Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 73
28.
ОглавлениеMelchior Khlesl kritzelte hastig die letzten Zeichen auf das lange Papierband. Tinte spritzte. Ohne hinzusehen fasste er nach dem Behälter mit dem Sand und drehte ihn um. Der Deckel war lose – WUMP! Statt einer dünnen Trockenschicht türmte sich plötzlich ein unregelmäßiger Kegel über der Nachricht auf. Bischof Melchior starrte ihn an. Ein Zipfelchen der Nachricht ragte noch darunter heraus. Ein Name stand darauf: Hernando! Der Bischof fragte sich, ob jemand mit einem exquisiten Sinn für Ironie sich diesen Scherz erlaubt hatte, und richtete seine Augen kurz himmelwärts.
Im Grunde genommen war die gesamte Nachricht ein einziger Aufschrei: Hernando! Pater Hernando de Guevara, der so unverhofft in Wien aufgetaucht war mit seiner eigenen Mission von Furcht, Wahnsinn und Feuer. Pater Hernando, der von Rechts wegen damit beschäftigt hätte sein sollen, sich durch den meterdicken, steinharten Schlamm zu buddeln, der die Katakomben unter der Heiligenstädter Kirche erfüllte, und der stattdessen der Fährte folgte, die ein von allen guten Geistern verlassener Priester ihm gelegt hatte.
Eine Fährte, die nach Prag führte! Eine Fährte, die zu Agnes Wiegant führte, von der Bischof Melchior mehr denn je überzeugt war, dass sie einer der Schlüssel zum Versteck der Teufelsbibel war.
Der Bischof verfluchte sich selbst. Pater Hernando, dessentwegen der Bischof nun selbst nach Prag aufbrechen musste, in der Hoffnung, wenigstens vor ihm dort anzukommen, wenn schon nicht im Glauben, dass er ihn unterwegs würde abfangen können. Pater Hernando würde den Brand eines ganzen Landes in Kauf nehmen, um das Vermächtnis des Satans zu vernichten? Wie viel war ihm da ein Menschenleben wert, das mit seiner Existenz verbunden war?
Der Bischof fasste den Rand der Nachricht, die an Cyprian Khlesl gerichtet war, mit spitzen Fingern an und zog sie aus dem Sandhaufen heraus. Abgesehen von den Kratzern und Spritzern seiner hektischen Feder war die Schrift gestochen scharf. Er begann sie aufzurollen. Als er das Röllchen in das kleine Futteral schieben wollte, mit dem sie am Bein der Taube befestigt werden sollte, fiel es ihm aus den Fingern, rollte über den Tisch und fiel auf den Boden. Der Bischof bückte sich ächzend. Als er wieder über der Tischplatte auftauchte, fiel sein Blick auf den Mann, der jetzt davorstand. Die Augen des Bischofs verengten sich. Der Mann sah ihn schweigend an; schließlich lächelte er.
„Ehrwürden?“, fragte er.
„Was?“, schnappte Bischof Melchior.
„Ehrwürden haben geläutet.“
„Hab ich nicht.“
„Bitte verzeihen Sie, Ehrwürden.“
Bischof Melchior, der sich undeutlich daran erinnerte, seiner Hand dabei zugesehen zu haben, wie sie an der Samtkordel zog, bevor das Malheur mit dem Sandgefäß passierte, räusperte sich und kehrte auf seinen Stuhl zurück. Er richtete sein Reisegewand. Sein Blick fiel auf das Röllchen in seiner Hand.
Ein erneuter Versuch, es in das Futteral zu schieben, scheiterte am Zittern seiner Finger. Er musterte sie ungnädig, als wollte er das Zittern durch pure Willenskraft beenden. Dann warf er plötzlich beides über die Tischplatte zu seinem Sekretär. Der Sekretär fing es auf.
„Ehrwürden?“
„Für Prag“, sagte Bischof Melchior.
Der Dienstbote nickte. Er schob das Röllchen in das Futteral und band es zu. Bischof Melchior stand auf.
