Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 68
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ОглавлениеNatürlich stand es für die Kaufleute Prags, der Hauptstadt des Heiligem Römischen – katholischen – Reichs, vollkommen außer Frage, mit den Untertanen Ihrer Majestät der jungfräulichen – und protestantischen – Königin von England in irgendeiner Weise Handel zu treiben oder sonstige engeren Kontakte zum Inselreich von Albion aufrecht zu erhalten; so viel hatte Agnes bereits gewusst, ohne sich näher in das Thema vertieft zu haben. Trotz allem sinnvollen oder paranoiden Taktieren des Kaisers und Hinhalten seines spanischen Onkels und seiner Verlobten: er war in Spanien aufgewachsen und erzogen worden, sein Wesen hatte dem Hof seinen Stempel aufgedrückt, und eher kamen Feuer und Wasser gut miteinander aus als spanischer und englischer Geist. Abgesehen davon waren alle Engländer protestantische Ketzer, ihre Kapitäne Freibeuter, ihre Händler Betrüger, ihre Königin eine Hure, ihre Köche Giftmischer und die ganze verdammte Insel ein Schandfleck in der gesamten Nordsee …
… sagte Boaventura Fernandes und grinste.
Agnes hatte noch immer nicht ganz verstanden, womit der Portugiese sein Geld verdiente. Sie war verblüfft gewesen festzustellen, wie schnell man an zwielichtige Gestalten geriet, wenn man die Handelsverbindungen des Hauses Wiegant & Wilfing einmal bis in die dritte und vierte Ebene verfolgte. Es half nichts, dass sie sich vorsagte, dass es bei allen anderen erfolgreichen Kaufleuten nicht anders war. Sie fühlte sich beschmutzt.
Irgendwann in den letzten Tagen hatte Agnes ihre Kindermagd in ihre Pläne eingeweiht. Sie war sich bewusst gewesen, dass jedermann im Haus sie ständig aus dem Augenwinkel beobachtete und jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legte, und so war es leichter gewesen, die Magd mit gewissen Nachforschungen zu betrauen. Die Antwort hatte aus einer Bedingung bestanden: was immer Agnes auch vorhatte, sie würde ihre Magd mitnehmen. Und jetzt saß Boaventura Fernandes auf einer Truhe in Agnes' Zimmer, misstrauisch beobachtet von der Magd, duftete intensiv nach Rosen, als wäre er ein fünf Fuß kleiner, zweibeiniger Liebesbrief, und lächelte sein Seeräuberlächeln. Er hatte einen kehligen Akzent, sprach aber vollkommen fehlerlos und ließ den Glauben an seine Beteuerung, dass er noch vier weitere Sprachen fließend beherrschte, leicht fallen. Er sah nicht aus wie ein Kaufmann; er sah aus, wie man sich einen der Piraten vorstellte, die er mit Eloquenz verfluchte, und Agnes hatte den Verdacht, dass er mit einigen von diesen auf einer Ebene bekannt war, die gegenseitiges Schulterklopfen, gemeinsame Saufabende und diverse im Dunkeln einer Spelunke gesiegelte Geschäftsverträge nicht ausschlossen.
„Virrginia“, sagte Fernandes. „Virrginia...“
„Muss man Engländer sein, um in die Kolonie dort aufgenommen zu werden?“
„Nein“, sagte Fernandes. „Man muss ein Idiot sein.“
„Was soll das heißen?“
Fernandes griff nach dem Weinkelch, den er neben sich auf der Truhe abgestellt hatte. Agnes hatte keine Vorstellung von gutem oder schlechtem Wein, aber sich daran zu orientieren, ob der Wein in einer Tonamphore oder einer teuren Glasflasche gelagert wurde und welche davon im Keller des Hauses am schwersten zu erreichen und am staubigsten waren, hatte offensichtlich Erfolg gehabt. Fernandes hatte bereits am Ende der Präliminarien rote Backen und glänzende Augen gehabt. Agnes wäre beunruhigter gewesen, hätte sie geahnt, dass im Zustand des Vollrauschs vorteilhafte Geschäfte abschließen zu können eine Grundvoraussetzung für einen Kaufmann war, der im Überseehandel erfolgreich sein wollte.
„Hörren Sie“, sagte Fernandes und schwenkte den Wein in seinem Kelch hin und her. Er trank einen Schluck, dann stellte er ihn entschlossen ab. „Sie sind die Tochter von Niklas, meinem Freund, und Sie sind die Verrlobte von Jung-Sebastian. Ich will ehrlich zu Ihnen sein.“
„Schön, dass sich meine Verlobung schon herumgesprochen hat“, sagte Agnes.
„Händler sind Waschweiber“, sagte Fernandes und lächelte stolz.
„Was ist das Problem mit Virginia?“
„Meine Damen“, sagte Fernandes und breitete die Arme aus, selbst im Augenblick der Wahrheit ein Charmeur, „es ist verflucht.“
Agnes und ihre Magd wechselten einen Blick. Agnes versuchte die Vorstellung lächerlich zu finden und versagte angesichts der ernsten Miene des Portugiesen.
„Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass einer meiner Brüder Navigatorr auf einem englischen Schiff war?“
Agnes zuckte mit den Schultern.
„Ist aber so. Es ist Krieg zwischen Spanien und England, doch aus dem Königreich Philipps kommen die besten Navigatorren; das ist schon seit den Zeiten Ferdinands und Isabellas und Prinz Heinrich dem Seefahrrer so. Kein englischer Kapitän würrde einen spanischen Steuerrmann auf sein Schiff lassen, aber wir Porrtugiesen genießen – wie soll ich sagen – einen Vertrauensvorrteil, weil wir eigentlich ein eigenes Volk sind.“ Fernandes grinste. „Natürrlich gibt es den einen oder anderren Navigatorr, der eigentlich Berenguer heißt anstatt Berengário, oder Jimeno statt Ximeno, aber was soll’s? Solange das Schiff dorrt ankommt, wo es hin soll …“
„Wo führt uns diese Geschichte hin?“, unterbrach Agnes.
Fernandes zog die Augenbrauen hoch. Offenbar ließen sich die Männer, wenn sie Geschäftliches zu besprechen hatten, mehr Zeit für Geplauder. Sein Lächeln kehrte zurück.
„Mein Bruder Simon war Navigatorr auf einem Schiff, das von Sir Walter Raleigh ausgerüstet wurrde. Daher stammen meine guten Kontakte im Überseehandel, obwohl ich hier in Prag ferrn von jedem Ozean …“
„Raleigh ist dieser Engländer, der Virginia gegründet hat“, sagte Agnes. „So viel weiß ich auch.“
Boaventura Fernandes hatte sich schnell an Agnes' Gesprächsführung gewöhnt. Sein Lächeln flackerte nicht einmal.
„Aber der Kapitän des Schiffes war nicht Raleigh, sonderrn ein Mann namens White“, sagte Fernandes. „Ein Freund von Raleigh. Sie fuhren mit über hunderrt Menschen an Bord in die Neue Welt, Männer, Frauen, Kinder, alles. Sie wollten sich auf einer Insel, die dem Festland vorrgelagert ist, Roanoke, mit den Soldaten verreinigen, die von einem errsten Kolonisierungsverrsuch ein Jahr zuvorr dorrt zurückgeblieben waren.“
Fernandes legte eine Pause ein und nahm einen weiteren Schluck Wein. Als er sich über die Lippen leckte, waren sie dunkel, als hätte er Blut getrunken.
„Die Soldaten warren verrschwunden“, flüsterte er. „Alle bis einen. Sie fanden seine Knochen im Eingang einer dunklen Höhle, die bis in die Hölle zu führen schien, so tief war sie. Alles Suchen nach den anderren war verrgebens.“
„Sie können fortgesegelt sein“, sagte Agnes unsicher.
„Natürrlich“, sagte Fernandes. „natürrlich können sie forrtgesegelt sein. Weiß mein Freund Niklas eigentlich, dass wir uns hier unterrhalten?“
Agnes war für ein paar Augenblicke aus dem Gleichgewicht. „Ja“, sagte sie dann.
„Ah. Gut. Ich dachte nur, weil ich sonst den Haupteingang zu nutzen errlaubt bin und nicht die Türr für die Dienstboten.“ Fernandes’ Lächeln hätte als Vorlage für die Statue eines freundlichen Engels dienen können.
„Mein Fehler“, sagte Agnes’ Magd. „Entschuldigen Sie bitte meine Dummheit, Herr.“
„Keine Urrsache, keine Urrsache.“ Er wandte sich Agnes zu. „Vierrzehn schwerrbewaffnete Soldaten spurrlos verrschwunden!“, schnappte er. Agnes fuhr erschrocken zurück. „Und ein fünfzehnter tot. Die Eingeborrenen in der Nähe schwörren, dass sie nichts wissen, und erzählen vom bösen Geist, der aus dem Wald kommt und die Herrzen der Menschen vergiftet.“ Er lehnte sich zurück und trank. „Aber natürrlich können sie auch einfach nur forrtgesegelt sein.“
„Bitte erzählen Sie weiter“, sagte Agnes und ärgerte sich darüber, dass er sie überrascht hatte.
„Das war vor etwa fünf Jahren“, erklärte Fernandes. „Die Siedler ließen sich trotzdem auf der Insel nieder und bauten Häuser. Es warr schon spät im Jahr, Juni, zu spät, um noch eine Ernte einzufahren. Die Siedler planten, mit den Eingeborrenen zu handeln, aber die Eingeborrenen warren plötzlich feindselig und furrchtsam. Ein Kind wurrde geborren; doch am nächsten Tag fanden sie einen der ihren tot im flachen Wasser der Bucht. Er warr allein hinausgegangen, um Krabben zu fangen; niemand weiß, wer oder was ihn getötet hat.“
„Die Eingeborenen“, schlug Agnes vor.
