Читать книгу Der Auftrag - Robert Whitlow - Страница 15
Kapitel 6
ОглавлениеJakob saß in der lärmenden Sportbar vor einem kalten Bier. Die NBA-Play-offs liefen, aber Jakob war nicht daran interessiert. Seine europäischen Wurzeln waren tief genug, sodass er ein eingefleischter Fußballfan war. Ben Neumann war heute Morgen gegangen, ohne sich zur Finanzierung des Prozesses zu verpflichten. Der Versuch, einen unwilligen Mandanten davon zu überzeugen, vor Gericht zu gehen, war schwerer, als ein Seil eine Rampe hinaufzuschieben. Jakobs Handy zeigte einen Anruf an: Ben.
Jakob ließ sein Bier stehen, ging nach draußen und hielt das Handy ans Ohr.
»Hey, tut mir leid, Sie nach Geschäftsschluss noch anzurufen, aber ich weiß, Sie brauchen eine Antwort für Mr Lowenstein. Ich habe Glorias Eltern angerufen und die Situation mit ihnen besprochen. Ihr Vater war schon immer dafür, vor Gericht zu gehen, aber ihre Mutter ist – wie Gloria es war – die Pragmatische von den beiden. Sie befürchtet, wenn wir uns jetzt mit einer terroristischen Organisation anlegen, könnte das Sadie in Gefahr bringen.«
Über Sadies Sicherheit hatte Jakob sich auch schon Gedanken gemacht. Doch er war ein Kämpfer, der sich dem Feind stellen wollte.
»Glorias Vater hat noch eine Frage«, fuhr Ben fort. »Würde die Regierung sich einschalten, wenn wir eine Terrorzelle aufspüren, die noch nicht auf der Liste der Gefährder steht?«
»Vielleicht, aber ich bezweifle, dass sie unseren Fall direkt unterstützen würden. Ihr Interesse gilt eher der nationalen Sicherheit.«
Ein offensichtlich angetrunkenes Pärchen wankte an Jakob vorbei zu einem gelben Sportwagen. Wer von beiden auch immer vom Parkplatz fahren würde, provozierte einen Unfall geradezu.
»Glorias Vater wäre bereit, 10 000 Dollar zu den Kosten beizusteuern«, sagte Ben. »Wenn er das tut, bin ich mit einem Teil der verbleibenden Restsumme aus der Versicherung ebenfalls dabei.«
»Großartig.«
»Es gibt noch eine Bedingung«, fügte Ben hinzu. »Glorias Eltern wünschen, dass Sadies Name keinesfalls in irgendwelchen Akten auftaucht, die bei Gericht vorgelegt werden.«
»Das können wir nicht zusagen«, erwiderte Jakob rasch. »Unser Schadensmodell würde zu einem sehr großen Teil Sadies Verlust betreffen. Wenn wir das außer Acht lassen, dann bleiben nur noch Sie als Geschädigter.«
»Ich habe viel verloren.«
»Das will ich auf gar keinen Fall kleinreden. Aber für die Sympathie, die ein Gericht für ein kleines Mädchen aufbringt, dem man auf grausame Weise seine Mutter genommen hat, gibt es keinen Ersatz. Und Sadie ist diejenige, die auch die physischen Narben trägt, die lauter sprechen als …«
»Nein, das ist nicht verhandelbar«, unterbrach Ben. »Ich habe mir die Argumente meiner Schwiegermutter angehört, und ich stimme ihr zu. Ich möchte Sadie so weit wie möglich aus dem Fall heraushalten. Ihr Name darf auch nicht erwähnt werden, wenn Sie das Überwachungsvideo irgendwo zeigen.«
»Das Gericht wird wissen wollen, was bei dem Angriff mit ihr passiert ist«, protestierte Jakob.
»Dafür können sie mich als Zeugen befragen.«
Jakob schwieg und versuchte, rasch ein Gegenargument zu finden. Ihm fiel keins ein.
