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Kapitel 7

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Jakob lief vor seinem Schreibtisch hin und her. Er hatte Leon Lowenstein benachrichtigt, dass er die geforderte Summe auf seinem Treuhandkonto habe. Aber was ihn nervös machte, war die Frage, wie er ihm beibringen sollte, dass Sadie Neumann aus dem Fall herausgehalten werden musste. Die Hälfte des Schadensmodells zu streichen, könnte das Aus bedeuten für eine potenzielle Gesamtvertretung. Diese war bereits so zerbrechlich wie eine Teetasse. Jetzt beratschlagte er mit sich selbst, ob er die Enthüllung dieser Veränderung noch hinauszögern sollte.

»Es wird Monate dauern, bis das überhaupt aktuell wird«, murmelte er. »Und die Investigation wird mir Zeit geben, mit Ben zu reden und ihn dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern.«

Sein Handy summte. »Hallo?«

»Mr Jakob Brodsky, bitte«, sagte eine Frauenstimme mit leichtem Akzent.

»Am Apparat.«

»Hier spricht Hana Abboud von Collins, Lowenstein und Capella. Passt es Ihnen, wenn wir kurz miteinander reden?«

»Ja, gern«, erwiderte Jakob, verwundert darüber, dass ein Associate ihn anrief. »Haben die Partner eine Entscheidung getroffen? Ich habe das Geld auf meinem Treuhandkonto.«

»Noch nicht«, antwortete sie. »Im Zuge der Entscheidung der Kanzlei, ob sie den Fall übernehmen will, würde ich gern Mr Neumann und seine Tochter treffen. Können Sie das arrangieren?«

Jakob zögerte.

»Bei Ort und Zeit bin ich flexibel«, fuhr Hana fort. »Natürlich würden Sie dabei sein. Warum sehen Sie nicht gleich in Ihren Kalender und wir vereinbaren einen Termin?«

»Wird Mr Lowenstein auch dabei sein?«, fragte Jakob, um Zeit zu gewinnen.

»Das ist nicht nötig. Wenn die Kanzlei einsteigt, werde ich eine größere Rolle bei der Investigation spielen.«

»Warum?«, platzte Jakob heraus. »Ich hatte den Eindruck, Sie wollten mit diesem Fall nichts zu tun haben.«

Es folgte ein kurzes Schweigen. Ms Abboud wollte ihm offensichtlich nicht erklären, warum sie ihre Meinung geändert hatte. Jakob ging zu seinem Computer und rief den Kalender auf.

»Also, ich könnte morgen Nachmittag, nachdem Sadie aus der Schule zurück ist, und dann wieder am nächsten Montag.«

»Morgen Nachmittag passt mir gut.«

»Ben kann sein Geschäft mal für eine Stunde verlassen. Aber ich muss es erst mit ihm absprechen.«

»Würden Sie gern in mein Büro kommen, oder sollen wir uns bei Ihnen treffen?«

Ben mit den Räumlichkeiten von Collins, Lowenstein und Capella zu beeindrucken, konnte sicher nicht schaden. »Besser in Ihrem Büro«, antwortete Jakob. »Ben sollte wissen, mit wem wir vielleicht in Zukunft sehr viel Zeit verbringen werden.«

»Ich sende Ihnen meine Kontaktdaten sofort.«

Damit war das Gespräch beendet. Fünf Sekunden später erschien Hanna Abbouds Name auf Jakobs Monitor. Er klickte auf die Webseite der Kanzlei und dann auf ihre Biografie, im Bemühen, irgendein verborgenes Motiv oder eine versteckte Agenda ausfindig zu machen. Ein interessanter Punkt fiel ihm auf: Die Anwältin hatte zwei Jahre als Security Officer für die israelische Regierung am Ben-Gurion-Airport gearbeitet. Das musste der nicht militärische Dienst sein, den Hana im Meeting mit Leon Lowenstein erwähnt hatte. Jakob machte sich ein paar Notizen.

Zehn Minuten später hatte er arrangiert, dass Ben und er sich kurz vor fünf am nächsten Tag im Empfangsbereich der Kanzlei treffen würden. Ben hatte nichts dagegen, dass Hana Abboud womöglich bei dem Fall mitarbeiten würde. Vielmehr sah er sofort, dass eine arabische Anwältin Türen öffnen konnte, die einem amerikanischen jüdischen Anwalt nie offen stehen würden.

