Читать книгу Der Auftrag - Robert Whitlow - Страница 11

Оглавление

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]


Kapitel 4

Auf dem Weg zurück in sein Büro hielt Jakob, um sich einen Cheeseburger zu kaufen. Als Einwanderer der ersten Generation aus der früheren Sowjetunion genoss er seine Freiheit in jeder Hinsicht, und er war nicht daran interessiert, sich selbst einzuschränken, indem er sich an jüdische Speisevorschriften hielt. Wenn er allerdings mit anderen Juden essen ging, passte er sich an; er wollte niemanden verletzen. Er wartete ab, was die anderen bestellten, bevor er seine Wahl traf. Da ihm Essen fast in jeder Form schmeckte, war es nie schwierig, etwas zu finden, das er mochte.

Seine starke Freiheitsliebe hatte Jakob von seinem Vater geerbt, einem jüdischen »Refusenik«, der jahrelang versucht hatte, dem Kommunismus zu entkommen, doch man hatte ihm die Ausreisevisa für sich selbst und seine Familie stets verweigert. Wegen seines offenkundigen Wunsches, zu emigrieren, wurde Anatoly Brodsky verfolgt und sogar zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Brodsky senior hatte den ausgeprägten Starrsinn seinem jüngsten Sohn vererbt. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion konnte die Familie auswandern und sich in New York niederlassen. Ein großes gerahmtes Foto der Freiheitsstatue hing im Wohnzimmer ihres Familienheims auf Long Island, in dem Jakob seit seinem zehnten Lebensjahr gewohnt hatte. Seinen russischen Akzent hatte er dort rasch verloren und sprach bald wie ein geborener New Yorker.

Dass Jakob den Fall von Ben Neumann vertrat, war auf Empfehlung eines früheren Mandanten zustande gekommen, eines gewissen Ken Smith. Jakob hatte sich bereit erklärt, sich mit Ben zu treffen, und voller Anteilnahme angehört, was vor der Hurva-Synagoge geschehen war. Aber erst, als er das Überwachungsvideo auf Bens Laptop gesehen hatte, hatte er das vertraute Feuer im Bauch verspürt – für ihn immer ein Zeichen, dass er ernsthaft erwägen sollte, einen Fall zu übernehmen. Aber es gab eine Frage, die er stellen musste, bevor er sich den nächsten Schritt gestatten konnte.

»Warum wollen Sie einen Prozess anstrengen?«, fragte er Ben. »Es wird nur dazu führen, dass Ihr Verlust Ihnen umso bewusster wird.«

»Meinen Sie, das ist er nicht sowieso schon?«, hatte Ben gefragt. »Jedes Mal, wenn ich meine Tochter ansehe, sehe ich das Gesicht ihrer Mutter. Und wenn ich Sadie auf die Wange küsse, berühren meine Lippen die Narbe, die der Mörder meiner Frau dort hinterlassen hat. Ja, ich habe die Liebe meines Lebens verloren. Aber sie würde wollen, dass ich etwas tue – irgendetwas –, damit nicht noch einer Familie dasselbe Leid widerfährt wie uns. Als ich von den Antiterrorgesetzen und dieser neuen Prozessform las, wusste ich: Diese Spur muss ich verfolgen, so gut ich nur kann.«

Jakob hörte ihm aufmerksam zu. Wenn Ben Neumann die Chance dazu bekäme, könnte er seine Geschichte auf eine Weise darstellen, die auch die abgebrühtesten Geschworenen erweichen würde. Die Antiterrorgesetze waren ein US-amerikanisches Gesetzespaket, das der Kongress 1990 in Kraft gesetzt hatte. Es ermöglichte, Menschen, die »im Hinblick auf ihre Person, ihr Eigentum oder ihr Geschäft durch einen Akt internationalen Terrorismus« geschädigt wurden, beim Obersten Gerichtshof der USA eine Klage mit der Forderung einer dreifachen Entschädigung für ihren Verlust geltend zu machen. »Internationaler Terrorismus« war definiert als »Aktivitäten, die … Gewalttaten oder Taten, die Menschenleben gefährden könnten und die Strafgesetze der Vereinigten Staaten verletzen.«

»Ken hat gesagt, dass Sie sich von Herausforderungen nicht abschrecken lassen«, sagte Ben. »Er hat mir erzählt, wie Sie immer tiefer gegraben haben, bis Sie wussten, wer für die Verletzungen seines Sohnes verantwortlich war. Die anderen Anwälte haben mir geraten, dass ich genau das brauche: jemanden, der sich in eine Sache vergräbt und herausfindet, ob die Täter allein gehandelt haben oder nicht.«

»Ich habe keine Erfahrung in diesem Rechtsgebiet«, sagte Jakob. »Und es wäre sehr teuer, eine solche Schadensersatzklage zu recherchieren und vor Gericht zu vertreten.«

»Verstehe«, sagte Ben offensichtlich enttäuscht. Er seufzte frustriert. »Aber danke, dass Sie bereit waren, mit mir zu sprechen.« Er schloss den Laptop und erhob sich.

