Читать книгу Zauberer und Höllentore: Acht Fantasy Krimis - Rolf Michael, Alfred Bekker, Frank Rehfeld - Страница 15

Kapitel 8: Das Dorf der lebenden Toten

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Als sie das Dorf erreichten, konnte man in der Ferne, hoch über dem Schloss bereits die Schattenkreaturen mit ausgebreiteten Flügeln im Mondlicht dahinsegeln sehen. Jäger, die nach Beute Ausschau hielten. Ihre schrillen Schreie drangen ganz leise bis zu Brenda und Robert herüber.

Robert hielt die Armbrust mit den Holzpflöcken bereits schussbereit in den Händen. „Ich schätze, früher oder später werden wir noch ein paar von den Biestern niedermetzeln müssen!“

„Hoffen wir, dass sie uns erstmal nicht bemerken!“

„Glaubst du das?“

„Ich hoffe immer das Beste. Aber es geht mir wie dem Gnom - es kommt immer anders, als ich gedacht habe. Aber ehrlich gesagt gehörte Wahrsagerin bis jetzt auch nicht zu meinen Berufswünschen!“

*

Das erste, was Robert und Brenda in dem Dorf auffiel war, dass die Fenster und Türen der Häuser regelrecht verrammelt waren.

„Sieh nur – Kreuze und Knoblauchzehen an den jeder Tür und jedem Fenster“, stellte Brenda fest.

„Die Vampire sehen zwar ein bisschen ekeliger aus als im Kino, aber dafür scheinen sie auf dieselben Dinge zu reagieren, wie wir das aus unserer Realität gewohnt sind.“

„Aber endgültig besiegen ließen sich die Bestien dort auch nicht“, gab Brenda zu bedenken. „Denn sonst wären all diese Vorsichtsmaßnahmen gar nicht nötig…“

Die beiden blieben vor einem Haus stehen, das deutlich größer war als die anderen. „Shadow Inn“ stand über der Tür in verwitterten Lettern.

„Ein Gasthaus“, stellte Robert fest.

„Wir sollten uns dort vielleicht mal bemerkbar machen!“

„Du vergisst, dass wir keine zahlenden Gäste sind“, gab Robert zu bedenken. „Jedenfalls besitze ich keinerlei Geld in irgendeiner Währung, die hier Gültigkeit besitzen würde.“ Wie zum Beweis dieser Tatsache griff er sich in die Taschen seiner Cargo-Hose. Das Portemonnaie war immer noch dort. „Für meine letzten fünf Dollar habe ich dieses Spiel gekauft, wie du weißt. Aber als Zahlungsmittel dürften die hier wohl sehr unüblich sein!“

„Trotzdem“, beharrte Brenda. „Wenn es wirklich so ist, dass all diejenigen, die dieses Spiel schon gespielt haben, hier gewesen sind, sofern sie lange genug lebten, heißt das doch, dass es eine andere Möglichkeit geben muss, sich hier einzuquartieren.“

„Eine bestechende Logik, Brenda!“, erwiderte Robert ironisch.

Er hielt offenbar nichts von dem Gedanken.

Brenda glaubte auch zu wissen, warum das so war.

Er will möglichst schnell zur Burg, um den Schlossherrn zu besiegen, damit er in eine der höheren Ebenen gelangen kann.

Dorthin, wo der Namenlose Magier regiert und diese Jarmila gefangen hält…

Brenda wurde ganz schlecht, wenn sie nur daran dachte.

Widerwille kam unwillkürlich in ihr auf, wenn sie vor ihrem inneren Auge das Gesicht dieses Mädchens sah. Weshalb das so war, konnte sie nicht sagen. Aber sie wusste ganz genau, dass sie Jarmila nicht mochte.

Warum gibst du ihr nicht wenigstens eine Chance? , meldete sich eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Bist du etwa eifersüchtig auf sie? Denkst du, dass sich Roberts Interesse vollkommen von dir abwendet und er nur noch diese Jarmila im Kopf hat – ein Phantom aus dem Computer?