»Das lässt mich glauben, dass sie uns ernst nehmen«, sagte Ben. »Und sie wird sich mit dem Justizsystem in Israel auskennen.«

»Es könnte uns auch eine hübsche Summe Geld sparen. Wir müssten keinem israelischen Anwalt immense Stundenlöhne zahlen. Die Kanzlei arbeitet mit Pauschalgehältern.«

Jakob schwieg einen Moment, bevor er die, wie er wusste, größte Hürde ansprach. »Ms Abboud möchte, dass Sie Sadie mitbringen.«

»Zum Meeting in der Kanzlei? Warum ist das nötig?«

»Das hat sie mir nicht gesagt«, erwiderte Jakob. »Der Anruf kam für mich so überraschend, dass ich auch nicht nachgehakt habe. Möchten Sie, dass ich sie anrufe und ihr sage, Sadie könnte nicht kommen?«

Jakob hielt den Atem an.

»Nein«, entgegnete Ben. »Sie muss ohnehin in dieser Zeit bei mir sein, weil Glorias Mutter gerade nicht als Babysitter zur Verfügung steht. Aber ich möchte nicht, dass sie irgendetwas hören muss, das mit dem Angriff zu tun hat.«

»Verstanden«, antwortete Jakob erleichtert.

Jakob lehnte sich nach dem Telefonat in seinem Bürosessel zurück und rieb sich die Augen. Ben hatte heute viel kooperativer geklungen. Wenn Jakob das morgige Treffen mit Hana Abboud überstand, ohne dabei eine schlechte Figur zu machen, könnte sein Plan, Ben davon zu überzeugen, dass Sadies Ansprüche in die Klage einbezogen werden sollten, durchaus funktionieren.


Hana strich alle anderen Projekte von ihrer Prioritätenliste und machte sich daran, einen Crashkurs in Sachen Antiterrorgesetze zu absolvieren.

Vor dem 11. September 2001 und den Angriffen durch al-Qaida in New York und auf das Pentagon in Washington D.C. waren Verfahren auf der Grundlage der Antiterrorgesetze selten. Danach klagten Menschen gegen Organisationen, die vermeintlich die Attentäter »materiell unterstützt« hatten. Die höchsten Forderungen, die auch am öffentlichkeitswirksamsten waren, richteten sich gegen die Banken, die die Terroristen genutzt hatten. Aber anfangs zögerten die Gerichte, Banken für die Taten von Einlegern verantwortlich zu machen.

Der bekannteste Fall betraf die Arab Bank, ein großes Finanzinstitut mit Sitz in Jordanien und Niederlassungen in der ganzen Welt. Arab Bank fungierte als Kanal für Bareinzahlungen an Familien von Selbstmordattentätern der Hamas, bei deren Angriffen Hunderte getötet oder verstümmelt wurden. Die Bank versuchte nicht einmal, ihre Aktionen zu verschleiern; vielmehr prahlte sie öffentlich damit. Letzten Endes zahlte sie Millionen von Dollar in 527 Schadensersatzfällen. Da Hana in Israel lebte, wusste sie natürlich über die Aktivitäten der Arab Bank Bescheid, hatte sich aber nie mit den Details der Fälle beschäftigt. Es gelang ihr, Hintergrundinformationen auf arabischen Seiten aufzuspüren. Sie waren dunkel und unheimlich.

Am späten Nachmittag unterbrach sie ihre Arbeit und verließ ihr Büro. In der dünnen Akte von Jakob Brodsky gab es aktuell keinen Hinweis darauf, dass eine Bank in den Fall Neumann verwickelt war. Eigentlich wies nichts darauf hin, dass Abdul und Tawfik Zadan irgendetwas anderes waren als Einzeltäter.

»Triffst du dich heute Abend mit dem jungen Mann aus deiner Gemeinde?«; fragte Janet, als Hana auftauchte. »Ich hab einen Eintrag in deinem Kalender gesehen.«

»Ja.«

»Wie heißt er?«

»Bart Kendall. Er arbeitet für die Medien, irgendwas mit Werbung für Schönheitsprodukte.«

Janet nickte wissend. »Und du wirst in seinem nächsten Projekt eine Rolle spielen.« Dann fuhr sie fort: »Ich sehe dich schon in einem Werbespot für Haarpflegemittel. Weißt du eigentlich, wie viele Frauen ein Jahr ihres Lebens dafür geben würden, Haare zu haben wie du?«

