Читать книгу Das ungelobte Land - Roland Kühnel - Страница 7
Gemeinschaftsantenne
ОглавлениеJeder tat es, aber niemand sprach darüber. Zumindest in den 70-er und teilweise noch in den 80-er Jahren. Westfernsehen zu schauen war zwar offiziell nicht verboten, aber man konnte Nachteile erlangen, wenn man bestimmte Dinge, die man dort sah, zum Besten gab. Zum Beispiel an der Uni. ´Das hab ich in der Tagesschau gesehen´, ging nicht an der Schule. Oder ein Interview-Zitat aus „Kontraste“, dies ging schon gar nicht, geschweige denn eine nicht konforme wissenschaftliche Quelle in der Diplomarbeit. Natürlich war es in der DDR immer entscheidend, was man zu verlieren hatte. Ein Handwerker hatte eher Aufträge, ein Übersetzer bei „Fehlverhalten“ eventuell keine mehr.
Zunächst bestand erstmal das technische Problem, Westfernsehen empfangen zu können (außer „ard“, außer Raum Dresden, im „Tal der Ahnungslosen“). Ich bin als Kind aufgewachsen mit zwei Programmen, DDR 1 und DDR 2. (Zappt man sich heute durch 35 oder mehr Programme, ist die Auswahl relativ gesehen auch nicht so viel besser.) Zuerst nur schwarz-weiß, dann gab es Farbfernseher für 6200 DDR-Mark, ein Vermögen. Dafür musste eine Kellnerin in der „Mitropa“ oder eine Näherin bei „Malimo“ lange arbeiten.
Zurück zum Empfang: es existierten in der DDR sogenannte Gemeinschaftsantennen, nicht vom Staat gefördert, aber auch nicht behindert (das war in den 50-er Jahren noch anders). Ein technisch versierter Nachbar oder Handwerker installierte auf dem Dach eines Mietshauses eine – übrigens nicht zu übersehende - Antenne, mit der man dann mehrere Westprogramme empfangen konnte. Dabei war wichtig, in welche Richtung die Antenne ausgerichtet war, in welcher Region der DDR man lebte - und wie das Wetter war. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie bei Schnee im Winter das ZDF-Bild immer grieselte oder ganz verschwand. Als Verstärker oder Zweitantenne gab es noch in den 60-er Jahren Zimmerantennen, die auf dem Fernseher oder der Schrankwand standen. Falls das Bild schlechter wurde, musste einer mit der Antenne in der Hand durch das Zimmer gehen, und ein anderer dirigierte den Antennenhalter in die richtige Richtung.
Mit der Gemeinschaftsantenne konnten wir dann den „Klassenfeind“ bei ARD und ZDF in meist guter Qualität empfangen, später dann noch N3. Seit dieser Zeit hatte man sonntags die Wahl zwischen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Samstag war „Kuli“ Pflicht, „Einer wird gewinnen“ oder Rudi Carell, „Am laufenden Band“. Und natürlich Bundesliga. Seit den 70-er bin ich dann auch durchs Westfernsehen Fan von Borussia Mönchengladbach geworden.
Im Unterschied zu heute gab es in der DDR keine Fernbedienung. Man musste also jedes Mal aufstehen, wenn man umschalten wollte. Gut, bei zwei Programmen kommt das nicht so häufig vor, und heute wäre es für manche dicke „Couch-Potatoes“ wenigstens eine sportliche Übung am Tag. Dies wurde anders mit der Einführung des Privatfernsehens. Eine Abundanz von Programmen, RTL, Sat1 sowie Bayern 3. Mehr als sechs Programme. Das hieß, dass man sich an der Programmierung am Fernseher entscheiden musste. Der DDR-Farbfernseher hatte sechs silberne Knöpfe, dazu hinter einer Klappe Drehrädchen, mit denen das Programm zentriert wurde. Mehr Programme hieß mehr Laufen zum Fernseher.
Soweit das Technische. Aber was sah ein normaler DDR-Bürger in der Glotze? Ich glaube, nichts wesentlich anderes als ein Bundesbürger, was die Westsendungen betraf. Ein Sonderfall war hier eine Serie, quasi die vorweggenommene Einheit am Bildschirm: „Dallas“ mit dem bösen J.R. und der armen Sue Ellen. Dienstag 21.45 Uhr durfte man niemanden stören oder anrufen (falls Telefon vorhanden). Mittwoch früh wurde dann in der Straßenbahn oder auf Arbeit diskutiert, welche fiesen Tricks J.R. diesmal hatte, und der gute Bobby, die verwirrte Pamela, der glücklose Cliff Barnes… Die Nachfolgeserie von 2012/13 sehe ich hier mit etwas Nostalgie.
