Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 72

27.

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Pavel hatte erwartet, Buh direkt vor dem Eingang zum Findelhaus der Karmelitinnen zu finden. Er erschrak, als er ihn nirgends sah. Dann hörte so etwas wie ein Brummen und folgte dem Geräusch um die Ecke des Gebäudes herum, das sich mit seiner Rückseite direkt an die Mauer lehnte. Ein paar Dutzend Schritte weiter waren zwei Männer damit beschäftigt, direkt am Fuß der Mauer zu graben. Buh kniete neben ihnen und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Das Brummen war in Wahrheit sein unartikulierter Gesang. Die Männer beachteten ihn nicht.

Pavel stolperte über die Flusskiesel und am Ufer entlang zu ihnen hinüber. Buh sah auf und blickte gleich wieder zu Boden. Um die Stelle, an der die Männer gruben, versuchte der ätzend-staubige Geruch von Kalk die Verwesungsschwaden zu überdecken und schaffte es nicht. Vor Buh lag ein Bündel auf dem Boden. Das Bündel war weiter oben offen. Man konnte ein kleines Kinn und blaue Lippen sehen; über den Rest war das Einschlagtuch gnädig gedeckt. Das Bündel war nicht viel länger als eine Elle.

„O Herr, nimm dich dieser Seele an“, sagte Pavel unwillkürlich.

Buhs Gesicht war ausdruckslos wie sein Gesang monoton. Ich verliere ihn, dachte Pavel. Wenn diese Mission nicht bald beendet ist, verliere ich ihn. Er blickte zu den Männern hinüber, die sich Tücher vor Mund und Nase gebunden hatten und ab und zu husteten. Nach ein paar Augenblicken erkannte Pavel, dass sie nicht gruben, sondern den Inhalt der Grube umschichteten. Er fühlte sich nicht versucht, näher heranzutreten. Einer der Männer wurde auf ihn aufmerksam und nickte ihm zu. Pavel nickte mechanisch zurück.

Schließlich traten die Männer beiseite, stellten ihre hölzernen Schippen auf den Boden, zogen sich die Tücher herab und sahen und hörten Buh zu, wie er sein wortloses Lied beendete. Als er fertig war, bekreuzigten sie sich. Buh beugte sich nach vorn und steckte das geöffnete Tuch wieder fest. Das Bündel war jetzt nur wieder ein Bündel, doch für Pavel, der nun wusste, was darin war, war dieser Anblick noch übler als zuvor. Sic transit gloria mundi, hatte er sich manchmal gedacht, wenn sie – noch als Novizen – zu einem Begräbnis in die Stadt geeilt waren und man an den prunkvollen Gewändern der trauernden Hinterbliebenen hatte erkennen können, dass das in Leichentücher eingewickelte Ding auf dem Boden im Leben ein einflussreicher, wohlhabender Mensch gewesen war. Hier hatte die Welt noch gar keine Chance gehabt, sich zu entfalten, ob ruhmvoll oder nicht; hier war einer Seele die Möglichkeit genommen worden, zum Reichtum des Herrn zu arbeiten. Der Trost, dass die unschuldigen Seelen direkt zum Herrn auffuhren, verblasste angesichts eines so kleinen Bündels, das darauf wartete, in ein Massengrab gelegt zu werden.

Buh stand auf und nahm das Bündel auf den Arm. Pavel gesellte sich zu ihm. Buh ließ es zu, dass er mit anpackte, obwohl das Gewicht nicht fühlbar war. Sie traten an die Grube, wo zwischen Kalk, Kies und Lehm viele andere Bündel lagen, unpersönlich, ihrer Menschlichkeit beraubt. Pavel musste unwillkürlich an Brotlaibe denken, die in weißem und grauem Mehl lagen. Sein Magen rebellierte. Er schluckte hinunter, was beinahe herausgekommen wäre.

Als sie den Neuzugang sanft hineingelegt und ein Gebet gesprochen hatten, wandten sie sich ab. Zu Pavels Erstaunen schaufelten die Totengräber das Grab nicht zu, sondern trotteten zu einem Holzverschlag, der offenbar ihre Bleibe war.

„Wollt ihr nicht zuschütten?“, rief er ihnen nach.

Einer der Männer drehte sich um. „Wozu, Bruder? Um es morgen wieder aufzubuddeln?“

Pavel führte Buh zurück zum Stadttor. Der Riese schwieg.

„Ja“, sagte Pavel dennoch. „Ich habe die Spur gefunden. Ihre Spur.“

„G… g…. g….“, mühte sich Buh.

„Gut?“

Buh schüttelte verbissen den Kopf. „G… g… gnnnn!… g… gehen wir h… h… heim!“

„Wir müssen unsere Aufgabe erfüllen.“

Buh schnaubte verächtlich. Er sagte nichts, aber Pavel wusste auch so, was ein weniger stotternder Buh als Antwort gegeben hätte; er gab sie sich selbst: keiner von ihnen hatte seine Aufgabe so verstanden, dass gedroht, geschlagen und getötet werden musste.

„Erinnerst du dich, dass Katka gesagt hat, sie habe mit dem Gedanken gespielt, das Kind ‚Yolanta’ zu nennen?“

Buh zuckte die Achseln.