»Jetzt mach deine Locken nicht schlecht«, gab Hana zurück und sah auf ihre Armbanduhr. »Ich weiß nicht, soll ich nach Hause fahren und mich umziehen oder noch ein bisschen arbeiten und das tragen, was ich jetzt anhabe …«

»Fahr nach Hause«, sagte Janet. »Ich meine, mit deiner Kleidung ist alles in Ordnung. Aber dieser dunkelblaue Anzug mit weißer Bluse wirkt, als hättest du ein Schild um den Hals: Ich bin Anwältin! Ich bin Anwältin!«

Hana lächelte. »Ich bin Anwältin.«

»Aber nicht vierundzwanzig Stunden am Tag. Heute Abend musst du femininer sein.«

»Gewonnen«, grinste Hana.

»Schick mir ein Selfie, ja? Und Bart sollte auch drauf sein, wenn es nicht zu peinlich ist, ein Foto zu schießen.«

»Das ist eigentlich kein Date. Er möchte mehr über die arabische Kultur erfahren.«

»Das kannst du mir nicht einreden«, sagte Janet und verdrehte die Augen.

»Wann soll ich wieder zu Hause sein?«, fragte Hana mit einem Lächeln.

»Was würde deine Mutter sagen?«

Hana dachte an das Protokoll für Dates bei sich zu Hause in Reineh. »Wenn der Mann nicht gerade sehr weit weg von Reineh wohnte, würde unser Treffen bei mir zu Hause stattfinden, damit er die Familie kennenlernen kann.«

Janet nickte. »Das gefällt mir. Ich wollte immer wissen, wie mein Vater über die Männer dachte, mit denen ich mich traf. Er merkte viel schneller als ich, wenn etwas faul war.«

Als Hana später vor ihrem Kleiderschrank stand, überlegte sie, was sie anziehen sollte. Seit sie in die Staaten gekommen war, hatte sie eine Menge Klamotten gekauft. Die israelische Mode war eher europäisch als amerikanisch, und Hana hatte inzwischen eine konservative, aber modische Garderobe. Sie wählte ein Outfit in Grün – schmal geschnittene Hose und ein cremefarbenes Top, zu dem sie mit einem Seidenschal auftrumpfen konnte, den sie aus Israel mitgebracht hatte. Der Schal war über vierzig Jahre alt und hatte seine leuchtenden Farben nicht verloren. Sie machte ein Selfie und schickte es an Janet, die mit einem Daumen hoch reagierte.

Während ihres Studiums hatte Hana einen Freund gehabt, der Medizin studierte und Radiologe werden wollte. Viele Ärzte und Schwestern in Israel hatten einen christlich-arabischen Hintergrund, und Hanas Familie war entzückt, dass ihre wählerische Tochter einen Mann gefunden hatte, der ihrer Zuneigung wert war. Ibrahim Ghanem stammte aus einer Vorstadt in Ostjerusalem.

Ibrahim und Hana hatten viele gemeinsame Interessen, darunter auch ihren Bezug zum Glauben, und sie fingen an, über eine Heirat zu reden. In traditionelleren christlich-arabischen Familien war es Sache der Eltern, über einen Vermittler, auf den beide Elternpaare sich geeinigt hatten, die Verlobungspläne bekannt zu geben. Man hatte einen Vermittler gefunden und Pläne gemacht: Ibrahim und Hana sollten in Nazareth heiraten und anschließend ihre Hochzeitsreise nach Spanien machen.

Aber dann hatte Ibrahims Vater darauf bestanden, dass Hana vor der Hochzeit ihr Jurastudium aufgeben und es erst wieder aufnehmen sollte, wenn Ibrahim als Arzt arbeitete. Mr Ghanem fand, das sei notwendig, damit das junge Paar sich ohne äußere Ablenkungen auf die Ehe konzentrieren konnte. Hana wusste, dass ihr zukünftiger Schwiegervater eigentlich wollte, dass sie ihre berufliche Laufbahn aufgab, eine Familie gründete und sich dann der Aufgabe widmete, Kinder großzuziehen. Hana liebte Kinder, und sie wollte eine Familie, aber zwischen ihr und Ibrahim entstand eine Spannung, weil er sich nicht gegenüber seinem Vater behauptete. Die Beziehung war getrübt. Schließlich verkündete Hanas Vater, ein ruhiger Mensch, an einem Samstagabend, dass er die Verhandlungen über die Heirat aussetzen wolle. Hana war bestürzt und brach in Tränen aus – Tränen der Erleichterung. Sechs Monate später war Ibrahim mit einer anderen Frau verlobt.