Wie eine Serie von einem anderen Stern wirkte wohl für die meisten Deutschen in Ost und West „Miami Vice“, mit videoartigen Szenen, besonders coolen Typen, schnittigen Autos, und Bildern einer Stadt, die für DDR-Bürger weiter entfernt war als der Mond. („Ich geh vom Nordpol zum Südpol zu Fuß…“, ein Riesenhit in der DDR von Frank Schöbel und damals genauso utopisch wie ein Ferrari in Cottbus.)
Ein ähnliches gesamtdeutsches Phänomen waren auch „Schimanski“, Oberinspektor „Derrick“ oder bestimmte Serien wie „Magnum“, die „Schwarzwald-Klinik“ (nicht so mein Fall) und das „Traumschiff“ (für die DDR-Bürger mit Sicherheit). Mit manchen Serien wird man auch älter und alt, so mit „SOKO 5113“, dem „Alten“, „Ein Fall für Zwei“ und seinem unverwüstlichen Detektiv Matula (bis 2013). Auch manche Moderatoren begleiten einen ein Leben lang. Gab es eigentlich jemals ein Fernsehen ohne Günter Jauch und Thomas Gottschalk? Beide werden wohl, wie Johannes Heesters, bis es nicht mehr geht auf dem Bildschirm erscheinen.
Es war nicht alles schlecht, dies gilt durchaus auch fürs DDR-Fernsehen, vergleicht man es mit den vielen Talkshows und Trash aller Art heutzutage. „Willi Schwabes Rumpelkammer“ montags, alte UFA-Filme, viele liefen nicht im Westfernsehen. „Ein Kessel Buntes“ mit den drei Dialektikern, das war stellenweise witzig und originell; es traten auch viele internationale Stars auf. Ich erinnere mich auch an schöne DDR-Märchen, spannende Serien wie „Daniel Boone“ oder Indianerfilme mit Gojko Mitic. Dann gab es richtig gutgemachte rumänische Krimis mit Kommissar Roman und historische Serien wie „Römer, Daker, fremde Götter“. Oder eine großartige Serie wie „Washington hinter verschlossenen Türen“. Solide und spannend auch eigene Kundschafter-Serien wie das „Das unsichtbare Visier“, auch wenn sie ideologisch ausgerichtet waren (aber sind es die Bond- oder Rocky-Filme nicht?). Kundschafter waren dabei stets die guten Spione aus dem Osten, die bösen Finsterlinge aus dem Westen waren Spione. Nicht weniger spannend die polnische Reihe „Sekunden entscheiden“ mit Hauptmann Kloss. Andere Serien waren vielfach selbstironisch wie „Vier Panzersoldaten und ein Hund“ oder die tschechische Endlos-Serie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“.
In Retrospektiven wird heute oft behauptet, dass DDR-Fernsehen wäre vor allem politisch gewesen. Zunächst wurde wirklich niemand à la Orwell gezwungen (außer bei der Armee), politische Sendungen wie die „Aktuelle Kamera“ oder stundenlang SED-Parteitage zu verfolgen. Ja, es gab den „Schwarzen Kanal“ mit dem TV-Ideologen Karl-Eduard von Schnitzler, den ich mir als „alter“ Antikommunist mit 16 oder 17 ab und zu sogar angesehen habe. Ansonsten kann ich mich nicht erinnern, dass im Abendprogramm dauernd politische Magazine liefen. Wie heute konnte man einfach abschalten, wenn man die Jubel-Berichte oder bestellte Interviews nicht ertrug. Und dürfen Journalisten heute über alles berichten und immer ihre Meinung vertreten? Gibt es Journalisten im Fernsehen, die offen das System „Bundesrepublik“ in Frage stellen oder stellen dürften?
Das DDR-Fernsehen war vor allem sportlastig, vom Spitzen- bis zum Breitensport. Ich gebe zu, auch ich habe am Wochenende Adi gesehen: „Mach mit, mach´s nach, mach´s besser…!“ Voller Neid war ich stets auf Chefreporter Heinz-Florian Oertel, der überall hin durfte. Das DDR-Fernsehen ist insgesamt nicht übermäßig spannend gewesen oder Pulitzer-Preis-verdächtig wie oft die BBC, aber was es z.B. nicht gab, ein grauenvolles „Unterschichten“-Fernsehen der privaten Programme heute am Nachmittag und „Heile-Welt“-Serien à la „Sturm der Liebe“ und „Rote Rosen“.
