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Kapitel 1

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Der Mord war spektakulär. Obwohl unmittelbar darauf die gängigen Nachrichtenproduzenten und ihre Geldgeber davon absahen, es ein Attentat zu nennen, reagierten die ergebenen, manche würden sagen fanatischen Fans von Lucilla Calderon, als wäre Kennedy vor ihren Augen erschossen worden. Verglichen mit Calderon war der Tod des kurzlebigen Tex-Mex-Stars Selena lediglich eine Bagatelle gewesen.

Menschen, die Tragödien anziehen, sind leicht zu erkennen. In den schlimmsten Fällen leiden sie unter der Furcht, dem Untergang allein entgegenzutreten. In dieser Nacht zerbrach sich La Luz, wie sie genannt wurde, über nichts weiter den Kopf als ihr Make-up und die Busca-Novio-Schmachtlocke, die sich von ihrer linken Schläfe zu lösen drohte. Sie war sicherlich nicht allein an diesem Abend. Dank ihrer Liebhaber und ihres Gefolges von Assistenten hatte sie seit einigen Jahren keinen abgeschiedenen Moment erlebt, abgesehen von einigen, aber nicht allen Toilettenpausen. Heute Abend erwartete sie, bei der Hollywood-Premiere ihres Films in der Gesellschaft bewundernder Fans zu baden. Sie fühlte, dass der Abend umwerfend werden sollte.

Lucilla Calderon war ganz groß. Galaktisch. Mit vierundzwanzig war sie eine Ausnahme-Künstlerin, die tief mit traditioneller lateinamerikanischer Musik verwurzelt war, diese aber mit modernen Texten und funkigen, tanzbaren Technoarrangements kombinierte und dieser Mischung ihren Erfolg verdankte. Sie schrieb meistens über die Probleme des Volkes; sprich, jeder, der mit zwanzig noch kein Multimillionär war. Sie beherrschte Krumping, Pop & Lock oder Tango, je nachdem, welchen Stil ihr Musikvideo verlangte. Jeder Pieps, den sie in den letzten sechs Jahren geäußert hatte, erklomm die Top Five der großen Popmusik-Charts, wobei die meisten es auf den ersten Platz schafften. Ihre Fangemeinde erstreckte sich über den ganzen Globus. Es gab einen Astronauten auf der International Space Station, ein Biologe, der bekanntlich Calderons Songs spielte, während er an seinen Experimenten arbeitete. Schon diese Geschichte allein sprudelte auf den großen Fernsehsendern durch mehrere Nachrichtenzyklen.

Und doch war La Luz, oder Das Licht, wie Journalisten in Ignoranz jeglicher Subtilität und Finesse eilig übersetzt hatten, auf dem Boden geblieben. Das behaupteten ihre begeisterten Fans. Sie war eine von ihnen. Sie zelebrierte ihre Herkunft mit einer wilden Art von Würde, was eine der züchtigeren und doch meistverkauften Bilderreihen im Playboy Magazine des letzten Jahrzehnts beinhaltete.

Und nun hatte sie die Hauptrolle in ihrem ersten Film. Dieser hieß Ganar – Sieg. Er handelte von einer mutigen, großherzigen Revolutionsführerin und ihrem Freiheitskampf in einer fiktiven südamerikanischen Inselnation. Calderon spielte die charismatische Walküre, wie Evita, die aber nicht durch den Tod ihres Ehemannes an die Macht gelangte, sondern durch eigene Initiative und Integrität, indem sie grundverschiedene politische und sozioökonomische Fraktionen vereinte und in eine unschlagbare Rebellentruppe verwandelte. Der Streifen war mit einem gewissen Maß an Gewalt und einem Liebesdreieck mit einem Genossen und einer Genossin gewürzt, und während das von den Spießern noch als schockierend gewertet wurde, hatte sie damit bei den offeneren Kritikern, auf die es ankam, Punkte gesammelt. In einer unrealistischen Wende hält ihre Figur gleich, nachdem sie die faschistische Opposition bezwungen hat, Mehrparteienwahlen ab, die von europäischen Beobachtern als ehrlich und fair bewertet werden, und übernimmt die Führung ihrer frischgebackenen Demokratie. Luz war George Washington, aber mit ihren eigenen Zähnen und ohne jegliche Implantate, sofern man ihrem Publizisten Glauben schenken konnte.

Vorankündigungen für Ganar in den Printmedien, der Blogosphäre, dem Twitterversum der sozialen Medien und in Film- und Fernsehmagazinen sagten dem Film atemlos die allerhöchsten Auszeichnungen bei den großen Preisverleihungen voraus. Luz war im Begriff, das glorreiche, medienübergreifende Schicksal zu erfüllen, das Selena auf so tragische Weise versagt worden war.

