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Kapitel 6: Der Weg der weißen Wölfe

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Brenda und Robert folgten zunächst wortlos und voller Misstrauen den Wölfen. Die rotäugigen Bestien rannten stets etwas voraus und warteten dann, bis die beiden Jugendlichen ihnen gefolgt waren.

Hier und da war ein dumpfes Knurren aus den Kehlen dieser Tiere zu hören, das vielleicht andeutete, wie sehr sie sich insgeheim gewünscht hätten, sich nicht an die Befehle ihrer Herrin halten zu müssen.

In den Augen der Wölfe schimmerte Brendas Auffassung nach unverhohlene Gier. Am liebsten wären sie wohl augenblicklich über sie und Robert hergefallen, wenn nicht die Kontrolle, die die Hexe über sie ausübte, dies verhinderte.

Der Weg durch den nebeligen Wald schien sich schier endlos hinzuziehen.

„Mit rechten Dingen kann das alles nicht zugehen“, meinte Brenda. „So weit können wir uns doch gar nicht verlaufen haben! Das ist doch absurd.“

„Wir sind hier im Reich der Verdammten, kurz auch wohl unter der Bezeichnung Hölle bekannt!“, erinnerte Robert sie.

„Na, wenn du schon wieder coole Sprüche machen kannst, scheinst du dich ja ganz gut erholt zu haben.“ Robert machte eine wegwerfende Handbewegung. „Mit coolen Sprüchen hat das nichts zu tun. Es ist doch einfach so, dass wir uns offenbar nicht in unserer gewohnten Realität befinden, oder?“

„Das kannst du aber laut sagen!“

„Na, dann ist es doch auch logisch, dass hier vielleicht das eine oder andere Naturgesetz nicht ganz so funktioniert, wie wir das gewohnt sind.“

„Wenn der Begriff ‚logisch’ in dem Zusammenhang überhaupt passend ist…“

„Komm schon, Benda, du weißt doch, was ich meine!“ Sie nickte. „Ich denke schon.“

„Diese Welt ist schließlich Computer generiert und irgendeinem kranken Geist entsprungen, der ein Spiel entwickelt hat, dass zu einer neuen Wirklichkeit wird.“

„Zu einer tödlichen Wirklichkeit“, erinnerte ihn Brenda.

Wie zur Bestätigung knurrte einer der Albinowölfe und fletschte dabei die Zähne.

Der geistige Einfluss der Hexe schien mit zunehmender Entfernung schwächer zu werden.

Robert war schon seit einiger Zeit aufgefallen, dass die Unmutsäußerungen der Bestien immer deutlicher wurden. Sie sträubten sich innerlich einfach dagegen, ihre potentielle Beute dorthin zu bringen, wo sie diese nicht mehr erlegen konnten.

Die Gefahr, dass die Wölfe sich vielleicht kurzfristig der magischen Kontrolle durch die Hexe entzogen, um ihre Opfer doch noch zerfleischen und sich ihrer Seelenkraft bemächtigen zu können, war nicht von der Hand zu weisen und bereitete Robert zunehmend Sorge.

Andererseits hatten sie kaum ein Mittel, das ihnen die Bestien wirklich nachhaltig vom Leib halten konnte.

Die Holzpflöcke und Pfeile, die sie mit ihren Waffen verschießen konnten, schützten sie allenfalls vor einem einzigen Wolf, aber die anderen hatten nach Einsatz der Waffe freie Bahn. Und sich mit Schwert und Rapier gegen ein ganzes Rudel, dieser sehr großen und kräftig geratenen und sich mit der Geschmeidigkeit geübter Jäger bewegenden Raubtiere behaupten zu wollen, wäre schon für geübte Fechter schwierig geworden.

Für Brenda und Robert war es so gut wie aussichtslos.

„Wir müssen in dieser Welt immer wieder damit rechnen, dass die Mächte des Bösen einfach die Regeln ändern“, nahm Robert den Gesprächsfaden wieder auf. „Und wir sind dann die Deppen…“

„Inzwischen ist mir wieder kalt!“

„Im Dorf gibt’s hoffentlich auch ein Feuer.“ Der Gedanke an das Feuer der Hexe sorgte dafür, dass sich Robert schlaglichtartig an Jarmila erinnerte. Er sah sie wieder an die Wand des düsteren Verlieses gekettet in der Burg des Namenlosen Magiers und auf einmal schien es nichts Wichtigeres zu geben, als dieses Mädchen zu befreien. Ihre Augen schienen ihn anzusehen und um Hilfe zu bitten. Hatte vor wenigen Augenblicken noch der Gedanke an eine Flucht aus dieser bizarren Spiel-Welt seine Gedanken beherrscht, so war das nun plötzlich nicht mehr der Fall. Jarmila, ich werde kommen, und dich aus der Gewalt des Namenlosen Magiers befreien!, nahm sich Robert vor.