Brenda spürte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug.

Eifersucht - genau das war der Grund! , musste sie zugeben, wenn sie wirklich ehrlich zu sich selbst war. Eifersucht auf ein Avatar – ein Geschöpf, das letztlich aus nichts anderem, als ein paar clever zusammen gefügten Datensätzen besteht –

das ist doch vollkommen absurd!

Aber diese Stimme der Vernunft hatte es schwer, in Brendas Kopf die Oberhand zu gewinnen.

Andererseits – waren in dieser computergenerierten magischen Welt nicht diese irrealen, der kranken Fantasie eines Story-Liners entsprungenen Geschöpfe ebenso real wie sie selbst? Real genug um zu töten sind sie jedenfalls! , rief sie sich ins Gedächtnis.

Robert trat an die Tür des Gasthauses.

„Okay, ich werde den Wirt mal aus den Federn klopfen. Aber ich prophezeie dir, dass das nicht gerade für einen warmen Empfang sorgen wird!“

„Trotzdem, wir sollten es versuchen. Es ist nämlich besser als…“ Sie stockte, riss plötzlich ihren Bogen empor, legte einen Pfeil ein und schoss ihn ab. Er surrte durch die Luft und etwas Großes, Schattenhaftes fiel wie ein Stein zu Boden.

„Ein Blutsauger!“, entfuhr es Robert.

Noch ehe das Mischwesen aus Mensch und Fledermaus den Boden erreicht hatte, war dessen Fleisch zu Staub zerfallen.

Die Knochen zerbröselten wenig später durch den Aufprall zu einer ascheartigen Substanz. Der Schädel war das Letzte, was noch greifbar war. Er rollte mehrere Umdrehungen über den Boden, ehe er zerfiel.

„Ein guter Schuss!“, staunte Robert. „Du wirst immer besser!“

„Ich bin selbst erstaunt.“

„Nein, das ist doch ganz logisch!“

„Wieso!“

„Jeder Spiel-Charakter wird besser, wenn man mit ihm übt.

Außerdem hast du von der Hexe zusätzliche Lebenskraft bekommen.“

„Logik nennst du so etwas?“

„Hier gilt sie. Und das ist das einzige, was uns interessieren sollte!“

„Wenn wir hier jemals herauskommen, sollte ich überlegen, ob ich das nicht als Leistungssport betreibe!“

„Ich fürchte, Bogenschießen in der Welt von Hellgate und in der Realität sind zwei verschiedene Paar Schuhe!“ In der Ferne tauchten jetzt weitere Nachtkreaturen auf.

Aber die Blutsauger sahen sich vor und griffen nicht so ungestüm an, wie jener, den Brenda bereits zur Strecke gebracht hatte. Sie hielten sich in einer Entfernung die es kaum möglich erscheinen ließ, mit Pfeil und Bogen etwas auszurichten.

„Das ist eher ein Fall für die Armbrust!“, glaubte Brenda.

„Nur fürchte ich, habe ich nicht genug Zielwasser getrunken, um auf die Entfernung einen der Blutsauger zu erwischen! Und dann noch im Flug!“

„Probier’ doch einfach! Wahrscheinlich haben sich ja auch deine Fähigkeiten verbessert!“

„Ich will die Pflöcke nicht verschwenden, also warte ich bis das Biest näher heran ist.“

Sie zuckte die Achseln.

„Wie du meinst.“

Auf jeden Fall war die die Frage, ob man den Wirt jetzt aus dem Schlaf klopfen sollte oder nicht, endgültig entschieden. Weder Robert noch Brenda stand der Sinn danach, den Rest der Nacht – wie lange auch immer sie dauern mochte –

draußen im Freien zu verbringen, wo sie zweifellos ständig den Angriffen der gierigen Blutsauger aus dem Schloss ausgesetzt waren.

Robert klopfte.

Es erfolgte keine Reaktion.

„Versuch es noch mal!“, forderte Brenda.

Robert klopfte diesmal etwas kräftiger. „Aufmachen! Wir brauchen Schutz vor den Blutsaugern!“, rief er.