Hana wusste, dass man in Reineh tuschelte, sie würde Single bleiben, nachdem sie den Job in Amerika angenommen hatte. Und seit ihrer Ankunft hier war nichts geschehen, das dieses Gerede hätte widerlegen können. Die meisten Männer, die sie getroffen hatte, legten ein Maß an Unreife und Selbstbezogenheit an den Tag, das es ihr unmöglich machte, die Beziehung zu vertiefen. Seit ein paar Monaten hatte Hana aufgehört, irgendwelche Dates zu erwähnen, wenn sie mit ihrer Mutter sprach.

Das Restaurant für ihr Essen mit Bart Kendall lag in einem älteren Wohnviertel in der Nähe des Stadtzentrums. Der winzige Parkplatz war voll, und Hana brauchte eine Weile, bis sie eine Parklücke fand.

Der Nachmittag war warm gewesen, aber nach Sonnenuntergang kühlte sich die Luft ab, und obwohl der Weg leicht anstieg, genoss Hana den Gang zum Restaurant. Es befand sich in einem Haus aus den 1930ern mit gestrichenen Ziegeln und schwarzen Fensterläden. Vor dem Eingang gab es eine breite Veranda mit Sitzgelegenheiten für die Gäste, die auf einen freien Tisch warteten. Bart Kendall saß in einem Sessel auf der Veranda und erwartete sie. Als sie eintraf, stand er auf. Der stämmige junge Mann mit gepflegtem rötlichem Bart und freundlichen blauen Augen trug ein lässiges Hemd, eine Sportjacke und eine olivfarbene Hose.

»Hattest du Probleme, das Restaurant zu finden?«, fragte er.

»Nein. Es gab nur keinen Parkplatz, aber ich fand einen in der Nähe.«

Die Eingangstür wurde geöffnet, und eine junge Frau erschien. »Mr Kendall? Ihr Tisch ist jetzt frei.«

Bart hielt Hana die Tür auf, und sie folgten der Bedienung zu einem Tisch für zwei an einem Fenster, durch das man auf einen kleinen Blumengarten hinaussah. Selbst im Dämmerlicht leuchteten die Blüten noch in späten Frühlingsfarben.

»Sehr hübsch hier«, sagte Hana, als sie sich setzten. »Warst du schon mal hier?«

»Ja, ich hab es bei einem Fotoshooting entdeckt«, erwiderte Bart. »Wir haben vor ein paar Wochen in dem Garten einen Werbespot gedreht. Ich kam dann zum Essen her, und es hat mir gefallen.«

Ein Kellner brachte Wasser und reichte ihnen die Speisekarte.

»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Bart, nachdem der Kellner gegangen war. »Lass mich sofort wissen, wenn ich etwas Dummes sage, ja?«

»Was meinst du?«

»Ich bin genug in der Welt herumgekommen, um zu wissen, dass nicht jeder die Dinge so sieht wie wir Amerikaner. Als ich vor ein paar Jahren in Europa war, habe ich so viele Fettnäpfchen getroffen, dass ich schon Angst hatte, die Franzosen würden mich des Landes verweisen.«

»Was hast du gemacht?«

Bart erzählte zwei Geschichten, die Hana so zum Lachen brachten, dass sie die Serviette vor den Mund halten musste. Sie sprach Französisch und konnte daher ermessen, welche Bedeutung sein kleiner Fehler gehabt hatte.

»Es muss verrückt sein, ständig zwischen allen möglichen Sprachen hin- und herzuspringen«, sagte er.

»Ja. Manchmal ermüdet es mich.«

»Warst du mal in Frankreich?«

»Nur einmal kurz in Paris. Aber in Beirut war ich sehr oft, und meine Familie stammt ursprünglich aus dem Libanon. Der stand lange unter französischer Verwaltung, und in Beirut gibt es ein Gebiet entlang der Küste, das wie eine Miniaturausgabe von Paris ist. Aber heute sind der Libanon und Beirut ganz anders als zu der Zeit, als mein Großvater dort auf die amerikanische Schule ging. Die politische Situation ist seit Jahren ein einziges Chaos.«

»Gibt es irgendein Fleckchen im Nahen Osten, wo das nicht so ist?«, fragte Bart. »Musste deine Familie wegen politischer Unruhen den Libanon verlassen?«

