehemalige Lehrer eingeladen waren, kam auch der Vater mit zwanzig Begleitern angeritten. Mittlerweile war Martins Vater ein wohlhabender Mann geworden. Der Klosterküche spendete er den ansehnlichen Betrag von zwanzig Gulden. Eine Summe, mit der man sich fast ein Haus kaufen konnte.
Als aber Martin die Messe las, passierte es. Er wurde von heftigen Zweifeln gepackt, ob er wohl würdig genug sei, diese heilige Handlung ausführen zu dürfen. Martin wollte aus der Kirche fliehen und die Messe nicht weiter zelebrieren. Mit Müh und Not sprach ihm der Prior Mut zu und hielt ihn davon ab, die heilige Messfeier abzubrechen. Martin spürte in dem Moment: »Da ist kein Glaube, nur Furcht und Zittern.« Da war sie wieder, die alte Angst, vor dem großen Gott nicht zu genügen. Innerlich erschauerte er, als er ans Kreuz blickte und sich fragte: »Martin, wer ist eigentlich der, mit dem du redest?« Mit Hilfe seiner Brüder brachte er die Messfeier zu Ende.
Erleichtert begab er sich anschließend mit den Gästen in den festlich geschmückten Saal. Nach etlichen Jahren saßen Vater und Sohn endlich wieder an einem Tisch. Bei Musik und Fackelbeleuchtung zog sich das Fest bis in die Abendstunden hinein. Martin fühlte sich in gewisser Weise gut, da er nun die Berufung hatte, Gott besser dienen zu dürfen. Außerdem war er dazu geweiht worden, andere zu trösten und ihnen die Vergebung zusagen zu können.
Seine Blicke wanderten immer wieder zu seinem Vater. »Wie wäre es doch schön, mit ihm versöhnt zu sein, mit ihm wieder normal reden zu können!«
Aber der Sohn fand keinen günstigen Augenblick, um mit dem Vater ins Gespräch zu kommen. »Was gäbe ich, neben ihm sitzen zu dürfen!«
Wie ein Raubtier auf Beute lauernd, so angespannt war Martin während des Essens. Er suchte den günstigen Augenblick. Doch immer, wenn er ansetzen wollte, kam ihm einer der Festteilnehmer zuvor. Ganz plötzlich sprach keiner und Martin gab sich einen Ruck: »Lieber Vater«, begann er, »warum habt Ihr Euch so hart widersetzt und wart so zornig, als ich Mönch werden wollte? Könnt Ihr es jetzt verstehen und bejahen?« Keiner konnte in diesem Moment Martins inneres Zittern sehen? Die Sehnsucht, sich mit dem Vater wieder zu versöhnen, saß tief. Und ist es nicht die Aufgabe eines Priesters, den Menschen die Versöhnung zu bringen? Würde die Versöhnung mit dem Vater jetzt gelingen, dann würde sich Martin als echter Priester fühlen. Es wäre die Krönung seiner Priesterweihe.
Martin wartete gespannt auf die Antwort seines Vaters, den er doch immer noch liebte. Doch dieser schwieg. Nun verstummte auch die Musik und die Spannung wuchs. Alle Augen waren gespannt auf Martin und seinen Vater gerichtet. Abwechselnd wurden die beiden Männer gemustert.
Martin dachte in dem Moment an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Dachte auch sein Vater an die bekannte Geschichte beim Evangelisten Lukas im 15. Kapitel? Wie warmherzig hatte in dieser Geschichte der Vater den Sohn wieder angenommen. Im Gleichnis ließ der Vater zur Feier des Tages ein gemästetes Kalb schlachten und auftischen. Der Sohn bekam einen goldenen Ring an den Finger. »Auch mein Vater hat einen beachtlichen Betrag der Küche gespendet«, ging es Martin durch den Kopf, der nun immer mehr Parallelen zur biblischen Geschichte erkannte. Sollte dies ein Zeichen der Versöhnung darstellen? War es die ausgestreckte Hand des Vaters?