In diesem Augenblick stürzte sich eine der Bestien förmlich vom Himmel.

Sie raste mit unglaublicher Geschwindigkeit geradewegs auf Robert zu.

Dieser riss seine geladene Armbrust empor und schoss den eingelegten Holzpflock ab. Allerdings verfehlte er sein Ziel in der Hast. Auch Brendas Pfeil ging daneben. Die Bestien schienen aus ihren Fehlern zu lernen – und zwar sehr schnell.

Durch die enorme Angriffsgeschwindigkeit boten sie kaum ein Ziel.

Robert spürte, wie ihn die Krallen bewehrten Hände des Monstrums am Oberkörper berührten und mit unglaublicher Wucht zu Boden stießen.

Der Blutsauger legte bereits die Vampirzähne an Roberts Kehle, als genau diese Zähne aus dem lemurenartigen Maul heraus fielen und zu Staub zerbröselten. Robert musste niesen. Innerhalb weniger Sekunden zerfiel der Körper des Angreifers vollständig.

Danach wurde auch Brenda ersichtlich, was geschehen war.

Robert hatte in die Tasche mit den Holzpflöcken gegriffen und der Bestie einen davon mit aller Gewalt in den Leib gerammt. Offenbar akzeptierte das Programm diese Aktion als Pfählung.

Robert stand auf und streifte sich den Staub von den Sachen.

Brenda hämmerte nun gegen die Tür.

„Aufmachen!“

Währenddessen griff bereits der nächste Blutsauger an.

Er verfolgte eine andere Strategie. Seine Flugbahn war ähnlich chaotisch wie die einer Motte, die ihre Feinde damit zu verwirren pflegte, sich zwischenzeitlich ein Stück fallen zu lassen – eine Kampftaktik, die auch moderne Kampfjets anwendeten, um gegnerischer Radarpeilung zu entgehen, wie Robert aus seiner Erfahrung als Pilot in verschiedenen Games wusste, die diesem Thema gewidmet waren.

Brenda legte einen Pfeil ein und schoss.

Aber der Pfeil verfehlte den chaotisch dahinsegelnden Blutsauger. Um einen neuen Bolzen in die Armbrust einzulegen, war es zu spät.

Robert griff zum Schwert und riss die zweischneidige Klinge heraus. Mit einem wuchtigen Hieb schlug er der Bestie im Moment des eigentlichen Angriffs den Kopf ab, woraufhin der Körper innerhalb von Sekunden in sich zusammenfiel.

„Das war knapp!“, meinte Brenda, die bereits den nächsten Pfeil eingelegt hatte und misstrauisch den Nachthimmel betrachtete.

Robert klopfte noch einmal gegen die Tür des Gasthauses, obwohl er eigentlich schon gar nicht mehr damit rechnete, dass er Antwort erhielt.

Die Menschen dieses Dorfes schlossen sich offenbar in der Nacht in ihre Häuser ein, was auch mehr als verständlich war, wenn man bedachte, dass dann offenbar die Jagdsaison der Schattenkreaturen war.

Aber diesmal gab es gegen alle Erwartung eine Reaktion.

In der Tür öffnete sich eine winzige Klappe.

Aber anstatt einer Antwort, wurde Robert etwas Glitschiges entgegen geworfen, das ihn voll im Gesicht traf.

Er fuhr sich abwehrend über das Gesicht.

Die Klappe wurde mit einer heftigen Bewegung geschlossen.

„Was war das?“, fragte Brenda.

„Zerriebener Knoblauch, würde ich sagen.“ Als sie sich ihm näherte und etwas schnupperte, fand sie Roberts Annahme bestätigt.

„Ja, das würde ich auch sagen, Robert.“

„Das bedeutet, die Leute hier glauben wohl, dass jeder, der sich jetzt noch draußen im Freien aufhält eine Nachtkreatur ist.“

„An deren Stelle wäre ich wahrscheinlich auch vorsichtig“, bekannte Brenda.