»Nein, meine Vorfahren gingen schon vor vierhundert Jahren fort, als das Gebiet von Istanbul bis Kairo zum Osmanischen Reich gehörte. Sie zogen nach Nazareth.«

»Wow. Das ist lange her.«

»Nicht nach den Maßstäben im Nahen Osten. ›Alt‹ bedeutet dort Jahrtausende, nicht Jahrhunderte.«

»Warum nach Nazareth?«

»Das war sehr naheliegend, denn in Beirut gab es Christen und in Nazareth auch. Die Religionszugehörigkeit bestimmte alles. Im Osmanischen Reich waren die arabischen Christen ›Dhimmi‹, Bürger zweiter Klasse in einer vorwiegend muslimischen Gesellschaft. Sie mussten eine Sondersteuer zahlen und durften kein Pferd und keine Waffen besitzen und bestimmte Berufe nicht ausüben. In Gebieten, in denen mehr Christen lebten, war es weniger restriktiv.«

Der Kellner brachte die Salate, und in den folgenden Minuten gab Hana wie schon so oft einen knappen Überblick über die Geschichte des Nahen Ostens. Jetzt unterbrach sie sich. »Interessiert dich das überhaupt?«

»Absolut. Genau darüber wollte ich gern mehr erfahren. Aber nach allem, was ich gelesen habe, wurden Nichtchristen im Mittelalter in Europa genauso schlecht behandelt oder sogar noch schlechter.«

Die Hauptgerichte kamen, und Bart sprach ein kurzes Tischgebet, bevor sie mit dem Essen begannen.

»Was mich interessiert«, fuhr Bart fort, »wie ist die Situation von arabischen Christen heute, verglichen mit dem Leben unter den osmanischen Türken.«

»Was weißt du denn bis jetzt über das Leben in Israel?«, fragte Hana.

»Vor allem das, was ich online gelesen habe. Offensichtlich drehen sich beide Seiten seit Jahrzehnten im Kreis, und an der Situation ändert sich nicht wirklich etwas.«

»Das stimmt«, sagte Hana und nickte. »Aber es gibt immer mehr arabische Christen, vor allem in meiner Generation, die sich als Israelis verstehen, auch wenn wir keine Juden sind.«

»Ach, tatsächlich?« Bart wirkte überrascht.

Hana berichtete ihm von den zwei Jahren ihrer Tätigkeit am Flughafen und dass sie als israelische Staatsbürgerin von der freien Gesundheitsfürsorge und einem guten Bildungsangebot profitiert hatte.

»Unsere Familie ist unternehmerisch tätig«, sagte sie. »Mein Vater und sein Bruder haben beide ihr eigenes Geschäft, und meine Eltern hätten mir eine gute Schulbildung bezahlen können, aber es war natürlich großartig, dass ich ihnen diese Last nicht aufbürden musste.«

»Du bist aber die Ausnahme, oder?«, fragte Bart. »Die meisten Araber unterstützen die Existenz eines jüdischen Staates im Nahen Osten nicht.«

»Es gibt vierhundert Millionen Araber in der Welt, und ich bin sicher, die meisten davon sind Gegner eines jüdischen Staates. Aber wenn du die Araber meinst, die tatsächlich in Israel leben, ob nun Christen oder Muslime, nun, viele erkennen durchaus die Vorteile, die sie haben, weil sie dort leben. Die westlichen Medien konzentrieren sich fast gänzlich auf die, die grundsätzlich dagegen sind, dass Israel überhaupt existiert. Aber wenn du die Wahl hättest, ob du unter einem säkularen arabischen Diktator leben möchtest, der für alle Aspekte des Lebens das Scharia-Gesetz einführt, oder in einer Demokratie mit Religions-, Presse-, Redefreiheit etc. – was würdest du wählen.«

»Die Demokratie natürlich.«

»Und das gilt insbesondere für christliche Araber wie mich.«

Hana wandte sich wieder ihrem Essen zu. »Bist du sicher, dass du überhaupt so viel hören willst?«, vergewisserte sie sich.

