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Kanzler-Bonbon

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Im Rückblick der Jahrzehnte erscheinen die 70-er Jahre in der DDR als von einem gewissen wirtschaftlichen Aufschwung geprägt, während die 80-er nach meiner Erinnerung vor allem politisch bewegend und recht widersprüchlich waren.

Dies betrifft besonders meine Jahre an der EOS („Erweiterte Oberschule“) bis zum Abitur 1979-1983. In diese Zeit fielen der „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg, aber vor allem natürlich die Streiks in Danzig, Solidarnosç und der darauf folgende Ausnahmezustand in Polen unter General Jaruzelski. Nun konnte man nicht mal mehr ins befreundete Nachbarland fahren, offen war nur noch die „Südgrenze“ in die Tschechoslowakei. Später im Studium währen eines Dolmetscher-Einsatzes in Frankfurt/Oder stand ich an der Oder und schaute nach Polen – wie in Berlin gen Westen. Ab Oktober 1980 Reisen ins östliche Bruderland nur noch mit schriftlicher Einladung. Wie klein wird die Welt für DDR-Bürger noch werden, dachte ich damals. (In meinen Notizbüchern aus den 80-er Jahren fand ich hier einen kleinen Eintrag – Quelle DLF -, wonach ein DDR-Arzt 10.000 DDR-Mark an „Solidarität“ nach Polen überwiesen hatte, und dafür 4 Jahre Haft erhielt…) Man sollte wohl aus Sicht der SED keinen Kontakt haben mit polnischen Dissidenten oder einfachen Bürgern. Aber es gab ja immer die permanenten Informationsquellen ARD und ZDF. Man sah Bilder von 100.000 Demonstranten in Danzig, die forderten: „Nieder mit der Junta! Hoch lebe die „Solidarität“! Freiheit für Walesa!“ Und man fragte sich, erlebe ich so etwas einmal bei uns in der DDR?

Während meiner Abitur-Zeit berichtete das Westfernsehen immer wieder aus Jena von „renitenten“ Studenten und anderen „subversiven Elementen“. Was passiert in diesem Land? Diese „Störenfriede des Sozialismus“ fielen den zuständigen Organen, wie Stasi und Polizei im Jargon der DDR-Medien hießen, durch ein spezielles Merkmal auf: die Jacken. Sie trugen einen Aufnäher mit dem Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“. Als normaler DDR-Bürger wurde man nicht gerade bibelfest erzogen, und auch der sowjetische Bildhauer, der eine zum Spruch passende Skulptur für die UNO in New York geschaffen hatte, war im Prinzip unbekannt. Und die Frage stand im Raum, wenn die DDR so vehement für Abrüstung eintrat – und die atomare Bedrohung durch Pershings und SS-20 war ja in den 80-er Jahren real -, warum sind die Oberen so drakonisch gegen diese Jackenträger vorgegangen? Wahrscheinlich wären sie sogar unbeachtet geblieben für die Masse der Bürger; erst durch die heftige Reaktion der Macht wurden sie berühmt als Symbol des Widerstands. Genauso wie die mutigen Demonstranten in Dresden und anderswo mit dem Ruf „Frieden schaffen ohne Waffen“.

Die 80-er Jahre waren auch die Hoch-Zeit solcher Sendungen wie „Kennzeichen D“ und dem „ZDF-Magazin“ mit seinem Protagonisten Gerhard Löwenthal. Für politisch Interessierte wie mich waren diese Sendungen Pflicht wie die fünf Minuten früh am Morgen um 7.35 Uhr im DLF: „Aus Ostberliner Zeitungen – es zitiert und kommentiert…“ So bin ich fast täglich auch ideologisch gestärkt zur Schule gegangen… (Ein Ritual war für mich genauso am Sonntag 11.55 Uhr auf RIAS Berlin die Glocke der Gedächtniskirche mit den Worten: „Ich glaube an die Freiheit…“)

Die 80-er Jahre waren indes wie gesagt vor allem sehr widersprüchlich. Vom einem „wind of change“ war nicht viel zu spüren, eher ein laues Lüftchen. Die DDR hatte ihren Superstar mit Kati Witt, die jedoch mit mehr als nur einem Schlittschuh schon im Westen war. Im Fernsehen imitierte man Musiksendungen des Westens, die Moderatoren waren modisch angezogen (peppig), und die Sprache wurde für DDR-Verhältnisse, besonders bei „ELF 99“, teilweise richtig cool. Inwieweit dies alles von oben gesteuert und toleriert wurde, ist immer schwierig zu beurteilen.