Nach einem glanzlosen Jahr für die Filmindustrie garantierte die Filmpremiere im Dolby-Theatre in Los Angeles dem Projekt einen phänomenalen Erfolg an den Kinokassen am folgenden Wochenende. Das kleinere Graumans Theatre eine Ecke weiter war für diesen Anlass kurzzeitig in Erwägung gezogen worden, wurde aber als zu klein wieder verworfen, und weil es zu sehr an eine längst vergangene Hollywood-Ära erinnerte, die damals vom weißen Establishment dominiert worden war.

Es war eine gute Entscheidung. Innerhalb einer halben Stunde nach Ankündigung der Premiere war fast jeder der 3332 Plätze des großen Kinos vergeben, ausgebucht von Hollywoods Schönsten und Mächtigsten, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Die Normalsterblichen überschwemmten jegliche Götter oder Halbgötter der Filmindustrie, die auch nur die geringste Verbindung mit der Produktion oder dem Vertrieb des Films hatten, mit aufgeregten Anfragen, ob man ihnen nicht Zutritt verschaffen könnte. Selbst die unbedeutenden Filmautoren, alle acht von ihnen, ob nun im Abspann gewürdigt oder nicht, bekamen Angebote für großzügige Geschenke, Drogen, Bargeld, Reisen und sogar Sex, wenn sie sich nur von einem einzigen Ticket trennen oder eines auftreiben könnten.

Ein paar glückliche Mitglieder der breiten Masse bekamen genau das, was sie wollten, ohne ihre Seelen zu verkaufen. Luz Calderon hatte darauf bestanden, dass fünfhundert Plätze für das Volk reserviert wurden, und verteilte sie unentgeltlich durch ein Gewinnspiel auf speziell markierten Flaschen und Dosen des Softdrinks AzteKola; ungültig, wo gesetzlich verboten, kein Kauf erforderlich. Wenn man mal einen Moment vergaß, dass das sprudelnde, süße Getränk ursprünglich in Mexiko in den Dreißigern von einem weißen Einwanderer aus Kansas erfunden worden war. Diese Geste, von manchen Zynikern als aalglattes Manöver bezeichnet, hatte einem Star, der ohnehin schon nichts falsch machen konnte, noch mehr berauschte Pressestimmen verschafft.

Luz Calderons volksnahe Art machte ihren Gefolgsleuten zu schaffen. Sie mied die aufgepumpten Sicherheitsdienste, auf die so viele Prominente der Industrie bestanden. Der Premierenabend im Dolby sollte keine Ausnahme sein. Ihr einziges Zugeständnis an Schutz vor Verrückten, denn nur Geistesgestörte könnten La Luz wehtun wollen, war ein Trio unbewaffneter Cholo-Freunde, die sie seit Kindergartentagen damals in East L.A. kannte. Auf Luz' Forderung hin hatten diese drei Männer öffentlich sämtliche Gang-Zugehörigkeiten aufgeben müssen, bevor sie sie in den Dienst stellen würde. Die Presse war begeistert. Verschlang es. Heute Abend war Luz also allein, und das gefiel ihr so. Es gab keine künstlichen Barrieren, da sie nicht den Drang verspürte, sich von genau den Leuten zu distanzieren, die sie liebten und die wiederum sie liebte, jeden Einzelnen von ihnen. Letztendlich war es auch egal. Selbst wenn La Luz die entschlossene, zusammengewürfelte Rebellenarmee, die ihre Figur im Film befehligte, rekrutiert hätte, hätte es keinen Einfluss auf den Verlauf des Abends gehabt.

Die Anwesenheit von Luz' drei Kumpanen hielt die Polizeibehörde von L.A. nicht davon ab, zusätzliche Beamte für den Abend abzustellen. Viele davon. Es gab die übliche Machtdemonstration entlang mehrerer Blocks rund um das Kino, eine lockere Kette aus Uniformen, angefangen am West Sunset Boulevard südlich, North La Brea westlich, Franklin Avenue im Norden und North Las Palmas im Osten. Es gab noch mehr uniformierte Beamte auf den Straßen um das Kino herum und sie wurden unterstützt von Zivilpolizisten, die aus den Valley-, Central- und Südbezirken kamen, um das Sternchen des Volkes nicht mit einer offensichtlichen Polizeiinvasion in der Gegend zu verärgern.