»Ich werde Leon Lowenstein davon unterrichten müssen«, warnte er Ben. »Vergessen Sie nicht, die Partner seiner Kanzlei müssen zustimmen, und wenn wir Sadie aus dem Fall heraushalten, wird das ihre Entscheidung höchstwahrscheinlich beeinflussen.«
»Dann ist es besser, das zeigt sich jetzt als später.«
Jakob trat den taktischen Rückzug an. »Okay, Sie sind der Boss. Sobald ich die 20 000 Dollar von Ihnen und Glorias Eltern auf meinem Treuhandkonto habe, rufe ich Mr Lowenstein an.«
»Schicken Sie mir eine SMS mit den Bankdaten, und morgen haben Sie das Geld«, sagte Ben. »Und vielen Dank noch mal für Ihre Geduld und Ihr Verständnis dafür, dass ich alles gut überlegen muss.«
Getreu dem Wort, das Anwar ihr mitgegeben hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war, wachte Hana häufig nachts auf, um zu beten und den Herrn zu suchen. Dass sie am Morgen müde sein würde, kümmerte sie nicht. Stattdessen schlüpfte sie voller Erwartung, was die Nachtwache für sie bereithalten würde, aus dem Bett.
Es gab historische Vorbilder für Hanas nächtliches Wachsein. Während eines großen Teils der Menschheitsgeschichte war es für die meisten Menschen normal, dass ihr Schlaf unterbrochen wurde. Die Erfindung des elektrischen Lichts verschob die Schlafenszeit immer weiter nach hinten, und die Menschheit gewöhnte sich an eine einzige Schlafeinheit innerhalb von 24 Stunden. Hana bevorzugte den Rhythmus von früher.
Es war 2.22 Uhr, als Hana aufwachte. Die Straße vor dem Haus war menschenleer. Nach den ersten Stunden erholsamen Schlafs war ihr Kopf frei, ihr Geist klar. Manchmal lief sie beim Beten durch das Haus. Oder sie saß auf dem Sofa im Wohnzimmer, las in der Bibel oder hörte Musik. Oft saß sie einfach nur in erwartungsvollem Schweigen da.
Heute Nacht dachte sie an Anwar. Er hatte eine tiefe Beziehung zu Gott, und ihn umgab eine Aura des Respekts. Hana hatte oft genug miterlebt, wie groß sein Einfluss auf andere war, auch ohne dass er etwas sagte. Stolze Menschen wurden in seiner Nähe bescheidener, bescheidene erhielten Selbstvertrauen.
Hana zog den Morgenmantel über ihr Nachthemd und setzte sich auf ein kleines Sofa, das mit samtigem blauem Stoff bezogen war. Sie zog die Beine hoch und schaltete eine Lampe an, die ein sanftes Licht verbreitete. Hana griff zu einem Tagebuch, das auf einem Tischchen lag, und schlug eine neue Seite auf. Sie setzte Anwars Namen oben auf die Seite und begann zu schreiben und zu beten, dass er seine Lebenszeit ganz ausschöpfen und dann friedlich in die Ewigkeit hinübergehen würde. Sie betete auch, dass sie den Grund, warum er ihren Namen genannt hatte, noch erfahren würde. Dann wandte Hana ihre Gedanken ihrer restlichen Familie zu. Die Liste der Verwandten, die auf ihr Gebet warteten, war lang, aber dann kam ihr plötzlich ein anderes Mädchen in den Sinn – Sadie Neumann.
Bei der Erinnerung an das Bild von Sadie in dem Überwachungsvideo stiegen Hana Tränen in die Augen. Jeder, der ein empathisches Herz besaß, würde Mitgefühl mit Sadie empfinden, aber Hanas Trauer fühlte sich an wie etwas Persönliches. Sie umklammerte ihren Stift fester, aber sie schrieb kein Gebet. Stattdessen breitete sie in ihrer Vorstellung die Arme aus, um das kleine Mädchen, dem sie noch nie persönlich begegnet war, zu umarmen. Sie schloss für einen Moment die Augen und sprach ein Gebet. Mit einem Seufzer des Mitgefühls machte sie einen schlichten Eintrag in ihr Tagebuch: »Habe für Sadie Neumann gebetet – möge sie Heilung, Trost und den Frieden, der höher ist als alle Vernunft, finden.«
Kurz nach der Morgendämmerung erwachte Hana zum zweiten Mal. Sie mahlte Kaffeebohnen und machte sich einen starken Espresso. Manchmal goss sie auch einen traditionellen arabischen Kaffee auf, der mit Kardamom gewürzt wird, aber normalerweise brauchte sie nur einen einfachen Koffeinstoß. Später im Büro trank sie vielleicht noch eine Tasse, aber der Kaffee dort war anders als der, den sie sich selbst zubereitete. Während sie ihr Frühstück aß – Joghurt mit frischem Obst und süßem Gebäck –, sah sie sich im Computer die israelischen Nachrichten an.