„Kinder, die dort abgegeben werden, erhalten nur dann einen Namen, wenn ihnen der Abgebende einen verleiht. Ansonsten werden sie nach dem Tag genannt, an dem sie ins Findelhaus kamen.“

Buh sah ihn von der Seite an und verzog das Gesicht. Pavel nickte.

„Als ich das hörte, war ich überzeugt, dass Katka ihrem Schützling letztlich doch noch den Namen ihrer Großmutter gegeben hätte. Ich bin sicher, es ist ihr schwer gefallen, sich von dem Kind zu trennen.“ Pavel verdrängte die Erinnerung, wie er die alte Frau im Versteck hinter dem Baumstamm erschlagen hatte.

Buh grunzte etwas.

„Genau. Also habe ich nach einem Mädchen namens Yolanta gesucht, das von einer jungen Frau Ende November oder Anfang Dezember 1572 abgegeben wurde. Ich habe nichts gefunden, auch nicht unter den Kindern, die ohne Namen angekommen waren oder einen anderen Namen bekommen haben.“

Eine Reihe von Gefühlen huschte über Buhs wuchtiges Gesicht. Zu Pavels großer Beklommenheit blieb es schließlich bei einem Ausdruck der Erleichterung. Er hasste den Gedanken daran, was die Erleichterung bedeutete, und noch mehr den Umstand, dass er sie mit seinen nächsten Worten zunichte machen würde.

„Dann fiel mir ein, dass Katka erzählt hat, ab Neuenburg sei sie im Schutz des Warentrecks gereist. Tatsächlich wurde ein Kind von einem reisenden Kaufmann im Findelhaus untergebracht, genau am Andreastag. Er hat dabei dem Findelhaus eine großzügige Geldspende geschenkt.“

Buh musterte ihn.

„Am Nikolaustag hat er es wieder abgeholt, verbunden mit einer erneuten Geldspende.“

Buh musterte ihn immer noch.

„Der Mann war nicht von hier, sondern aus Wien.“

Buhs Augen verengten sich. Er begann, den Kopf zu schütteln. Pavel wehrte ab.

„Ja, ich weiß. Wie sollen wir es bis nach Wien schaffen? Und dort unsere Mission erfüllen? Aber der Herr hilft uns, Buh! Der Herr hilft uns.“

Pavel sah die Zahlenkolonnen in der krakeligen Handschrift, die sich über zwanzig Jahre hinweg zu keiner exorbitanten, aber anständigen Summe kumuliert hatten. Vermutlich waren sie einer der Gründe dafür, warum das Findelhaus überhaupt existieren konnte, wenn schon nicht als Garant für das Überleben der Kinder.

„Der Kaufmann hat immer wieder Geld gespendet. Nicht von Wien aus, sondern wenn er in Prag war. Buh – der Mann hat hier eine Handelsniederlassung! Und weißt du, was das Beste ist? Die letzte Spende wurde erst vor kurzem getätigt. Er ist zurzeit in Prag, und ich habe herausbekommen, wie wir ihn finden können! Wir müssen uns beeilen – diese Kaufleute fangen zu reisen an, sobald die Straßen es zulassen. Ich bin sicher, er wird die Stadt entweder noch vor oder gleich nach Ostern verlassen.“

Pavel nahm Buh am Arm und zog ihn zum Stadttor. Ebenso gut hätte er an einem der Tortürme selbst ziehen können. Buh rührte sich nicht vom Fleck. Er schüttelte erneut den Kopf. Pavel wusste, was er ihm mitzuteilen versuchte.

„Buh, wir können es nicht wissen. Wir wissen nicht einmal, wie viel der Kaufmann selbst weiß. Was hat Katka ihm alles verraten in der Zeit, in der sie zusammen nach Prag reisten? Wir können das Risiko nicht eingehen, ihn und das Kind zu ignorieren.“

Buh rieb mit verzweifeltem Grunzen und Ächzen die Finger aneinander.

„Er hat Geld, ja. Nicht viel, von seinen Spenden her zu schließen, aber er ist einigermaßen wohlhabend. Na und? Lass eines seiner Geschäfte schief gehen, und er ist bankrott. Willst du, dass er dann plötzlich in Braunau vor der Klosterpforte steht und sagt: 'Ich weiß, was vor zwanzig Jahren in Podlaschitz geschehen ist, und ich weiß, was ihr da drinnen versteckt. In meinem Haus lebt der atmende Beweis dafür. Was ist euch mein Schweigen wert'?“

Buh kniff die Augen zusammen.

„Oder noch schlimmer – er versucht, die Teufelsbibel in die Finger zu bekommen. Was haben Menschen nicht schon alles aus Geldgier getan? Alle Anstrengungen von Abt Martin wären vollkommen umsonst gewesen. Nein, wir können das Risiko nicht eingehen.“

Buh ließ die Schultern sinken. Er seufzte deprimiert. Pavel zupfte ihn am Ärmel.

„Lass uns das so schnell wie möglich hinter uns bringen. Ich weiß, wo der Mann wohnt. Wenn wir Glück haben, ist seine Familie bei ihm, und wir erwischen sie alle auf einmal.“

Die Teufelsbibel-Trilogie

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