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Studentensommer Krakau

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In der DDR war es üblich, dass Schüler und Studenten neben dem Unterricht Pflichtpraktika und Arbeitseinsätze absolvierten. Das konnte ein Tag in der Rüben-Ernte bei Leipzig sein, eine ganze Woche Kartoffeln sortieren am Fließband bei Neubrandenburg, Straßenbauarbeiten; alles für eine durchaus gute Bezahlung.

Nur wenige Freunde hatten die Maßnahmen „Zivilverteidigung“ statt Unterricht bzw. ZV-Lager, eine Art vor- bzw. paramilitärische Ausbildung. Beliebt dagegen waren bei den meisten die sogenannten Studentensommer, oft im Ausland und nicht selten an schönen Orten. Wie in meinem Falle in Krakau. Drei Wochen Polen im Sommer, dazu in einer wirklich traumhaften Stadt. Meine Kommilitonen wurden an verschiedenen Arbeitsstellen eingesetzt, ich arbeitete in einer kleinen Gruppe im Botanischen Garten von Krakau, später noch an der altehrwürdigen Universität. Ab 18 Uhr war Freizeit, und die Stadt bietet für Studenten viele Cafés und Kellerklubs. In den Abendstunden herrschte auf dem Rynok, dem Markt, eine tolle, fast schon italienische Stimmung, Blumenstände und junge Leute mit guter Laune. Mindestens so begeistert war ich von etwas anderem. In den Musikgeschäften gab es viele Westplatten, ohne Anstehen wie in Leipzig. Ich deckte mich gleich mit mehreren „Depeche-Mode“-Scheiben ein, dazu diverse Singles wie von der damaligen Hitgruppe „Bananarama“. Dabei ging das meiste Geld drauf, das wir tauschen durften. Am zweiten Abend entdeckte ich dann etwas Unfassbares an den Krakauer Reisebüros: Angebote für Rom, Paris… Ganz normal, ausgezeichnet in polnischen Zlotys. Nicht eben billig, aber man konnte fahren. Wieso war so etwas in der DDR nicht möglich?

In den drei Wochen wurden verschiedene Ausflüge organisiert, aber man konnte auch individuell etwas unternehmen. Die offiziellen Touren gingen nach Zakopane und Auschwitz. Die Fahrt durch die Berge war sehr beeindruckend, zumal die Landschaft damals kaum verschandelt war durch Hotelburgen oder andere Betonklötze. Absolut empfehlenswert für Wanderer, am besten in Kombination mit den slowakischen Bergen auf der anderen Seite der nahen Grenze.

Auschwitz. Ein Ort, den man sich nicht zwangsweise von oben verordnet, sondern in Ruhe freiwillig ansehen sollte. Genau wie Yad Vashem („Hand und Name/Zeichen“) in Jerusalem. Zu DDR-Zeiten war der Besuch des KZ Buchenwald bei Weimar Pflicht für alle Schüler. Schon Ende der 70er Jahre war dort nur noch wenig erhalten geblieben, um das Grauen zu dokumentieren. Anders in Auschwitz. Es ist schwer, die passenden Worte zu finden, um die Eindrücke ohne politische oder moralische Intention wiederzugeben. Man betritt das Lager durch das eiserne Tor mit dem berühmt-berüchtigten Spruch „Arbeit macht frei“. Die Beklemmung steigt mit jeder Baracke, die man betritt. Dabei wirkten die Gebäude von außen sogar harmlos mit ihrem dunkel rot-braunen Anstrich. Die Wege durch das Lager waren exakt, schnurgerade, offensichtlich mit deutscher Gründlichkeit geplant. Wie in Buchenwald sieht man große Öfen, mit offenen Türen. Für viele Besucher der unheimlichste Ort, den man schnell wieder verlassen möchte. Danach kamen drei weitere Baracken, die einem noch viel plastischer vor Augen zeigen, was Auschwitz bedeutet hat. In der ersten Baracke hinter einer Glasscheibe Berge von Koffern. An vielen klebten noch Namensschilder mit deutschen, polnischen und jüdischen Namen. In der zweiten Baracke lagen hinter Glas meterhohe Bündel von Haaren. Stumme Zeugen. In der dritten Baracke Tausende von Brillen…