Eine normale Arbeitswoche hatte für eine Anwältin in ihrer Position als Einsteigerin fünfzig bis sechzig Arbeitsstunden. Nachdem das Softwareprojekt in Israel nicht mehr oben auf der Prioritätenliste stand, konzentrierte Hana sich jetzt auf die Vertragsgestaltung zwischen einer israelischen Öl- und Gasfirma, die einen amerikanischen Partner suchte. Kurz vor Mittag stand sie auf und rieb sich die Augen. Es klopfte an der Tür. Gladys Applewhite wollte sie sprechen.
»Ich bin froh, dass Sie noch da sind«, sagte die untersetzte grauhaarige Frau mit dem aristokratischen Südstaatenakzent. »Ich hoffe, Sie haben noch keine Pläne für das Mittagessen? Mr Lowenstein und Mr Collins möchten, dass Sie zu ihnen kommen. Sie beenden gerade einen Brunch in Konferenzraum D.«
»Brauche ich meinen Laptop?«
»Ich habe nur Anweisung, Sie hinzubringen.« Gladis ging ihr voran zu einem kleinen Konferenzraum im Inneren des Gebäudes. Der Raum war fensterlos und sparsam ausgestattet. Abstrakte Kunst hing an den Wänden. Es gab zehn Stühle rund um einen Konferenztisch mit Glasplatte.
»Hana, ich bin froh, dass Gladys Sie noch erwischt hat«, sagte Lowenstein, als sie eintrat. »Kommen Sie. Bedienen Sie sich.«
Hana nahm einen halben Toast und legte ihn auf ihren Teller.
»Bitte setzen Sie sich doch ans Kopfende. Jim und ich werden auf beiden Seiten sitzen.«
Mit einem mulmigen Gefühl setzte Hana sich in einen großen Sessel, der sie zu verschlucken drohte. Sie warf einen Blick auf Mr Collins, dessen Gesichtsausdruck nicht verriet, was er dachte.
»Die Teilhaber haben sich heute Morgen getroffen«, sagte Collins. »Auf der Tagesordnung stand auch der Fall Neumann.«
Diese Nachricht war zwar kein Schock für Hana, aber sie war doch überrascht, wie schnell sich die Dinge entwickelten. Sie nickte zustimmend, während sie ein Stück von ihrem Toast abschnitt.
»Jakob Brodsky und sein Mandant haben die finanziellen Bedingungen erfüllt, die ich ihm gestern genannt habe, nachdem Sie gegangen waren.« Lowenstein erklärte, wie diese Bedingungen aussahen.
»Aber das war nicht das Ende des Gesprächs«, ergänzte Collins und warf seinem Partner einen Blick zu. »Nach einer längeren Diskussion herrschte Übereinstimmung am Tisch, dass die Kanzlei sich nicht an diesem Fall beteiligen sollte, es sei denn, Sie wären bereit, dabei eine größere Rolle zu spielen.«
Hana würgte überrascht den Toast hinunter und spülte mit etwas Wasser nach. »Entschuldigung«, stieß sie hervor.
»Andere Kollegen aus der Kanzlei werden diesen Fall ebenfalls unterstützen«, sagte Lowenstein. »Aber Sie haben eine Schlüsselrolle. Ich weiß, es fiel Ihnen nicht leicht, das Video von dem Angriff anzusehen. Selbst für mich war es heftig. Und gerade, weil wir beide so reagiert haben, ist es wichtig, dass die Leute, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden sollten.«
»Wir sind nicht der Meinung, dass dies eine Sache ist, die wir einfach anordnen können«, sagte Collins. »Ein Fall dieser Art war für Ihre Tätigkeit gar nicht vorgesehen. Wir sagen unseren Associates nicht selten, was sie zu tun haben – ohne Rücksicht auf persönliche Gefühle. Aber in diesem Fall wäre das falsch.«
Hana war äußerlich ruhig und professionell. Aber ihr Herz schlug so schnell, dass es ihr in den Ohren klang.