»Als ich dich fragte, ob wir essen gehen, habe ich dir gesagt, dass ich mehr erfahren will. Du hast die Dinge in ein anderes Licht gerückt.«

»Das heißt nicht, dass Israel perfekt ist«, sagte Hana, nachdem sie einen Schluck aus ihrem Wasserglas genommen hatte. »Die arabischen Gebiete werden nicht im selben Maß gefördert wie die jüdischen, und das ist nicht richtig. Und ich bin auch schon in Situationen gewesen, in denen ich böse Blicke und Kommentare abbekommen habe, wenn Juden in der Mehrheit waren. Das ist sehr verletzend, denn schließlich bin ich eine loyale Staatsbürgerin. Aber selbst mit seinen Fehlern ist Israel das einzige Land im Nahen Osten, wo der christliche Bevölkerungsanteil wächst. Die Zahl der Christen im Gazastreifen ist verschwindend gering, und in der Westbank, die die palästinensischen Behörden kontrollieren, schrumpft sie seit Jahren. Christliche Araber aus den palästinensischen Autonomiegebieten wie Bethlehem verlassen das Land in Scharen, um in Europa oder den USA ein besseres Leben zu finden.«

»So wie du?«

»Nein«, erwiderte Hana mit Nachdruck. »Ich bin nur vorübergehend in den Staaten. Ich liebe meine Arbeit, aber meine Wurzeln sind in Israel.«

Sie aßen schweigend weiter. Bart schien bestürzt.

»Was du sagst, ist so anders als das, was der Vikar in meiner Gemeinde angedeutet hat«, sagte er schließlich.

Hana vermutete sofort, was dieser Vikar glaubte. »Ist er der Meinung, dass die Juden in den Absichten Gottes für die Gegenwart und in seinen Plänen für die Zukunft keine Rolle spielen?«

»Na ja, so was in der Art.«

»Ich verstehe die Bibel anders. Es gibt Verheißungen, die man mehrfach anwenden kann. Zuerst auf die Juden, dann auf die Kirche. Alles andere verzerrt die Wahrheit. Stell dir vor, wie schwer es für eine Araberin wie mich ist, anzuerkennen, dass die Juden in gewisser Weise bis heute Gottes erwähltes Volk sind. Aber das Wunderbare ist: Weil ich an den jüdischen Messias glaube, bin ich ebenfalls erwählt.«

»Ich glaube, es reicht«, sagte Bart und hob die Hand. »Ich weiß, ich habe danach gefragt, aber mit dir zu reden ist, als tränke man aus einem Hydranten.«

»Oh, tut mir leid …«

»Nein, nein. Ich kann nur sagen, du hast dich wirklich intensiv mit dem allen beschäftigt.«

»Ich musste. Für mich ist das alles keine Theorie. Es betrifft mein ganzes Leben.«

Nach dem Essen brachte Bart sie zu ihrem Auto.

»Du hast mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben«, sagte er.

»Mir hat es Freude gemacht, mit dir zu reden.«

»Nein, du verstehst nicht, was ich meine.« Verlegen blickte er zur Seite.

»Was meinst du denn?«

Bart fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. »Es tut mir wirklich leid, Hana. Ich wollte dich eigentlich um Hilfe bei einer Videoproduktion bitten.«

»Was für ein Video?« Hana verstand nicht.

»Ich arbeite für eine Pro-Boykott-Gruppe in Atlanta«, gestand er. »Ich dachte, das wäre mal eine nette Abwechslung vom Schönheitsbetrieb. Der Vikar, den ich erwähnte, unterstützt das Selbstbestimmungsrecht für Palästinenser, und er hat mir nahegelegt, das auch zu tun. Ich dachte, du als wortgewandte, attraktive Araberin, die in Israel gelebt hat, könntest die perfekte Stimme in meinem Video sein.«

Hana blieb der Mund offen stehen. Die propalästinensische Boykott-Kampagne propagierte den Boykott israelischer Waren, die Eigenständigkeit der Palästinensergebiete und eine Reihe von Sanktionen, die alle darauf zielten, der israelischen Wirtschaft zu schaden und Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Das Phänomen existierte weltweit, und in Hanas Augen hatte es einen Beigeschmack von Antisemitismus.

»Ein Video für Boykott-Gruppen?«, stammelte sie. »Das würde ich nie tun.«

»Es wird sehr gut bezahlt, aber jetzt frage ich mich, ob ich damit das Richtige tue.«

Hana konnte es nicht fassen. »Meine Meinung kennst du ja inzwischen.«

Immer noch perplex stieg sie in ihr Auto und saß ein paar Minuten einfach da. Sie fragte sich, ob sie irgendetwas anders dargestellt hätte, wenn sie gewusst hätte, welche Hintergedanken dieser Typ in Wirklichkeit hatte. Nun, sie war mit dem, was sie gesagt hatte, offen und aufrichtig gewesen, er dagegen nicht.

Der Auftrag

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