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Kapitel X

Der Königshof in Franconofurt, Juno 772

„Was für eine Anmaßung!“

Die Augen des Königs hatten sich geweitet, über den Brauen waren zwei schräge Falten erschienen. Die flache Goldkrone, die er bei Empfängen trug, war ein Stück in die Stirn gerutscht. Ein Dutzend Königsboten, die im Halbrund auf Stühlen vor dem Thron saßen, hielt die Luft an.

„Tassilo will doppelt so viele Krieger ins Feld stellen, wenn ich ihm den Oberbefehl gebe?“ Die hohe Stimme schnitt wie Metall durch den Raum. „Der Herzog der Bayern will dem König der Franken, dem Sohn König Pippins, Vorschriften machen … Wofür hält er sich?“ Daumen und Zeigefinger strichen über den kräftigen Schnurrbart, der sich wie die Enden einer Sichel die Mundwinkel hinunterzog. „Bischof, welche Antwort hätte mein Vater ihm gegeben?“

Fulrads massige Figur zur Linken des Königs bewegte sich, er sog die merkwürdig dicken Lippen ein und stülpte sie wieder nach außen. Einhard wurde klar, warum er bei den Schreibern der Hofkanzlei heimlich ‚Wels‘ genannt wurde. Obschon kaum größer als der Consiliarius, hatten Gottes Güte und das Wohlleben am Hofe dem Bischof zum doppelten oder dreifachen Körpergewicht Einhards verholfen.

„Er hätte sich zunächst einmal über einen Boten gewundert, der mit solcher Botschaft zurückkehrt!“ Fulrads Blick bohrte sich in den Überbringer der schlechten Nachricht. „Wie konntet Ihr Euch so abspeisen lassen, Chlotar?“

Einhard wurde warm, der Gescholtene saß direkt neben ihm.

„Herr …“ Chlotar war auf die Kante seines Stuhls vorgerutscht. „Natürlich habe ich klargestellt, dass Tassilo Euch Gefolgschaft schuldet. Aber er behauptet, dass der Heerbann für die Bayern nicht gelte. Und seine Hofgelehrten sagten uns ins Gesicht, dass seine Dynastie so viel Recht auf den Königstitel hat wie …“

„Genug! Kein Wort mehr!“ Wütend winkte der König ab. Dicke, kräftige Finger trommelten auf die Armlehne seines Sitzes, laut klackte ein schwerer Rubinring auf das Holz. „Wann treffen wir mit Tassilo zusammen, Fulrad?“

„Seine Truppen müssten in wenigen Tagen den Moyn erreichen. Wollt Ihr ihn hier begrüßen, mein König?“ Der Körper Fulrads neigte sich in Richtung des Königs, die großen, trüben Augen klebten geradezu am Herrscher.

„Nein! Wir ziehen schon ein paar Tage früher nach Fulda, segnen dort den neuen Abt und überprüfen die Truppen. Die Bayern sollen dann unterwegs zu uns aufschließen.“

„Das wird Tassilos Hochmut dämpfen“, pflichtete Fulrad sofort bei. Einhard sah sich ungläubig um: Die meisten Königsboten waren gestandene Hofleute mit Besitz und Ansehen – doch niemand hatte den Mut, darauf hinzuweisen, dass ein überstürzter Aufbruch Chaos erzeugen würde. So nickte der König ein-, zweimal, als gefiele ihm die Idee immer besser. Dann wandte er sich an den grauhaarigen Heerführer zu seiner Rechten:

„Haben wir endlich die neuen Brustpanzer, Graf?“

„Ja, heute traf eine große Ladung aus Ingilinheim und Wissabada ein.“ Selbst im Sitzen wirkte Ruodberts Oberkörper massiv wie ein Baumstamm. Eine Goldkette lag auf der Brust, Auszeichnung für viele Schlachtensiege. „Die Männer warten draußen.“

„Gut. Zuvor noch ein Wort an alle …“ Ernst blickte der König in die Runde; die Spannung war mit Händen zu greifen. „Ihr Herren wisst, dass mein Vater die Sachsen mehr als einmal niedergeworfen hat. Er hat sie zu Tributzahlungen gezwungen. Und doch heben sie wieder die Faust gegen uns.“ Der König holte tief Luft, und für einen Moment überflog ein grausamer Ausdruck sein Gesicht. „Diesmal werden wir sie also unterwerfen, ein für alle Mal! Wenn dazu eine Schlacht nötig ist, dann soll es so sein! Sie sollen Schwerthieb für Schwerthieb spüren, dass wir ihnen überlegen sind. Ist jemand unter Euch, der das anders sieht? Er möge jetzt sprechen! Auf dem Feldzug möchte ich keinen hören, der über Blutvergießen jammert und ‚Milde für die Besiegten‘ verlangt!“

Einhard versuchte mit möglichst geringer Kopfbewegung die anderen zu mustern, und die taten dasselbe. Lautlos gingen die Pupillen der Consiliarii hin und her – wer würde vor dem Herrscher aufstehen und widersprechen wollen?

