Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 69
24.
ОглавлениеAndrej wartete nicht länger als eine Stunde; ein gutes Zeichen. Dann folgte er dem Dienstboten durch eine weitere Antichambre und stand schließlich in einem Kabinett. Gemälde hingen an den Wänden und standen auf Stativen. Es roch nach Öl und Terpentin. Die Gemälde waren dunkel und zeigten biblische Szenen, Allegorien oder Portraits von Leuten, die Andrej fremd waren. Zwischendrin hing einer der unvermeidlichen Arcimboldos. Gebildet aus Zwiebeln, Knoblauch, Dörrpflaumen und trockenen Getreidegarben starrte ihn das Gesicht von Oberstlandrichter Lobkowicz an. Aus einer Ecke betrachtete ihn ein anderes Gesicht mit fast demselben Ausdruck tödlicher Langeweile wie das aus Gemüse zusammengesetzte Antlitz auf der Leinwand: eine Magd, der Schicklichkeit geschuldet, damit die Dame des Hauses und ein männlicher Besucher nicht allein zusammen waren.
„Was kann ich für den Ersten Geschichtenerzähler am Hof Seiner Majestät tun?“, fragte die Frau, die inmitten der mehr oder weniger bedeutenden Kunstwerke saß und sich selbst wie ein Kunstwerk in einem ausladenden Stuhl inszeniert hatte. Es war schwer zu sagen, wo die brokatschimmernden Gewänder aufhörten und der Behang des Stuhls anfing. Der radgroße Spitzenkragen trennte Kopf und Körper, die Taille war die einer Wespe, das Gesicht hager und die Augen groß und hungrig. Vor dem Stuhl stand ein Fußschemel. Sie deutete mit graziöser Geste darauf, kaum dass Andrej sich aus einer Verbeugung erhoben hatte, die er bewusst weniger tief angelegt hatte, als es ihm zugestanden wäre. „Setzen Sie sich.“
Andrej ignorierte die Einladung. Stattdessen betrachtete er die Bilder, als sei er allein in dem kleinen Kabinett. Er bemerkte aus dem Augenwinkel das erstaunte Gesicht seiner Gastgeberin; doch sie war viel zu sehr Profi, was das Auftreten in den haiverseuchten Untiefen des höfischen Gewässers betraf, als dass sie ihre Überraschung noch mehr verraten hätte.
„Wir sind uns noch gar nicht vorgestellt worden“, sagte sie. „Sie kommen mir dennoch bekannt vor. Wahrscheinlich sind wir uns schon mal begegnet, und ich habe es vergessen. Verzeihen Sie dem schwachen Gedächtnis einer Frau, das sich Tag für Tag so viele bedeutende Gesichter merken muss.“
„Wir sind uns schon mal begegnet“, sagte Andrej. „Zweimal.“
„Ich hoffe, es war jedes Mal ein angenehmer Anlass.“
„Ich hatte diesen Eindruck.“ Beim ersten Mal hab ich dich zur Tür hereingelassen, und beim zweiten Mal hast du gerade deinen weißen Hintern in die Luft gereckt und gestöhnt: 'O ja, Meister, stecken Sie ihn mir dorthin, wo ihn die römischen Imperatoren ihren Mätressen gesteckt haben!' Leider wurde ich Zeuge dieser Szene, weil ich zu früh zurückkehrte, aber soll ich dir was sagen: du und Meister Scoto habt es nicht mal bemerkt, und ich konnte mich leise wieder rausschleichen.
„Ich sehe, Sie haben einen Arcimboldo“, sagte er.
„Jeder hat einen, seit er Seine Majestät den Kaiser als Vertumnus gemalt hat.“
„Seine Majestät der Kaiser haben das Bild geschenkt bekommen.“
„Anderswo war messere Arcimboldo nicht so großzügig.“
„Kann ich mir vorstellen.“
„Wenn Sie meinen Gatten sprechen wollen, so finden Sie ihn an dem Ort, an den Sie beide täglich die Pflicht führt – auf dem Hradschin“, sagte Madame Lobkowicz.
„Nein“, sagte Andrej. „Ich wollte Sie sprechen. Ich möchte Sie um Ihre Hilfe bitten.“
„Ich helfe wo ich kann, mein Guter“, sagte die Frau des Oberstlandrichters mit dem Tonfall in der Stimme, der bedeutete: Selbstverständlich werde ich den Dienstboten, an den ich deine Bitte weiterleite, anweisen, sie sofort wieder zu vergessen.