„Was machen wir jetzt?“

„Dass du mich das mal fragst!“

„Jedenfalls wäre es gut, wenn wir eine Strategie finden, die uns nicht dazu zwingt, unseren gesamten Vorrat an Pflöcken und Pfeilen bereits in diesen Scharmützeln aufzubrauchen, sodass wir dann nichts mehr übrig haben, wenn wir das Schloss erreichen…“

„Wenn Knoblauch wirkt, dann vielleicht ja auch Kreuze.“

„Worauf willst du hinaus, Brenda?“

Sie streckte ihren Arm in Richtung der Kirche aus.

„Na darauf! Vielleicht finden wir dort ja eine Zuflucht!“

„Gute Idee.“

*

Auf dem Weg zur Kirche pflückte Brenda ein paar Knoblauchzehen von den Fenstern der Häuser, an denen sie vorbeikamen.

„Sollte es hier jemals Tag werden, ist so ein Diebstahl sicherlich keine Basis für eine freundschaftliche Kontaktaufnahme!“, glaubte Robert.

„Erstens ist es fraglich, ob die Hausbewohner das überhaupt bemerken und zweitens habe ich immer noch genügend Zehen übrig gelassen, sodass der bestehende Schutz für die Häuser dadurch wohl kaum vermindert werden dürfte!“ Robert grinste.

„Es sprach Brenda Van Helsing, die Vampirexpertin erster Klasse und Professorin für Vampirpfählung im Flug!“

„Ja, lach du nur. Nimm besser eine davon!“ Sie warf Robert eine der Zehen zu.

„Steck sie ein oder bewahre sie sonst wie auf. Schaden kann sie jedenfalls nicht!“

„Und wenn wir sie als Notration für den Fall verwenden, dass es in dieser Welt doch noch so etwas wie ein Hungergefühl gibt!“

„Das scheint der teuflische Programmierer glücklicherweise vergessen zu haben – sonst hätten wir noch ein paar Probleme mehr.“

„Tja, zum Beispiel, dass Gasthäuser hier sehr ungastlich sind!“

„Eine Toilette suchen möchte ich hier ehrlich gesagt auch nicht gerne!“, ergänzte Brenda.

*

Sie erreichten den Friedhof, der die Kirche umgab.

„Fällt dir was auf?“, fragte Brenda.

„Nein.“

„Die Grabsteine…“

„Was soll damit sein?“

„Die stehen ziemlich schief! Und zwar fast alle!

„Liegt vielleicht an der Bodenbeschaffenheit!“

„Hör mal, wer von uns beiden ist denn jetzt der Super-Gamer, Robert! Hier liegt doch nichts nur an der Bodenbeschaffenheit!“

Inzwischen standen sie vor der Kirchtür.

Auch sie war mit Knoblauchzehen behängt. Ein großes Kreuz war in die schwere Holztür eingraviert worden.

Robert wollte die Klinke herunterdrücken, aber eine Art elektrischer Schlag traf ihn. Es blitzte aus dem Metall heraus und Robert sprang zurück. Ein Schmerz durchfuhr für kurze Zeit seinen gesamten Körper.

„Heh, was ist mit der Tür?“, entfuhr es ihm.

Er konnte es einfach nicht glauben, dass ihm der Zugang zur Kirche nicht möglich sein sollte und versuchte es gleich noch einmal. Wieder bekam er einen Stromschlag und zuckte zurück.

„Ich weiß nicht, ob ich dir wirklich raten soll, es auch zu versuchen“, sagte er. „Es tut nämlich verdammt weh…“ Aber Brenda nahm sich ein Herz und versuchte ebenfalls, die Türklinke herunterzudrücken. Sie schaffte es. Die Reaktion war nicht so heftig wie bei Robert, aber immer noch stark genug, um sie schließlich die Hand wieder zurückzucken zu lassen.

