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11.

… die Seele aus dem Fegefeuer springt

Papst Julius II. starb. Zu seinem Nachfolger wurde 1513 Leo X. gewählt. Julius war ein Kriegsherr, ganz anders wollte Leo werden. Er kam aus einer reichen Florentiner Bankiersfamilie. Schon im Alter von 14 Jahren hatte man ihm die Kardinalswürde gekauft. Aber Leo war kein Theologe. Diese Materie war ihm völlig fremd.

Für Martin waren beide Päpste wie aus einer anderen Welt. Auch die Machtspiele im Vatikan kannte er nicht. Rom war weit weg. Sein Aufenthalt als Abgesandter seines Ordens war zu kurz, um die politischen Zustände und Verbindungen bemerken und verstehen zu können. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Papst Geld brauchte, zumindest nicht in der Menge wie Leo X. Der neue Papst wollte der Welt eine neue Kirche schenken; zu der sein Vorgänger bereits den Grundstein gelegt hatte. Nicht irgendeine Kirche sollte es sein. Es sollte der Petersdom werden. Im Zentrum der Christenheit sollte dieser riesige Dom entstehen.

Aber woher sollte das Geld für den gigantischen Bau kommen? Endlich im Jahre 1515 kam ihm der Mainzer Erzbischof zu Hilfe. Albrecht von Brandenburg war erst 24 Jahre jung und war bereits Erzbischof von Magdeburg, Administrator des Bistums Halberstadt und Erzbischof von Mainz. Die vielen Ämter verstießen gegen die kirchlichen Regeln. Die kosteten Geld, viel Geld. 23.379 Dukaten. Diese Summe war mit Rom ausgehandelt. Albrecht hatte aber diese gewaltige Summe nicht flüssig. Der Papst in Rom aber bestand auf sofortiger Bezahlung, denn er brauchte dringend das Geld für seinen Dombau.

Derweilen ging Martin fleißig seinen Pflichten in Wittenberg nach und hatte keine Ahnung von diesen Verhandlungen. Er, dem Geld nichts bedeutete, hätte es auch nie für möglich gehalten, dass ein Papst und ein Erzbischof eine solche Ämterschacherei und Geldhandel betreiben würden.

Albrecht sann nach Möglichkeiten, das Geld aufzutreiben, und hatte plötzlich eine Idee: Ich leihe mir diese Summe von Jakob Fugger, dem reichsten Mann der Welt. Der hat so viel und kann es mir gewiss leihen! Papst Leo X. war damit einverstanden. Damit aber auch Jakob Fugger wieder zu seinem Geld kam, schrieb der Papst einen Ablass aus. Mit den Einnahmen bekam er Geld und ein Teil des Gewinns ging an den Fugger, der seine Hände in allen möglichen Geldgeschäften hatte – und natürlich auch etwas für seinen Kredit haben wollte. Somit war allen gedient. Albrecht erhielt im Alter von 25 Jahren die päpstliche Bestätigung für seine hohen Ämter, was zusätzliche Macht und Einnahmen bedeutete. Leo X. erhielt Geld für den Bau des Petersdomes und auch Jakob Fugger profitierte davon.

Davon ahnte der kleine Mönch und Priester Martin Luther im fernen Wittenberg nichts.

Um nun aber schneller an die nötigen Einnahmen zu kommen, wurde ein begabter Redner losgeschickt. Er war einer der besten Ablasshändler. Der Dominikanermönch Johann Tetzel. Er reiste nun in allerhöchstem Auftrag durch die Lande und predigte den Menschen auf allen öffentlichen Plätzen die Botschaft von der Vergebung ihrer Sünden – und was sie dafür zahlen müssten. Er packte die Menschen bei ihrer Angst. Alle hatten Angst vor der Hölle, vor dem Fegefeuer. Doch Tetzel hatte auch die Lösung: »Liebe Leute, heute bringe ich euch eine gute Nachricht. Ihr wisst nicht, wohin ihr kommen werdet, wenn euer Licht hier auf der Erde erlöschen wird. Niemand«, schrie er gewaltig, »niemand hat die kleinste Gewissheit. Es könnte die Hölle sein oder das Fegefeuer.« Und Tetzel schwieg und blickte jeden in der Runde an. Er war ein erfahrener Prediger und wusste, wann die Angst groß und seine Chance gekommen war.

