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Abschiedsparty

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Es war der erste Freitagabend im Jahr 2020, und in der Q-Bar im Herzen Hamburg-Eimsbüttels war viel los. Mehr als 60 Leute tummelten sich um den Tresen, standen in kleinen Grüppchen zusammen, quatschten, saßen in den gemütlichen Sesseln, spielten Kicker und genossen den Abend. Das Beste dabei war, dass ich jeden Einzelnen der Gäste kannte. Das weniger Gute, dass ich all diese lieben Menschen wohl für die nächsten zwölf Monate nicht sehen würde.

Vor ein paar Wochen hatte ich mit dem Inhaber telefoniert und die ganze Bar für den heutigen Abend gebucht. Meine Frau Katharina und ich waren häufig hier, denn viele unserer Freunde wohnten in der Nähe, und man traf sich immer wieder zu einem Feierabendbierchen. Auf die Frage, was denn der Anlass der Feier sei, hatte ich geantwortet, dass es meine Abschiedsparty werden würde. Ich würde für ein Jahr mit Ärzte ohne Grenzen in den Kongo gehen. Es war einen kurzen Moment still am anderen Ende der Leitung gewesen.

»Oh krass, dann alles Gute. Wusste gar nicht, dass du Arzt bist.« Diesen Satz hörte ich fast immer, wenn ich von meinem abenteuerlichen Vorhaben erzählte. Aber ich war kein Arzt. Ich hatte Wirtschaftsingenieurwesen studiert und arbeitete bei Airbus im Projektmanagement.

»Ärzte ohne Grenzen braucht auch Leute, die sich um die Logistik, das Personal und die Finanzen kümmern.«

»Ja, stimmt, macht Sinn, da habe ich irgendwie noch gar nicht drüber nachgedacht. Dann bis Freitag!«

Und jetzt war der Abend gekommen. Noch einmal ordentlich mit seinen Liebsten feiern. Sebastian klopfte mir auf die Schulter und sagte kopfschüttelnd: »So etwas Verrücktes kannst auch wirklich nur du machen, Robert. Ein Krankenhaus im Kongo bauen.«

Ich musste ihm recht geben, etwas verrückt war es schon. Ich konnte es selbst kaum glauben, dass es nun losgehen sollte.

»Wo geht es für dich denn ganz genau hin?«

Da die geografischen Kenntnisse des Durchschnittsdeutschen, mich eingeschlossen, in Bezug auf den afrikanischen Kontinent gerne zu wünschen übrig lassen, hatte ich extra eine große Weltkarte mitgebracht und an die Wand gehängt. Kleine Pfeile markierten die nächsten Stationen: von Hamburg mit dem Zug nach Berlin zum ersten Briefing, von dort aus weiter nach Amsterdam zur Zentrale der holländischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Dort würde ich in den Flieger steigen und nach Kigali fliegen, in die Hauptstadt von Ruanda. Jemand würde mich abholen und mit dem Auto an die Grenze zur Demokratischen Republik Kongo bringen, wo ich dann in Bukavu ein paar Tage verbringen würde. Bukavu war die Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, ganz im Osten des Kongos, und dort hatte die Coordination von Ärzte ohne Grenzen ihren Sitz. Und dann käme der spannendste Teil, denn von dort ginge es 200 Kilometer weiter in den Süden nach Baraka, dem eigentlichen Ziel meiner Reise. Viel hatte ich über die Stadt nicht herausfinden können. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag von 2015 besagte nur, dass es in Baraka keine asphaltierten Straßen, kein fließend Wasser und keinen Strom gebe.

»Und wie gefährlich ist es da denn wirklich? Ich meine, es ist ja der Kongo und nicht Österreich.« Sebastian kramte sein Handy hervor und las eine Passage aus den Reisehinweisen des Auswärtigen Amts vor. Vor Reisen nach Süd-Kivu und in andere Provinzen im Osten des Kongos wurde ausdrücklich gewarnt: »In diesen Provinzen kommt es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen zwischen den kongolesischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen. In einigen Gebieten ist es in der Vergangenheit auch zu Entführungen gekommen. Ein Aufenthalt in diesen Gebieten muss unbedingt durch ein tragfähiges Sicherheitskonzept abgesichert sein.«

Diesen Satz hatte ich auch schon gelesen, ebenso wie die letzten Berichte von Ärzte ohne Grenzen zur aktuellen Sicherheitslage in der Region. In den vergangenen Jahren war es verhältnismäßig ruhig geblieben. Sonst würde man mich als blutigen sogenannten First Missioner nicht dort hinschicken. Ich hatte nämlich keinerlei Vorerfahrung bei einer NGO, einer Nichtregierungsorganisation. Das Risiko eines Überfalls wäre in Baraka natürlich größer als in Hamburg. Aber klar, wenn im Osten des Kongos alles in Ordnung wäre, hätte Ärzte ohne Grenzen auch keinen Grund, dort zu sein.