Auch sie rieb sich die Hand und betrachtete sie anschließend genauestens im Mondlicht. Es schien allerdings –

von einer leichten Rötung abgesehen – alles in Ordnung zu sein. Sie zuckte die Schultern. „Irgendein Zauberbann oder so etwas, würde ich sagen!“

Hinter einer der niedrigen Hecken, die den Friedhof durchzogen und immer wieder von knorrigen, verwachsenen Bäumen unterbrochen wurden, war ein Rascheln zu hören.

Eine Bewegung, Schritte.

Robert und Brenda wirbelten herum.

Robert hatte inzwischen schon längst wieder einen neuen Pflock in seine Armbrust eingelegt und die Waffe auch gespannt, sodass er sofort reagieren konnte, falls ein weiterer Angriff der Blutsauger erfolgte.

Und damit mussten sie wohl rechnen.

Denn wenn man zum Schloss blickte, dann braute sich dort im mondhellen Himmel Übles zusammen.

Eine Schar von mindestens einem Dutzend Nachtkreaturen zog dort immer größer werdende Kreise.

Die Angreifer schienen sich zu einer gemeinsamen Jagd zu sammeln. Das Schicksal ihrer bereits gepfählten Artgenossen schien sie in keiner Weise abzuschrecken.

Doch jetzt richtete Robert die Armbrust zuerst einmal gegen jenes Etwas, das da hinter der Hecke hervorkam.

Es sprang hervor, drehte sich in unvorstellbar schnellem Tempo um die eigene Achse und wirkte wie ein Luftwirbel. Es waren keinerlei Einzelheiten zu erkennen. Wie ein Gummiball kam es immer wieder auf den Boden und sprang dann hoch.

Dabei entstand ein schier unerträglicher Pfeifton.

Ehe sich dieses Wesen weiter nähern konnte, schoss Robert seine Armbrust ab.

Seiner Ansicht nach hatte Robert das Wesen genau getroffen. Die Frage war nur, ob Holzpflöcke gegen diese Art von wirbelndem Geist das richtige Mittel war.

Der Wirbel verlangsamte sich und fiel wie ein Stein zu Boden.

Dort kam er auf die Füße und jetzt wurde auch sichtbar, dass es sich um einen alten Bekannten handelte.

„Der Gnom!“, entfuhr es Brenda.

Mit böse leuchtenden Augen stand er da. Den Holzpflock hatte er mit der Hand aufgefangen. Offenbar reichte seine Reaktionsgeschwindigkeit aus, um den Angriff mit einer Armbrust abzuwehren – was für künftige Gegner nichts Gutes ahnen ließ.

„Was soll das, mich anzugreifen?“, meckerte das zwergenhafte Wesen, das sich selbst als einen Diener-Dämon bezeichnet hatte. Das Gesicht war zu einer Maske reiner Boshaftigkeit geworden. Der Gnom fletschte die Zähne wie ein Raubtier und hatte damit plötzlich eine erschreckende Ähnlichkeit zu den Albino-Wölfen der Hexe.

„Da will ich euch etwas Gutes tun – und das ist nun der Dank! Du versuchst, mich zu töten!“, rief er Robert zu.

„Tut mir Leid, da war nur ein Wirbel in der Luft zu erkennen!“

„Man sollte eben immer genau hinsehen, bevor man diese gefährliche Waffe abschießt! Wer weiß, vielleicht ist deine Begleiterin die nächste, die du aus Versehen umbringst!

Eigentlich sollte ich dir die Armbrust wegen erwiesener Unfähigkeit abnehmen!“ Er seufzte. „Leider fehlen mir dazu jegliche Befugnisse!“

„Ich kann nur noch mal betonen, dass es keinesfalls meine Absicht war, dich zu treffen!“, wiederholte Robert sich.

„Getroffen hast du Narr mich ja auch nicht! Sonst hätten dich meine vorgesetzten Höllenoberen ohnehin sofort in den Limbus versetzt.“

„Was ist das?“

„Die Welt jenseits aller Welten. Das Nichts. Das Vergessen. Das Kontinuum der absoluten Nicht-Existenz. Es gibt viele Ausdrücke dafür und jede dieser Bezeichnungen trifft einen gewissen Aspekt des Limbus ganz gut.“ Ein grollender Laut kam aus seiner Kehle hervor. Die Prankenartigen Hände ballten sich zu Fäusten. Er schleuderte den Holzpflock zurück, sodass er dicht an Roberts Kopf vorbei zischte und im Holz der Kirchentür zitternd stecken blieb.

