Читать книгу Zauberer und Höllentore: Acht Fantasy Krimis - Rolf Michael, Alfred Bekker, Frank Rehfeld - Страница 9
Kapitel 2: Der Horror zu Hause
Оглавление„Hi Mom, Hi Dad!“
Robert ging gleich die Treppe hinauf, aber er war nicht schnell genug, um seiner Mom auszuweichen.
Sie kam in den Flur, als es Robert gerade bis zum Treppenabsatz geschafft hatte.
„Kommst du gleich essen, Robert?“
„Ja, sicher.“
„Wie war’s in der Schule?“
„Wie immer.“
Ihr Blick fiel auf das Cover von Hellgate, woraufhin sich ihr Gesicht sofort veränderte. „Hast du dir wieder dieses Zeug gekauft! Du weißt doch, wie du in der Schule stehst.
Willst du unbedingt das Jahr noch mal machen?“
„Nein, Mom.“
„Aber wenn du dauernd vor der Kiste hängst und mit diesen Spielen deine Zeit vertrödelst, wird es darauf hinauslaufen.“
„Brenda kommt nachher noch zum Lernen“, sagte er. Eine Antwort, die ihm in diesem Augenblick vielleicht noch retten konnte.
„Heute Abend noch?“, fragte seine Mom.
„Gleich, um halb sechs. Wir schreiben doch morgen den Test in Mathe – und da ist Brenda einfach der Spitzen-Crack!“ Mom seufzte. „Fällt dir ein bisschen früh ein, für den Test zu üben. Stattdessen bringst du seit Wochen deine freie Zeit damit zu, diese Ballerspiele zu spielen, bei denen es nur darum geht, irgendwelche Gegner abzuschießen. Grässlich!“
„Wenn ich mich in zwei Jahren zu den Scharfschützen der Army melde, kann ich das gut gebrauchen!“, erwiderte er.
Das war Moms Horror-Vorstellung. Ihr einziges Kind meldete sich zur Army und starb bei irgendeinem Auslandeinsatz.
Robert hatte das gar nicht vor. Er wusste noch nicht genau, was er später mal werden wollte, aber diese Antwort war immer ein gutes Mittel gewesen, um Moms Argumentationsfluss treffsicher zu stoppen. Meistens war sie dann erstmal gar nicht mehr in der Lage, überhaupt etwas zu sagen.
Aber heute hatte sie offenbar ihren schlagfertigen Tag.
„Robert, mit deinem Zeugnis nimmt die Army dich nicht mal fürs Wachpersonal – geschweige denn bei den Scharfschützen!“
*
Nach dem Essen war vor der Verabredung mit Brenda noch etwas Zeit. Robert ging in sein Zimmer und fuhr den Computer hoch.
Dann packte er das Computerspiel aus.
Warum nicht noch einen kurzen Blick hineinwerfen? , fragte er sich. Er legte die DVD ein und startete das Spiel.
„Willkommen am Tor zur Hölle!“, sagte ein Zombie mit verrotteter Kleidung und glühenden Augen. Er hielt eine Sense in der Hand, mit der er auf ein flammendes Tor deutete. „Wenn du dieses Tor durchschreitest, bist du im Reich der Verdammten und es gibt dann kein Zurück mehr. Click hier, wenn du dem Satan deine Seele überantwortest – denn nur dann kannst du Zutritt ins Höllenreich erhalten.“ Mal sehen, was passiert! , dachte Robert und führte den Click aus.
Auf einmal spürte er einen unbeschreiblichen Sog. Alles schien sich vor seine Augen zu drehen. Er hatte das Gefühl, in einen Strudel zu geraten, dem man nicht widerstehen konnte.
Für den Bruchteil einer Sekunde schien er ins bodenlose Nichts zu fallen, dann spürte er festen Grund unter seinen Füßen. Er sank leicht ein. Plötzlich wurden die Bilder vor seinen Augen wieder klarer. Der Strudel aus Farben und Formen wich eindeutig umrissenen Konturen.
Instinktiv blickte Robert zuerst nach unten.
Er stellte fest, dass er auf Schnee stand.
Dann sah er sich um. Eine gefrorene, zu Eis erstarrte Landschaft umgab ihn. Schwere Zapfen hingen von den knorrigen Bäumen herab, deren verwachsene Stämme aussahen, als hätten sie Gesichter. Es war Nacht. Der Mond verbreitete ein fahles Licht und die Schreie von Eulen, Krähen und anderen, namenlosen Kreaturen unterbrachen immer wieder die Stille.