»Gehen Sie noch nicht.« Jakob hob Einhalt gebietend die Hand. »Sehen Sie sich wenigstens einen Vertragsentwurf zwischen Anwalt und Mandant an.«


Es hatte einen Unfall gegeben, und der Verkehr stockte, sodass Jakob doppelt so lange wie sonst brauchte, um seine Kanzlei zu erreichen. Sie lag in einem zweistöckigen Gebäude mit acht Apartments und einem gemeinsamen Konferenzraum im Erdgeschoss. Fünf der acht Mietparteien waren Anwälte. Außer den Juristen gab es noch einen Versicherungsagenten, einen Finanzberater und einen Heilpraktiker.

Eine Sekretärin im Erdgeschoss nahm die Anrufe für alle Mietparteien entgegen. Maddie verfügte über die beeindruckende Fähigkeit, sich in Sekundenschnelle mit dem Namen der jeweils richtigen Firma zu melden, je nachdem, welches Lämpchen an der Telefonanlage blinkte.

»Kanzlei Jakob Brodsky.« Maddie nahm gerade einen Anruf entgegen, als Jakob das Gebäude betrat. Es folgte eine kurze Pause. »Ich verbinde Sie direkt mit ihm.«

»Das war niederträchtig«, rief Jakob ihr zu, während er die Treppe hinaufrannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.

Der Wettbewerb um neue Mandanten war heftig. Leute, die auf der Suche nach einem Anwalt waren, der auf Schadensersatzklage bei Körperverletzung spezialisiert war, hatten meist eine Liste von Kontakten, die sie durchtelefonierten, und hinterließen keine Nachricht. Nach dem fünften Klingeln würde sein Anrufbeantworter anspringen. Jakob verhedderte sich mit dem Schlüssel, bekam dann aber die Tür auf, hechtete zum Telefon auf seinem Schreibtisch und nahm den Hörer ab.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er etwas atemlos und ließ sich in den Ledersessel sinken.

»Mr Brodsky?«

»Ja, am Apparat.«

»Hier spricht Amanda Brooks von der Brookstone-Kanzlei. Sie haben mit Natalie Fletchall in unserem Büro über den Harrison-Fall gesprochen.«

Jakob setzte sich aufrechter hin. Es war der Fall, von dem er hoffte, er würde ihm das Honorar einbringen, das er als seinen Teil zu den Kosten des Neumann-Prozesses beisteuern konnte.

»Ja«, sagte er. »Ich habe Natalie letzte Woche per E-Mail eine Forderung von 80 000 Dollar geschickt, zusammen mit der Klageschrift, die ich beim Fulton County Superior Court einreichen werde, wenn wir uns nicht einigen können. Niedriger kann ich nicht gehen, um den Fall noch vor einem Gerichtsverfahren zu klären.«

»Dann ist das ein Deal. Die Versicherungsgesellschaft möchte diese Sache gern beenden. Innerhalb einer Stunde haben Sie unsere Standardfreigabe in Ihrem Postfach. Sobald wir eine unterschriebene Kopie der Freigabe erhalten haben, schicken wir den Scheck, zahlbar an Sie und Ihren Mandanten.«

Jakob rief seinen Mandanten an, um ihm die gute Nachricht zu überbringen, und versuchte dann erfolglos, Ben Neumann zu erreichen. Er hinterließ eine knappe Sprachnachricht.

»Gute Neuigkeiten. Rufen Sie mich an.«


Hana putzte sich die Zähne, um ihren Kollegen den Knoblauchgeruch zu ersparen. Dann arbeitete sie an einigen juristischen Dokumenten auf Hebräisch und sandte sie an den Mandanten in Ra’anana. Sie wollte gerade eine kurze Pause machen, als es an der Tür klopfte. Unwillkürlich antwortete sie auf Hebräisch, korrigierte sich aber sofort. Mr Collins trat ein. Der Anwalt war Mitte sechzig, kahlköpfig und übergewichtig, und kam nur äußerst selten in ihr Büro.