Tjark, der sich zu uns gesellte, winkte ab: »Geh du ruhig in den Kongo, ich überweise lieber einfach etwas Geld und gehe alle paar Wochen zum Blutspenden. Das tut’s doch auch.«

Je länger der Abend wurde, desto ausgelassener wurde die Stimmung. Alles war so herrlich normal. Eine schöne Sause mit meinen Liebsten am Freitagabend. Und auf einmal hatte ich in dem ganzen Trubel einen kurzen Moment, in dem ich mit niemandem anstieß und mich niemand zu den nächsten Monaten interviewte. Ich fragte mich, ob es das wirklich wert war: Das alles aufzugeben, um auf der anderen Seite der Erde im tiefsten Afrika etwas Gutes zu tun und zu helfen. In einer Region zu leben, die sich seit Jahrzehnten in einer tiefen Krise befand, wo Vergewaltigungen an der Tagesordnung und die Menschen bettelarm waren – so klang zumindest der Tenor der Berichterstattung im Netz. Aber Katharina und ich hatten uns gemeinsam entschieden, dass ich dieses Abenteuer angehen würde. Es würde nicht leicht werden: Wir waren frisch verheiratet, und nun würde ich allein in die Ferne ziehen. Seit sieben Jahren waren wir ein Paar, und seit mehr als drei Jahren wohnten wir zusammen. Es war das Paradies auf Erden. Aber ein Unfall hatte mir sehr deutlich gezeigt, dass es kein Morgen gibt. Es bleibt nur das Heute. Meine Frau kannte mich wie so häufig besser als ich mich selbst und hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: »Wenn du es jetzt nicht machst, machst du es nie.«

Meine Stammtisch-Jungs kamen auf mich zu und überreichten feierlich ein Abschiedsgeschenk: Sie hatten einen Kalender gebastelt. Für jeden kommenden Monat ein paar Erinnerungen, damit ich sie nicht vergessen würde. Die verrückten Vögel hatten den Ersatzschlüssel unserer Wohnung organisiert und in jedem Zimmer Bilder geschossen. Tjark und Brian saßen Zeitung lesend mit Schaum auf dem Kopf in unserer Badewanne. Diese Irren – ich konnte nicht mehr vor Lachen. Sie würden mir fehlen.

»Buffalloooo!!!« Ein lauter Schrei ging durch die Q-Bar. Brian klopfte sich lachend auf die Schenkel, und Justus schaute frustriert zu Boden. »Ich wusste doch, dass ich dich kriege, Justus!«

Meine Mutter stand neben mir und verstand die Welt nicht mehr.

»Ach, das ist ein Trinkspiel, das wir eigentlich immer spielen. Bei einer geraden Stundenzahl darf man nur mit der rechten Hand trinken, also zum Beispiel von 22:00 bis 22:59 Uhr. Eben ist es 23:00 Uhr geworden, die Uhrzeit ist ungerade und Justus hätte mit links trinken müssen. Hat er aber nicht, jetzt muss er sein Bier exen.«

Meine Mutter schüttelte nur lachend den Kopf. Sie wusste, dass wir das Herz am rechten Fleck hatten. Was sie wohl wirklich zu der Kongo-Idee dachte? In jedem Fall wusste ich, dass sie sich jetzt schon sehnlichst auf den Moment freute, wenn ihr ältester Sohn wieder gesund zurück in Deutschland wäre.

Langsam ging der Abend seinem Ende entgegen. Da kam Justus, mein Trauzeuge, auf mich zu. Wir kannten uns seit der Schulzeit in Mainz und haben schon unfassbar viel miteinander erlebt. Eigentlich nahmen wir uns ständig auf den Arm, machten Witze über den anderen und nahmen uns nicht sonderlich ernst. Aber wenn ich Justus nachts um 4 Uhr anrufen würde und ich seine Hilfe bräuchte, dann würde er nicht groß fragen, was los war, sondern sich ins Auto setzen und sofort vorbeikommen. Genau wie ich hatte er schon ordentlich einen im Kahn, und wir umarmten uns lange und feste. Und auf einmal flüsterte er mir mit ungewöhnlich ernster Stimme leise ins Ohr: »Pass bitte auf dich auf!« Wir hatten beide feuchte Augen.

Irgendwann war Schluss, und zusammen mit dem harten Kern traten wir hinaus in die kalte und klare Winternacht. »Ich bin dann mal im Kongo …«, rief ich noch winkend über die Schulter. Katharina hatte sich bei mir eingehakt, und wir gingen zu zweit nach Hause. Das Schlimmste stand mir noch bevor, in wenigen Tagen würde ich mich von ihr verabschieden müssen. Ich wollte gar nicht daran denken.

Ein Krankenhaus im Kongo

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