Hausdächer waren ein anderes Problem. Jedes Gebäude im Block des Kinos und unmittelbar daneben wurde von Scharfschützenteams gesichert. Ungewöhnlicherweise befand sich die Einsatzleitung für das Ereignis direkt auf dem Kino selbst, um weniger provokativ zu wirken. Das machte die Einsatzleiterin nicht sehr glücklich. Sie war eine praktisch veranlagte Beamtin, die sich von ihrer ersten Position als Streifenpolizistin heraufgearbeitet hatte, aber sie hatte sich daran gewöhnt, dass Pragmatismus neben den Launen der Berühmtheiten die zweite Geige spielte.

Obwohl sechs der zwölf Helikopter vom Typ Aérospatiale B-2 Astar der Luftunterstützungsdivision des LAPD in der Luft waren, kreisten sie fünf Meilen entfernt, damit die Gegend um das frühere Kodak-Theatre nicht aussah, als wäre während der Premiere eine Luftverfolgungsjagd im Gange. Es war eine zeitweilige Flugbeschränkung für die allgemeine Luftfahrt im Umkreis von zehn Meilen um das Kino erhoben worden. Die einzige Ausnahme war für fünf Presse-Hubschrauber gemacht worden. Sie waren mehr als willkommen, solange ihre Sender sich rechtzeitig um die Freigaben gekümmert hatten, und sie übermittelten die eigens für den Anlass ausgegebenen Freigabecodes auf ihren Transpondern. Wenn Luz Calderon etwas wollte, bekam La Luz es auch. Sie bekam mehr, als ihr lieb war.

Wie immer lag die größte Aufmerksamkeit um das Kino auf dem Hollywood-Boulevard. Kameratürme und Kommentatorenboxen waren über Nacht von Spitzenteams errichtet worden, von denen viele zwar wie Chaoten aussahen und sich nicht gerade zu überarbeiten schienen, die aber ihre Arbeit gleich beim ersten Mal richtig machten. Die Aufbauten waren mit Wimpeln in den Farben der Revolutionsarmee des Films dekoriert worden und bevölkert mit Kameramännern, damit sie die Totale des Promi-Aufmarschs auffangen konnten. Kamera- und Tonteams für die Nahaufnahmen und Moderatoren der Sender tummelten sich in Rudeln entlang der abgeteilten, mit Teppich ausgelegten Gasse, die zu der außen gelegenen Vorbühne am Eingang führte.

Die Einschaltquoten eines Senders hatten Einfluss auf die Position seines Interviewers. Andere Crews schnappten sich weniger begehrte Stellen, an denen die Elite passieren und Kommentare abgeben musste. Dies war ein spezielles Ereignis für die Bevölkerung, aber für die Gewerkschaftsarbeiter, die es verwirklichen mussten, war es nur wenig mehr als eine Trockenübung. Sie hatten es gerade für die große Preisverleihung im Februar ein paar Wochen zuvor vollbracht. Diese leicht zurückgeschraubte Veranstaltung gleich im Nachhinein war ein Leichtes.

Eine Hürde für die Prominenten während ihres Eintreffens war es, sich immer wieder neue Formulierungen dafür auszudenken, wie die Arbeit an Ganar sie in einem fortwährenden Zustand des emotionalen Orgasmus gehalten hatte, dass mit jedem Beteiligten, vor allem mit Luz, traumhaft zu arbeiten war, und dass Ganar das wichtigste Projekt ihres Lebens und das aller anderen war. Autoren standen schon seit Wochen auf Abruf, um perfekte Sieben-Sekunden-Sätze für die Filmgötter zu produzieren, die es vorzogen, diesen Spießrutenlauf nicht aus dem Stegreif zu absolvieren. Mit den üppigen Honoraren konnten die Schreiberlinge beinahe Tiaras erstehen, entweder die mit Juwelen besetzte Sorte oder die Glasfaserrennboot-Variante mit den Doppeldieselmotoren. Große Eröffnungen führten zu großen Geschäften in der ganzen Stadt.

Es wurde langsam Zeit für den Vorstellungsbeginn. Inzwischen hatten die meisten der anwesenden Stars, Regisseure, Agenten, Manager und Produzenten in die Mikrofone auf dem roten Teppich gesprochen. Sie glitten nun an den Theken vorbei, an denen sie Flöten mit Cristal-Champagner grapschten wie ausgelaugte Marathonläufer, die den Freiwilligen Wasserbecher entrissen. Die fünfhundert Gewinnspielsieger standen immer noch auf dem Hollywood-Boulevard. Sie würden nach La Luz' Ankunft hineingehen, deren Wagen zuletzt ankam. Sie verstand, wie wichtig es war, gespannte Erwartung aufzubauen und einen großen Auftritt hinzulegen. Es war ihr Abgang, an den sich alle erinnern würden.

