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Konferenz

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Mit einem Ruck stand er auf. Er hatte sich gleich zu Beginn der Aussprache gemeldet. „Nach allem, was wir eben gehört haben“, sagte er, „kommt für mich als Strafe nur ein Schulverweis in Frage. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier an der Schule jemals ein Schüler einem anderen gedroht hat, ihm die Kehle durchzuschneiden.“

Die letzten Worte hatte er fast stockend gesprochen. Umso zügiger fuhr er nun fort: „Dass die Drohung, wie der beschuldigte Schüler behauptet, nur ein Scherz gewesen sei, halte ich für eine bloße Ausrede. Hat er sich doch auch vorher schon mehrmals aggressiv-erpresserisch gegenüber seinem Mitschüler verhalten. All dies, so finde ich, sollte Grund genug sein, zusätzlich noch die Polizei hinzuzuziehen. Was jedoch uns betrifft“, hob er jetzt die Stimme, „so müssen wir ein klares Zeichen dafür setzen, dass hier bei uns keiner mit einer Gewaltandrohung weiterkommt!“

Während er sich setzte, klatschten zahlreiche Kollegen Beifall. Er unterrichtete schon seit vielen Jahren Mathematik an der Schule. Bei den Schülern hatte er den Ruf, streng, aber gerecht zu sein. Bevor der Direktor dem nächsten Lehrer das Wort gab, teilte er den Konferenzteilnehmern noch mit, dass die Polizei bereits von Anfang an eingeschaltet worden sei.

Danach erhob sich ein Lehrer, der im Gegensatz zu seinem Vorredner bekannt war für seinen lockeren Unterrichtsstil. Obwohl er erst Mitte dreißig war, war er vor kurzem schon Fachleiter für Politik geworden. Seitdem unterrichtete er an der Schule nur noch wenige Stunden.

„Was der Schüler getan hat“, sprach er, „ist ohne Frage sehr schlimm.“ Er meine aber, sagte er nach einem kühlen Blick auf seinen Vorredner, dass man auch die Lebensumstände des Schülers berücksichtigen müsse. Er wisse aus sicherer Quelle, dass der Schüler wegen der Arbeitslosigkeit seiner Eltern nur wenig Taschengeld bekomme. „Liegt nicht hier“, wandte er sich mit Nachdruck an seine Kollegen, „die tiefere Ursache dafür, dass er von einem Mitschüler wiederholt Zigarettenpackungen und noch anderes erpresst hat?“

Nach diesen Worten zeigte sich auf dem Gesicht des Politiklehrers ein flüchtiges Lächeln.

Was aber, fuhr er in seiner Rede fort, die Drohung betreffe, dem Mitschüler die Kehle durchzuschneiden, so dürfe man auch dabei nicht das soziale Milieu des Schülers vergessen. In ihm, so erklärte der Politiklehrer nun mit einer beschwichtigenden Geste, würden sehr häufig Drohungen ausgestoßen, die man nicht allzu ernst nehme.

Während einer kurzen Pause sah er erneut den Mathematiklehrer an. Sein Blick war diesmal geradezu abschätzig.

„Für mich“, begann er wieder, „ist die Forderung nach einem Schulverweis nur Ausdruck einer Law and Order-Gesinnung, die ich zumindest in der Schule längst für überwunden geglaubt hatte. Der Schüler“, sagte er jetzt mit lauter werdender Stimme, „hat es schon schwer genug, wir dürfen ihm durch eine Entlassung aus der Schule nicht noch seine Zukunft verbauen! Denn wenn ihn auch“, schloss er, „nach einem Schulverweis eine andere Schule aufnehmen müsste, so würde ihn doch der Verlust der ihm vertrauten Mitschüler aller Voraussicht nach zu sehr erzürnen, als dass er sein Fehlverhalten bereuen könnte.“

Obgleich ihm nicht viele applaudierten, machte der Politiklehrer einen zufriedenen Eindruck. Ihm war nicht entgangen, dass bei der Wendung „Law and Order“ mehrere seiner Kollegen den Blick gesenkt hatten. Es schien, als schämten sie sich nun, dass sie kurz vorher noch dem Mathematiklehrer Beifall gezollt hatten.

Der Rednerliste entsprechend wurde jetzt einer jungen Lehrerin das Wort erteilt, die erst vor einigen Monaten als Referendarin für Politik an die Schule gekommen war. Im Moment hospitierte sie in einer der beiden Klassen des Politiklehrers.

Ich bin“, sagte sie, „ganz der Meinung meines Vorredners. Auch für mich ist der Schüler mehr Opfer als Täter.“

Seit sie aufgestanden war, hatte sich ihr Gesicht immer mehr gerötet. Auch wenn es ihr offensichtlich schwerfiel, vor so vielen Menschen zu reden, zwang sie sich doch, weiterzusprechen. Ihr sei, sagte sie, beigebracht worden, dass man sich als Lehrer immer zuerst fragen müsse, wie man einem Schüler am besten helfen könne. „Ich bin deshalb“, verkündete sie mit leicht schriller Stimme, „fest davon überzeugt, dass ein Schulverweis des Schülers allen Grundsätzen der modernen Pädagogik widersprechen würde!“

Mehrere Lehrer spendeten ihr Beifall. Danach richteten sich alle Blicke auf den Mathematiklehrer.

Ohne sich vorher zu Wort gemeldet zu haben, stand er von seinem Sitzplatz auf. Er straffte seinen Körper und fing an zu sprechen: "Es ist richtig, einem Schüler zu helfen." Man müsse jedoch, hob er die Stimme, vor allem an das Opfer bzw. weitere mögliche Opfer denken. Was aber den Täter betreffe, so dränge sich ihm ein Satz auf, den er kürzlich zufällig in einem Zeitungsartikel gelesen habe: „Mit einer gerechten Strafe wird der Täter ‚als Vernünftiges geehrt‘.“

Als er darauf hinwies, dass dieser Satz eine Auffassung des Philosophen Hegel wiedergibt, erkannte er am Stirnrunzeln mehrerer Kollegen, dass er offensichtlich einen Fehler begangen hatte. Sich in einer Disziplinarkonferenz auf Hegel zu berufen, hielt manch einer ihrer Teilnehmer wohl für eine Zumutung.

Der Mathematiklehrer beeilte sich, den von ihm zitierten Satz so anschaulich wie nur möglich zu erläutern. Wer in einem Schüler, sagte er, nur noch ein Rädchen im sozialen Getriebe sehe, der müsse ihm auch die Fähigkeit absprechen, sich vernünftig zu verhalten.

Der Mathematiklehrer bekam für diese Äußerungen deutlich weniger Beifall als für seine erste Rede. Während ihn die Referendarin einen Augenblick lang geradezu hasserfüllt ansah, verzog der Fachleiter das Gesicht lediglich zu einem hämischen Grinsen.

Die bald darauf vorgenommene Abstimmung ergab, dass der Antrag auf Entlassung aus der Schule mit einer wenn auch nur knappen Mehrheit zurückgewiesen wurde.

Nur wenige Tage später rasten zwei Wagen mit Blaulicht auf den Schulhof. Der Grund? Ein Schüler hatte einem anderen ein Messer in den Oberkörper gestoßen.

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