Er spürte, wie sich seine Lippen dabei bewegten und er erschrak.

Was ist nur los mit mir? , durchfuhr es ihn. Jarmila ist Teil dieses Computerprogramms - so wie alle anderen hier lebenden Kreaturen auch. Eine Subroutine, der man Gestalt und ein paar hübsche Augen gegeben hat. Aber das ist auch alles…

Und doch war da auch eine andere Empfindung in ihm.

Ein Gefühl, das ihm sagte, dass er Jarmila unbedingt aus den Klauen ihres Peinigers befreien musste.

Bleib cool, Mann! Du wirst dich doch nicht in einen Avatar verlieben? Das ist doch absurd!

Er versuchte, die Gedanken an Jarmila zu verscheuchen.

„Nein!“

Ein Wort, das die Bündelung seiner Gedanken manifestierte.

Ein Wort, das alles auf den Punkt brachte.

Zu seiner eigenen Überraschung stellte Robert jetzt fest, dass er laut gesprochen hatte.

„Was ist los, Robert? Mit wem sprichst du?“

„Mit niemandem.“

„Hattest du irgendwelche Halluzinationen oder so etwas Ähnliches?“

„Ich sagte doch, es ist alles in Ordnung, Brenda!“, erwiderte er deutlich barscher, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.

Entsprechend eingeschnappt war Brenda. „Entschuldige, dass ich nachgefragt habe, aber es ist mir halt nicht gleichgültig, was mit dir los ist.“

„Ist ja schon gut!“, knurrte Robert. Sie hielt an und fasste ihn bei den Schultern.

Der Blick ihrer meergrünen Augen bohrte sich förmlich in die seinen. Nach ein paar Augenblicken hatte die Präsenz dieser Augen es sogar geschafft, die Erinnerung an Jarmilas Blick zu verscheuchen.

Aber nicht für lange! , war es Robert in seinem tiefsten Inneren klar. Ich werde kommen, Jarmila! Du kannst dich auf mich erlassen!

„Was hat diese Hexe mit dir gemacht, Robert?“

„Gar nichts!“

„Das ist doch nicht wahr! Sie hat dich berührt!“

„Lass uns einfach den Wölfen folgen und zu dem Dorf gehen, dann werden wir das alles bald vergessen haben“ Sie atmete tief durch. „Ich hoffe, du behältst Recht, Robert!“

„Bestimmt!“

Einer der Wölfe heulte auf. Er saß in einer Entfernung von ungefähr fünfzig Meter neben einem der knorrigen Bäume.

Das Tier schien ungeduldig darauf zu warten, dass der Weg endlich fortgesetzt wurde und die beiden Jugendlichen ihm und seinen Artgenossen weiter folgte.

Aber Robert spürte instinktiv, dass da noch etwas anderes sein musste, was den Albino-Wolf beunruhigte. Er begann die Nase in die Luft zu halten und sich schnüffelnd herumzudrehen. Ein winselnder Laut entrang sich seinem gewaltigen Maul.

Inzwischen hatte es auch Brenda bemerkt. Sie legte einen Pfeil in den Bogen.

„Irgendetwas stimmt hier nicht!“, war sie überzeugt.

Sie lauschten in den Nebel hinein.

Plötzlich jaulte in einiger Entfernung einer der Albino-Wölfe auf. Es war ein verzweifelter, grausiger Laut, dem noch ein Wimmern folgte. Dann trat eine gespenstische Stille ein.

Robert und Brenda standen wie erstarrt da und blickten in den Nebel. Es war nicht zu sehen, was geschehen war. Der Nebel war einfach zu dicht.

Der Albino-Wolf, der die beiden Jugendlichen gerade noch dazu aufgefordert hatte, ihm und seinen Artgenossen zu folgen, kauerte jetzt mit eingekniffenem Schwanz am Boden.

Das Tier winselte vor sich hin und presste sich regelrecht an den Boden.