Manchmal gab es sogar eine direkte Konkurrenz und die zuweilen skurrile Diskussion, wer „besser“ ist. Zum Beispiel beim „Sandmännchen“. Selbst dort versuchten einige, ja, Unverbesserliche aus dem Westen, die prinzipiell alles an der DDR schlecht fanden, eine „Staatsnähe“ des „Sandmännchen“ zu konstruieren. Bewiesen werden sollte das u.a. mit einer sowjetischen Kosmonauten-Mütze…
Abschließend sollte man durchaus nochmals betonen, dass die Menschen im Osten auch das DDR-Fernsehen sahen, weil manchmal der Eindruck vermittelt wird, die Menschen hätten nur „Westen“ geschaut. Es ist ein bisschen wie heute, wo niemand zugibt, die „BILD“ zu lesen. Es war nicht alles schlecht…
Und das Fernsehen heutzutage? Der Lieblingssender der „Ossis“ soll RTL sein, jener der Sachsen der MDR. Ich schaue schon immer gerne ZDF, obwohl ich noch nicht zur „Kukident-Fraktion“ gehöre, natürlich auch den MDR. Was mich heute am meisten stört, ist dieses häufige Hysterie- und Katastrophenfernsehen. Kein Waldbrand in Südaustralien oder Kalifornien, der nicht tagelang auf dem Bildschirm lodert, keine Woche ohne Ekel-Berichte aus Schweine- und Hühnerställen. Stürme in den USA sind prinzipiell Jahrhundert-, ja Jahrtausendstürme; vor jeder Grippesaison werden Horrorszenarien mit Hunderttausenden Toten an die Wand gemalt. Kein Monat ohne eine neue Pest oder gar Pandemie. Vogelgrippe, BSE, EHEC, Salmonellen, Rinderwahnsinn, Schweinepest, Hühnerpest, Nudeln, Fischstäbchen, Gurken, alles ist mal dran, und die seriösen Professoren vom Robert-Koch-Institut sind immer dabei. Und Wetterberichte. Eine Armada von wahnsinnig witzigen Wetterfröschen erklärt endlos jedes Hoch und Tief, steht mit Gummistiefeln in überschwemmten Straßen oder ohne Mütze am zugigen Nordseestrand.
Wo filmischer Nachholebedarf in der DDR in der Tat herrschte, war das Kino. Da gab es weniger Auswahl als heute, aber auch nicht unbedingt qualitativ. „Der Name der Rose“ stand genauso im Programm wie „Unternehmen Capricorn“. Aber machtpolitisch bedingt auch unzählige Filme aus der Sowjetunion oder der ČSSR mit wunderbaren Titeln wie „Neuralgische Punkte“, „Wir sind alle ein wenig Pferd“, „Dörfchen, mein Dörfchen“, „Moskau glaubt den Tränen nicht“, „Was ist das für ein Soldat“, „Die Leute vom großen Sattel“, „Sieben Hungrige“, „Lauf, Ober, lauf“. Der Renner schlechthin und absolute Stars in der DDR waren drei lustige Typen aus Dänemark, die „Olsenbande“ mit Egon, Benny und Kjeld. Unvergessen die Stimme von Helga Hahnemann als „Yvonne“ sowie „Bööörge“. (An dieser Stelle dürften nur „Ossis“ schmunzeln.) Ein Kassenknüller oder wie man heute sagt, ein „Blockbuster“, war auch „Rette sich, wer kann“, eine sowjetische Komödie um einen falschen Tigerdompteur. Überhaupt sowjetische Filme, jedes Jahr mit einer sicheren Quote am DDR-Kinoprogramm beteiligt, dafür mit meist wenig Publikum, es sei denn, es spielten Weststars mit wie bei „Moskau glaubt den Tränen nicht“. Aus dieser MOSFILM-Zeit stammt vermutlich auch ein gängiger Spruch in der DDR für etwas Unmögliches, Unglaubliches: Das gibt’s in keinem Russenfilm!