Niemand. Der Herrscher hatte auch keine Wortmeldung erwartet, denn sogleich fuhr er fort: „Widukinds Heer steht am Rinah, im Westen, weil sie erwarten, dass wir von Aquisgranum aus losmarschieren – das berichten unsere Spione. Streifscharen der Engern machen aber auch den Hessengau unsicher. Möglich, dass sie die Flusstäler sperren.“ Der König machte eine Pause und ließ den Blick über seine Gefolgsleute schweifen. „Wir greifen also weder im Westen noch im Osten an, sondern stoßen direkt in ihr Herz: Wir marschieren auf die Eresburg, die Grenzfestung, die das Gebiet der Engern schützt. Wenn wir die Burg genommen haben, liegt ihr Land offen vor uns.“

„Wie eine magad mit gespreizten Beinen“, ergänzte Graf Ruodbert und sah sich gutgelaunt um. Angewidert registrierte Einhard, dass der eine oder andere lachte. Doch nun entstand leises Murmeln, und es stellte sich heraus, dass nicht alle den königlichen Plan guthießen. Einer der älteren Ratgeber getraute sich anzumerken, dass die Sachsen mehr Berittene als die Franken hatten: Widukind könne in wenigen Tagen die Eresburg vom Rinah aus erreichen.

„Ja, sie sind schnell“, entgegnete der König ernst. „Aber selbst wenn sie versuchen, uns den Weg zu verlegen – wir sind besser gerüstet denn je! Den neuen Panzer durchdringt so leicht nichts! Graf Ruodbert?!“

Auf ein Signal Ruodberts stießen zwei Diener die Türflügel auf. Ein Dutzend athletisch bis bullig aussehender Männer in Hofkleidung trat ein, mit einem silbernen Reif am Handgelenk, der sie als Hundertschaftsführer kenntlich machte. Einhard entdeckte Esiko unter den Eintretenden. Der Krieger erwiderte das Kopfnicken des Consiliarius; der hässliche Streit mit Boso in Haerulfisfeld tauchte vor Einhards Auge auf, doch sofort verdrängte er das Geschehene wieder. Als Letzter trat Ansgar durch die Tür, mit leichter Röte. Alle Blicke richteten sich auf den stämmigen Soldaten: Sein Rumpf war von matt schimmernden Schuppen bedeckt. Graf Ruodbert näherte sich dem Krieger mit gezogenem Schwert. Die Schuppung erklärte er laut, bestehe aus hunderten von Eisenplättchen, Stück für Stück auf das darunterliegende Leder genäht. Der Panzer sei nicht so bequem wie ein Kettenhemd – hier grinste Ruodbert breit – aber er halte mehr ab. Der Befehlshaber führte einen plötzlichen Schwertstoß auf Ansgars Brust aus. Die Schwertspitze glitt ab und die Consiliarii raunten. Ansgar schnaufte erleichtert, ein schiefes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Der König nickte mehrmals mit zufriedenem Lächeln, bis er Esikos Miene wahrnahm. Laut fragte er den Scarahauptmann, was los sei, denn dies entsprach der direkten Art des Königs. Der Offizier zögerte, aber als er sprach, klang er so rau und selbstbewusst wie immer.

„Herr, diese Panzer sind wertvoll, sie werden einigen Kriegern das Leben verlängern … Aber – wohin kehrt ein Krieger nach dem Feldzug zurück?“

„Zu seinem König, hoffe ich.“ Karl konnte seine Überraschung nicht verbergen. „Worauf wollt Ihr hinaus?“

„Die meisten Offiziere würden lieber Land bekommen, zum Siedeln, oder besiedeltes Land, das einen guten Zins abwirft. Das käme Euch nicht teurer als die neue Brünne …“

„Jetzt kommt der Hirsch aus dem Dickicht!“ Der König schnaubte unwillig. „Seid gewiss, wer mir dient, wird auch dafür belohnt! Haben wir nicht nach dem letzten Feldzug in Aquitanien fünfhundert Hufen an Krieger und Gefolgsleute verschenkt, Graf Ruodbert?“

„Das habt Ihr, mein König, gewiss doch“, stellte Ruodbert fest und strich sich mit einer Hand durch die Mähne – ein Zeichen der Verlegenheit, fand Einhard. Und schon flüsterte Chlotar von der Seite in sein Ohr: „Das meiste davon erhielt Ruodbert selbst!“