Dennoch blieb natürlich die BRD Klassenfeind Nr.1 („Deutschland“ durfte man in der DDR nicht sagen; auch mit dem Begriff „Bundesrepublik“ machte man sich schon verdächtig). Und als vorbildlicher Abiturient hatte man nicht nur im Sinne Honeckers „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ zu argumentieren, sondern sollte auch auf sein Outfit achten. Dies fing an mit der „Schnee-Jeans“ bzw. der „Levis“ bis hin zum unerwünschten Tragen von West-Tüten wie von WOM oder Karstadt. Alles Sachen, die eigentlich unwichtig waren, aber von den Mächtigen und ihren willigen Vollstreckern vor Ort ideologisch instrumentalisiert wurden.

Mit anderen Worten: die 80-er Jahre waren durch Stagnation, aber auch durch kleine Veränderungen bestimmt. Man schöpfte irgendwo Hoffnung, später dann große Hoffnung aus einer unerwarteten Richtung – aus Moskau mit Gorbatschow. Ich kann mich erinnern, dass im Studium plötzlich nicht mehr die Originalreden unserer sowjetischen Freunde gelesen werden sollten, nachdem in der Schule und bis dato an der Universität jeder mit nicht wenigen Lenin-Texten traktiert wurde. Oder mit sowjetischen Klassenkämpfer-Romanen wie „Neuland unterm Pflug“ und „Wie der Stahl gehärtet wurde“. Aber es gab auch Ventile, die von ganz oben geöffnet wurden, so im Konzertsommer 88. Bryan Adams, James Brown, Bruce Springsteen, Depeche Mode, eine wahre Armada von Weltstars gab sich plötzlich in der DDR die Klinke in die Hand. Auch als Reaktion auf die provokanten Konzerte am Reichstag, provokant nach Meinung der SED-Oberen.

Anfang der 80-er Jahre entwickelte sich schon einmal kurz Hoffnung auf Veränderungen in der DDR. Helmut Schmidt kommt! Viele wunderten sich zunächst, wohin er reiste: nach Güstrow. Nicht nach Berlin, Leipzig oder Dresden. Im Nachhinein war klar – aus DDR-Sicht -, warum. Die echten Güstrower wurden quasi ausgebürgert für einen Tag, im Zentrum wimmelte es nur so von Männern mit langen Mänteln und mit nichts in der Hand. Güstrow schien auch eine Stadt ohne Frauen, Kinder und Rentner zu sein. (Und spontane Rufe wie einst in Erfurt waren so auch unmöglich: „Willy, Willy!“)

Man saß vor dem Fernseher und wartete darauf, dass irgendetwas passiert, auf eine Geste, auf ein Wort, auf eine Rede von Helmut Schmidt, aber nichts! Honecker und Schmidt spazierten durch ein Potemkinsches Dorf, und Honecker schüttelte Hände von bestellten Claqueuren. Wahrscheinlich glaubte er in seiner Traumwelt, dass dies echte begeisterte DDR-Bürger waren. Aber das war ja nicht relevant. Was machte Schmidt? Was hatte er den Menschen im Osten zu sagen? Nichts!

Ein Spaziergang über den Markt von Güstrow, das war´s. Fahrt zum Bahnhof. Ein paar Worte auf dem Bahnsteig, Einsteigen, und dann kam eine Szene, die ich bis heute nicht vergesse. Zum Abschied überreicht Honecker Schmidt durch das Zugfenster ein Bonbon. Eigentlich eine belanglose Szene, aber nicht für viele, die sich von diesem Besuch soviel versprochen hatten.

Aber wieder typisch SPD. Wenn es vielleicht oft symbolisch war, diese Gedenkfeiern am 17. Juni oder am 13. August, nur die CDU hat sich, zumindest in Reden, für die Einheit eingesetzt; nur die CDU hat die DDR-Bürger rechtlich als Bundesbürger bezeichnet, hat immer wieder auf Reiseerleichterungen gepocht. Und der große Anti-Kommunist Strauß von der CSU hat mit seinem Milliardenkredit dafür gesorgt, dass die Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze abgebaut wurden. Dies hat wahrscheinlich einigen Flüchtlingen das Leben gerettet.

Nun konnte Schmidt nichts dafür, dass er dieses Bonbon von Honecker erhielt. Aber in diesem Moment war es für mich auch eine Herabwürdigung, eine unpassende Geste, eine Demütigung. In der Rückschau war Helmut Schmidt dabei nicht weniger pragmatisch und realpolitisch oder zu wenig offensiv als andere – in der SPD. Ein Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten aus dem Saarland sprach sich 1990 gegen die deutsche Einheit aus, für Sonderwege mit Modrow, für einen Dritten Weg (wohin eigentlich?) und faselte etwas von „übertriebener Deutschtümelei“. Gut, dass der Kanzler 89/90 Helmut Kohl hieß. Und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und nicht Leonid Breshnew. Dank für die Einheit gebührt hier vor allem den unbekannten ungarischen Grenzern, die den Zaun in Sopron geöffnet haben, danke an Gyula Horn, dem ungarischen Außenminister, der de facto den Eisernen Vorhang per Dekret gehoben hat…

Das ungelobte Land

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