Heute Nacht sah La Luz wie eine Königin aus. Die Augen waren mit schwarzem Mascara hervorgehoben, die Lippen glänzend rot, die widerspenstigen Schmachtlocken gebändigt. Sie trug einen Mantilla-Kamm in ihrem Haar, ein türkisfarbenes Oberteil mit Nackenträger und enge schwarze Mariachi-Hosen mit Silberknöpfen, die von der Hüfte zu dem engen Saum gleich unter ihrem Knie gingen. Ihr einziges Schmuckstück war ein wunderschöner, türkisfarbener Anhänger, fünf Zentimeter breit an einer langen, silbernen Venezianerkette auf Höhe ihres Brustbeins zwischen ihren kleinen, der Schwerkraft trotzenden Brüsten. Luz war jedermanns ruca, die wahre Liebe.

Sie steuerte auf das Kino zu in einem leuchtend neongrünen Lowrider, einst ein '58er Ford Fairlane Skyliner mit abnehmbarem Verdeck. Sie führte eine Prozession weiterer auffällig umgestalteter Wagen an, die hüpften und hopsten und tanzten, die Kofferräume voll mit 72-Volt-Batterien für die hydraulischen Heber an jedem einzelnen Rad. Aus dem Auto hinter Luz dröhnte das Titellied des Films, das sie selbst geschrieben hatte. Die Fenster der naheliegenden Gebäude pulsierten und bogen sich im Takt mit der Bassline und drohten, breite Fensterscheiben wie Guillotinen in die Straßen zu entsenden.

La Luz' Parade aus Lowridern hatte bereits mehrere Runden in den Straßen außerhalb der Polizeikette absolviert, allein zur Freude der fröhlichen Menge des Volkes, von denen manche ihre eigenen Gründe dafür hatten, mit der Polizeiaufwartung in der Nähe des Kinos nicht auf Tuchfühlung zu gehen. Crips und Bloods sowie die Black P-Stones, Los Zetas und Mara Salvatruchas, die MS-13, waren in ihren Farben präsent, aber der Waffenstillstand, den Luz unter ihnen für den Anlass ausgehandelt hatte, schien zu halten. Sie wurde auch im wahren Leben langsam zu ihrer Filmfigur; die große Vereinigerin. Ihre Revolution war bereits im Gange.

Endlich war es so weit. Die neun Parade-Lowrider stahlen sich davon, um sich auf der Sycamore Avenue außerhalb der Polizeikette aufzustellen, wo sie nach der Vorstellung wieder zu ihnen stoßen wollte. Es waren einige After-Partys angesetzt und sie hatte vor, bei jeder dieser Partys mit ihrem vollen Konvoi anzurücken. Luz' Skyliner hielt weiter auf das Kino zu, aber natürlich war er nicht allein.

Eine Schar überprüfter Paparazzi-Cabrios und Motorräder rückte nach, um die Lücke zu füllen, die von den neun Lowriders hinterlassen worden war. Blitzgeräte von unzähligen Kameras machten aus der Nacht helllichten Tag. La Luz' Auto hüpfte nun nicht mehr, damit sie vor dem Kino auf der Kofferraumklappe sitzend vorfahren konnte, die Beine drapiert über der Rücksitzrückenlehne, ohne wie ein Rodeoreiter abgeworfen zu werden. Sie war wie ein wunderschönes Wildtier, das den Jägern von lauten Treibern in die Fänge getrieben wurde.

Luz' Auto kam vor dem Kino zu stehen. Ihre Fans kreischten. TV-Sprecher in Abendkleidern und Smokings checkten ihre Positionen und warfen flüchtige Blicke auf ihre Kamerateams. Bereit.

Die ohrenbetäubende Explosion kam mit einer solchen Sprengkraft daher, dass die Druckwelle jedem im Umkreis von zweihundert Metern in die Brust fuhr. Luz' Oberkörper zerteilte sich in grobe Stücke und die Bröckchen flogen in hohem Bogen davon. Ihre Hüfte und Beine blieben im Rücksitz des Wagens. Begeisterte Fans, überglücklich, für die Chance auf ein Autogramm ausgesucht worden zu sein, wurden auf dem Asphalt in blutigen Fetzen aus Fleisch niedergemäht. Das Licht erlosch für immer, aber erst nach einem nassen Blitz aus Rot.

IM FADENKREUZ

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