„Und ich möchte Ihnen die Verehrung und die besten Wünsche eines gemeinsamen Bekannten übermitteln.“
„Das ist sehr galant. Ich hätte mir nie vorgestellt, dass Sie und ich einen gemeinsamen Bekannten haben könnten.“
„Es ist ein sehr guter Bekannter.“
„Tatsächlich“, sagte Madame Lobkowicz.
„Um die Wahrheit zu sagen: Ich war einmal sein Diener.“
„Ah ja? Na gut, das ist natürlich jederzeit möglich. Sie müssen ja von irgendetwas gelebt haben, bevor Seine Majestät beschloss, dass Ihre Geschichten ihn amüsieren.“
„Es ist nur eine Geschichte, Gnädigste. Seine Majestät will immer nur die gleiche Geschichte hören.“
„Schade, nicht?“
„Ja, sehr schade. Dabei hätte ich so viele Geschichten zu erzählen. Von Herzögen und Helden, von Räubern und Rittern, von Amazonen und Alchimisten …“
Nicht einmal ein Härchen erzitterte an ihr. „Sehr nett. Eine viel versprechende Zusammenstellung.“
„Es geht mir um Folgendes“, sagte Andrej. „Eine gute Bekannte von mir – diesmal keine gemeinsame Bekannte, Gnädigste! – hat ein Kind. Jemand, der ihr übel wollte, hat ihr das Kind weggenommen und in ein Findelhaus gegeben.“
„Mit anderen Worten, das Kind ist ein Bastard“, sagte Madame Lobkowicz einfühlsam.
„Mit anderen Worten, gewiss. Sehr treffend, Gnädigste.“
„Ich nehme an, Ihre … ‚Bekannte’… ist ein Mädchen von der Straße, das sich an Sie gehängt hat?“
„Gnädigste überschätzen meine Wirkung auf das weibliche Geschlecht.“
Sie sah ihn lange an und ließ ein Schmucktuch langsam durch ihre Finger gleiten. „Schlüpfrig wie ein Aal“, murmelte sie, ohne den Blick von ihm zu wenden oder sich Mühe zu geben, leise zu sprechen.
„Glatt wie Seide, würde ich sagen“, erklärte Andrej. Er deutete auf das Tuch. „Wenn wir davon gesprochen haben, selbstverständlich.“
„Was ist mit dem Kind? Ist es verendet, und jemand soll sich um das Begräbnis kümmern?“
Andrejs Lächeln kämpfte darum, in seinem Gesicht zu bleiben. „Keine so tragische Angelegenheit, Gnädigste. Eher etwas Erfreuliches. Meine Bekannte möchte das Kind aus dem Findelhaus holen und zu sich nehmen, aber der Mann, der es dort hineingebracht hat, hat verfügt, dass dies nicht geschehen darf.“
„Vielleicht weiß er, was er tut?“
„Er ist überzeugt, alles unter Kontrolle zu haben.“
„Warum gehen Sie nicht zu meinem Gatten? Er ist der Richter; er kann eine Verfügung treffen, die alle anderen aussticht, wenn das Findelhaus sich in seiner Jurisdiktion befindet.“
„Das tut es.“
„Na also.“
„Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum Ihr Gatte, der sehr verehrte Oberstlandrichter, meine Bitte nicht abschlagen sollte oder wenigstens beim Verursacher all dieses Leids nachfragt, wieso dieser das Kind im Findelhaus zu lassen wünscht.“ Andrej war über sich selbst erstaunt, welche gedrechselten Worte aus seinem Mund fielen, obwohl er der Frau in ihrem teuren Gewand inmitten ihrer Kunstschätze am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte. Er rief die Erinnerung hoch, wie sie mit gerafften Röcken auf Meister Scotos Lager kniete und ihn bat, ihren Hintereingang zu begatten, und das Vokabular, das sie bemüht hatte, während der Alchimist diesem Wunsch nachgekommen war, und das bis vor die Tür auf die Gasse zu hören gewesen war.
„Aber ich habe einen Grund, Sie bei dieser obszönen Sache zu unterstützen?“
„Sagen wir, ich hoffte, Sie würden es um der alten Tage und gemeinsamer Bekannter willen tun.“
Er erkannte, dass sie ahnte, worauf es hinauslief; aber sie musste es genau wissen. „Wer ist dieser gemeinsame Bekannte … dieser Ihr ehemaliger Herr?“
Andrej kostete den Augenblick aus. „Giovanni Scoto.“
Sie musterte ihn. „Mhm“, sagte sie zuletzt. Dann befahl sie über die Schulter, ohne sich umzublicken. „Lass uns allein.“
Die Magd schlurfte hinaus. Andrej nutzte die Unterbrechung, sein Lächeln zu entkrampfen; die Mundwinkel taten ihm schon weh.