Von den anderen Albino-Wölfen war nirgends etwas zu sehen.

Dafür konnte man einen von ihnen jämmerlich Schreien hören. Anschließend folgte ein Geräusch, als ob etwas Schweres zu Boden fiel.

„Was geht da vor sich?“, flüsterte Brenda.

Sie sollte sehr rasch eine Antwort darauf bekommen. Einer der knorrigen Bäume begann plötzlich, sich zu bewegen. Die gerade noch hartgefrorenen Äste verwandelten sich in geschmeidige, tentakelartige Arme. Gesichter bildeten sich auf dem verwachsenen Stamm.

Der Baum in unmittelbarer Nähe des am Boden kauernden Albino-Wolfs gewann plötzlich eine unheimliche Art von Eigenleben.

Die Äste schlugen wie Peitschen auf den Boden. Der Albino-Wolf versuchte sich durch einen Sprung zu retten, aber es war zu spät. Einer dieser Peitschenschläge traf ihn. Er rollte sich winselnd um die eigene Achse. Dabei kam er einem anderen Baum sehr nahe, der plötzlich ebenfalls lebendig wurde, während das Leben aus dem ersten Baum so urplötzlich verschwand, wie es in ihn hinein gefahren war.

Der Albino-Wolf bekam einen weiteren, diesmal tödlichen Schlag. Regungslos blieb das Tier liegen.

Innerhalb von Sekunden schrumpfte er zusammen, so als ob ihm jegliche Lebenskraft entzogen wurde. Ein Geruch der Verwesung verbreitete sich und raubte Brenda und Robert beinahe den Atem.

Im nächsten Moment stand der Baum wieder stocksteif da.

Das unheimliche Leben, das in gerade noch erfüllt hatte, war aus ihm gewichen.

„Eine Art Baumgeist!“, stellte Robert fest. „Er fährt von einem Baum zum anderen, nimmt Besitz von ihm und saugt offenbar die Lebenskraft derjenigen auf, die er schlägt.“ Brenda ließ den Bogen sinken und steckte den Pfeil weg.

„Damit werden wir wohl nichts gegen diesen Baumgeist ausrichten können, wie du ihn nennst!“

„Holz gegen Holz – das klingt nicht gerade viel versprechend“, nickte Robert.

„Und was dann?“

„Vorsichtig weitergehen“, schlug Robert vor. „Und immer schön auf die Bäume achten. Ich hoffe nicht, dass dieser Geist alle Albino-Wölfe erschlagen hat.“ Aus dem Nebel drang erneut ein jämmerliches Winseln.

„Wieder einer weniger“, meinte Brenda.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Bestien mal nachtrauern würde!“, gestand Robert.

Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den anderen.

Robert nahm das Schwert in beide Hände und Brenda hängte sich den Bogen über den Rücken und nahm ebenfalls ihre Klinge. Im Fall eines Angriffs durch den Waldgeist hatten sie dann vielleicht die Chance, sich durch ein paar schnelle, entschlossene Hiebe zu wehren.

Andererseits hatten es die wesentlich stärkeren Albino-Wölfe auch nicht geschafft, sich vor den Mörderbäumen in Sicherheit zu bringen.

„Diese weißen Wölfe unserer Hexe müssten doch eigentlich an das Leben in diesem Wald perfekt angepasst sein“, murmelte Brenda. „Wieso können sie sich dann nicht besser gegen den Waldgeist zur Wehr setzen?“

„Vielleicht meiden sie ihn normalerweise einfach“, bot Robert eine Erklärung.

Sein Blick glitt an Brenda vorbei.

Ein verwachsener Baum ganz in ihrer Nähe begann sich zu bewegen. Augen und ein Mund bildeten ein verzerrtes Gesicht.

Die Äste bogen sich und sausten wie die Tentakel eine Krake hernieder.

Robert zog Brenda am Arm aus dem Gefahrenbereich heraus.

Der Peitschenschlag verfehlte sie nur um wenige Zentimeter.

Mit dem Schwert schlug Robert zu und trennte den Ast durch. Ein wütendes Brüllen ertönte. Das Gesicht auf der Rinde verschwand wieder.

Robert wirbelte herum und ließ den Blick schweifen. In welchen der Bäume der Geist als nächstes fahren würde, war nicht vorhersehbar.