»Tut mir leid«, begann Hana. »Ich musste eine Weile zwischen Englisch und Hebräisch hin- und herspringen.«

»Was der Kanzlei zugutekommt. Sie sagten: ›Ja, bitte.‹ Richtig?«

»Korrekt.«

Mr Collins schloss die Tür und setzte sich auf den Stuhl vor Hanas Schreibtisch.

»Ich wollte mit Ihnen über Ihr Meeting mit Leon heute Vormittag sprechen.«

Jim Collins war eher eine Schildkröte als ein Kaninchen, und Hana wusste, dass er eine Weile brauchen würde, bis er zum Anlass seines Besuchs kam.

»Hat er Sie gebeten, zu recherchieren, welchen Hintergrund und welche Erfahrung Jakob Brodsky hat?«

»Nein, aber er hat erwähnt, dass er später noch einige Fragen haben könnte.«

»Und Sie haben das Video von der Terrorattacke in Jerusalem gesehen?«

»Zuerst habe ich es abgelehnt, aber dann habe ich meine Meinung geändert.«

»Warum das?«

Hana dachte, die Antwort sei offensichtlich. »Eine Frau wurde erstochen und ihre kleine Tochter schwer im Gesicht verletzt. Der junge Araber, der es getan hat, wurde erschossen. Das ist nichts, was ich gern sehe oder in meiner Erinnerung haben möchte.«

»Leon hat Sie vor dem Meeting nicht gewarnt?«

»Gewarnt?«

»Oder Ihnen irgendwelche Informationen gegeben?«

»Nein, aber er hat sich entschuldigt. Er sagte mir, es sei eine Last-Minute-Entscheidung gewesen, mich hinzuzuziehen, und da war Mr Brodsky bereits in der Kanzlei eingetroffen.«

Hana fühlte sich unwohl. Es hatte den Anschein, als wäre Mr Collins dabei, Informationen zu sammeln, um in der Teilhaberversammlung gegen seinen Kollegen zu votieren.

»Was hat Leon Ihnen sonst noch über den Fall gesagt?«

»Er erwähnte, dass es nicht einfach sein würde, einen Beklagten zu finden, geschweige denn einen, der zahlungskräftig genug wäre, um Schadensersatz zu leisten. Und dass die Entscheidung darüber, ob die Kanzlei in den Fall einsteige, bei den Teilhabern läge.«

Mr Collins nickte und sah Hana dann direkt an. »Wenn Sie eine Stimme hätten, würden Sie dafür oder dagegen stimmen?«

»Mr Collins«, protestiere Hana. »Es steht mir nicht zu …«

»Es steht Ihnen zu, wenn ich Sie so direkt frage.« Der Seniorpartner sprach bestimmter als sonst. »Und genau das tue ich. Sie sind Araberin und israelische Staatsbürgerin. Sie haben eine Perspektive auf die Sache wie kein anderer Kollege in dieser Kanzlei. Ich möchte wissen, was Sie über den Fall denken.«

Bilder aus dem Video schossen Hana durch den Kopf: Gloria Neumann, die zu Boden sinkt, und Abdul Zadan, der auf sie stürzt. »Ich würde dagegen stimmen«, antwortete Hana.

»Warum?«

Hana war versucht, die Schwierigkeit, einen zahlungsfähigen Beklagten zu finden, als Hauptgrund für ihre Ablehnung zu nennen, aber sie wusste, das war nicht wahr. »In Israel reden wir immer davon, dass wir uns von der Gewalt, die uns umgibt, nicht davon abhalten lassen wollen, ein normales Leben zu leben«, erwiderte sie. »Ich bin nicht nach Atlanta gezogen, um dieser Welt zu entkommen. Aber ich dachte, ich könnte sie hinter mir lassen, solange ich hier arbeite. Das ist die beste Antwort, die ich Ihnen geben kann.«

Jim Collins schwieg einen Moment, dann stand er auf. »Vielen Dank. Ich respektiere Ihre Perspektive«, sagte er, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Hana atmete tief durch und starrte eine Weile aus dem Fenster. Aber sie nahm nicht die Skyline vor dem klaren blauen Himmel wahr. Stattdessen reiste sie in Gedanken vom Norden Atlantas zum Hurva Square in Jerusalem.

Der Auftrag

Подняться наверх