„So ein hübscher kleiner Bursche“, sagte Madame Lobkowicz und musterte Andrej erneut. „So eine nette Larve und so ein eleganter, schlanker Körper; selbst die spanische Gockeltracht steht dir gut. Und steckst doch voller Fäulnis.“
Andrej antwortete nicht.
„Außerdem gewitzt“, fuhr sie fort. „Kein verdächtiges Wort, solange wir zu dritt waren. Kein Zeuge dieses miesen, verdammten kleinen Erpressungsversuchs einer Kröte.“ Sie holte Atem. „Ich fände noch ganz andere Worte für dich, du Nichts, wenn ich nicht eine Dame wäre.“
Keine Angst, ich kenne die Farbigkeit deines Wortschatzes, dachte Andrej. Er erwiderte ihren Blick und erkannte, wie sehr sein Schweigen sie verunsicherte. Sie wedelte sich mit der Hand Luft zu.
„Ich brauche bloß alles abzustreiten. Wer wird dir glauben, wenn mein Wort gegen das deine steht?“
„Jedermann weiß, dass Ihr Wort mehr gilt als meines.“
„Das will ich meinen!“
„Umso mehr würde jeder sich fragen, warum ich mir die Mühe machen sollte, Sie anzuschwärzen, wenn nichts dahinter steckt.“
Sie presste die Lippen zusammen.
„Ich darf Sie aber beruhigen, Gnädigste. Ich werde Sie nicht kompromittieren, ganz gleich, wie Sie sich entscheiden. Ich habe nur eine Bitte geäußert, das ist alles.“
„Nicht kompromittieren, wie? Glaubst du, ich könnte meinen Mann nicht beschwichtigen, und wenn du ihn noch so voll mit deinem Gift pumpst?“
„Natürlich könnten Sie das.“
Sie kniff die Augen zusammen. Ratlosigkeit wich plötzlichem Erschrecken. „Der Kaiser?“, flüsterte sie.
Andrej schwieg beharrlich.
„Das sieht dir ähnlich“, keuchte sie. „Endlich eine andere Geschichte, was? Was willst du ihm erzählen? Dass Margarete Lobkowicz mit dem ehemaligen Alchimisten Seiner Majestät fertig ist und nun darauf brennt, Majestät selbst zwischen die Schenkel zu bekommen? Das würdest du tun, du kleines Schwein, ich seh’s dir an. Und der Kaiser? Jeder weiß, dass er die Dienstmägde in der Küche bumst und seine Verlobte sich mit seinem Bruder begnügen muss, weil er bei einer Gleichgestellten keinen hochbringt.“ Sie griff sich an den engen Kragen. Ihr Gesicht war verbissen. „Was bin ich Besseres als eine Dienstmagd für ihn? Könnte ich mich ihm verweigern, ohne unseren Ruin zu riskieren? Das hast du fein eingefädelt, du kleines Aas, mir damit zu drohen, dieses … dieses monströse Ding auf mich aufmerksam zu machen, damit es mir Gewalt antut! Ich wünsche dir, dass du zusehen musst, wie deine Metze und ihr Balg verrecken, bevor man dich bei lebendigem Leib verbrennt.“
Andrej schaffte es irgendwie, die Fassung zu bewahren. Er war überrascht und entsetzt zugleich, wie wirkungsvoll sein Schweigen gewesen war. Wenn man es recht bedachte, hatte er ihr weder gedroht noch sie unter Druck gesetzt. Sie hatte es selbst getan, sie hatte alle verhängnisvollen Aussagen selbst getroffen, und auf die Idee, Kaiser Rudolf ins Spiel zu bringen, wäre er im Leben nicht gekommen. Er fragte sich ergebnislos, was es bedeuten mochte, dass ihr der Gedanke, der Kaiser wolle sich an sie heranmachen, so nahe gelegen war, während er ihr dabei zusah, wie sie sich langsam beruhigte. Ein Funkeln trat in ihre Augen.