Fledermäuse flogen in Schwärmen um die Burgzinnen herum, sammelten sich zu Formationen, bevor sie auseinander stoben und sich in alle Richtungen zerstreuten.
„Cool!“, stieß er hervor.
Er verfügte nun wirklich schon über eine reichhaltige Erfahrung in Sachen PC Games und träumte insgeheim davon, eines Tages als Profispieler auf E-Sport-Turnieren sein Geld zu verdienen.
Aber etwas, das mit dem Effekt von Hellgate vergleichbar war, hatte er noch bei keinem Spiel erlebt.
„Wähle die Waffen, o Verdammter!“, ertönte jetzt eine hallende Stimme.
Im nächsten Moment erschienen in der Luft drei verschiedene Schwerter, eine Streitaxt und eine Armbrust, die mit Holzpflöcken geladen wurde.
„Wähle die Waffen, o Verdammter!“, wiederholte die Stimme.
Das ließ sich Robert nicht zweimal sagen. Seine Mom, sein Dad, ihr Gemecker über seine Schulleistungen, Brenda...
Das war in diesem Moment alles vergessen. Auch die Frage, wie es eigentlich möglich war, dass dieses Spiel ihn förmlich in seine Höllenwelt hinein gesogen hatte, trat in den Hintergrund.
Er wählte eines der Schwerter.
Eine zweischneidige Klinge, wie er schnell merkte.
Und dazu sehr scharf.
Als er die Klinge mit der linken Hand berührte, hatte er sich sofort geschnitten. Blut troff daraus hervor in den Schnee.
Es tat sogar weh.
„Das gibt’s doch nicht!“, entfuhr es ihm.
„Und nun überlebe!“, meldete sich noch einmal die Stimme, woraufhin, die in der Luft schwebenden und von einem hellen Schein umgebenden Waffen plötzlich verschwanden.
Robert focht mit dem Schwert in der Luft herum. Der Schnitt an der linken behinderte ihn etwas. Wie ist es nur möglich, das so realistisch zu machen!, durchfuhr es ihn.
Das Schwert lag jedenfalls gut in der Hand, so dachte er.
„Ja, jetzt soll nur kommen, wer kommen mag! Wo sind sie, die Kreaturen des Bösen?“, rief er lachend.
Ein Flügelschlag ließ Robert herumfahren. Es war vollkommen still geworden.
Auf einem der knorrigen Bäume hatte eine Kreatur sich niedergelassen, die nur als dunkler Schattenriss zu erkennen war. Die Augen leuchteten wie glühende Kohlen und beobachteten Robert.
Das muss der erste Gegner sein, dachte Robert. Und wahrscheinlich residierte der Herr des Bösen in dem dunklen Schloss und musste am Ende vom Spieler besiegt werden.
Aber erst nachdem er es geschafft hatte, sämtliche Schattenkreaturen mit einer der Waffen zu zerhacken.
Na ja, nicht unbedingt ein besonders intelligenter Plot, dachte Robert. Da gab es wirklich schon Raffinierteres auf dem Markt. Aber die Umsetzung ist einsame Spitze! , fand er.
„Na, nun komm schon, du Riesen-Eule!“, rief Robert provozierend. „Ich will jetzt kämpfen und sehen, wie die Waffen wirken!“
Das hast du doch bereits! , meldete sich eine Gedankenstimme. Robert schauderte, denn er hatte keine Sekunde lang einen Zweifel daran, dass diese Gedankenstimme der Kreatur auf dem knorrigen Baum gehörte.
Dann breitete dieses Wesen die Flügel aus und es wurde für Robert Thornton jetzt erkennbar, dass diese Schattenkreatur keinerlei Ähnlichkeit mit einer Eule hatte. Die Flughäute mit den daran befindlichen Händen erinnerten vielmehr an Fledermäuse.
Das Wesen erhob sich in die Luft. Dabei stieß es einen Schrei aus, der so schrill und durchdringend war, das er Robert durch Mark und Bein ging.
Das fahle Mondlicht ließ ihn jetzt das Wesen besser erkennen. Es handelte sich um eine bizarre Mischung aus Mensch und Fledermaus.
Zusätzlich zu den Flügeln gab es noch ein weiteres, sehr menschlich wirkendes Armpaar. Aus den langen Fingern wuchsen Krallen heraus.