»Doch heute ist für euch ein guter Tag. Ich habe die Vollmacht vom Heiligen Vater in Rom direkt erhalten, jeden von seinen Sünden loszusprechen. Ihr braucht nur …« Wieder ein kurzes Schweigen und Tetzel erkannte jetzt die Neugier der Menschen. Jeder wollte wissen, wie er seine Sünden loswerden kann. »Ihr braucht nur diesen Brief zu kaufen. So einfach ist es!« Selbstbewusst hob er das Dokument in die Höhe. »Das ist ein Ablassbrief, der bestätigt, dass dir deine Sünden erlassen sind.«

Einige nickten beeindruckt, schauten einander an. Doch Tetzel war noch nicht am Ziel. Er drehte sich auf seinem Podest im Kreis, um alle sehen zu können: »Sei ruhig«, rief er einem zu, der seinem Nebenmann gerade etwas zugeflüstert hatte, »und putz dir deine Ohren, damit du hörst, was ich dir zu sagen habe.«

Nicht nur der Angesprochene wurde ruhig, auch das kleinste Gemurmel verstummte vor der kräftigen und donnernden Stimme des Dominikanermönchs. Es herrschte gespannte Stille, die nur respektlos von ein paar quiekenden Schweinen von der angrenzenden Weide gestört wurde.

Tetzel ließ drei Bilder entrollen, auf denen Menschen in Feuerflammen zu sehen waren. Das Höllenleid und auch die Angst der Personen verfehlten ihre Wirkung nicht. Gab es vorher noch einige gelangweilt aussehende Zuhörer, so stand ihnen jetzt die Anspannung und völlige Furcht ins Gesicht geschrieben. Unruhe machte sich unter der Menge breit. Mütter zogen ihre Kinder zu sich heran. Tetzel hingegen wirkte selbstsicher. Dem geübten Bußprediger entging nichts. Er wollte die Angst sehen, die Furcht, die Sorge der Mütter um ihre Kinder. Doch dies genügte ihm noch nicht. In diese Verunsicherung spielte er jetzt seinen letzten Trumpf. Jeder Einzelne, jede Einzelne sollte sich betroffen fühlen: »Denke an deine Eltern«, begann er und senkte seine Stimme, damit auch die in der hintersten Reihe mit höchster Aufmerksamkeit ihre Hälse reckten und konzentriert zuhörten. »Denke an deine Eltern, wie sie für dich da waren! Unter Schmerzen und bei Gefahr für ihr Leben hat dich deine Mutter zur Welt gebracht. Wo ist sie jetzt? Du kannst das nicht wissen. Falls sie, was wir nicht hoffen wollen, in den Flammen des Fegefeuers …«, er deutete auf die lebensgroßen Höllenbilder, »… unter grauenhaften Qualen leidet, dann …« Jetzt schwieg er und ging ein paar Schritte nach vorne. Er stand nun am Rand des Podestes und blickte den Männern, Frauen und Kindern direkt in die Augen. Tetzel war geübt im Umgang mit den Menschen. Er spürte genau, wann er was und vor allem auch wie sagen musste, um sein Ziel zu erreichen. Möglichst viel Geld in kurzer Zeit einzusammeln!

»Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!«, rief er den Menschen zu.

Wer wollte jetzt noch zweifeln? Dieser Mönch sprach doch im Namen der größten Autorität, nämlich im Namen des Papstes. Dazu war er auch noch ehrlich. Er machte keinen Hehl daraus, dass der Lebenswandel vieler Menschen nicht genügte, um durch die Himmelspforten in die Herrlichkeit Gottes eingehen zu können. Das war allen klar. So hatten es auch die anderen Priester und Mönche gepredigt. Warum also sollten sie zweifeln, wenn da einer ist, der ihnen für Geld die Verkürzung von Höllenqualen vermitteln konnte?

Tetzel wusste genau, auf welche Stellen er seinen Finger legen musste, wo die Wunde saß, in der er tiefer und tiefer bohren konnte, um den Nerv der Menschen zu treffen. Die Mütter hatten Angst um ihre Kinder. Die Männer und Frauen, deren Eltern schon im Jenseits weilten, drückte ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht einmal bereit waren, für deren Seelenheil ein paar Münzen locker zu machen. Und für das Heil der eigenen Seele konnte es auch nicht schaden – denn Fehler hatte jeder schon begangen. Und manche einige mehr.

Und Tetzels Gewissen? Das musste nicht beunruhigt werden. Er hatte den Menschen eine Möglichkeit eröffnet, die Angst vor den Qualen in der Ewigkeit zu verkleinern.

Durchs Feuer hindurch

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