„Oder geht’s dir um dich selbst, kleiner Mann? Willst du was von mir haben? Was hast du von mir gesehen, als du bei Giovanni Scoto Knecht warst? Hast du von meinem Arsch geträumt, wenn du dir den Stachel selbst massiert hast? Hast du dir meine Fut vorgestellt, während du deine kleine Hurenmama gevögelt hast? Träumst du von mir und vom Fick deines Lebens?“ Sie musterte ihn. „Oh, bin ich der Wahrheit nahe gekommen, mein Hübscher?“
Andrej hätte ihr sagen können, dass sie von der Wahrheit nicht weiter entfernt hätte sein können. Doch er erkannte, dass sie irgendwie dabei war, den Spieß umzudrehen, und sein Instinkt gab ihm die Antwort ein, die sie am meisten treffen würde, bevor der Verstand dazu in der Lage war. „Leider würde das auch nicht helfen, Ihnen die Jugend zurückzugeben, Gnädigste“, sagte er.
Ihre Augen verwandelten sich in zwei Steine. „Ich verfluche dich“, zischte sie.
„Es würde mir schon reichen, wenn Sie mein Anliegen gnädig aufnehmen.“
„Spuck’s aus, du … du …“
„Ja“, sagte Andrej, dem mit einem Mal ein so bitterer Geschmack in den Mund stieg, dass er am liebsten tatsächlich ausgespuckt hätte. „Ja, bestimmt. Das und noch viel mehr, da bin ich sicher. Ich möchte Folgendes, Gnädigste: Ich möchte, dass Sie das Siegel Ihres Gatten ausborgen und es mir morgen zwischen dem Non- und dem Vesperläuten in mein Haus bringen lassen. Senden Sie Ihre Magd, sie kennt mich ja nun. Sie kann darauf warten, dass ich es wieder zurückgebe. Ich brauche es keine fünf Minuten lang.“
„Was willst du damit tun?“
„Eine gute Tat.“
Sie verzog verächtlich den Mund. „Wenn ich nicht an das Siegel herankomme?“
„Ich habe diese Möglichkeit gar nicht erst in meine Pläne einbezogen“, sagte Andrej freundlich.
Sie zischte wie ein Waschweib. „Wenn er es genau in der Zeit, in der du es hast, vermisst?“
„Dann müssen Sie ihn ablenken, Gnädigste. Ihnen wird schon was einfallen.“
Sie tat so, als wolle sie auffahren, dann schien ihr klar zu werden, wie hohl diese Geste in ihrer Situation gewesen wäre. „Gut“, sagte sie stattdessen.
Andrej sah sie so lange an, dass sie begann, unruhig auf ihrem Thronsessel herumzurutschen. „Ich habe gesagt ‚gut’!“, rief sie. „Was willst du noch?“
Andrej setzte zu einer Verbeugung an, die so tief war, dass sie beinahe als Hohn hätte gedeutet werden können. Aber Hohn lag ihm fern; er war so erleichtert, dass er fürchtete, seine Gesichtszüge könnten ihn verraten. Als er sich erhob, zerrte sie bereits an der Samtschnur, mit der man jemanden vom Gesinde herbeiläuten konnte.
„Bemühen Sie sich nicht, ich finde allein hinaus“, sagte Andrej.
„Wenn du dich noch einmal hierher wagst, bringe ich dich eigenhändig um“, sagte sie. „Lieber lasse ich mich als Mörderin ertränken, als mich ein zweites Mal mit dir einzulassen.“
„Vielen Dank“, sagte Andrej und ging mit einer weiteren Verbeugung hinaus.
Erst als er ein paar Gassen weiter war und das Plätschern eines öffentlichen Brunnens hörte, blieb er stehen. Er lehnte sich gegen den Löwenkopf, aus dessen Maul das Wasser in ein kleines Becken lief. Er hatte einmal gelesen, dass man einen Feind am besten mit seinen eigenen Waffen schlug, und letztlich hatte er nichts anderes getan als das, was Pater Xavier Espinosa getan hatte, um Jark… Yolanta in seine Gewalt zu bringen. In dem Text hatte nicht gestanden, ob man sich gut fühlen musste, wenn man die Methoden des Feindes anwandte.
Andrej bückte sich und ließ das Wasser in seine hohle Hand laufen. Es war prickelnd kalt. Er spülte sich den Mund aus. Es war Flusswasser, eine lange Strecke durch moosige Leitungen gelaufen, und schmeckte faulig. Der Geschmack war nichts gegen den, den seine eigenen Worte in seinem Mund hinterlassen hatten und der sich nicht fortspülen ließ.