Читать книгу Ein Krankenhaus im Kongo - Robert Kösch - Страница 15

Anders als gedacht

Оглавление

Ich setzte mich zu Marie, meiner Assistentin für Finanzen und Personalangelegenheiten. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich Notizhefte, lose Zettel flogen umher, Stifte und Büroklammern rollten durcheinander. Wie die meisten kongolesischen Frauen trug sie ein Kleid aus farbenfrohem schwerem Baumwollstoff, der allgemein als pagne bezeichnet wurde. Marie liebte es, zu lachen, und wenn sie lachte, tat sie es mit dem ganzen Körper. Ihr Lachen war ansteckender als jede Virusinfektion. Es dauerte meist nicht lange, und Akas, der ihr gegenüber saß, musste mit einstimmen. Die beiden wirkten wie ein altes Ehepaar und waren die Ruhe selbst. Akas war ebenfalls in seinen Vierzigern, hatte eine Glatze, eine breite Nase und ging mir bis zu Schulter.

Auch wenn Maries Schreibtisch einem Schlachtfeld glich, hatte sie ihre Aufgaben gut unter Kontrolle. Zielstrebig lotste sie mich durch die beiden Computerprogramme Unifield und Homere. Daher hieß es für mich wieder mal lernen, lernen, lernen. Welche Konten gab es, wie wurden Positionen gebucht, welche Nachweise mit welchen Unterschriften waren nötig, wie wurde das Ganze abgelegt? Die Fragen nahmen einfach kein Ende. So gingen wir Schritt für Schritt das Buchhaltungssystem von MSF durch. Und das auch noch auf Französisch, ich brach mir mehrere Male dabei die Zunge und musste so manchen Knoten in meinem Gehirn entwirren. Es drängte sich mir die Frage auf, wer hier eigentlich wem helfen sollte. Ohne Marie wäre ich total verloren!

Dann fing sie an über bargeldloses Bezahlen zu sprechen. Hatte ich Marie missverstanden? Wir waren doch hier in Baraka, wo es keine asphaltierten Straßen, kein Stromnetz und keine Kanalisation gab. Wie sollte man denn da bargeldlos zahlen? Marie erklärte mir, dass MSF früher viel Bargeld im Safe aufbewahrt hatte, um Verbindlichkeiten mit Lieferanten zu begleichen. Der Kongo habe allerdings überall Ohren, und so hatte der im dicken Geldschrank versteckte Reichtum Begehrlichkeiten geweckt. Einige bewaffnete Überfälle auf Mango waren die tragische Folge gewesen. Das war nicht nur finanziell gesehen eine Katastrophe, sondern auch für die Mitarbeiter der blanke Horror. Eine geladene Kalaschnikow am Kopf vergisst man nicht so schnell. Daher hatte man auf ein geniales System namens M-Pesa umgestellt, das aus Kenia kam. Das M steht für mobil und pesa bedeutet Geld auf Swahili. Marie führte es mir live vor: Sie kramte ein Handy hervor (kein Smartphone, sondern eins dieser alten Teile mit echten Tasten und einer Akkulaufzeit von Jahrzehnten). Sie schickte eine SMS an die M-Pesa-Nummer. In der direkt eintreffenden Antwort-SMS wurde sie aufgefordert, die Telefonnummer zu senden, an die Geld überwiesen werden sollte. Darauf die Nachfrage per SMS nach dem Betrag, und schwupps, war das Geld an das gewünschte Handy gesendet.

»Und wie zahlt man das Geld aus?«, war meine Rückfrage.

»Ach, das ist das geringste Problem. Es gibt in der Stadt zahllose M-Pesa-Agenten, quasi wandelnde Geldautomaten. Gut zu erkennen an den knallroten Sonnenschirmen.«

Ich war sprachlos, damit hatte ich hier überhaupt nicht gerechnet! Somit war das Problem mit gefährlichem Bargeld sofort gelöst. Denn jeder, der in Baraka Geschäfte machen wollte, hatte M-Pesa. Und wem ein Handy zu teuer war, der teilte es sich mit ein paar Verwandten. Somit konnte man in Baraka bequem den Tischler bargeldlos bezahlen, aber in meiner Lieblingsbäckerei in Hamburg musste ich immer noch Scheine und Münzen hervorkramen. Irre! Der Kongo hielt für mich immer wieder neue Überraschungen bereit. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Vielleicht war ich ja doch nicht im technologischen Mittelalter gelandet. Ich sollte meine arroganten Vorurteile besser schnell über Bord werfen.

»Auch die journaliers zahlen wir via M-Pesa«, fuhr Marie fort.

Schon wieder ließ mich mein Französisch im Stich. Was sollten bitte journaliers sein? Nach etlichen Erklärungsversuchen, die so wirkten, als würden wir Tabu spielen, stellte sich heraus, dass damit Tagelöhner gemeint waren. Wenn Manpower gebraucht wurde, um eine Lkw-Lieferung Medikamente ins Lager zu bringen oder um Wassergräben zu ziehen, öffnete man eine ellenlange Excel-Liste mit Namen und Nummern und rief die Leute in alphabetischer Reihenfolge an. Sie standen dann wenig später auf der Matte und wurden pro Stunde bezahlt. Es gab noch so viel zu lernen …

Ein Krankenhaus im Kongo

Подняться наверх