Das zu einer Maske verzerrte Gesicht offenbarte lange Vampirzähne.
Das Wesen stürzte sich auf Robert.
Dieser versuchte, es mit seinem Schwert zu treffen, die Kreatur stieß ihn grob zu Boden. Er fiel in den Schnee und wirbelte herum, ehe die Kreatur einen Bogen geflogen war und sich erneut auf ihn stürzen konnte.
Er hieb mit dem Schwert nach dem Angreifer und ritzte leicht dessen Flughaut.
Die Kreatur brüllte wütend auf.
Dann kehrte sie zurück. Von der Wunde war nichts mehr zu sehen. Sie schien inzwischen geheilt zu sein. Wie willst du denn die Kreaturen des Todes töten, du Narr? , meldete sich die Gedankenstimme, bevor das Wesen erneut zum Angriff auf den am Boden Liegenden ansetzte.
Robert fasste das Schwert mit beiden Händen und schlug zu.
Das Schwert fuhr durch den Arm, mit dem die Kreatur angriff, drang aber nur bis zum Knochen vor.
Das Wesen schien dies nicht weiter zu stören.
Robert fühlte die Krallenhand bereits an seinem Hals und rang nach Atem.
Ein großmäuliger Narr bist du! Dein Blut für den Schlossherrn – deine Seele für den Herrn der Hölle! , meldete sich die Gedankenstimme.
Die Kreatur öffnete den an das Maul eines Affen erinnernden Mund und schickte sich an, seine langen Vampirzähne in Roberts Fleisch zu schlagen.
Robert konnte noch spüren, wie die Zähne den Hals aufrissen und etwas Warmes an ihm hinab lief.
Sein eigenes Blut.
Er schrie.
Er schrie wie noch nie zuvor in seinem Leben.
*
„Robert!“
Wie aus weiter Ferne hörte er diese Stimme. Sie war hell und irgendwie vertraut.
„Robert!“
Ihr Klang wurde von einer anderen Stimme überlagert, die sehr viel deutlicher zu hören war. „Der Vorgang konnte nicht abgeschlossen werden. Kein Zugriff.“
Jemand fasste ihn bei den Schultern.
Einen Augenblick lang war Robert schwarz vor Augen.
Ein Cocktail aus verschiedenen Farben und Formen tauchte dann auf und nur sehr langsam formten sich daraus Gegenstände. Der Schirm eines Computers, die Tastatur...
Er wurde herumgerissen und blickte in ein Gesicht.
„Robert, was ist los mit dir? Du blutest ja!“ Robert sah in ein weibliches, feingeschnittenes Gesicht, das von kinnlangen, blonden Haaren umrahmt wurde.
„Brenda!“, stieß er hervor.
Es war kaum mehr als ein heiseres Krächzen, das über seine Lippen kam. Einen Augenblick lang konnte Robert kaum fassen, dass er sich wieder zu Hause in seinem Zimmer befand. Brenda hatte ihn bei den Schultern gepackt und gerüttelt.
Und jetzt starrte sie ihn gleichermaßen irritiert und besorgt an.
„Deine Hand blutet“, stellte sie fest. „Ich sag deiner Mom Bescheid und besorge ein Pflaster.“
Er blickte auf seine Hand und erschrak. Der Schnitt, den er sich mit dem Schwert zugezogen hatte, war keinesfalls Einbildung gewesen.
Brenda wollte bereits gehen, aber Robert hielt sie zurück.
„Nein, lass!“, murmelte er, während der noch ganz unter dem Eindruck des Erlebten stand. Es fehlte gerade, dass er jetzt mit seinen Eltern darüber diskutieren musste, woher die Verletzung kam – zumal es ihm ohnehin niemand geglaubt hätte.
Auf jeden Fall hat der kahlköpfige Typ an der DeKalb Station keineswegs übertrieben, dachte er. Dies war tatsächlich das Spiel der Spiele.
Brenda sah ihn stirnrunzelnd an. 15 Jahre war sie, hieß mit vollem Namen Brenda Lucille Coogan, war vorzeitig eingeschult worden und abgesehen davon, dass sie einfach einen sehr viel besseren Draht zur Mathematik hatte als Robert, war sie auch noch sehr nett.
Brenda und Robert waren kein Paar, aber keiner von beiden hätte wohl etwas dagegen gehabt, wenn sich ihre Beziehung in naher Zukunft mal in diese Richtung entwickelte.
