Читать книгу Die Hirntod-Falle - Richard Fuchs - Страница 28

Оглавление

ENDLOSES BEWUSSTSEIN, SELBST WENN DAS GEHIRN NICHT MEHR DURCHBLUTET IST

Ich persönlich bin mehr denn je davon überzeugt, dass der größte Feind des wissenschaftlichen Fortschritts die Haltung ist, unverständliche, fremde und unbekannte Tatsachen bereits im Vorfeld aufgrund von Vorurteilen abzulehnen und zu verneinen.

Frederik van Eeden (1860 – 1932), berühmter holländischer Arzt und Psychologe, zitiert nach: Pim van Lommel: Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung.

Die Sparte der Transplantationsmedizin lebt von Glaubenssätzen, die nicht immer mit dem Anspruch der medizinischen Wissenschaft in Einklang zu bringen sind. Das kam mir bereits zu Ohren, als ich 1996 mein erstes Buch verfasste. In einer Diskussionsveranstaltung im WDR-Rundfunkgebäude sagte ein Düsseldorfer Professor der Nephrologe: »Ich glaube an den Hirntod.« Das klang theologisch und auch redlich. Denn er stützte sich nicht auf scheinbar gesichertes Wissen wie andere seiner ärztlichen Zunft, sondern auf seinen Glauben.

Vertreter des Glaubens wie Bischof Karl Lehmann weiß wiederum, »Der Hirntod ist in gewisserweise ein unsichtbarer Tod«.31 Im Gegensatz zu ihm muss sich der Vertreter der anderen großen Kirche nicht mehr auf den Glauben verlassen. Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber hat gleich die irreführende Sprachregelung der Transplantationsmedizin übernommen und spricht von »postmortalen Organspenden«.32

Der Neurologe Prof. Dr. H. Angstwurm dagegen behauptet zu wissen:

»Der Tod des Gehirns bedeutet den völligen und endgültigen Ausfall seiner Tätigkeit für den übrigen Körper und für den Menschen als Ganzes einschließlich Wahrnehmung und Schmerzempfinden.«33 Die hirntote Leiche sehe wie ein bewusstloser beatmeter Lebender aus. Ein anderer Neurologe, Dr. Johann F. Spittler, stellt fest: »… für mich als Neurologe ist völlig klar, dass der Mensch, wenn er nicht mehr erleben, nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr fühlen kann, dass er dann kein lebendiger Mensch mehr ist.«34 Argumente wie diese sollten während des Gesetzgebungsverfahrens zum Transplantationsgesetz Politiker geneigt stimmen, an den Hirntod als den Tod des Menschen zuglauben. Nicht nur Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner hielt dem entgegen: »Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen. Dies ist – so peinlich das klingt – auf jeder beliebigen logischen Ebene zu begründen.«35

Rückenmark: Teil des integrierenden Zentralnervensystems

Während die im Dienste der Transplantationsmedizin stehenden Neurologen ihren Blick auf das Gehirn fokussiert haben, richtete der Neurochirurg Prof. Dr. Andreas Zieger den Blick auf das erweiterte neuronale Netz des menschlichen Körpers, indem er zunächst feststellt:

»Es ist auch mit genauen Messmethoden nicht hundertprozentig genau zu bestimmen, wann das Gehirn abgestorben ist. Eigentlich müsste das gesamte Rückenmark mit eingeschlossen sein, weil es Teil des integrierenden Zentralnervensystems des Menschen ist. Das Rückenmark integriert Sensibilität und Motorik fast des gesamten Körpers. (…) Mit dem Tieferwerden des Komas erlöschen immer mehr Hirnstammreflexe, während spinale Reflextätigkeiten erhalten bleiben. Diese motorische Leistung und Verhaltensphänomene, wie sie bei Hirntoten in Form von Umarmungen oder Schreibbewegungen zu beobachten sind, sogenannte Lazarusphänomene, werden entsprechend der Logik des Hirntodkonzeptes als bedeutungslose Reflexe und Automatismen, Spinalisationen abgewertet. Das Rückenmark ist aber nicht einfach – ich sagte es schon – isoliert zu sehen, es hat etwas mit der Integration des autonomen Selbst zu tun.«36