Verändert hat sich mein Medienverhalten im Radio. Zu DDR-Zeiten habe ich am meisten „Deutschlandfunk“ und RIAS Berlin gehört. Den DLF als für mich de facto Regierungssender, RIAS als Musiksender. Heute höre ich fast nur noch MDR-Info, den Nachrichtenkanal, auch weil man das immer gleiche Gedudel der anderen Stationen nicht mehr hören kann. 500x am Tag ´das Beste aus den 70-ern, 80-ern und von heute´, oder Quizsendungen früh um sechs, Quasselmoderatoren mit aufgesetzter guter Laune oder mit betont „sächsischen“ Akzent. Dazu Radio-Werbung, noch nerviger als im TV.
Ostalgisch bin ich wie vermutlich nicht wenige andere auch zuweilen, wenn es um Musik von früher geht. Zu DDR-Zeiten war ich Pudhys-Fan, bis heute. Ihr „Alt wie ein Baum“ ist nicht nur für mich fast so etwas wie eine alternative DDR-Hymne gewesen (interessant hier die Parallelen in Deutschland, was das Singen von Hymnen angeht). Oder „City“ mit ihrem Klassiker „Am Fenster“, ein Lied zum Träumen hinter der Mauer. Viele Ostdeutsche dürften sich gerne mit Ute Freudenberg an ihre „Jugendliebe“ erinnern, vielleicht auch an die provokante Nina Hagen und ihr „Du hast den Farbfilm vergessen“. Ansonsten war ich in den guten 80-er Jahren wie viele Westdeutsche Anhänger von „Depeche-Mode“, „Madonna“ und auch der NDW, der „Neuen Deutschen Welle“. In der DDR gab es neue Stars, z.B. „Pankow“ oder „Silly“ mit der „wilden Mathilde“, Tamara Danz.
Aber das System DDR durfte in Texten/Liedern/Büchern nicht in Frage gestellt werden, sonst war man weg von der Bühne (Renft), wurde ausgebürgert (Biermann), abgeschoben (Krawczyk/Klier), mundtot gemacht (Rudolf Bahro), bekam Hausarrest (Havemann) oder erhielt als Student z.B. einen Eintrag in die Kaderakte. Ist das heute karrieretechnisch gesehen fundamental anders mit Personalakten, im „Aktenland Deutschland“? Wie werden in diesen Tagen u.a. Intendantenposten in Rundfunkräten vergeben, an „Querulanten“ oder an „Linientreue“?
Als Musikkonsument hatte man nun die Wahl zwischen „Formel 1“, „Musikladen“ oder „rund“. Letztere Sendung war auch eine Art Polit-Show der FDJ („Freie Deutsche Jugend“); zwischen zwei Titeln schaltete man schon mal um in eine LPG („Landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaft“) der „FDJ-Initiative Tierproduktion Clara Zetkin“ oder man begrüßte einen Funktionär der jungen Garde im Blauhemd. Also „Produktwerbung Sozialismus“ statt Reklame für Schallplatten, Autos oder Kaffee.
Eine quasi gesamtdeutsche Fangemeinde hatte „Modern Talking“, so wie heute die aus Sibirien stammende Helene Fischer oder Andrea Berg. Ein globales Phänomen ist hier auch „Rammstein“, die ja ursprünglich aus dem Osten kommen. Oder „Tokio Hotel“ aus Magdeburg, eine Teenie-Gruppe der ganz speziellen Art. Der womöglich erfolgreichste Hit aus dem Osten war der „Holz-Michel“ von den „Randfichten“ aus dem Erzgebirge. Fährt man heute durch viele Landstriche in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern z.B., könnte man diesen Song ändern in: „Die DDR - jaaa, sie lebt noch, sie lebt noch!“
Neben den Gemeinschaftsantennen gab es in der DDR auch eine Art Gemeinschaftstelefon, in Form von Doppelanschlüssen. Also, zwei Mietparteien eines Hauses oder zweier Nachbarhäuser hatten denselben Anschluss, und wenn es klingelte, war immer die spannende Frage, wer angerufen wurde. Theoretisch (und manchmal auch praktisch) konnte man so problemlos beim Nachbarn mithören. Alles Dinge, die man sich jetzt nicht mehr so vorstellen kann. Zumindest auf die damalige Art und Weise; heutzutage weiß man auch nicht, wer alles mithört. Was unterscheidet eigentlich die Schnüffler von der Stasi von jenen der NSA oder…? Beide hegen einen Generalverdacht gegen alle, die Gesamtbevölkerung, es herrscht die Paranoia, alle Bürger seien Terroristen oder (früher) Konterrevolutionäre. In der Rückschau relativiert sich deshalb vieles. Leider.