Ein weiteres interessantes Ziel in der Nähe von Krakau ist Czestochowa/Tschenstochau, die heilige Stadt der polnischen Katholiken. Ich fuhr mit einem Kumpel per Anhalter auf einem Lkw mit; mindestens einen Kilometer vor der Kapelle mit der „Schwarzen Maria“ sahen wir bereits Gläubige, die sich der Kapelle auf Knien rutschend (!) näherten, darunter viele Ältere. Wie sagt man immer zutreffend: der Glaube versetzt Berge. Auch wenn man nicht katholisch ist, hat Tschenstochau einen authentisch-religiösen Charakter und ist nicht wie Lourdes in Südfrankreich ein Pilger-Jahrmarkt.

Die Kontakte mit den polnischen Kommilitonen (und Kommilitoninnen) waren freundschaftlich bis herzlich und keineswegs irgendwie deutschfeindlich (was man ab und zu noch in Frankreich erleben kann). Auch bei meinen Reisen nach 89 habe ich derartiges nie festgestellt. Natürlich sollte man – nicht wegen eines oktroyierten Büßergewandes, sondern einfach aus Respekt – in Polen nicht auf die großdeutsche Pauke hauen, aber die Polen sind uns ähnlicher als wir denken. Bedenkt man allein, dass etwa 15% der Menschen in Deutschen vom Namen her einen polnischen Migrationshintergrund besitzen. Fährt man heute von Dresden oder Cottbus Richtung Polen, stehen auf den Autobahnschildern hinter der Grenze die ehemaligen deutschen Städtenamen wie Breslau oder Oppeln. Das war vor 20 Jahren noch nicht so. Auch in den Masuren, im alten Ostpreußen, wird derjenige nicht argwöhnisch beäugt, der auf den Spuren von damals unterwegs ist. Viele Polen sprechen deutsch, nicht nur diejenigen, die sich auf deutsche Gäste eingestellt haben. Eine Stadt wie Danzig ist hier auch international, genau wie Warschau, dessen im Krieg auf persönlichen Befehl Hitlers total zerstörte Altstadt wunderschön restauriert wurde.

Der einzige Ort, für den in Polen aus verständlichen Gründen nicht geworben wird als Touristenattraktion, ist die „Wolfsschanze“ bei Ketrzyn/Rastenburg, nicht mehr so weit weg von der russischen Grenze und Königsberg. Es ist nichts ausgeschildert, und an der Landstraße Richtung „Wolfsschanze“ zweigt ein unscheinbarer Waldweg ab, dessen kleines Hinweisschild man leicht übersehen kann. Ich musste auch zweimal aussteigen, um einen Fahrer aus „J“ und einen aus „C“ zu fragen. Sie hatten sich auch verfahren, am Ende trafen wir uns wieder auf dem Waldparkplatz der „Wolfsschanze“.

Ist man historisch interessiert, lohnt sich der Besuch durchaus. Zu sehen ist aber nicht mehr viel. Die Atmosphäre im dicht bewaldeten Gelände wirkt sehr düster, unnahbar, fast dschungelartig. Die umgestürzten und zum Teil zerbombten Betonstücke liegen wie Riesen in der Gegend herum. Überall Moos und überwachsene Steine. Es ist ein unheimlicher Ort, schon ohne den geschichtlichen Kontext. Wenn man auf den traumhaften Alleen der Masuren unterwegs ist, kann man diesen Ort besuchen, muss es aber nicht. Lohnender ist zum Beispiel Frombork mit der Kopernikus-Kirche oder auch eine Stadt in Zentral-Polen, die nur von wenigen Deutschen besucht wird: Thorn/Torun, zwischen Posen und Danzig. Oder man besucht den wunderbar restaurierten Marktplatz von Breslau und wohnt dort unweit im „Jana Pawla II“, dem „Papsthotel“ auf der kleinen Insel am Dom.; und natürlich das aufstrebende Warschau mit der Altstadt, dem hochinteressanten „Museum des Warschauer Aufstandes“ und vielleicht auch die kleine restaurierte Straße des Ghettos im Zentrum. Polen lohnt sich schon deshalb, weil es auch Teil der deutschen Geschichte ist.

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