„Wir müssen uns immer möglichst weit von den Bäumen entfernt halten, Brenda!“

„Leichter gesagt, als getan – in einem Wald!“ Ein weiterer Baum begann plötzlich mit seinen Ästen auszuschlagen. Robert entging dem Schlag nur mit knapper Not.

Sie hetzten weiter. Jedes Geräusch im Unterholz, jedes Knacken eines Astes brachte sie beide an den Rand des Wahnsinns.

Manchmal glaubten sie bereits, in der Baumrinde ein Gesicht zu sehen, was sich dann als Irrtum herausstellte.

In der Ferne hörten sie noch das eine oder andere Winseln eines erschlagenen weißen Wolfs.

Dann herrschte Stille.

„Ich glaube, wir sind jetzt allein auf uns gestellt!“, sagte Brenda.

„Und vor allem haben wir immer noch keine Ahnung, wohin wir uns eigentlich wenden müssen!“ Die Wölfe waren entweder alle erschlagen oder geflohen. Auf jeden Fall war es sehr unwahrscheinlich, dass einer von ihnen zurückkehrte und sie zum Dorf brachte.

„Irgendwann wird ja diese furchtbare Nacht auch einmal ihr Ende finden, Robert!“

„Und du glaubst, dass wir uns dann in diesem Wald besser orientieren können?“

„Man sollte die Hoffnung nie aufgeben“, sagte Brenda.

Vorsichtig tasteten sie sich weiter voran. Teilweise gerieten sie ins Unterholz, das so dicht war, dass sie sich zunächst mit Schwertern einen Weg bahnen mussten. Keiner von ihnen sprach es aus, aber sie ahnten natürlich beide, dass sie nicht auf dem richtigen Weg sein konnten.

Es war absolut still im Wald.

Kein Wind wehte, nicht einmal eine Eule oder irgendein anderer Nachtjäger rührte sich. Dass sie zum letzten Mal einen der Albino-Wölfe aufheulen gehört hatten, war jetzt schon eine ganze Weile her.

Die Tiere kennen die Gefahr! , dachte Robert. Selbst in diesem simulierten Spiel ist das so! Sie meiden diesen Ort deswegen und warten ab…

Plötzlich schlug einer der Bäume zu. Die Veränderung ging so schnell vonstatten, dass es unmöglich war, rechtzeitig zu reagieren. Ein Ast, aus dem ein tentakelartiger Arm geworden war, legte sich wie eine Schlinge um Brendas Hals und zog sie mit sich. Sie taumelte, griff nach dem Rapier und versuchte es, in diesen Greifarm hineinzustoßen. Aber die äußere Rindenhaut war zu hart. Das Rapier brach. Robert eilte hinzu und versuchte den Ast mit einem Schwerthieb abzutrennen, wie er es schon einmal getan hatte. Aber das war nicht rechtzeitig möglich. Die anderen Ast-Arme des zum Leben erwachten Baumes, griffen nach ihm und so musste er sich zunächst seiner eigenen Haut wehren. Wütend und mit aller Kraft hieb er auf diese Arme ein. Viel Erfolg hatte er damit nicht. Und da lag wenig später ein Stück Holz auf dem Boden, das sofort, nachdem es abgeschlagen war, seine unerklärliche Geschmeidigkeit verlor, die ihm die Magie des Baumgeistes so plötzlich verliehen hatte.

Brenda konnte nicht schreien. Der Würgegriff, in dem sie sich befand, schnürte ihr die Kehle zu. Der Baum hob sie hoch. Sie strampelte und versuchte verzweifelt, sich zu befreien.

Robert gab noch immer sein Bestes im Kampf mit diesem Monstrum.

Da geriet er zu nahe an den Gegner.

Einer der zu Arme umfunktionierten Äste schlang sich um seinen Fuß. Augenblicklich verlor er das Gleichgewicht, als er einen Ruck spürte. Robert stürzte zu Boden. Gleichzeitig zog das Monster ihn zu sich herab.

Unaufhaltsam.

So sehr er auch kämpfte, er wusste in seinem tiefsten Inneren, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Sein Gegner war einfach zu stark.

Der zahnlose Mund, der zu dem Gesicht gehörte, das sich in den missgestalteten Konturen der Außenrinde gebildet hatte, stieß ein höhnisches Gelächter hervor.

Wie aus dem Nichts tauchten jetzt mehrere Albino-Wölfe auf. Die Tiere waren deutlich kleiner und vermutlich jünger als jene riesenhaften Bestien, die Robert und Brenda bis hier her mehr schlecht als recht begleitet hatten.