Martin hoffte es inniglich. In seinem Inneren brodelte eine Sehnsucht nach einem guten Wort des Vaters. Dieser schaute in die Runde. Selbstbewusst wie er geworden war, der erfolgreiche Bergmann. Er schaute den Doktoren ins Gesicht, er blickte die Mönche an, die Gelehrten und stellte dann über den Tisch hinweg die Frage: »Ihr Gelehrten. Habt Ihr nicht gelesen in der Schrift, dass man Vater und Mutter ehren soll?«
Martin erschrak. Er sah seine Hoffnung auf den gnädigen Vater schwinden. Dann änderte Hans Luther seine Blickrichtung. Seine Augen wanderten zu seinem inzwischen blass gewordenen Sohn: »Diesem Gebot zuwider habt Ihr mich und Eure liebe Mutter in unserem Alter verlassen, da wir erst einen Trost und Hilfe von Euch hätten haben sollen, weil ich so viel Kosten auf Eure Studien gewendet habe, und seid wider unseren Willen ins Kloster gegangen.« Martin erstarrte und wusste keine Antwort. Sein Mund war trocken.. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Auf seiner Stirn sammelten sich Schweißtropfen. Die Hände unter dem Tisch ineinander verkrampft, versuchte er, stammelnd eine Antwort zu geben. Kaum hatte er angesetzt, wurde er vom Vater unterbrochen. Doch die Worte rauschten wie in einem Sturm an ihm vorbei. Er hörte die anklagende Stimme, verstand aber nicht ihren Sinn. Er war froh, sich in diesem Augenblick am Tisch und der Bank festhalten zu können.
Hans Luther hatte immer in großer Verantwortung für seine Familie gelebt. Er war ein Mann, der sich nicht schonte und alles daran setzte, dass es den Seinen gut ging. Das war Martin bewusst. Gerade für ihn, seinen begabten Sohn, hatte er so viel in die Waagschale geworfen. Er hatte Martin jede finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Dazu wurde eine zukünftige Ehefrau sorgsam ausgewählt. Auch hier hatte sich Hans nicht geschont. Aus gutem Hause sollte sie sein, eine gute Partie. Und er hatte sie für seinen Sohn gefunden. Er hatte für alle und insbesondere für seinen Sohn bestens gesorgt. Und dann schlug dieser alles aus und ging ins Kloster. Dem Vater war es nicht möglich, seinen Sohn zu begreifen. Er sah in dessen Verhalten nur Ungehorsam und Undankbarkeit!
Martin war über die Worte des Vaters erschrocken. Auch die anderen Gäste schwiegen betreten. Während die einen ängstlich zu Martin blickten und auf eine Antwort warteten, stierten die anderen wortlos auf den Tisch. Die Mönche, die am Tisch mit Speisen und Getränken dienten, verließen schnellstens den Raum.
»Darf ich etwas zu bedenken geben«, unterbrach einer der Gäste die bleischwere Stille, »es ist doch zu verstehen, dass ein Vater enttäuscht ist; wie kann es anders sein?« Vielfaches Kopfnicken zeigte Verständnis. »Aber, gnädiger Herr Luther, wir sollten auch und vor allem bedenken, dass Euer Sohn in einer großen Gefahr, ja einer Lebensgefahr, den Eintritt ins Kloster unserem himmlischen Vater gelobt hatte.«
Die Hoffnung, mit diesem Einwand den Zorn des Hans Luther besänftigen zu können, war in einem Augenblick zunichte gemacht, als dieser antwortete: »Wollte nur Gott, dass es nicht ein Teufelstrug war!«
Dieser Satz aus dem Munde des Vaters, der soeben die erste Heilige Messe seines Sohnes miterleben durfte, traf die Anwesenden wie ein Keulenschlag. Ein Aufschrei des Entsetzens war zu hören, der aber sofort wieder verstummte. Einige hatten die Augen weit aufgerissen. Am meisten erschreckt war natürlich Martin. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht mit dieser Verdächtigung.
Nichts nützte mehr etwas, alle weiteren Reden und Argumente prallten an ihm ab. Hans konnte und wollte seine harten und vorwurfsvollen Worte nicht zurücknehmen. Alles war gesagt! Die Positionen waren geklärt. Martin, unfähig noch irgendetwas zu erwidern, saß am Ende des Streits mit verweinten Augen da. Viel später erwähnte er: »Ich konnte diese Reden hinfort nicht mehr vergessen«.