„Was ist los? Deine Mom hat mich zu dir heraufgeschickt und mich schon vorgewarnt, weil da so komische, gurgelnde Geräusche aus deinem Zimmer kamen und dann sehe ich dich da, wie...“
Sie sprach nicht weiter.
„Wie was?“, hakte er nach.
Erneut starrte sie ihn an wie ein exotisches Tier. Ihre Augenbrauen zogen sich dabei zusammen. Sie deutete auf seinen Hals. „Robert, da ist alles ganz rot, so als hätte dich jemand gewürgt, der lange Fingernägel hatte...“ Robert schluckte unwillkürlich.
Die Erinnerung an sein Erlebnis mit der Vampirfledermaus wurde jetzt noch einmal sehr lebendig.
„Sieht man das?“
„Natürlich sieht man das. Was denkst du denn?“
„Als du herein kamst, was hast du beobachtet?“
„Du saßt auf deinem Stuhl und hast auf den Bildschirm geschaut, wo irgendwelche Monster herumgeturnt sind. Aber du warst völlig weggetreten.“
Robert lächelte. „Ja, ich habe vorhin, als ich aus der Schule kam, dieses Hammerspiel gekauft. Hellgate heißt es...“ Er blickte zum Bildschirm. Das Bild war erstarrt.
Ein Fledermausmonster beugte sich über einen am Boden liegenden jungen Mann, dessen Gesicht zur Maske des Schreckens geworden war, während ihm das Vampirgebiss des Monsters den Hals aufriss.
Brenda glaubte ihren Augen nicht zu trauen. „Das bist ja du, Robert!“, stellte sie fest. „Dein Gesicht!“
„Mist!“, sagte Robert. „Abgestürzt. Aber das verstehe ich nicht. Die Hardware-Vorrausetzungen stimmen eigentlich.“ Brenda konnte es noch immer nicht fassen, was sie gesehen hatte. „Robert, das bist du da auf dem Bildschirm!“, wiederholte sie. „Wie kommst du dort hinein? Wird die Grafik nach einem Foto des Benutzers generiert oder hast du den Machern des Spiels Modell gestanden und dich abscannen lassen?“
„Weder noch!“
„Dann verstehe ich das nicht. Ich habe doch nichts an den Augen, oder?“
Sie beugte sich noch etwas näher an den Bildschirm und schien doch ihrem Blick noch nicht so recht trauen zu können.
„Es stimmt“, lächelte er. „Das bin ich. Ich verstehe das auch nicht ganz, aber bei diesem Hammerspiel ist man völlig in der Spielwelt drin. Das musst du selbst erlebt haben!“ Brenda nahm sich das Cover.
„Hellgate – das Tor zur Hölle. Das klingt...“
„Cool, oder?“
„Ich wollte sagen, das klingt eigentlich nicht gerade nach einer Umgebung, die man unbedingt besuchen möchte.“
„Brenda, das ist ein Spiel! Du begegnest Monstern und schlägst sie tot, damit du überlebst. Das ist alles. Ein Riesenspaß eben!“
„Na, ich weiß nicht.“
„Du musst das unbedingt auch mal probieren.“
„Das ist doch wahrscheinlich nur Daumentraining!“
„Nein, bei diesem Spiel nicht. Der Typ, der es mir verkaufte, hatte Recht, es ist wirklich das Spiel der Spiele.
Du bist vollkommen in der Spielwelt drin, so als wärst du ein Teil davon. Ich habe keine Ahnung, wie die das machen, aber es ist einfach so.“
Brenda sah ihn skeptisch an und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie blickte kurz zu dem Bildschirm hinüber und las sich dann noch einmal den Covertext durch.
„Ich bin eigentlich kein besonders großer Fan von so etwas.“
„Aber das wird dich überzeugen, Brenda!“
„Hör mal, ich bin eigentlich hier, um mit dir Mathe zu lernen. Wir schreiben doch morgen den Test.“
„Ja, ich weiß“, murmelte Robert. „Aber weißt du was? Ich fahre den Rechner jetzt noch einmal hoch und dann probierst du es einfach mal. Nur ein paar Minuten, dann wirst du begreifen, was ich meine.“
Sie seufzte. „Okay“, stimmte sie schließlich zu. „Zehn Minuten. Und dann üben wir. Sonst verhaust du morgen den Test. Und ich denke, du weißt, was davon abhängt.“