Fernandes nickte. „Die Eingeborenen des Landes, in dem Sie ein neues Leben aufbauen wollen? Viel Verrgnügen.“
Agnes schwieg. Sie begann zu ahnen, dass sie den Mann unterschätzt hatte und dass sie froh sein konnte, dass er ihr offenbar wohlgesonnen war. Dass er durchschaut hatte, dass sie nicht im Einklang mit ihrem Elternhaus handelte, stand außer Frage. Sie wünschte sich Cyprian und seine herausfordernd gelassene Art zur Unterstützung und schob den Gedanken dann sofort beiseite. Die Zeit, von anderen Menschen durch die Schwierigkeiten getragen zu werden, war vorbei. Sie würde ihm erst wieder in die Augen sehen, wenn sie sagen konnte: 'Dies habe ich allein vollbracht. Dies ist mein Leben. Ich brauche niemanden, um es zu führen.' Um dann anzufügen: 'Aber ich würde mir wünschen, dass du es mit mir teilst.'
„Hm?“, sagte sie, weil sie bemerkte, dass Fernandes weitergesprochen hatte.
„Die Siedler drängten White, nach England zu segeln und dorrt um Unterrstützung zu bitten. Mein Bruder hielt es für Wahnsinn, die Passsage zu machen; es war berreits November. Zuletzt fuhren sie doch und kamen mit Müh und Not heil in England an. Sie ließen die Siedler zurrück – hunderrtzwanzig Männer, Frauen und Kinder, darrunter zwei Neugeborrene. White und mein Bruder wussten beide, dass sie die Rückfahrrt in dieser Saison nicht mehr wagen konnten. Dann kam das Jahr 1588 …“
„Mein Gott“, sagte Agnes. „Ich glaube, ich verstehe.“
„Die Arrmada“, sagte Fernandes. „Alle seetüchtigen Schiffe wurrden zur Verrteidigung beschlagnahmt. Und danach … ich mache es kurrz, meine Damen: es dauerte drrei Jahre, bis White in die Neue Welt zurückkehren konnte. Mein Bruder war errneut sein Navigatorr. Die Kolonie war unbeschädigt. In den Häusern fanden sich alle Möbel, in den Werrkstätten angefangene Arbeit. Es gab kein Anzeichen von Streit, keine Spurren eines Kampfes. Alles sah so aus, als würrden die Bewohner jeden Moment wiederkehren. Doch die Menschen waren verschwunden. Über neunzig Männer, fast zwanzig Frauen, zehn Kinder … verschollen. Nichts, kein Überbleibsel, kein Fetzchen. White suchte nach den Leuten – eine der Frauen war seine Tochter, eines der Kinder seine Enkelin. Sie fanden nichts. Man hat nie wieder etwas von den Siedlern gehörrt.“
„Diese Geschichte ist mir völlig unbekannt“, sagte Agnes und versuchte, ihre Beklemmung abzuschütteln.
„Ich habe sie von meinem Bruder errfahren, der ein Jahr in England eingekerkert warr, weil die Geldgeber Whites, die seine zweite Fahrt finanzierrt hatten, ihm vorwarrfen, er sei zu langsam gesegelt; außerdem verloren sie bei einem Wirbelsturm ein Schiff voller Ausrüstung. Ich habe meinen Bruder errst vor ein paar Monaten getroffen, und glauben Sie mir, er hat keine Veranlassung, diese Geschichte herrum zu erzählen.“
„Weshalb erzählen Sie sie dann mir?“
„Weil Sie eine Dummheit begehen wollen, Fräulein Wiegant, und weil ich zu oft ihrren Vater von Ihnen und seiner Liebe zu Ihnen habe reden hörren, als dass ich tatenlos zusehen möchte, wie Ihnen etwas zustößt.“
„Selbst wenn es stimmt, was Sie berichtet haben … es wird eine neue Kolonie geben. Es ist die Neue Welt. Es ist die Chance, ein neues Leben anzufangen. Die Menschen werden immer versuchen, dorthin zu gelangen.“
Fernandes stand auf. Er lächelte und streckte die Hand aus.
„Leben Sie wohl, Fräulein Wiegant. Ich werrde Ihnen nicht helfen, in Ihr Unglück zu ziehen. Ich bin mir bewusst, dass es viele Wege gibt, auf ein Schiff zu kommen, wenn wieder eines dorthin fährt, auch hier in Prag, und ich bin mir bewusst, dass Sie mich nicht geholt hätten, wenn Ihr Entschluss nicht schon weit gereift wärre. Also … denken Sie darrüber nach, ob es nicht besser ist, Ihrre Pläne zu ändern, auch wenn Sie Ihnen noch so teuer sind. Ich lasse mir ein paar Tage Zeit. Wenn ich dann keine Botschaft von Ihnen bekommen habe, dass Sie es sich anders überrlegt haben, schreibe ich an Ihren Vater.“
Agnes funkelte ihn an. Sie ließ die Hand des Portugiesen in der Luft hängen. Fernandes zuckte mit den Schultern. „Sie mögen es nicht glauben, aber ich bin Ihr Freund. Manchmal hinterrlässt der Teufel seinen Fußabdruck auf der Welt, und es ist keinem Menschen zu raten, dorrt hinein zu stolpern.“