„Ist mein Wagen reisefertig?“
„Wie Sie befohlen haben, Ehrwürden.“
„Die besten Pferde vorgespannt?“
„Die besten Pferde sind beim anderen Wagen, mit Verlaub, Ehrwürden.“
„Himmelherrgott!“
Der Dienstbote zog es vor, ausnahmsweise keine Antwort zu geben. Der Bischof verzog das Gesicht. „Unser römischer Passagier?“
„Befindet sich bereits im Wagen.“
„Na gut. Hab ich noch was vergessen?“
„Die Nachricht an den Hof, Ehrwürden.“
„Denk dir irgendwas aus. Dringende Angelegenheiten, die mit der bevorstehenden Wiedervereinigung der christlichen Kirche zu tun haben, oder so.“
„Habe ich bereits getan, Ehrwürden.“
„Muss ich sie noch siegeln?“
„Dort, Ehrwürden.“ Der Sekretär zeigte auf den Sandhaufen und schaffte es, nur so vorwurfsvoll dabei auszusehen wie unbedingt nötig.
Melchior Khlesl zog an einem anderen Zipfel Papier, und das von seinem Sekretär aufgesetzte Schreiben kam zum Vorschein. Wie immer war die amtliche Unziale makellos und das Papier glatt und unbesprenkelt. Bischof Melchior sah sich nach seinem Siegellack um.
„Hier, Ehrwürden.“ Eine schwarzrote Stange und eine brennende Kerze verließen den jenseitigen Teil der Tischplatte und wurden zu ihm herüber geschoben. Der Bischof träufelte ein paar Tropfen unter den Text, ballte die Faust und hämmerte mit dem Siegelring in den noch warmen Lack, dass er nach allen Seiten spritzte. Die Spitze des Sandhaufens rieselte herab.
„Die Signatur, Ehrwürden.“
Bischof Melchior kritzelte ein „+ Melchior Khlesl episcopus“ darunter, das den Anblick des restlichen Textes beleidigte. Die Feder kratzte, dass einem die Unterarmhaare zu Berge standen.
„Sieh zu, dass beides heute noch versandt wird.“
„Sehr wohl, Ehrwürden.“
Bischof Khlesl umrundete den Tisch und stapfte hinaus. Der Sekretär nahm das Schreiben mit spitzen Fingern und blies auf Khlesls Unterschrift. Der Bischof blieb vor einem Globus stehen, der neben dem Weg zur Tür stand und insofern sein Geld Wert gewesen war, als dass die Fantasie des Kartographen, Fauna und Flora in den Meeren und den unbekannten Regionen der Welt betreffend, die bekannten Naturgesetze spielend aufhob.
„Und räum die Schweinerei weg.“ Der Bischof wedelte in Richtung des Sandhaufens.
„Natürlich, Ehrwürden.“
„Das hab ich verschüttet. Tut mir Leid.“
„Keine Ursache, Ehrwürden.“
Der Bischof wirbelte herum. Der Globus stand plötzlich im Weg. Ein paar ebenso heftige wie akrobatisch eindrucksvolle Augenblicke später stand Bischof Khlesl ein paar Schritte näher an der Tür, rieb sich das Knie und hielt sich an einem Gobelin fest. Der Globus lag aufgeplatzt auf dem Boden, eine Viertel der Erdoberfläche abgepellt wie die Schale einer Orange. Seeschlangen, Leviathane und unzureichend bekleidete Meerjungfrauen ragten in das Weltall beziehungsweise in den leeren Raum in Bischof Melchiors Arbeitszimmer.
„Und die Schweinerei hier auch“, sagte der Bischof.
„Wie Ehrwürden befehlen.“
Im Hof des Bischofspalastes stand der Wagen, aufgepackt mit einer Reisetruhe, der Lenker bereits auf dem Bock, die Befehle des Bischofs erwartend. Bischof Khlesl verlangsamte seinen Schritt. Als er vor dem Wagen stand, atmete er tief durch. Dann riss er den Verschlag auf.
Sein Passagier besetzte eine dunkle Ecke des Wageninneren. Er war in Decken eingehüllt.
„Du“, sagte Bischof Khlesl, „ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet.“
Der Passagier erwiderte nichts. Bischof Khlesl stieg ein. Der Wagen fuhr an und rollte in die Nacht hinaus.