Die meisten von ihnen überschritten kaum die Größe von Huskies.

Welpen! , dachte Robert.

Dann erschien eine Gestalt zwischen den Bäumen.

Eine fast drei Meter hoch aufgerichtete Kobra, deren Körper teilweise von Lumpen umhüllt war.

Augenblicklich ließen die Arme des Waldgeistes Brenda los.

Sie taumelte zu Boden und hielt sich den Hals. Robert half ihr auf.

Dann starrten sie in Richtung der Riesenschlange.

Als diese den Kopf wandte, mussten Brendas und Robert dem gleißenden Licht der hell leuchtenden Augen ausweichen.

Die Schlange bewegte sich mit einer Behändigkeit, die man einem so großen Geschöpf kaum zutraute. Sie glitt über den Boden, verschwand hinter Bäumen und tauchte wenig später wieder auf.

Ein stöhnender Laut erfüllte den Wald.

Er klang Angst erfüllt.

Das muss dieser Waldgeist ein! , glaubte Robert. Die Hexe jagt ihn!

Dann schoss plötzlich ein Flammenstrahl aus ihrem Schlund heraus und versengte einen der Bäume, der sich daraufhin verwandelte. Der Baum versuchte sich zu wehren. Die Äste schlugen nach dem Reptil, aber dies wich geschickt aus und antwortete mit weiteren Feuerattacken. Der Waldgeist floh in einen anderen Baum, aber seine Kraft schien bereits stark reduziert zu sein.

Für die Schlange war es ein Leichtes, auch diesen Baum zu versengen. Wieder ertönte das furchtbare Stöhnen. Die Schreie einer gequälten Seele, der jetzt dämmern musste, dass ihre eigene Existenz kurz vor dem Ende stand.

Nur Aschehaufen blieben.

Die Schlange verwandelte sich. Schon wenige Augenblicke später hatte sie die Gestalt jener alten Frau angenommen, der sie im Wald begegnet waren.

Die Albino-Wolf-Welpen sammelten sich um sie.

Dabei sprach sie ein paar Worte in einer Sprache, von der weder Brenda noch Robert je ein Wort gehört hatten.

„Sieh dir das an, Robert! Die Welpen! Sie wachsen!“, flüsterte Brenda.

„Hier scheint sich alles um Seelenenergie zu drehen“, glaubte Robert. „Die Hexe gibt den Wölfen offenbar etwas von der Lebenskraft des getöteten Baumgeistes ab.“ Brenda rieb sich den Hals, wo ein roter, deutlich sichtbarer Striemen als Würgemal des Baumgeistes zurückgeblieben war.

„Was geschieht mit uns, wenn wir hier getötet werden?“, flüsterte sie. „Glaubst du, wir sind dann tatsächlich tot?

Auch in der Realität?“

„Normalerweise hat man ein zweites Spielleben oder wird ein Level zurückgeworfen. Aber hier gilt das alles nicht.

Brenda. Der Schnitt an meiner Hand war echt - dann wäre das wahrscheinlich auch unser Tod! Wieso das so ist, weiß ich nicht, aber inzwischen habe ich überhaupt keine Zweifel mehr daran!“

Die alte Frau kam auf die beiden zu. In einem Abstand von wenigen Metern blieb sie stehen.

„Ihr könntet euch wenigstens bedanken!“, sagte die Hexe.

„Aber so ist das leider! Die Jugend von heute hat keinerlei Manieren mehr!“

„Danke!“, sagte Robert stocksteif und wenig enthusiastisch. Brenda folgte seinem Beispiel.

Die Hexe fuhr fort: „Der Kampf mit dem Baumgeist hat mich meine besten Albino-Wölfe gekostet.“

„Wir konnten nicht vorhersehen, dass hier ein Baumgeist lauert“, erwiderte Brenda, die sofort ahnte, worauf das Ganze hinauslief - nämlich auf eine weitere Gegenleistung. „Du wusstest das allerdings schon, nehme ich an. Schließlich lebst du doch seit langer Zeit in diesem Wald und kennst dich aus!“

Ein Zischen, das an die Laute der Schlange erinnerte, kam jetzt aus dem lippenlosen Mund der Alten. Die grell leuchtenden Augen wurden noch gleißender und Brenda war gezwungen, zum Schutz ihre Hand vor die Augen zu nehmen und ihren Blick abzuwenden.