Eine lang anhaltende Wirkung einer Erfahrung, die nur wenige Minuten dauerte

Dank der Forschungsarbeit37 des niederländischen Kardiologen Dr. Pim van Lommel ist es möglich geworden, den Blick auf die Geheimnisse des menschlichen Daseins nochmals zu erweitern. Van Lommel ist allerdings nicht der erste, der sich zu Fragen des »endlosen Bewusstseins« äußert, wie etwa der Hirnforscher und Nobelpreisträger für Medizin, Sir John Eccles (1903 – 1997). Ausgehend von Berichten von Menschen mit Nahtoderfahrung (NTE) zieht van Lommel die Möglichkeit in Betracht, dass Menschen während eines Herzstillstandes noch ein Bewusstsein haben können. Dabei handelt es sich um Menschen, die nach einem klinischen Tod wiederbelebt wurden und von ungewöhnlichen Bewusstseinserfahrungen während dieser wenigen Minuten berichteten. Es werden auch andere Umstände wie Schock, Koma, naher Tod durch Ertrinken genannt, bei denen von solchen Nahtoderfahrungen berichtet wird. Nach einer aktuellen Stichprobe in Deutschland und den USA müssen vier Prozent der gesamten Bevölkerung eine Nahtoderfahrung gehabt haben. Das wären in Deutschland drei Millionen Menschen. Davon berichtet wird allerdings eher selten – aus Furcht, von Ärzten nicht ernst genommen zu werden, wie van Lommel bestätigt:

»Eines Tages hatten wir eine Konferenz zu Nahtoderfahrungen mit mehr als 300 Menschen in einem Universitätskrankenhaus. Am Ende eines Vortrags stand ein Mann auf und sagte: ›Ich bin seit 25 Jahren Kardiologe und ich habe noch nie so absurde Geschichten gehört! Das ist totaler Unsinn. Ich glaube kein Wort davon.‹ Darauf stand ein anderer Mann im Publikum auf und erwiderte: ›Ich bin einer Ihrer Patienten. Ich hatte während eines Herzstillstandes eine Nahtoderfahrung. Und Sie wären der Letzte, dem ich davon erzählen würde.‹«38

Im Jahr 1969 war van Lommel zum ersten Mal mit Nahtoderfahrungen in Kontakt gekommen. Während seiner Facharztausbildung als Kardiologe wurde ein Patient erfolgreich wiederbelebt. Er war zum Erstaunen aller sehr enttäuscht, als er aufgewacht war und erzählte, dass er durch einen Tunnel gegangen sei und ein Licht und schöne Farben gesehen habe und Musik gehört hätte. Jahre später, 1975, schrieb Raymond Moody zum ersten Mal ein Buch über Nahtoderfahrungen. Dabei handelte es sich um Phänomene, die weltweit in allen Kulturen und zu allen Zeiten beschrieben worden waren. Bekannt ist auch das Bild von Hieronymus Bosch aus dem Jahr 1480, auf dem zu sehen ist, wie Verstorbene durch einen Tunnel ins Licht geleitet werden.

Van Lommel selbst begann 1986 systematisch seine Patienten zu befragen. Er wollte wissen, warum Menschen während der Phase des klinischen Todes Bewusstsein erleben können. Er und seine Kollegen fragten 344 Patienten, die einen Herzstillstand überlebt hatten.

18 Prozent der Patienten hatten eine Erinnerung. Niemand schilderte eine negative Erfahrung. Acht Jahre beanspruchte die Langzeitstudie insgesamt. Das paradoxe Ergebnis: »Dass gerade in einer Phase, in der die Durchblutung des Gehirns vollkommen zum Erliegen kommt, ein erweitertes Bewusstsein sowie logische Denkprozesse möglich sind, führt uns zu der für unser heutiges Verständnis besonders heiklen Frage zwischen Bewusstsein und Gehirnfunktionen. Das Gehirn müsste eigentlich die Funktion des Bewusstseins stoppen. Die Menschen haben einen Herzstillstand, keinen Körperreflex, keine Hirnstammaktivitäten mehr, haben keinen Atem mehr, und in diesem Moment haben die Patienten ein erweitertes, sehr helles Bewusstsein, erweiterter als je zuvor.

›Die heutige Wissenschaft hat das Bewusstsein bisher ausschließlich im Gehirn verankert.‹ (…) Wir müssen zugeben, dass es nicht möglich ist, das Bewusstsein auf neuronale Prozesse zu reduzieren, denn es ist eine unbewiesene Annahme, dass das Bewusstsein und die Erinnerung dem Gehirn alleine entstammen.«39

Würden diese Forschungsergebnisse in weiteren Kreisen der Medizin wahrgenommen werden, müsste das zu einem Paradigmenwechsel in der westlichen Wissenschaft führen. Das hätte dann praktische Auswirkungen, zum Beispiel bei der Pflege komatöser oder sterbender Patienten und auch vordringlich bei der Organentnahme zu Transplantationszwecken. Denn es ist zu befürchten, dass die Patienten das inhumane Geschehen auf einer bestimmten Ebene noch wahrnehmen werden.

Die Hirntod-Falle

Подняться наверх