„Besiegt Widukind!“, rief der König laut. „Dann gibt es Land genug!“ Und nun versprach er jedem Offizier, dessen Schwert Sachsenblut kosten würde, fünfzig Hufen mit Ackerland und Hörigen. Esikos Miene wurde heiterer, er zog sein Schwert aus der Scheide und reckte es mit einem lauten Heilsruf empor, als stünde ein Kampf am selben Abend bevor. Lautstark stimmten die anderen Offiziere mit ein, die Königsboten schlossen sich an. Doch dann hob Fulrad die Arme und bat um Ruhe. Mit einer wohlklingenden Stimme, die Einhard ihm nicht gönnte, rief er Gott den Herrn an, ihrem König den Sieg zu schenken – so wie einst David siegreich gewesen war im Kampf gegen die Feinde Israels. Die Consiliarii warfen sich Blicke zu, denn nun musste zwangsläufig eine biblische Verherrlichung des Königs erfolgen. Jeder am Hofe wusste mittlerweile, wie sehr Karl sich mit David, dem Heldenkönig des Alten Testaments, eins fühlte – oder sich eins fühlen wollte, indem er ihm nacheiferte … Und tatsächlich fuhr Fulrad im Predigtton fort:

„David besiegte die Philister, danach schlug er den König von Zoba, den Sohn Rehobs. Er nahm von ihm viele Reiter und 20 000 Mann Fußvolk gefangen. Und als die Syrer von Damaskus dem König von Zoba zur Hilfe kamen, erschlug David sie und setzte Vögte über die Syrer von Damaskus … So war David König über ganz Israel, und er schaffte all seinem Volke Recht und Gerechtigkeit.“

„Amen!“, rief der König, und alle stimmten ein. Mit glänzenden Augen dankte der Herrscher noch einmal seinen Gefolgsleuten; die Audienz war beendet. Einhard hatte die Tür erreicht, als der Herrscher seinen Namen rief. Aus den Augenwinkeln registrierte der Consiliarius Fulrads verkniffenen Gesichtsausdruck. Der Wels duldete nur kleine Fische in seinem See …

Wohlwollen glänzte in den Augen des Königs. „Ich möchte Euch ein Lob aussprechen, Einhard. Ihr habt dem Hessen beachtliche achthundert Mann abgerungen. Ich nehme an, Childerich hätte sich mit seiner Grenzwache gerne aus den Verpflichtungen befreit?“

„Es war nicht ganz leicht, Herr.“ Einhards Hals wurde trocken.

„Wie es mit den Bayern steht, habt Ihr gehört … Wir behalten Tassilo im Auge, aber die Sachsen haben Vorrang! Ich weiß, dass Ihr häufig vor der bayerischen Untreue gewarnt habt. Seid also gewiss, Eure Stimme wird gehört!“

„Danke, mein König.“ Die Schmeichelei klang so aufrichtig, dass Einhard sich in diesem Augenblick für den König hätte töten lassen.

„Da ist noch eine Sache …“ Ein kleiner Holzgriffel war zwischen seinen Fingern aufgetaucht; angeblich lernte der König schreiben.

„Herr?“

„Ich selbst gebe nichts darauf. Aber die Leute fürchten sich nun einmal vor vielem …“

„Das ist leider wahr.“

„Ihr wisst, dass man in den Grenzgebieten noch an alten Zauber glaubt. Es heißt“, – das Lächeln des Königs war jetzt angestrengt –, „dass die Zauberer und Waldgeister, die Bonifatius vertrieben hat, bei den Heiden im Norden untergekrochen sind. Sie wissen angeblich um das Geheimnis des Rabensteins.“

„Ich hörte davon, Herr.“ Einhard atmete innerlich auf. Mit einem Seitenblick sah er Fulrad ein Dutzend Schritt entfernt Unterlagen auf dem Tisch zusammenraffen; seine Augen schienen böse Blitze auf Einhard zu schleudern.

„Widukind hat solch einen Rabenstein, behaupten unsere Kundschafter. Er und seine Krieger können sich damit unsichtbar machen und in unser Lager eindringen …“ Der Griffel rollte nervös zwischen Daumen und Zeigefinger.

Nüchtern, als spräche er über die Wahl der Feldzeichen auf den Schilden, erzählte Einhard, dass er noch nie einen Menschen getroffen hätte, der solch ein Verschwinden bezeugen konnte. Ein Rabenstein sei deshalb nicht mehr wert als irgendein Wolfszahn oder eine Eulenkralle … Der König nickte und beeilte sich zu versichern, dass er das Ganze genauso sah – das Holzstäbchen war zum Stillstand gekommen. Als sich die Türflügel des Saals hinter Einhard schlossen, spürte er ein erstes Pochen hinter der Schläfe.

Arnulf. Die Axt der Hessen

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