„Bedenke, dass ich dich nur aus einem einzigen Grund gerettet habe! Und das ist der, dass ich deinem Gefährten irgendwelche Seelenqualen ersparen möchte. Ihm habe ihm das Versprechen abgenommen, Jarmila zu retten - nicht dir! Grob gesprochen ist deine Existenz nicht unbedingt erforderlich!

Es reicht, wenn dein Begleiter die Attacken des Schlossherrn und seiner Blutsauger überlebt, um schließlich in die Ebene des Namenlosen Magiers zu gelangen. Auf dich bin ich in keiner Weise angewiesen, Brenda – so ist doch dein Name, oder?“

Brenda schluckte.

„Ja“, murmelte sie.

„Also erweise dich als dankbar und sporne deinen Begleiter dazu an, sein Versprechen zu halten, sonst könnte ich hier und jetzt zu dem Schluss kommen, dass deine Seelenenergie für mich wertvoller ist, als dein Überleben. Bedenke dies!“ Dann wandte sie sich an Robert. „Ich weiß, dass du viel an Jarmila denken musst, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte Robert. Er wirkte wie in Trance dabei.

Seine Stimme hatte einen erschreckend weichen und nachgiebigen Klang.

Er steht unter ihrem Bann! , durchfuhr es Brenda.

„Da geht es dir so wir mir, mein Sohn. Wir teilen jetzt einen Gedanken. Sieht sie dich jetzt, in diesem Moment an?

Erfleht sie Hilfe von dir? Du würdest es nicht übers Herz bringen, das abzulehnen!“

„Nein“, flüsterte Robert.

Sie trat an ihn heran.

Brenda wollte einschreiten, aber sie konnte nicht. Wie angewurzelt stand sie da – gelähmt von der unheimlichen Hexenkraft.

Die Hexe berührte Robert an der Schläfe.

„Ich werde dir etwas von der Lebenskraft des Waldgeistes abgeben“, sagte sie. „Dann kannst du ausdauernder kämpfen und bist schwerer zu töten. Deine Chancen, die Schattenkreaturen des Schlossherrn zu besiegen und schließlich Jarmila aus der Gewalt des Namenlosen Magiers zu befreien steigen damit. Aber bedenke eines…“

„Was?“

„Wenn du das Versprechen brichst und Jarmila nicht befreist, wird diese Kraft von einem Augenblick zum nächsten aus dem deinem Körper fliehen. Und das kann lebensgefährlich sein.“ Sie kicherte in sich hinein.

Im nächsten Moment durchströmte Robert ein Gefühl der Kraft, das er bisher auf ähnliche Weise noch nie zuvor gespürt hatte. Die Kälte, die zuvor seinen Körper bereits wieder ins Mark durchdrungen hatte, war wie weggeblasen.

Die Hexe wich zurück.

„Leb wohl, mein Sohn. Und halte dein Versprechen. Sonst wird es dein Ende sein.“

Diese Teufelin! , durchfuhr es Brenda.

Anschließend trat sie an Brenda heran. „Dir werde ich nur so viel zusätzliche Kraft geben, dass du nicht zu einer Belastung wirst und du die Reisegeschwindigkeit zu sehr verminderst!“

Sie streckte die Hand aus und berührte Brenda an den Schläfen, woraufhin ein prickelnder Kraftschauer das Mädchen durchfuhr. Immerhin spürte sie jetzt die Kälte nicht mehr.

Die Hexe entfernte sich wieder. Der Bann, mit dem sie Brenda belegt hatte, war nun gebrochen. Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper zurück und fühlte sich ausgeschlafen.

Die Hexe schnippste mit den knorrigen Fingern ihrer rechten Hand. Dann deutete sie mit dem Stock, dessen Knauf aus dem Rattenschädel gefertigt worden war, auf den größten unter den Albino-Welpen.

„Er wird euch jetzt zum Dorf führen. Da der Baumgeist jetzt nicht mehr auf euch lauert, ist das keine allzu gefahrvolle Aufgabe mehr.“ Noch einmal wandte sie sich Robert. „Enttäusch mich nicht, mein Sohn. Oder du wirst es bereuen.“

Dann verblasste ihre Gestalt plötzlich.

Sie wirkte nun wie eine schwache, durchscheinende Diaprojektion und verschwand wenige Augenblicke später völlig.

Zauberer und Höllentore: Acht Fantasy Krimis

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