Daraufhin wurde dieser Pflock plötzlich von elektrischen Funken umflort.

Diese Blitze hörten erst auf, nachdem das angespitzte Holzstück wenig später wie durch magische Hand verursacht seinen Halt verlor, zu Boden fiel und ein Stück über den grob gepflasterten Weg rollte, der zur Kirchentür führte.

Der Gnom schien sich in der Zwischenzeit einigermaßen beruhigt zu haben.

„Das ist der Punkt, über den ich mit euch reden wollte!“

„Das Gezische an der Tür?“, wunderte sich Robert.

„Ja, genau!“

„Und? Was ist damit?“

„Ihr könnt nicht ins Innere der Kirche hinein, die normalerweise einen natürlichen Schutzraum für euch darstellen würde, zumindest im Kampf gegen die Blutsauger, denn sie können weder dort noch in den mit Kreuzzeichen geschützten Häusern im Dorf eindringen. Eigentlich könntet ihr eine kleine Ruhepause in sicherer Obhut gut gebrauchen, nicht wahr? Und wenn ihr bedenkt, dass ihr in Zukunft nicht mehr viele Gelegenheiten bekommen werdet, um in Ruhe einen klaren Gedanken fassen zu können, so gewinnt das, was ich jetzt sage, um so mehr an Brisanz!“

„Red nicht so lange um den heißen Brei herum, Gnom!“, verlangte Robert. „Bring die Sache auf den Punkt!“

„Ich habe die Sache schon mal auf den Punkt gebracht – das war da draußen am Bach. Aber mir scheint, ihr habt mir vorhin nicht wirklich zugehört und die Konsequenzen verstanden…“

„Dann erkläre sie uns jetzt!“, verlangte Robert.

„Ich sprach schon einmal davon, dass es ein unverzeihlicher Fehler war, mit der Hexe einen Handel einzugehen, anstatt sie zu erschlagen, wie es eigentlich vorgesehen war!“

„Was hat diese Kirche mit der Hexe zu tun?“

„Ganz einfach. Seit die Hexe euch einen Teil der Lebenskraft des getöteten Waldgeistes eingeimpft hat, ist in euch selbst die Macht des Bösen vertreten. Nicht stark, aber stark genug, um euch den Zutritt zu gewissen Orten zu verwehren – und dazu gehört leider auch die Kirche. Und was die Häuser in diesem Dorf betrifft, so kommt es jeweils darauf an, wie stark sie gesichert sind!“

„Den Knoblauch, mit dem man mich beworfen hat, habe ich ganz gut vertragen“, erwiderte Robert.

Der Gnom lachte schallend.

Was ihn gerade in diesem Augenblick dermaßen amüsierte, war weder für Robert noch für Brenda im Moment richtig nachzuvollziehen.

Schließlich beruhigte er sich wieder.

„Der Knoblauch hat nur eine sehr begrenzte Wirkung, wie ihr feststellen werdet. Die Leute hier im Dorf überschätzen ihn maßlos….“

In diesem Augenblick fiel einer der Grabsteine um.

„Was war das?“, fragte Brenda.

„Tja, das ist ein anderes Problem, mit dem ihr noch zu kämpfen haben werdet.“

„Von welchem Problem sprichst du?“, fragte Robert.