»Also habe ich eine Wahl?«, fragte sie mit einem Blick auf Lowenstein.
»Ja«, antwortete Collins. »Auch wenn Leon, der nur an sehr hohen Feiertagen in die Synagoge geht, etwas in der Art erwähnt hat, Gott habe Sie für genau diese Situation in die Kanzlei gebracht.«
»Und wie viel Zeit verbringst du in der Kirche?«, schoss Lowenstein zurück.
»Nicht genug, um den Namen des Herrn in einer Teilhaberversammlung anzurufen«, erwiderte Collins schroff.
Der Schlagabtausch zwischen den beiden gab Hana Zeit, um ihre Fassung wiederzugewinnen. »Was meinen Sie mit einer größeren Rolle?«
»Vor allem im Rahmen der Ermittlungen«, antwortete Lowenstein. »Sobald wir einen zahlungskräftigen Beklagten in einem amerikanischen Gerichtssaal haben, wird es ein Heimspiel, und unsere Prozessanwälte übernehmen. Sie sprechen Arabisch, Hebräisch, Englisch …«
»Und Französisch«, ergänzte Collins. »Wir Amerikaner mit unseren sprachlichen Begrenzungen sind wirklich jämmerlich.«
»Ich kann kaum genug Französisch, um die Speisekarte in einem gehobenen Restaurant zu verstehen«, sagte Lowenstein lächelnd. »Jedenfalls würden Sie die rechtlichen Aspekte der Investigation überwachen und alle notwendigen Aktionen und Schriftsätze in Israel anstoßen, um Informationen zu beschaffen.«
»In meiner juristischen Tätigkeit in Israel war ich nur für die unteren Instanzen zuständig«, erwiderte Hana.
»In dem Fall können Sie sich vor Ort die Hilfe eines israelischen Kollegen sichern.«
Hana fühlte sich, als stünde ihr das Wasser bis zum Hals. Der emotionale Stress, den der Neumann-Fall ohnehin schon bedeutete, würde noch dadurch verstärkt werden, dass sie auf unvertrautem juristischem Terrain agieren müsste.
»Und wir werden ganz sicher einen oder auch mehrere Privatermittler engagieren«, ergänzte Lowenstein. »Sie wären Ihnen unterstellt.«
»Was würde Jakob Brodsky tun?«, fragte sie.
Lowenstein hustete und räusperte sich. »Sich so weit wie möglich im Hintergrund halten. Er wäre nur gerade so weit involviert, um eine kleine Gehaltszahlung an ihn zu rechtfertigen. Nach unserem gestrigen Meeting habe ich Gladys gebeten, alle Informationen über ihn zusammenzutragen. Er übernimmt jede Menge Fälle, die kein Anwalt mit einer anständigen Mandantenliste auch nur mit dem kleinen Finger anpacken würde.«
»Niemand wollte Ben Neumann helfen«, bemerkte Hana.
»Brodsky steckt außerdem bis zum Hals in Schulden und kommt finanziell gerade eben zurecht. Ich bin überrascht, dass er die Summe für die Vorauszahlung aufgebracht hat, die wir verlangt haben, um den Fall überhaupt in Betracht zu ziehen.«
»Ich glaube, der Mandant hat die gesamte Summe zur Verfügung gestellt«, wandte Collins ein.
Hana war erstaunt, wie negativ die älteren Anwälte Brodsky gegenüberstanden. Collins sah auf die Uhr.
»Habe ich Bedenkzeit?«, fragte Hana.
»Ja. Wir glauben nicht, dass Brodsky irgendeine andere Kanzlei finden wird, die ihm helfen würde«, erwiderte Lowenstein. »Wie viel Zeit brauchen Sie?«
»Ein paar Tage.«
Lowenstein und Collins sahen sich an. »In Ordnung.«
»Da ist noch etwas, bevor ich Ihnen eine Antwort geben kann«, fuhr Hana fort.
»Und das wäre?«
»Ich muss Sadie Neumann und ihren Vater sprechen.«