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ОглавлениеHIRNAKTIVITÄT ZEHN MINUTEN NACH EINTRITT DES KLINISCHEN TODES62
Ärzte auf einer Intensivstation in Kanada sind auf einen sehr seltsamen Fall gestoßen – als die lebenserhaltenden Maßnahmen bei vier Patienten im Endstadium abgeschaltet wurden, wies einer von ihnen weiterhin Hirnaktivität auf, sogar nachdem alle vier Patienten für klinisch tot erklärt worden waren.
Nach mehr als 10 Minuten, nachdem die Ärzte den Tod durch eine Reihe von Beobachtungen festgestellt hatten, einschließlich des fehlenden Pulses und nicht ragierender Pupillen, schien der Patient die gleichen Hirnwellen aufzuweisen (delta wave bursts), die wir während des Tiefschlafs zeigen. Und es ist ein vollkommen anderes Phänomen als die plötzliche »Todeswelle«, die bei Ratten beobachtet wurde, nachdem man ihnen den Kopf abgeschnitten hatte.
»Bei einem der Patienten wurden einzelne Deltawellen beobachtet, die trotz des Aufhörens von Herzschlag und Herzrhythmus und arteriellem Blutdruck (ABP) weiterhin auftraten«, berichtet das Team von der »University of Western Ontario« in Kanada.
Sie fanden zudem heraus, dass der Tod für jeden einzelnen Menschen ganz individuell sein könnte, da sie feststellten, dass bei den vier Patienten das EEG, das ihre Hirnaktivität messen sollte, weniger Ähnlichkeiten aufwies sowohl vor als auch nach der Todes-Erklärung. »Es gab einen signifikanten Unterschied bei der EEG-Amplitude zwischen der 30-minütigen Periode davor und der fünfminütigen danach, die auf das Ende von Herzschlag und arteriellem Druck folgten«, erklären die Forscher.
Es ist die Hirnaktivität, nach der wir in diesen Scans suchen, und man kann bei drei der vier Patienten feststellen, dass diese Aktivität allmählich aufhörte, bevor das Herz aufhörte zu schlagen – bis zu 10 Minuten vor dem klinischen Tod. Aber aus irgendeinem Grund weist Patient 4 den Ausstoß von Deltawellen über 10 Minuten und 38 Sekunden nach Herzstillstand auf.
Der große Erkenntnisgewinn aus Studien wie diesen liegt nicht darin, dass wir jetzt mehr über die Erfahrung nach dem Tod verstehen als vorher, weil die Beobachtungen allein unvollständig sind und ohne biologische Erklärung bleiben. Aber was sie zeigen ist, dass wir noch sehr viel mehr herausfinden müssen, wenn es um den Sterbeprozess geht, und wie wir – und andere Lebewesen – ihn zum gegebenen Zeitpunkt erleben, mit dem Körper und dem Gehirn.
Wann endet die Erregbarkeit des Rückenmarks?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt ein Phänomen, das Transplantationsmediziner zumindest zum Nachdenken anregen könnte: Erst nach 15 bis 20 Minuten endet die Erregbarkeit des Rückenmarks. Der Arzt und Psychiater Alfred E. Hoche (1865 – 1943)63 schreibt in seiner Autobiografie »Jahresringe« 1934, S. 229: »In Elsaß, Baden und Württemberg wurde mit der Guillotine hingerichtet; diese maschinelle Abstraktion hat dem Scharfrichter einen großen Teil des finsteren Nimbus genommen ...« Hoche hatte sich »als anatomischer Assistent (ins Gefängnis Straßburg, d.V.) eingeschmuggelt; die Anatomie legt Wert auf allerfrischestes Untersuchungsmaterial, wie es nur bei diesen Gelegenheiten zu gewinnen ist«. Hoches wissenschaftliches Interesse galt, zu erfahren, wie lange das menschliche Rückenmark für elektrischen Strom erregbar ist. Weiter heißt es:
»… in dem Moment, als die Metallstifte das Rückenmark berührten, warf der kopflose Tote mit brüsker Bewegung der Arme die auf ihm liegenden Scheren usw. auf den Boden, zum Entsetzen der Aufseher, die gekommen waren, um von ihrem Klienten Abschied zu nehmen. Es stellte sich dann heraus, dass frühere Untersucher darum keinen Erfolg gehabt hatten, weil sie zu spät angefangen hatten; 15 bis 20 Minuten nach dem Tode hört die Erregbarkeit des Rückenmarks auf.«
Das zeigt wiederholt, wie viele Antworten auf die Frage gegeben werden können, wann ist der Mensch tot – sicherlich nicht mit dem Hirntod.