„Nun, es gibt einige wenige, die von den Schattenkreaturen gebissen und durch das Einflößen von Vampirblut selbst zu Nachtgeschöpfen gemacht werden. Die Blutsauger nehmen sie mit auf das Schloss und zapfen sie ab und zu an. Aber die Verwandlung geht recht schell voran und wenn sie erst abgeschlossen ist, taugen die Betreffenden nicht mehr als Blutlieferanten. Bei den meisten Opfern verfahren die Nachtkreaturen jedoch anders. Sie zerreißen ihnen die Halsschlagader und saugen sie aus. Aus den Toten wird niemals ein Vampir – aber untot sind sie dennoch. Die Menschen im Dorf begraben sie, aber es ist unsicher sie in den Gräbern zu halten. Kreuze haben eine schwache Wirkung und Holzpflöcke gar keine. Übrigens ist das auch ein Grund dafür, weshalb hier im Dorf niemand nach Anbruch der Dunkelheit jemandem die Tür aufmachen würde!“

Der Gnom vollführte mehrere Saltos über Hecken und Gräber hinweg.

Schließlich sahen Robert und Brenda ihn auf einem der äußeren Grabsteine hocken.

„Lebt wohl! Und gebt euch etwas mehr Mühe, nicht so schnell getötet zu werden!“

Der Stein fiel um. Der Gnom schrie.

Einen Augenblick lang war nichts von ihm zu sehen, weil die Hecken und die anderen Grabsteine ihn überragten. Doch wenig später tauchte er auf der äußeren Friedhofsmauer wieder auf, die das Gelände mit einer Höhe von ungefähr einem Meter fünfzig umfriedete.

„Das mit dem Grabstein gerade war ich – und kein Untoter!

Also kein Grund zur Besorgnis. Übrigens ist es besser, ihr verlasst den Friedhof so schnell wie möglich. Der Geruch von lebendem Menschenfleisch lockt die Biester an. Tja, so sind sie nun mal.“

Und damit war der Gnom verschwunden.

*

„Wirklich nett von dem Kerl, dass er uns gewarnt hat!“, meinte Robert ironisch, als ein weiterer Grabstein plötzlich niederstürzte.

„Dieser Diener-Dämon will doch nur seine Wette gewinnen!“, war Brenda überzeugt.

Überall auf dem Friedhof kippten nun die Steine. Die Gräber machten alle den Eindruck, als wären sie erst vor kurzem angelegt worden. Hände, Arme, Beine und Köpfe kämpften sich aus dem Erdreich hervor. Das Geräusch von berstendem Holz war zu hören. Offenbar hatten die Untoten Kräfte, die weit über das menschliche Maß hinausgingen und problemlos in der Lage waren, auch Särge zu sprengen.

Brocken mit Erde, Steine und Pflanzen wurden in die Höhe geschleudert. Gleichzeitig erfüllten stöhnende Laute die unheimliche Stille.

„Besser, wir befolgen den Rat des Gnoms“, meinte Robert.

„Damit uns dann auf der Straße die Nachtkreaturen in aller Ruhe anvisieren und angreifen können.“ Robert seufzte.

Er blickte sich um. Die Untoten würden wohl etwas brauchen, bis sich die ersten von ihnen wirklich endgültig aus dem Erdreich heraus gegraben hatten. Hier und da waren Köpfe zu sehen. Die Betreffenden hatten furchtbare Wunden, vor allem im Halsbereich davongetragen. Wunden, die sehr wahrscheinlich durch Angriffe der Nachtkreaturen verursacht worden waren.

Brenda und Robert verließen den Friedhof.

Die schauerlichen, stöhnenden Laute, der zu einem neuen, unheimlichen Leben erwachten Toten jagte ihnen eiskalte Schauer über den Rücken.

„Was für eine perverse Welt“, murmelte Robert.

„Normalerweise dein Spielplatz, Robert!“

„Es ist ein Unterschied, ob etwas wirklich nur ein Spiel ist, aus dem jeder Beteiligte jederzeit aussteigen kann, oder so etwas wie das hier!“

Sie traten auf den Dorfplatz, der sich in unmittelbarer Nähe der Kirche und des Friedhofs befand.

Roberts besorgter Blick glitt hinauf zum Schloss. Die Schattenwesen hatten sich zu einer Formation versammelt, die einem V glich.

„Sie kommen“, flüsterte er. „Mach dich auf einiges gefasst, Brenda!“

Zauberer und Höllentore: Acht Fantasy Krimis

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